Satzfischer - Das literarische Kreativprojekt des Literatur-Cafés in Zusammenarbeit mit dem S. Fischer Verlag - Sommerrunde
Hier lesen Sie die besten Beiträge der siebten Runde (Sommerrunde/Juni '02 - September '02), die unseren Autorinnen und Autoren zu einem Satz von Alice Munro eingefallen sind. Der Satz stammt aus der Erzählung »Die Kinder bleiben hier«. Sie findet sich im Buch »Der Traum meiner Mutter«. Aus dem Englischen von Heidi Zerning. S. Fischer Verlag. ISBN 3-10-048817-2. 18,00 EUR: Cover: Der Traum meiner Mutter

Sie schloss die Autotür auf und warf die Schlüssel auf den Sitz und verriegelte die Tür von innen und schlug sie zu.

Mit einem Plopp ist alles weg....
von Regina Rautenberg, 65195 Wiesbaden (Deutschland)

Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Eine Mischung aus Angst und Triumph erfüllte sie und mit zitternder Hand steckte sie den Zündschlüssel ins Schloss. Der Motor startete sofort, was sie mit einem dankbaren Lächeln quittierte. Braves kleines Auto, murmelte sie leise und gab Gas. Der Wagen schoss vorwärts. Um ihre Nervosität zu vertreiben, drehte sie das Radio auf, irgendein Sender spielte alte Abba-Songs. Sie mußte an damals denken, als sie ihn gerade kennengelernt hatte, und als sie noch atmen konnte neben ihm und lachen mit ihm. Jung waren sie gewesen und voller Vorfreude auf das saftige, pralle Leben, das vor ihnen lag, sie hatten auf Matratzen auf dem Boden geschlafen, nächtelang gequatscht und Wein getrunken und geraucht und sich geliebt. Aber der Körper, der jetzt reglos in ihrem Kofferraum lag, hatte keine feste, gebräunte Haut mit kleinen, seidigen Härchen mehr. Keine kraftvollen, sehnigen Arme, die zart streicheln oder fest zupacken konnten. Nein, die Haut war schlaff geworden. Und weiß. Wie dicker, zäher Vanillepudding. Und nicht nur die Haut hatte sich verändert. Ganz allmählich und schleichend hatten sich genau die Eigenschaften, die sie an ihm geliebt hatte, verabschiedet und neue, fremde, waren dazugekommen. Unzufriedenheit, Pedanterie, seine ständige Nörgelei. Und der ewige Urlaub in den Bergen, das war überhaupt das allerschlimmste. Wegen der guten Luft, pflegte er zu dozieren, und wenn sie ihn dann mit dreiviertellangen Hosen und Wanderstock über verkackte Kuhwiesen stolzieren sah, fragte sie sich immer öfter, ob das tatsächlich der Mann war, mit dem sie irgendwann einmal bis in die frühen Morgenstunden über die sexuelle Befreiung der Frau diskutieren konnte. Und ganz allmählich reifte ein Entschluß in ihr, zuerst nur als klitzekleiner Gedanke, erschrocken verworfen von ihrem Gewissen, bis zum Schluß die Sehnsucht und die Neugier nach dem Leben, nach ihrem Leben, wieder da waren. Alles andere war eigentlich ganz einfach gewesen. Das Geräusch dabei war sogar ganz lustig, es machte nur „plopp“. Ganz einfach „plopp“. Und als er sie mit verzerrtem Gesicht anstarrte und dann wie ein Sack zu Boden sank, empfand sie plötzlich tiefe Dankbarkeit gegenüber dem Erfinder des Schalldämpfers. Mit einem Plopp ist alles weg, hmhmhm, sang plötzlich jemand fröhlich, und entnervt schaltete sie das Radio ab, Scheißwerbung

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Rendezvous im Regen
von Herbert Dobner, 1110 / Wien (Österreich)

Sie schloss die Autotür auf und warf die Schlüssel auf den Sitz und verriegelte die Tür von innen und schlug sie zu
Er sah sie kurz an, sperrte mit dem Reserveschlüssel die Türe wieder auf, stieg ein, fuhr los und ließ sie allein im Regen zurück.

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Abschiedsvariationen
von Gerd Früstück, 65366 Geisenheim (Deutschland)

Sie schloss die Autotür auf und warf die Schlüssel auf den Sitz und verriegelte die Tür von innen und schlug sie zu!
1. Silvia warf ihre kastanienbraune Mähne zurück ( Gütiger Himmel, wie ich diese Geste liebe!), durchbohrte mich mit ihren Blicken und fauchte: “Mir reicht’s!“ Befriedigt nahm sie die Verlegenheit der Umstehenden zur Kenntnis, zupfte ihr taubenblaues Kostüm (ein Geschenk von mir) zurecht, trat aus der Pfütze und marschierte zum Bahnhofseingang.
Ich öffnete die Wagentür, nahm den Schlüssel und steckte ihn ins Schloss. Eigenartigerweise fiel mir dabei der Satz aus „Neues von Kalau“ (aus der Zeitschrift mit dem Stern vorne drauf) ein: “Mein Gott, Riebesehl, kannst Du denn gar nichts richtig machen?“ – Diese Szene hätte vielleicht mit ihrem alten Golf geklappt!
2. Seit diesem Selbstverwirklichungskurs war Ute verändert. Auch äußerlich, die üppige Haarpracht war einem orangeleuchtenden Stoppelfeld gewichen und die Öhrchen (Himmel, diese süßen Ohrläppchen!), waren doch viel ausladender als in meiner Erinnerung. Mit einem sonoren „Verpiss Dich, du Spießer!“ schwang sie den kleinen Rucksack (ein Geschenk von mir) auf den Rücken. Ich brachte mich vorsichtshalber in Sicherheit, sie hatte nämlich bei ihrem eigenen alten Wagen die Tür zugeworfen. Ich dachte an Neues von Kalau: “Mein Gott, Riebesehl, ......“
3.. Empört hüpfte Susis tizianroter Pferdeschwanz auf und ab. “Wir gehen!“ kreischte sie, zupfte ihren etwas zu knappen auberginenfarbenen Pulli (von mir selbst gestrickt, Perlmuster) zurecht, ohne zu merken, dass sich ein Faden am Schlüssel auf dem Autositz verhakt hatte. Schnaubend klemmte sie sich ihren Yorkshire-Terrier unter den Arm und stöckelte zum Taxistand. Sehnsuchtsvoll sah ich dem straffsitzenden Röckchen nach (Gütiger Himmel, wenn ich an diese Grübchen über den Pobacken denke) und musste beiseite springen, weil sich der Faden Ihres Pullovers (Lurex: Lauflänge 95m pro 25g-Knäuel) immer weiter abribbelte.
Dann zog ich meinen Reserveschlüssel aus der Tasche und öffnete vorsichtig die Wagentür, löste den Faden vom Schlüssel und band ihn an einen Laternenpfahl. Als ich davonfuhr, sah ich noch den Taxifahrer fasziniert auf Susis Pullover starren und dachte an den armen Riebesehl.
Da ich gerade im Internet bin und etwas schreibe, überlege ich, ob ich mich nicht auf diesem Wege etwas umschaue: Ich denke da aber eher an schwarzhaarig oder auch blond, ohne Führerschein, ach ja: Grübchen über den Pobacken wären sehr angenehm!

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Flucht
von Frank Löwenbrück, 78647 Trossingen (Deutschland)

Ihr Hals und ihre Handgelenke brannten wie Feuer, ebenso die Platzwunde am Kopf.
Todesangst rauschte ihr durch die Adern und entfachte ein zuckendes Feuerwerk hinter ihren weit aufgerissenen Augen. Sie rannte, vorwärts gepeitscht von der gierig nach ihr schnappenden Klaue in ihrem Nacken, hastete panisch über den im finsteren schwarzgrau der wolkenverhangenen Nacht kaum erkennbaren und vom heftigen Regen des untergegangenen Tages schmierig aufgeweichten Weg. Immer wieder glitt sie aus, stolperte auf allen Vieren und schlug sich Knie und Ellenbogen auf ohne es zu bemerken. Ihr war, als würden jeden Moment ihre brennenden Lungen bersten und ihr Kopf drohte zu platzen. Weiter, sie musste weiter, musste um jeden Preis ihr Auto erreichen, das sie irgendwo dort, hinter den gespenstisch in den düsteren Himmel aufragenden Bäumen (waren es Pappeln, fragte sie sich?), abgestellt hatte. Endlich konnte sie die schemenhaften Umrisse eines Fahrzeugs erkennen. Im selben Moment ergoss sich ein Gedanke, heiß wie siedendes Öl, durch ihre Glieder: der Autoschlüssel! Hatte sie ihn etwa beim Kampf verloren? Ihre blutverschmierte Hand fuhr hastig in die Hosentasche ihrer zerrissenen Jeans und tastete nach dem Objekt ihrer Rettung. Tatsächlich, ja, da war er, er war wirklich da! Das Auto war nun zum Greifen nah und noch einmal packte die Riesenfaust der apokalyptischen Angst nach ihrem Genick und drohte sie zu ersticken. Völlig außer Atem, kaum noch in der Lage, sich auf den zitternden Beinen zu halten, erreichte sie den Wagen. Der Rest geschah wie in Zeitlupe: Sie schloss die Autotür auf und warf den Schlüssel auf den Sitz und verriegelte die Tür von innen und schlug sie zu. Nach etwa einer halben Stunde, sie wusste nicht, ob die Zeit überhaupt noch existierte, fand ihr Gehirn allmählich wieder zurück in die Wirklichkeit und sie realisierte, zuerst undeutlich doch dann immer klarer, dass sie dem Schwein, gerade noch bevor er in sie eindringen konnte, einen verzweifelten Schlag mit einem Stein, den ihre Hand plötzlich ertastete, gegen den Kopf donnern konnte und er wie eine Marionette, deren Fäden plötzlich durchgeschnitten werden, zusammensackte und regungslos neben ihr liegen blieb. Hatte Sie ihn getötet? Es war ihr gleichgültig, sie startete den Wagen und fuhr los.

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Flucht mit Nebenwirkung
von SoMi, Alpharetta, GA 30004 (USA)

Sie schloss die Autortüre auf und warf die Schlüssel auf den Sitz und verriegelte die Tür von innen und schlug sie zu. – So jetzt ging es ihr besser. Sie beruhigte sich langsam, begann gleichmäßig zu atmen, ihr Herz schlug wieder regelmäßig. Als auch das Zittern ihrer Hände nachließ, hatte sie die Situation wieder unter Kontrolle. Sie war weggelaufen und nun konnte sie von vorne anfangen. All die Last, die Qualen der vergangen Jahre lagen hinter ihr. Es waren quälende Jahre gewesen. Ihr Mann hatte sie nur für seine Zwecke benutzt, hatte sie ausgenutzt. Sie war durch die Hölle gegangen, jeder Freier behandelte sie wie den letzten Dreck. Sie wollte aussteigen, einfach aufhören, aber ihr Mann lies das nicht zu. Sie begann ihren Kummer zu betäuben und zu ertränken, bis sie eines Tages einem Kunden ihr Herz ausschüttete. Der Mann hatte Mitleid, hatte sie wochenlang selbst als Seelenmüllentsorger gebraucht. Er hatte gut gezahlt, nur fürs Sprechen. Er riet ihr dann sich scheiden zu lassen und danach könnte sie fürs erste zu ihm kommen. Doch ihr Mann machte Ärger, erhob wieder einmal seine Faust gegen sie und da konnte sie nicht mehr anders.

Nun hatte er einmal zuviel zugeschlagen. – Jetzt ruhte er für immer. Sie betrachtete ihr blutverschmiertes Kleid, steckte den Schlüssel ins Zündschloss und fuhr in ein neues Leben.

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