| Hier lesen Sie die besten Beiträge der achten Runde (September '02 - Oktober '02), die unseren Autorinnen und Autoren zu einem Satz von Milan Kundera eingefallen sind. Der Satz stammt aus dem Roman »Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins«. Fischer Taschenbuch 5992. ISBN 3-596-25992-4. 9,90 EUR: |  | Wollen Sie sich nicht etwas stärken vor dieser schweren Arbeit? Der Fiesenleger von Karl-Heinz Ganser, 52152 Simmerath (Deutschland) "Wollen Sie sich nicht etwas stärken vor dieser schweren Arbeit?" fragte die Dame des Hauses den jungen Mann, als dieser gerade beginnen wollte, die ersten Fliesen im Badezimmer zu kleben. "Frühstücken Sie doch erst einmal mit mir", sagte sie und es klang wie eine Bitte. Ralf blickte erstaunt auf. Wie kommt eine Frau, die in einem solch vornehmen Haus wohnt und sicher viel Geld hat, auf die Idee, ihn als einfachen Arbeiter zum Frühstück einzuladen? "Ich weiß nicht recht ... ich bin doch zum fliesen hier und nicht zum ... und was sagt mein Chef ... wenn ich nicht fertig werde ..." stammelte er und fühlte sich gar nicht wohl. "Ach, da machen Sie sich mal keine Sorgen, ich zahl die Stunde dem Chef extra", lachte die Frau und öffnete einladend die Tür zum Wohnzimmer. "Oh!" machte Ralf als er den üppig gedeckten Tisch sah.
Als sie ihm Kaffee eingeschenkt hatte, begann sie zu erzählen. "Seit mein Mann vor fünf Jahren verstorben ist, kommt immer seltener einer, um mit mir zu frühstücken. Mein Mann wollte, dass wir, wie er es nannte, unter uns bleiben." Die Frau sah Ralf ganz traurig an. "Und jetzt bin ich mit meinen achtzig Jahren sehr oft allein. Die meisten Bekannten sind inzwischen auch tot und da wir keine Nachbarschaft gepflegt haben, kann ich sie ja jetzt auch nicht einladen." Die alte Frau beugte sich vor und drückte, für ihn völlig unerwartet, seine Hand. "Ich bin so froh, dass Sie heute mit mir frühstücken. Können Sie das verstehen?" Ralf nickte, denn plötzlich musste er an eine Sache denken, die ihn damals als Kind sehr beeindruckt hatte. Sein Vater war eines Abends nach einem langen Arbeitstag wütend nach Hause gekommen. Er musste bei den reichen Erdmanns im Badezimmer die verchromten Armaturen, die erst drei Monate alt waren, gegen vergoldete austauschen. Nach einer Stunde, er hatte gerade sein Butterbrot ausgepackt, sei die feine Dame gekommen und habe gefragt, wann er denn nun endlich fertig sei. Das würde ja sonst viel zu teuer.
Ein hartes Klopfen riss Ralf aus seinen Gedanken. In der Tür stand sein Chef und sah ihn erstaunt an. "Nanu! Schon fertig mit der Arbeit?" Ralf schüttelte den Kopf. Dann stand er auf und als er das Zimmer verließ hörte er noch wie die Frau zu seinem Chef mit freudiger Stimme sagte: "Dass er mit mir gefrühstückt hat, ist mir mehr wert als das Geld, dass ich Ihnen gerne gebe für die Stunde, die er nicht gearbeitet hat." Zurück zur Übersichtsseite des Satzfischers Großmütter von Julie Mohn, 61191 Rosbach (Deutschland) Höflich hatte sie die Beamten herein gebeten, hatte Tee und Kaffee gekocht, selbstgebackenen Kuchen angeboten und dann mit bedauernder Stimme erklärt, sie könne ihnen leider nicht mit Hinweisen dienlich sein. Er betrachtete sie forschend: Mit dem von Lachfalten durchzogenen Gesicht unter schlohweißen Haaren strahlte sie eine Wärme und Geborgenheit aus, die ihn an seine eigene Großmutter erinnerte. An die Großmutter, die ihm jeden Abend einen Schokoladenriegel unter das Kopfkissen gelegt hatte, als er noch ein Junge war. Seine Kollegen hatten inzwischen damit begonnen, Haus und Garten zu durchsuchen. Es dauerte nicht lange, bis einer von ihnen den mit frischer Erde behafteten Spaten im Schuppen fand. Die alte Dame nippte an ihrem Kaffeebecher, "Der lieben Oma", stand darauf, und sah dann lächelnd zu ihm auf. "Wissen Sie, Herr Wachtmeister, in einem Gemüsegarten gibt es immer etwas zu graben". "Etwas zu graben, oder vielleicht doch eher etwas zu vergraben", konterte er in scharfem Tonfall. "Zum Beispiel einen als vermißt gemeldeten Ehemann?" Sie hob die zart gezeichneten Augenbrauen und ihre blauen Augen, auf denen ein weißgrauer Schleier lag, rundeten sich erstaunt. "Aber Herr Wachtmeister", setzte sie mit brüchiger Stimme an und sofort fühlte er sich schuldig. Wieder sah er die erloschenen Augen seiner Großmutter vor sich, als die Kollegen von der Kripo seinen in handliche Päckchen zerlegten Großvater aus ihrer Gefriertruhe zogen. Damals war er ein aufstrebender junger Polizeikommissar gewesen, der seiner geliebten Oma versprochen hatte, den vermißten Opa zu finden. Nicht nur versprochen, geschworen hatte er es ihr, bei allem, was ihm heilig war. Als die Beamten begannen, systematisch den Gemüsegarten aufzugraben griff auch er nach einem Spaten. Mit einem zaghaften Lächeln bot sie ihm einen Riegel Schokolade an: "Wollen Sie sich nicht etwas stärken vor dieser schweren Arbeit?" "Nein danke", sagte er, kehrte ihr den Rücken zu und stieß den Spaten tief in die dunkle Erde, die Kiefer fest aufeinander gepreßt. Zurück zur Übersichtsseite des Satzfischers Megaperls von Konstanze Rutkowski, 50374 Erftstadt (Deutschland) Wollen Sie sich nicht etwas stärken vor dieser schweren Arbeit?, hatte sein Chef süffisant gesagt. In zwei Tagen müsse das Konzept für die Werbekampagne stehen. Die soundsovielte neue Waschmittelmarke solle auf den Markt gebracht werden. Immer öfter kamen diese Momente, in denen er sich fragte, wem seine Arbeit nutze. Diesmal blieb ihm keine Zeit, über Sinn oder Unsinn seiner Aufgabe nachzudenken. Zwei Tage. Kaum zu schaffen. Erst recht nicht, wenn er dem Rat, sich erst einmal zu stärken, gefolgt wäre. Die Mittagspause fiel aus, die Pizza vom Bringdienst wurde über der Arbeit kalt.
Das alles kommt ihm jetzt wieder in den Sinn. Sie liegt auf dem Bett. Die Farbe ihres Haares hebt sich deutlich vom schwarzen Laken ab. Ihre helle Haut wirkt wie gepudert. Sie war ihm vor vier Stunden begegnet. Bis dahin hatte er in der Agentur an seinem Konzept gearbeitet. Es war nach Mitternacht, als die Buchstaben auf dem Bildschirm zu tanzen begannen, und er beschloss, für heute Schluss zu machen. Auf dem Weg zur Tiefgarage kitzelte ihn die kühle Nachtluft ein bisschen wach. Und die Neonreklame der Bar an der Ecke weckte sein Interesse. Ein schneller Absacker würde ihn sicher etwas entspannen. Kaum hatte er die Tür geöffnet und sich an das schummrige, zigarettenrauchneblige Licht gewöhnt, war sie ihm auch schon aufgefallen. Selbst mit müden Augen nachts um halb eins war ihr feuerrotes Haar nicht zu übersehen.
Die auf dem Boden verstreuten Kleidungsstücke zeugen von der gierigen Eile, die hier vor wenigen Minuten noch herrschte. Sie ist einer zufriedenen Ruhe gewichen. Die Frau hat die Augen geschlossen. Während er sie ganz unverhohlen betrachtet, erinnert er sich an die Worte seines Chefs. Wollen Sie sich nicht etwas stärken vor dieser schweren Arbeit?. Was für einen wunderbaren Sinn sie auf einmal bekommen. Er steht auf, geht in die Küche. Im Kühlschrank findet sich noch ein Rest Nudelsalat. Der reicht, um seine Magennerven zu beruhigen. Er greift nach dem Sekt auf dem Küchentisch und trinkt aus der Flasche. Den Tropfen am Kinn wischt er mit dem Handrücken ab. Auf dem Weg zurück verliert er das locker um die Hüften geschlungene Tuch. Sie ist wach, hat den Kopf auf eine Hand gestützt und streckt die andere nach dem Sekt aus. Offenbar bedarf auch sie einer kleinen Stärkung. Während sie trinkt, hat sie den Blick fest auf ihn gerichtet. Er beschließt, die Menschheit nicht mit weiteren Waschmitteln zu beglücken und schaltet den auf halb acht gestellten Wecker aus. Zurück zur Übersichtsseite des Satzfischers Wollen Sie? von Verena Lüthje, 24109 Kiel (Deutschland) Wollen Sie?
Wollen Sie sich?
Wollen Sie sich nicht?
Wollen Sie sich nicht etwas?
Wollen Sie sich nicht etwas stärken?
Vor?
Vor dieser?
Vor dieser schweren?
Vor dieser schweren Arbeit? Zurück zur Übersichtsseite des Satzfischers Das Glück des Dieners von Hans-Peter Kraus, 45133 Essen (Deutschland) Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, Sie sehen sehr müde aus", sagte der Diener. Wundert Sie das? Die Verantwortung für den Erfolg des gesamten Unternehmens ruht auf meinen Schultern. Alle schauen zu mir auf, wollen meine Entscheidung. Ich sehe niemanden, der einstehen will, nur Zweifel und Kleinmut bekomme ich zu hören. Wie soll ich da nicht selbst zweifelnd und kleinmütig werden?" Noch eine Tasse Kaffee zur Stärkung?" Ja, Sie haben recht, einen Kaffee noch. Manchmal sind es die kleinen Dinge, die einen einfachen Menschen Großes vollbringen lassen." Der Diener verschwand im Nebenraum. Er nahm die Kaffeekanne von der Wärmeplatte, zögerte, setzte sie wieder ab. Durch die Tür betrachtete er seinen Herrn, der in sich zusammengesunken im Sessel ruhte. Einerseits genoss der Diener das Vorrecht, dass sich dieser Mann nur in seiner Gegenwart gehen ließ. Andrerseits war es ihm unerträglich, dass sein Herr von den Umständen und Widrigkeiten so niedergedrückt wurde. Der Diener holte ein Emaille-Döschen aus seiner Brusttasche. Vorsichtig schnippte er etwas von dem Pulver in die Kanne und rührte kräftig um. Dann schenkte er den Kaffee ein. Er servierte und zog sich an die Tür zurück, von wo er die Wandlung der schlaffen, resignierten Gestalt zu einem Mann voller Tatkraft und Entschlossenheit beobachtete. Der Diener lächelte in sich hinein. Ohne dieses Wunderpulver" wäre sein Herr sicher längst zusammengebrochen, hätten sich Chaos und Anarchie breit gemacht. Es war das Schicksal eines Dieners, nie für seinen Anteil am Erfolg gerühmt zu werden, und doch wünschte er sich nichts anderes als dieses stille Glück, ganz allein um seinen Anteil an der Sache zu wissen. In der anschließenden Besprechung verwirrte des Dieners Herr die Teilnehmer mit der Bemerkung, man solle den Männern Bohnenkaffee schicken, dann würde ihre Kraft nie erlahmen. Wie üblich wurden solche realitätsfremden Aussagen ignoriert und nicht als Anordnung verstanden. Nicht ignorieren konnte man in der Runde, dass es trotz aller vorgebrachter Argumente und Widerstände beim Befehl des Führers blieb: Die sechste Armee hatte unter allen Umständen in Stalingrad auszuharren. Zurück zur Übersichtsseite des Satzfischers Hinweis: Für die Rechtschreibung und Zeichensetzung sind die Autoren selbst verantwortlich. Die Urheberrechte liegen beim jeweiligen Autor. |