Satzfischer - Das literarische Kreativprojekt des Literatur-Cafés in Zusammenarbeit mit dem S. Fischer Verlag
Hier lesen Sie die besten Beiträge der ersten Runde (Nov '01 - Jan '02), die unseren Autorinnen und Autoren zu einem Satz von Gao Xingjian eingefallen sind. Der Satz stammt aus der Erzählung »Fünfundzwanzig Jahre«. Sie findet sich im Fischer Taschenbuch 15183 mit dem Titel »Auf dem Meer«. Aus dem Chinesischen von Natascha Vittinghoff. ISBN 3-596-15183-X. 8,90 EUR: Cover: Auf dem Meer

»Ich hätte nicht gedacht, dass ich dich einmal wiedersehen würde«
atmete er auf und setzte sich.

Erwiderung
von Rana*, 44145 Dortmund

"Ich hätte nicht gedacht, dass ich dich einmal wiedersehen würde" atmete er auf und setzte sich.
"Ich hätte nicht gedacht, dass ich dich einmal wiedersehen müsste" erwiderte sie, stand auf und ging.

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Das Stubenwunder
von Ines Braun, 51067 Köln

Wieder kroch mein Vater auf allen Vieren durch die Küche. Er suchte einen seiner Schützlinge, wie er sich ausdrückte. Ich reichte ihm seine Taschenlampe, die ich im Eisfach des Kühlschrankes gefunden hatte. „Hiiier, meine Lieben“ neuerdings sprach mein Vater mit den Versuchsobjekten. Er bewegte sich aus der Küche ins Wohnzimmer. „Ist schonwieder eins deiner Tiere ausgebrochen?“ meine Mutter knallte das Dampfbügeleisen auf die Ablage. Vater schaltete die Lampe ein, steckte inzwischen bis zum Gürtel unter dem Eichenholzbuffet und undeutlich konnte ich ihn murmeln hören: „Jetzt wird es interessant, jetzt müßte die Farbveränderung eintreten ... Mäuschen, hol mir meine Brille, bitte“, sagte er zu mir und tauchte mit hochrotem Kopf wieder auf. „Du mußt Strolch für einen Augenblick ins Bad sperren“, meinte er gerade, als ich wiederkam. Er kauerte immernoch auf dem Teppich und untersuchte das schwächer werdende Licht seiner Lampe. „Ich muß erst 1002 finden, dann kann der Hund wieder raus.“ Er erhob sich: „Ich gehe nochmal runter ins Labor. Willst du mitkommen?“

Meist herrschte hier unten Dämmerung, mein Vater hatte mir erzählt, daß die Käfer das Licht nicht lieben. Viele kleine Glasbehälter standen, die ganze Wand füllend, auf dem Regal. Stapelten sich, klirrten leise, wenn man die Tür zuwarf und funkelten wie Sterne. In jedem Glas saß ein Käfer. Mein Vater hatte sich in die Hirschkäfer verliebt, als sie selten wurden und nicht mehr alltägliche Begleiter auf langen Wanderungen waren. Klein hatte er angefangen. Ein Terrarium mit vier Insekten. Als sie sich vermehrten, setzte sich mein Vater ein Okkular vors Auge und zwei steile Falten erschienen auf seiner Stirn. Unter dem Vergrößerungsglas wurde jedem Käfer eine Nummer auf den Panzer gemalt. Und jetzt fehlte 1002. Einer aus der jüngsten Generation, die beweisen sollte, daß man Haustiere in jeder beliebigen Farbe züchten kann.
Plötzlich hörten wir den Schrei. „Strolch! Laß sofort das Tier fallen“, rief meine Mutter.
Als ich, zwei Stufen auf einmal nehmend, oben ankam, stand mein Vater bereits mit Tränen in den Augen im Schlafzimmer. Er beobachtete den zappelnden Käfer auf seiner Hand, der durch die Behandlung des Hundes bereits ein Bein eingebüßt hatte. „Ich hätte nicht gedacht, daß ich dich einmal wiedersehen würde“, atmete mein Vater auf und setzte sich. Der Käfer hatte eine kleine 1002 auf die Flügeldecken gemalt, die man kaum noch erahnen konnte, da sein Panzer in einem wunderschönen hellrosa schimmerte.

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Genugtuung
von Julia Langhardt, A-6212 Maurach a.A.

„Ich hätte nicht gedacht, dass ich dich einmal wiedersehen würde“ atmete er auf und setzte sich. Er betrachtete sein Gegenüber. „Und nicht unter solchen Umständen, Mickey! Du scheinst Karriere gemacht zu haben!“
Der Angesprochene lächelte spöttisch. „Wenn du meinen Rang und meine Stellung hier meinst – da hast du Recht; du hattest mir etwas Anderes prophezeit. Aber, Frank, nenne mich nie wieder Mickey! Mein Name war immer Phil!“
Frank sah nervös zu dem dunkel gekleideten Mann, der ihn zuvor befragt hatte, und zu dem bewaffneten Soldaten an der Tür; unbewusst tastete er nach seiner aufgeplatzten Unterlippe. „Könntest du die beiden nicht hinausschicken?“
„Du meinst, weil wir uns so lange kennen?“ Phil lächelte, als Frank unsicher nickte. „Nein!“
„Aber Phil, wir waren doch…“
„Wolltest du Freunde sagen?“ Der junge Leutnant stand auf und verschränkte die Hände hinter dem Rücken. „Was hast du immer gesagt? Dass ich dir und deinen Kumpanen die Stiefel putzen würde? Dass es ein Fehler wäre, solche wie mich in eurem Land leben zu lassen?“ Er schnaubte verächtlich. „Wahrscheinlich hattest du sogar Recht, aus heutiger Sicht. Was du meiner Frau angetan hast, konnte ich dir nie beweisen, und ich war nicht in der Position, dich angreifen zu können. Aber du hast deine Stellung dazu missbraucht, sie in ihre Heimat zurückzuschicken, und du wusstest, was sie dort erwartete, dass sie das nicht überleben würde!“
„Phil, ich konnte damals nicht wissen, dass…“
„Dass sich alles ändern würde?“ unterbrach ihn der Offizier. „Aber du hättest es befürchten können! Hattest du nie Angst davor, was Menschen wie ich eines Tages mit Menschen wie dir machen würden, wenn sie die Gelegenheit dazu erhalten?“ Er blieb am Tisch stehen, stützte die Hände auf und näherte sein Gesicht dem Franks. „Aber das ist jetzt nicht mehr wichtig. Wichtig ist die etwas unklare Aufgabe, die du hier erfüllen sollst, und über die ich präzise Informationen haben will!“
Er richtete sich wieder auf und ging zur Tür. „Und ich bin sicher“, sein Blick ging zu dem Mann, der an die Wand gelehnt wartete, „dass du alles genau erzählen wirst. Wir sehen uns später wieder!“
In der Tür hielt er inne und drehte sich noch einmal um. „Inzwischen konnten wir uns übrigens davon überzeugen, wie schön deine Frau ist, Frank. Allerdings soll es ihr im Moment nicht so gut gehen…“ Er grinste, als er die aufgerissenen Augen sah, und schloss die Tür hinter sich.

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Linienlauf
von Katrin Atmanspacher, 79115 Freiburg

Er hatte sie entgeistert angestarrt, seine linke Hand noch immer in ihrer. Dann hatte er seinen Blick langsam ungläubig wieder auf seine Handinnenfläche gerichtet, fassungslos.
Betäubt und blass hatte er den Wohnwagen der Handleserin verlassen, war heim gegangen und dann in die Disko.
Zehn Jahre waren vergangen. Seine Besessenheit hatte ihn hager werden lassen, einsam und schreckhaft.
Er ging nur unter Leute, um ihre Hände zu erhaschen, zwanghaft, lebensgierig hatte er nach Lebenslinien gefragt, gespäht, er wäre gern kleiner gewesen, um auf Handhöhe zu sein.
Zehn Jahre seines Lebens hatte er mit der Suche verbracht, probiert, sie aus seinem Dasein zu verbannen, aber weiter und weiter war er gelaufen, gehastet, immer die Linie im Blick - jeden Tag, der verstrich, war er verzweifelter geworden; traurig, sein letzter Tag rückte näher.
Dann war er da. Morgens stand er vorm großen Spiegel im Flur, er trug Handschuhe, auch im Haus, er ertrug den Anblick seiner Hände nicht mehr, lang blickte er in sein Spiegelbild und sah sich in die Augen.
Er wollte noch einmal den See sehen.
Ganz still lag der da, mitten im Wald, nur ein alter Mann sah ihn kommen.
Die beiden standen auf dem See, auf dem Steg, sahen aufs Wasser und waren ruhig. Er weinte. Der Alte reichte ihm ein Taschentuch und er nahm es dankbar an, die verdammte Suche verließ ihn auch heute nicht. Dann sah er nochmals genauer hin.
Als er am Abend nach Hause kam, hatte er die Handschuhe in den See geworfen und zehn Jahre seines Lebens verloren.
Er musste lachen, es schüttelte ihn. Er verschluckte sich. Sein Atem stockte. Er hatte lange nicht mehr gelacht.
Er hatte sich wiedergefunden, abseits der Lebenslinie. Der Lauf war beendet.
Seine Augen trafen auf seine Augen im Spiegel.
„Ich hätte nicht gedacht, dass ich dich einmal wiedersehen würde“, atmete er auf und setzte sich.

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Sie
von Stefanie Nagel, 72071 Tuebingen

Sie
sah ihn nicht an, wollte nicht, konnte nicht
sah durch ihn hindurch,
als ob es ihn nicht gebe,
ihn, der ihre Phantasie beflügelt,

Sie
der Wirklichkeit leise entflieht,
die Welt in der Sie lebt
für Momente eine Glückliche ist,
für Momente, von denen Sie zehren wird - ein Leben lang,
Sie weiß.

Sie
fährt sich verzweifelt durch die Haare,
haucht leise in sich hinein,
ein Kribbeln,

Sie
kann nicht,
sie darf nicht,
aber sie will doch und
sie sah ihn nicht mehr an,
wollte, konnte nicht und
sah durch ihn hindurch, als ob es ihn für Sie nicht gebe, eigentlich nie gegeben hat.

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