| Hier lesen Sie die besten Beiträge der siebten Runde (Sommerrunde/Juni '02 - September '02), die unseren Autorinnen und Autoren zu einem Satz von Alice Munro eingefallen sind. Der Satz stammt aus der Erzählung »Die Kinder bleiben hier«. Sie findet sich im Buch »Der Traum meiner Mutter«. Aus dem Englischen von Heidi Zerning. S. Fischer Verlag. ISBN 3-10-048817-2. 18,00 EUR: |  | Sie schloss die Autotür auf und warf die Schlüssel auf den Sitz und verriegelte die Tür von innen und schlug sie zu. Verwirrung von Brigitte Loos, 50259 Pulheim (Deutschland) Im Auto war es stickig, und sie merkte, wie die Kälte an ihr hochkroch. Sie machte die Augen zu und blickte angstvoll um sich. Allmählich beruhigte sie das Gefühl der Gefahr. Sie hörte sich starten und schob zitternd den Autoschlüssel ins Zündschloss, denn plötzlich wurde ihr schlagartig klar: wenn sie jetzt nicht losfährt, bleibt sie stehen. Und das wäre das Erste und Letzte was sie wollte. Zurück zur Übersichtsseite des Satzfischers Der See von Rolf Ronck, 66333 Völklingen (Deutschland) Sie öffnete die Autotür, warf die Schlüssel auf den Beifahrersitz und setzte sich hinters Steuer. Dann zog sie die Tür zu und drückte den Verriegelungsknopf. Ihr Herz hämmerte gegen ihre Rippen, als sie durch die Windschutzscheibe zum See hinüber blickte. Es waren gut fünfundzwanzig Meter leicht abfallendes Gelände bis zum Wasser. Sie legte ihre rechte Hand auf die Handbremse und drückte mit dem Daumen auf den schwarzen Halteknopf. Langsam schloss sie die Augen. Ihre Lippen zitterten und Tränen liefen über ihre Wangen. Ein leichter Ruck ging durch den Wagen, als sie die Bremse löste. Das Auto begann langsam über den trocknen Boden des Feldweges zu rollen. Doch ihr war, als schwebe sie in einem Ballon. Die Reifen liefen knirschend über verdorrte Halme und kleine Kiesel. Ihre Verzweiflung mischte sich plötzlich mit einem Gefühl der Erleichterung. Sie hielt die Augen fest verschlossen, doch um ihre Lippen spielte ein Lächeln. Ohne dass sie das Lenkrad berührte, lief der Wagen wie an der Schnur gezogen geradeaus auf den See zu. Die eine Hand lag noch immer auf der Handbremse, die andere auf ihrem linken Oberschenkel. Sie lächelte. Ihre Erinnerung an den letzten Sonntag mit Martin war so stark. Martin war alles, was sie sich je von einem Mann zu erhoffen wagte. Der Nachmittag am See war das Glück pur. Losgelöst, wie es nur Kinder und frisch Verliebte vermögen, sprangen sie im Wasser umher und wälzten ihre nassen Körper im sandigen Uferboden. Sie küssten und streichelten sich wie im Rausch und vergaßen alles um sich herum. Als die untergehende Sonne sie mit ihren warmen, bronzefarbenen Strahlen umhüllte, verschmolzen ihre Körper in einem süßen Rhythmus. In den wenigen Sekunden, die der Wagen brauchte, bis die Reifen die Wasseroberfläche berührten, erlebte sie die Emotionen jener Stunden.in aller Intensität wieder. Es war bereits dunkel, als Martin sich kurz im See erfrischen wollte. Sie hörte noch das Plätschern seiner Schritte im seichten Uferwasser. Danach war Stille. Sie rief seinen Namen die ganze Nacht. Zwei Tage später fand man ihn im Schilf am gegenüberliegenden Ufer.
Mit beiden Händen umklammerte sie das Lenkrad. Der Wagen war bereits zur Hälfte unter Wasser und neigte sich gurgelnd und zischend weiter nach unten. Sie hielt die Augen fest zusammengepresst und ihr Atem ging keuchend. Sie sah Martins lachendes Gesicht. Sie lächelte ihn an, streckte die rechte Hand nach ihm aus und berührte sanft seine Wange. Zurück zur Übersichtsseite des Satzfischers Verkrochenes Selbstbewußtsein von Annelie Jagenholz, 50171 Kerpen (Deutschland) Sie schlug die Autotür auf und war die Schlüssel auf den Sitz und verriegelte die Tür von innen und schlug sie zu.
Sie atmete durch und zündete sich eine Zigarette aan und spürte die Andeutung von Ruhe und betrachtete sich aus dem Rückspiegel.
Dort draußen herrschte Stille und die Verbindung der Geschlechter oder eines Liebespaares, das die animalischen Triebe beschwichtigte.
Sie war umgeben von Reklameschildern, die zerfallen waren und Einsamkeit vermittelten, und Straßensperren als Wegweiser des Stillstands!
Um das alles herum existierten nur Hochbauten und anonymes Leben, vielleicht auch etwas beiläufige Prostitution.
Sie drehte das Fenster hinunter und warf ihre Zigarette hinein und stöhnte, weil sie sich verbrannt hatte, und mußte lachen.
Nichts ereignete sich und alles ereignete sich, und das Wunderbare des Universums war enthalten, in jedem Augenblick und in jeder Geste,
auf so vielen Ebenen und in so vielen Varianten wahrgenommen, wie in jedem Menschen vorhanden war. Und der Mut erfaßte sie!
Also schlug sie die Autotür wieder auf und nahm die Schlüssel von dem Sitz und öffnete die Tür von außen und schloß sie wieder auf.
Dieses Dasein wurde zum Äquivalent der Befindlichkeit für das menschliche Wesen und der Spiegel eines jeden selbst, ... in der Leere, ... diesem großgeschriebenen Desaster, ...das man heutzutage und tatsächlich SELBSTBEWUßTSEIN nannte! Zurück zur Übersichtsseite des Satzfischers Befreiungstat von Heidrun Schaller, 20259 Hamburg (Deutschland) Heute war der Tag an dem der stete Tropfen Leas Geduldsfaß zum Überlaufen brachte, an dem ihr Geduldsfaden riß, sie keine Lust mehr auf diesen Langweiler hatte, etwas passieren mußte. Zum hundertsten mal führten sie das gleiche Streitgespräch, bei dem er mal wieder sagte: "Mit meinem Wagen können wir diese Tour, die du da machen willst, nicht machen, der Weg ist mir zu schotterig, da könnte ein hochspritzender Stein den Lack zerkratzen oder womöglich noch schlimmeres geschehen." Immer wieder endeten ihre Ausflugspläne damit, daß sie niemals richtig in die freie Natur, die Wildnis fuhren, sondern immer nur auf asphaltierten, langweiligen Wegen blieben, kein Abenteuer, keine Spannung; Gleichmaß, kalkuliertes minimales Risiko, Langeweile. Heute nun richtet Lea ihre monatelangen unbefriedigten Sehnsüchte nach Abenteuer, Lust und Spannung in rotheißer Wut auf diesen Langweiler, dem sie da aufgesessen ist, gegen sein Lieblingsobjekt, das ja eigentlich sogar sein Liebessubjekt ist, nämlich gegen sein Auto. Es zu verkratzen oder ähnliches, wäre ja Sachbeschädigung, doch daß er vor verschlossener Autotüre stehen, nicht würde wegfahren können, das schien ihr eine perfekte Strafe zu sein, denn dann mußte er sich endlich bewegen, etwas unternehmen, kreativ werden um wieder fahren zu können. Gedacht getan. Lea angelt den Schlüssel seines Wagens, den er ihr leichtsinniger Weise - das war aber auch sein einziger Leichtsinn in den fünf Monaten ihrer Bekanntschaft - zum Aufbewahren gegeben hatte, aus ihrer Handtasche, schließt die Fahrertüre der edlen Karosse auf, wirft den Schlüssel mit wütender Energie und gehässig, aber auch mit Visionen der nun zu erwartenden Dramaturgie - was er wohl unternehmen wird um den Wagen aufzubekommen, hier im städtischen Forstgebiet - auf den Fahrersitz, verriegelt die Tür von innen und knallt, voller Befriedigung die Wagentüre zu. Sie selber wandert dann pfeifend und federleicht - da sie endlich wieder frei ist zu tun und zu lassen, was sie will - den Weg zurück in die Kleinstadt und zu ihrem zu Hause. Zurück zur Übersichtsseite des Satzfischers Innenwelt von Rainer Ruppert, 69226 Nußloch (Deutschland) Die Sonne würde heute erst spät durch den Nebel stoßen. Und das Mädchen am Fenster, zu früh erwacht, allein. Sechs Uhr früh ist keine Zeit, hier jenseits der Stadt. Und würde dort nicht sein Auto stehen, auf dem Kies, sich in ihren Blick schieben, nichts würde von einer Welt in Bewegung künden. Und die Zeit, was Mensch davon weiß und mechanisch sich an Wände hängt, die tickt im Hintergrund. Tickt sich in den Versuch des Mädchens, weiter sich an dieses Stilleben zu vergessen. Zeit, die ihr nicht mehr bleibt. Sicher, er schläft noch, hinter ihr, sie hört ihn schwer atmen, riecht den Alkohol, der zuletzt und einzig ihn hier noch gehalten hat. Aber sie wagt nicht, sich zu ihm umzudrehen. Auch hat sie ein stetiges Pfeifen in den Ohren, welches erzählt, wortlos ewig, von dem Streit der letzten Nacht. Dem letzten Streit in welchem alles gesagt, alles vernichtet wurde. Leise geht sie nach draußen. Noch ist ein wenig der Wärme des Sommers in der Luft und der Nebel weicht vor ihr zurück, was ihr ein wenig Sicherheit gibt. Sie ahnt nichts von der traurigen Diskretion des Nebels, glaubt sich stärker: ja, mit mir die Sonne! denkt sie und lächelt auf dem Weg zu seinem Wagen. Sie schließt die Autotür auf, wirft den Schlüssel auf den Sitz, verriegelt die Tür von innen und schlägt sie zu. Wie ein Krampf sich löst, verläßt nervöser Atem ihren trockenen Mund. Sie geht zurück ins Haus und sieht ihn an, wie er auf dem Bett liegt und schläft. Eine leere Flasche auf dem Nachtschränkchen, eine weitere auf dem Fußboden. Jetzt kann doch noch alles gut werden, jetzt muß er bleiben, jetzt kann er sie nicht verlassen, jetzt wird er sich noch einmal in sie verlieben, jetzt werden sie reden, jetzt wird das Pfeifen verschwinden... Nein! Das Pfeifen verschwindet nicht, wird lauter und sie preßt sich die Hände auf die Ohren und schließt die Augen davor. Was nicht mehr helfen wird. Sie dreht sich weg von ihm, öffnet das Fenster, die Augen, den Mund, und atmet kurz und lustlos. Atmet mehr Nebel aus, denn ein. Am Rande ihrer Wahrnehmung spürt sie, wie er hinter ihr langsam aus seinem Schlaf zu erwachen beginnt. Sie lächelt bitter, als ihr Blick jetzt auf seinen Wagen fällt, dessen Türen sie eben noch verriegelt, dessen Schlüssel sie eben darin eingeschlossen hat. Und dessen Verdeck geöffnet ist. Wirklich ein schönes Cabriolet, murmelt sie erste Worte in diesen letzten Tag und fängt gleichzeitig an zu lachen und zu weinen. Zurück zur Übersichtsseite des Satzfischers Hinweis: Für die Rechtschreibung und Zeichensetzung sind die Autoren selbst verantwortlich. Die Urheberrechte liegen beim jeweiligen Autor. |