| Hier lesen Sie die besten Beiträge der achten Runde (September '02 - Oktober '02), die unseren Autorinnen und Autoren zu einem Satz von Milan Kundera eingefallen sind. Der Satz stammt aus dem Roman »Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins«. Fischer Taschenbuch 5992. ISBN 3-596-25992-4. 9,90 EUR: |  | Wollen Sie sich nicht etwas stärken vor dieser schweren Arbeit? Im Schweiße deines Angesichts. von Hans Pulina, 33611 Bielefeld (Deutschland) An einem so schönen Tag sollte niemand gezwungen sein, schwer zu arbeiten. Kalle wischt sich den Schweiß von der Stirn. Er sitzt auf einem der Findlinge, die er schon ausgegraben hatte. Eigentlich kommt es selten vor, dass ein Graben mit Spitzhacke und Schaufel ausgehoben wird. Seine Firma, die Rohre verlegt, Ausschachtungsarbeiten durchführt, hat genug Maschinen. Hier aber sollen Abwasserrohre unter dem Gehweg, zwischen den mehr als zweihundert Jahre alten Häusern, verlegt werden. Aber der Abstand zwischen den Hauswänden, ist auch dafür zu gering, um mit einem handlichen Kleinbagger arbeiten zu können. Die Hauseigentümerin Frau Radtke, von der die Firma den Auftrag hat, lehnt sich aus dem Fenster, schaut zu wie Kalle sich abrackert, um Erde und Steine aus dem Graben zu schaufeln. Es dauert nicht lange, sie kommt herunter. Mit beiden Händen hält sie das Tablett. Sie hat es sorgfältig mit einem Handtuch abgedeckt, geht damit rüber zu Kalle. Stärken sie sich erst einmal, bevor sie weitergraben, junger Mann. Kalle lässt sich das nicht zweimal sagen. Er langt zu und trinkt danach eine Flasche Warsteiner, weil es doch so heiß ist. Frau Radtke schaut zu, erfreut dass es ihm schmeckt. Als Kalle fertig ist, sich für Essen und Trinken noch höflich bedankt, nimmt sie die leere Flasche, das Tablett und kehrt sichtlich gerührt ins Haus zurück. Kalle raucht genussvoll noch eine Zigarette. So gut und so wohl fühlt er sich, wie schon lange nicht. Es gibt doch noch anständige Menschen, denkt er, lehnt sich an die Hauswand und spürt wie die wohlige Wärme sich in ihm ausbreitet. Klar dachte Kalle noch, es ist ja Mittagszeit. Es vergeht wohl ein Stündchen, da packt ihn jemand bei der Schulter. Kalle reibt sich die Augen. Was ist los? Breitbeinig steht der Vorarbeiter da, fürs Pennen bezahlt dich der Alte nicht, verstanden? Mach jetzt voran Kalle! Frau Radtke schließt empört das Fenster. Das alles passierte vor drei Jahren. Frau Radtke hat seitdem nie einem Handwerker vor oder während der Arbeit Essen und Trinken gereicht. Zurück zur Übersichtsseite des Satzfischers Altmodisch oder andere Dinge von Ina Sommer, 91054 Erlangen (Deutschland) "Wollen Sie sich nicht stärken vor dieser schweren Arbeit?", der ironische Unterton überrascht mich. Ich verspüre Unlust, zu streiten, verschließe meinen Mund in Schweigen. Klassisch-elegant das rote Kleid, die Haare hochgesteckt, die Handtasche über der linken Schulter wirft sie einen Blick auf die Uhr: "Ich werde gleich abgeholt.", die Ironie hat sie verlassen: "Passen Sie mir gut auf die Kinder auf!", sie räuspert sich: "Sie sind doch hoffentlich nicht altmodisch?" Nein, ich schüttele den Kopf. Ich schlage den Kindern vor, ein Buch zu lesen: "lustige Geschichten". "Ich will aber fernsehen.", jammert Gesine. "Ich will aber Computer spielen.", erwidert Niklas. Ich hocke mich zu den Kindern ins Wohnzimmer, lese die "lustigen Geschichten für Kinder" Zurück zur Übersichtsseite des Satzfischers Ein Handwerker für alle Fälle von Sabine Böhringer, 70597 Stuttgart (Deutschland) Karen hatte die Handwerker bestellt, der Parkettboden im Wohnzimmer musste verlegt werden und am Abend zuvor hatte sie alle Möbel ausgeräumt - bis auf diesen einzigen, bleischweren Holzschrank, den sie alleine keinen Zentimeter bewegen konnte, so sehr sie sich auch abmühte. Sie hoffte auf bärenstarke Handwerker. Gerade hatte sie sich frische Brötchen auf den Tisch gestellt und den Kaffee aufgebrüht, da klingelte es auch schon an der Tür. Sie öffnete und schluckte, denn da stand ein einziger, junger, sehr dünner, schlaksiger Handwerker im blauen Anton vor ihr. Wow, der ist hübsch, dachte sie, aber sein etwas schwächlicher Handschlag ließ sie besorgt an den Schrank denken. "Mein Kollege ist leider krank", meinte er und Karen hatte gemischte Gefühle, als sie ihn hereinbat. Sie führte ihn durch den Flur zum Wohnzimmer und zeigte auf den Schrank. "Den hab’ ich beim besten Willen nicht alleine geschafft." "Kein Problem", meinte der junge Mann lässig, bewegte sich auf das einsame Teil zu, versuchte, es zu bewegen, ebenfalls vergebens, dann untersuchte er das Teil von innen und außen und als Karen sah, dass seine Hände etwas zitterten, sorgte sie sich und dachte das kann ja heiter werden. In diesem Moment zog ihr der Duft ihrer frischen Brötchen in die Nase. "Wollen Sie sich nicht etwas stärken vor dieser schweren Arbeit?" Beherzt zeigte sie auf den gedeckten Tisch. Er zögerte. "Ich freu’ mich, wenn Sie mir Gesellschaft leisten!", bestärkte sie ihn. Wenn wir es nur schaffen, den Schrank aus dem Zimmer zu kriegen, dachte sie. "Warum nicht", ließ er sich überreden und sie holte ein weiteres Gedeck – und während sie Brötchenhälften mit Butter und Marmelade verdrückten und Kaffee schlurften, erfuhr Karen, dass er Timo hieß, dass er nur wenige Jahre jünger war als sie, dass er noch nicht gefrühstückt hatte, weil er fast überhaupt nichts essen konnte, seit seine Freundin ihn verlassen hatte. Aber jetzt zeigte er gewaltigen Appetit und flirtete heftig mit ihr und Karen erlag seinen blauen Augen. Aber auch nach der Stärkung schafften sie es nicht mal zu zweit, den Schrank zu bewegen. "Kein Problem", versicherte Timo wieder und Karen war verblüfft, wie schnell und fachmännisch er plötzlich das gute Stück in seine Einzelteile zerlegte. Genauso schnell, wie sie sich beim Frühstück näher gekommen waren. Dieser Mann steckt voller Überraschungen, freute sich Karen. Er hatte sie überzeugt. Zurück zur Übersichtsseite des Satzfischers Die Schuhe von Anna, 97074 Würzburg (Deutschland) Vor einigen Tagen habe ich mich verliebt. Wie er da als Frau verkleidet in seinen hochhackigen Latschen über die Bühne hüpfte, behende, als würde er den ganzen Tag nichts anderes tun, und mit sonorer Stimme Worte wie Patronenkugeln abfeuerte, spielte er sich mir direkt ins Herz. Von meinem sicheren Platz im halbdunklen Zuschauerraum aus suchte ich seine Blicke und konnte mir einbilden, er erwidere sie unter seinen köstlich halbgesenkten Augenlidern. Beseelt ging ich nach Hause und träumte von klappernden Schuhen. Am Tag der nächsten Vorstellung setzte ich mich schon am frühen Nachmittag in das Theater-Café und wartete. Bald betrat ein mir scheinbar unbekannter Mann die Kneipe. Ich musterte ihn schnell und unauffällig von oben nach unten, bis mein Blick an seinen Füßen hängenblieb. Er trug Frauenschuhe: besagte Schuhe aus dem Theater und meinen Träumen. Ich faßte all meinen Mut zusammen, bestellte für ihn schnell eine Kleinigkeit zu essen und sprach ihn an: Wollen Sie sich nicht etwas stärken vor dieser schweren Arbeit? Erkennen blitzte in seinen Augen auf ich trug extra das kleine Schwarze und die Haare wieder offen, wie am Premierenabend- und er folgte mir an meinen Tisch. Als Frau gefallen Sie mir viel besser! rutschte mir da plötzlich heraus, und, als wäre es nicht schon peinlich genug: In Sie als Frau könnte ich mich direkt verlieben! Ein verschmitztes Lächeln spielte um seine vollen Lippen: Ja, ich weiß. Gibst du mir Deine Telefonnummer, Schätzchen? Und da, als er fast verlegen auf seine Füße zeigte, da waren sie wieder, diese herrlich rauchige Stimme und der wundervolle Schlafzimmerblick: Und- wie gefallen Dir meine Schuhe? Zurück zur Übersichtsseite des Satzfischers Geplatzte Träume von Marie-Luise Wendland, 44805 Bochum (Deutschland) ``Wollen Sie sich nicht etwas stärken vor dieser schweren Arbeit?`` fragte sie und bat den jungen Mann in ihr gemütliches Wohnzimmer. Angelika war seit einem Jahr Witwe. Ihr Mann kam bei einem Autounfall ums Leben. Sie war eine 32jährige attraktive Frau. Ein Jahr hatte sie Trauerarbeit geleistet, hatte sich total zurückgezogen, sich dem Schmerz über den Verlust ihres geliebten Mannes hingegeben. Einsam fühlte sie sich in dem großen Haus. Der schöne Garten war total verwildert. Gepflegt und gehegt wurde er damals von ihrem Mann, einem begeisterten Hobbygärtner. Angelika konnte sich mit der Gartenarbeit nicht anfreunden. Aus diesem Grunde hatte sie in der Universität eine Anzeige an das schwarze Brett genagelt- Suche einen jungen Mann, der meinen Garten in Ordnung bringt-. Daraufhin hatte sich Philipp gemeldet. Er studierte Gartenbau. Als er sich bei ihr vorstellte, war sie fasziniert von dem jungen Mann. Strahlende blaue Augen in einem leicht gebräunten Gesicht. Und erst der Mund. Was drückte der Mund aus? Ein Zug von Traurigkeit und Geheimnis in den Mundwinkeln. Doch wenn er lächelte, erstrahlte sein ganzes Gesicht. Seine ungezähmten, braunen Locken passten wunderbar zu der Weichheit seines Gesichtes. Heute wollte er mit der schweren Gartenarbeit beginnen. Zum ersten Mal seit einem Jahr hatte Angelika Freude daran, sich schick anzuziehen. Richtig sexy sah sie aus. So lautete ihr eigenes Urteil. Jetzt saß Philipp vor ihr und trank eine Tasse Kaffee. Angelika versuchte, mit ihm zu flirten. Er senkte den Blick. Eine leichte Röte stieg in seine Wangen. Ihr Herz klopfte bis zum Hals. Merkte er, wie aufgeregt sie war? Sie ermahnte sich selbst. Sei geduldig, er wird Wochen, vielleicht sogar Monate mit dem Garten beschäftigt sein. Man darf nichts überstürzen. Abrupt stand Philipp auf.``Ich werde heute noch nicht mit der Arbeit beginnen, werde mir nur ein Bild davon machen, was zu tun ist. Morgen komme ich wieder und bringe jemanden mit, der mir hilft.`` Am nächsten Tag kam er mit einem jungen Mann. Genau das Gegenteil von ihm. Glatzköpfig. Seine Arme tätowiert. Ein hartes, kantiges Gesicht. Philipp stellte ihn vor: .``Mein Lebensgefährte Gunter. Wir werden in ein paar Monaten heiraten. Wir sind glücklich, dass eine Ehe unter Schwulen jetzt erlaubt ist.`` Für Angelika brach eine Welt zusammen. Zurück zur Übersichtsseite des Satzfischers Hinweis: Für die Rechtschreibung und Zeichensetzung sind die Autoren selbst verantwortlich. Die Urheberrechte liegen beim jeweiligen Autor. |