Satzfischer - Das literarische Kreativprojekt des Literatur-Cafés in Zusammenarbeit mit dem S. Fischer Verlag - Sommerrunde
Hier lesen Sie die besten Beiträge der siebten Runde (Sommerrunde/Juni '02 - September '02), die unseren Autorinnen und Autoren zu einem Satz von Alice Munro eingefallen sind. Der Satz stammt aus der Erzählung »Die Kinder bleiben hier«. Sie findet sich im Buch »Der Traum meiner Mutter«. Aus dem Englischen von Heidi Zerning. S. Fischer Verlag. ISBN 3-10-048817-2. 18,00 EUR: Cover: Der Traum meiner Mutter

Sie schloss die Autotür auf und warf die Schlüssel auf den Sitz und verriegelte die Tür von innen und schlug sie zu.

Und das war das Ende
von Rupprecht Mayer, 83339 Chieming (Deutschland)

Sie sah in die Tiefe und nickte und kam zurück. Der Lektor saß auf dem Beifahrersitz und hatte die halbe Flasche geleert und nahm nicht mehr wahr, was um in herum vorging.

Sie schloss die Autotür auf und warf die Schlüssel auf den Sitz und verriegelte die Tür von innen und schlug sie zu.

Und dann schob sie den Wagen an und schob und schob und der Wagen begann zu rollen und rollte über den Abhang und explodierte am Grund der Schlucht wie ein Feuerball.

Und der Lektor verbrannte, und mit ihm ihr Manuskript und ihr Foto, das ihn dazu gebracht hatte, das Ablehnungsschreiben persönlich zu überbringen, und er hatte geschrieben:

"Diese Ablehnung erfolgt aus verlagstechnischen Gründen und beinhaltet kein negatives Werturteil. Wir halten den Text für durchaus veröffentlichungswürdig. Ihr Erzählstil ist interessant und weist eine persönliche Note auf. Allerdings raten wir Ihnen, bei einer Überarbeitung des Textes die Frequenz des Wortes ‚und’ um 80% zu reduzieren."

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Erschrocken über sich selbst
von Annette Sommer-Nowak, 50129 Bergheim (Deutschland)

Erschrocken über sich selbst

schloss sie die Autotür auf
und warf den Schlüssel auf den Sitz
und verriegelte die Tür von innen
und schlug sie zu.

Denn

sie schloss auf
und warf auf den Sitz
und verriegelte von innen
und schlug zu.

Erschrocken über sich selbst

schloss sie die Autotür auf
und warf die Schlüssel auf den Sitz
und verriegelte die Tür von innen
und schlug sie zu.

Denn

aufgeschlossen
sich auf ihn werfend
sich von innen verriegelnd
zugeschlagen.

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Wunder
von Achim Amme, 22769 Hamburg (Deutschland)

Sie schloss die Autotür auf und warf den Schlüssel auf den Sitz und verriegelte die Tür von innen und schlug sie zu. Und das Auto fuhr los und sie sah aus dem Fenster und wunderte sich, dass sie nicht draussen stand.

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Ein Schlüsselerlebnis
von Barbara Germann, 66540 Neunkirchen (Deutschland)

Das Geräusch der zuschlagenden Tür riß sie aus ihren Gedanken und brachte sie in die Gegenwart zurück. Was wollte sie gerade eben noch tun? Ach ja, jetzt fiel es ihr wieder ein - ein Lächeln huschte über ihr Gesicht.
Sie hatte sich für diesen Tag besonders zurechtgemacht: ein enganliegendes schwarzes, langes Kleid und hochhackige Schuhe. Auf ihrem Kopf trug sie einen großen weißen Hut , unter dem langes, rotes Haar hervorquoll. An Ohren, Hals und Handgelenken klirrte teurer Designer-Schmuck; den rechten Fußknöchel zierte ein winziges Goldkettchen.
Vorsichtig trat sie einen Schritt zurück, darauf achtend, daß ihr hoher Absatz sich nicht zwischen den Metallschienen auf dem Boden einkeilte. Draußen schlug ihr die Hitze des Sommers entgegen und ließ sie tief einatmen. Hoffentlich hielt das Makeup!
Die vielen Leute um sie herum irritierten sie . Sie merkte plötzlich, wie Nervosität und Unruhe sie erfaßten - sollte sie es wirklich tun, hier und jetzt? "Reiß Dich zusammen," befahl ihre innere Stimme , "bring' es hinter Dich"!
Mit zitternden Händen durchwühlte sie ihre Handtasche und fand schließlich das Kärtchen aus Plastik mit der großen roten Zahl darauf - die Fünf war schon immer ihre Glückszahl gewesen.
Sie warf noch einen Blick auf die Gruppe von Menschen, die einige Meter von ihn entfernt standen und darauf warteten, daß ...Sie war sich nicht sicher, worauf die Leute warteten, aber ihr Instinkt sagte ihr, daß sie ihr zuschauten !
Es würde heute eine besondere Herausforderung für sie sein - unter erschwerten Bedingungen: die große Hitze, ihre Kleidung und die hochhackigen Schuhe und dann soviele Zuschauer!
Mit äußerster Konzentration und einem letzten Blick auf ihre schicke Tissot-Uhr - ca. 5 Sekunden würde sie Zeit haben -bediente sie mit geübtem Handgriff den Automaten - und startete durch!
Hinter ihr die Menge grölte und feuerte sie an! Mit weitausgreifendem Laufschritt, das enge Kleid war dabei wirklich mehr als hinderlich, hatte sie schon fast ihren Wagen wieder erreicht, als ihr bewußt wurde, daß sie den Schlüssel nicht wie sonst in der Hand hielt. Aber wo war er? In Bruchteilen von Sekunden zog ihr bisheriges Leben vor ihrem geistigen Auge vorüber. Aus, vorbei - sie würde es nicht schaffen.
Die Maschine dröhnte, die großen Rollen setzen sich in Gang und aus den Düsen spritzte das Wasser. Ihr Haar hing in nassen Strähnen herunter, das Makeup war verlaufen.
Die Autowaschanlage hatte gesiegt!

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Flu(ch)tgedanken
von Janett Gareis, 04277 Leipzig (Deutschland)

Sie schloss die Autotür auf und warf die Schlüssel auf den Sitz und verriegelte die Tür von innen und schlug sie zu. Sie umklammerte das Lenkrad und starrte hinaus in die Nacht. Als der Regen nachgelassen hatte, schaltete sie das Radio ein. Es war kurz nach 23 Uhr und der Nachrichtensprecher berichtete von den neuesten Pegelständen an der Elbe. In ein paar Tagen würde die Flut die Stadt, in der sie wohnte, erreicht haben. Ihre Hände, die immer noch das Lenkrad umklammerten, glitten hinab und streichelten ihren gewölbten Bauch, der sich unter ihrem Kleid abzeichnete. Ihr Blick wurde sanft und sie dachte an die Tage in Costa Rica zurück.

Ihr Mann hatte dort eine Tagung, zu der er sie mitgenommen hatte. Er wollte sie wohl damit aufmuntern, denn seit sie vor sieben Jahren in den Ostteil der Republik gezogen waren, litt sie unter Depressionen. Es war nicht nur die direkte Art der Menschen hier, sondern auch zunehmend ihre Kinderlosigkeit, die ihr zu schaffen machten. Mit ihren 38 Jahren bekam sie immer öfter Panik: vor dem Älterwerden und vor allem vor der Leere, die sich immer mehr in ihr ausbreitete und eines Tages wohl, wie die nahende Flutwelle über sie hinwegstürzen würde. Den einzigen Ausweg sah sie in einem Kind. Es war nicht die Liebe zu ihrem Mann, der sie dazu bewog. Eher wohl das Gegenteil: die Nicht-Liebe zu ihrem Mann sollte das Kind ausfüllen. Aber wie sollte sie von einem Mann ein Kind bekommen , den sie verabscheute und dem sie sich nur widerwillig hingab?

Costa Rica faszinierte sie sofort. Noch nie hatte sie sich so lebendig gefühlt. Wenn sie heute an diese Woche zurückdachte, kam ihr alles wie ein Traum vor. Ihr Mann hatte wenig Zeit für sie und so erkundete sie allein die fremde Stadt. Gleich am ersten Tag lernte sie ihn kennen. Er war jung, er war charmant und er sprühte vor Erotik. Er zeigte ihr seine Stadt, aber vor allem zeigte er ihr, dass sie begehrenswert ist.

Ihr Blick verdüsterte sich. In drei Monaten würde sie ihr Kind entbinden und dann würde alles ans Tageslicht kommen. Sie suchte seit Monaten nach einem Ausweg. Sie wollte die Karriere ihres Mannes nicht gefährden, aber vor allem wollte sie Ruhe für sich und das Kind. Und auf einmal kam ihr ein Gedanke, der ihr ein breites Grinsen übers Gesicht zog: sie würde verschwinden, abtauchen sozusagen. Vermißte gab es viele in diesen Tagen. Warum sollte sie nicht dazu gehören? Entschlossen nahm sie den Schlüssel, steckte ihn ins Zündschloss und fuhr los in Richtung Elbe.

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