Satzfischer - Das literarische Kreativprojekt des Literatur-Cafés in Zusammenarbeit mit dem S. Fischer Verlag
Hier lesen Sie die besten Beiträge der achten Runde (September '02 - Oktober '02), die unseren Autorinnen und Autoren zu einem Satz von Milan Kundera eingefallen sind. Der Satz stammt aus dem Roman »Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins«. Fischer Taschenbuch 5992. ISBN 3-596-25992-4. 9,90 EUR: Cover: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Wollen Sie sich nicht etwas stärken vor dieser schweren Arbeit?

Ritter Sport Schokolade
von Klaus Eylmann, I-44040 Reno Centese (FE) (Italien)

‘In pensione’ hört sich doch besser an als ‘Rentner’. ‘In pensione’, das bin ich, und ich schreibe ein wenig fürs Internet, schreibe bei geöffnetem Fenster, schreibe in einem kleinen Dorf, schreibe in einem kleinen Dorf in Nord-Italien. Lastwagen von der nahegelegenen Strasse verscheuchen die Ruhe, doch das Klicken einer Heckenschere, der Motor eines Rasenmähers legen sich wie Balsam auf mein Gemüt. Meine Frau hält Haus und Garten in Ordnung.
Während ich ein Wort von links nach rechts verschiebe und umgekehrt. Während ich ein Wort von rechts nach links verschiebe und umgekehrt, schneidet sie Hecken, mäht den Rasen, fegt Blätter zusammen, mistet Ställe aus, macht Essen, putzt, wäscht und flickt.
Robust sind sie, die Frauen in unserem Dorf. Klein und quadratisch, gut. Wie Ritter Sportschokolade. Sie sind aktiv, vom Morgen bis zum Abend.
Ich sitze mit anderen Männern nach dem morgendlichen Capuccino vor der Bar, lese die Zeitung und kommentiere mit ihnen Ereignisse des Vortages. Frauen treten in Pedalen, mit strammen Waden, auf dem Weg zum Bäcker, zum morgendlichen Klatsch. So beginnt der Tag. Ich hocke mich in mein kleines Büro vor meinen Computer, schicke mich an, die e-mail zu lesen, meine home-page zu bewundern, an meinen Geschichten weiter zu schreiben und versuche zu hören, was meine Frau im Garten macht. Wieso höre ich nichts?
Die Tür wird aufgestossen. Erschreckt drehe ich mich um. Da steht meine Frau mit dem Frühstück und ruft mir spöttisch zu: Signore, wollen Sie sich nicht etwas stärken vor dieser schweren Arbeit?

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Abschied
von Jochen Skibbe, 12103 Berlin (Deutschland)

Mein Nachbar schaut schon wieder so betreten herüber. Wenn ich ihn ansehe, tut er so, als sei nichts gewesen. Ja, ja, ich weiß, was er will, er soll bloß aufhören, mich immer so anzuschmachten, als sei ich ein junges Ding, dem man Mut machen muss. Es hat die ganze Nacht geregnet. Ich weiß schon gar nicht mehr, wie die Wiese aussah, als sie trocken war. Ohne Lache am Westende und die matschigen Ränder.
Dieser Besserwisser! Verdammt, ich weiß, dass es Zeit ist. Er selber hat es längst hinter sich, er hängt nicht so am Sommer.
Na gut, so langsam könnte ich mich ja auch mal fertig machen. Ich schaue ihn an, und er lächelt. Er tut immer so, als sei er die Referenz. Nur weil er ein Jahr älter ist als wir anderen hier.
Es ist ja nicht die Arbeit an und für sich. Das ist nicht schwer. Lösen, hinterherschauen, taumel-taumel. Es ist das Fallenlassen, das Verabschieden, was es mir immer so schwer macht. Sie sind doch ein Teil von mir! Wie kann mein hochnäsiger Nachbar das immer so leichtfertig hinter sich bringen? Zack, zack, fertig!
Er nickt mir aufmunternd zu, und ich muss an meinen Armen herabsehen. Erbärmlich sieht es aus. Ja, es ist wirklich Zeit.
Er stupst mich mit einem Arm an. Dann, als ich immer noch zögere: Lieber Freund! Ziehen Sie nicht so ein Gesicht! Das ist der Lauf der Dinge! Das ist doch nichts Neues mehr für Sie! Ja, es kostet Kraft, das weiß ich nur zu genau. Es hat so viel geregnet die letzten Tage, wollen Sie sich nicht etwas stärken vor dieser schweren Arbeit?
Macht er sich über mich lustig? Ich schaue hinunter, Pfützen um uns herum, der Boden ist getränkt von Wasser, nährreichem Wasser. Ich strecke meine Wurzeln, es tut gut, sie noch einmal zu spüren, bevor der Frost kommt und alles in seinen eiskalten Griff nimmt.
Trinken tut gut. Ich merke, dass ich gewappnet bin für den Winter. Und so schaue ich sie an, die ganz vorne hängen, faltig und krumm. Ich erinnere mich, wie sie im Frühling sich hinaustasteten, jung und zart, von hellgrün in ein sattes dunkelgrün sich wandelnd, wunderschön. Ich will mich ja nicht selber loben, aber sie waren jedes für sich ein kleines Meisterwerk.
Ein kurzer Ruck nur, es ist ja ganz leicht. Sie trudeln gen Boden, mein Nachbar lächelt anerkennend, wie er es immer in diesem Moment tut.
Ich werde mir Zeit lassen, es heißt ja nicht, dass alle zugleich gehen müssen. Irgendwann werden dann die Menschen kommen, die Parkarbeiter mit ihren Rechen und Wagen und sie wegschaffen. Und dann kann der Schnee kommen. Adé.

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Hugentobler
von Hans E. Aeschlimann, CH-8046 Zürich (Schweiz)

Geschuftet hatte er sein Leben lang. Alles was er besass, hatte er mit seiner eigenen Muskelkraft verdient. Aber eigentlich besass er nicht viel. Für Anschaffungen hatte es nie gereicht, zufrieden war er, genügend Essen kaufen zu können, um das durchdringende Hungergeschrei seiner Kinder zu dämpfen. Seine Frau jammerte nie, es nützte sowieso nichts. Aber die Kinder brauchten Schuhe, Kleider und Essen. Essen war das Wichtigste, auch für ihn.
Ohne Essen, keine Arbeit, es war ein elender Teufelskreis: Wenn sie Essen kaufen konnten, lachten alle, spielten, waren fröhlich, und am Abend ruhte er sich aus von den Strapazen des Alltags. Wehe er verdiente nichts, dann öffnete sich die Hölle, dann schämte er sich, war aufgebracht und explodierte bei jeder Frage.
Harte Arbeit zahlte sich nie aus. Büroangestellte und Spezialisten waren gefragt. Dieser Welt etwas Gerechtes abzuringen, viel ihm immer schwerer. Und nun, seit geraumer Zeit suchte er Arbeit, egal was, einfach Arbeit, um der Verachtung der Gesellschaft entfliehen zu können.
Als hätten sich die Leute abgesprochen, hörte er das Gleiche: Er war zu alt, die Arbeit war ihm nicht zumutbar. Nicht zumutbar, dies waren die heuchlerischsten Menschen. Als ob sie je Mitleid mit ihm gehabt hätten. Sie waren nicht ehrlich mit ihm. Da waren ihm die alten Damen auf dem Berg lieber, die ihn verfluchten, wenn er vor der Türe stand. "Bettelpack", schrieen sie durch die verschlossenen Türen, und ab und zu hetzten sie die Hunde auf ihn. Doch Hunde waren seine Freunde.

Endlich hatte er für die nächsten Tage Arbeit gefunden. Garten aufräumen, Auto waschen, Keller reinigen, das waren die dringendsten Arbeiten, welche ihm die ältere Dame im schwarzen Kleid anerboten hatte.
Hungrig und durstig klopfte er an ihre Türe. Sie war nicht direkt ablehnend, aber auch nicht besonders freundlich. Er bemerkte ihre Laune, gefüttert von Angst, kaum. Aber sie bot ihm Arbeit an, über den Verdienst wollte sie später mit ihm sprechen.
"Wollen Sie sich nicht etwas stärken vor dieser schweren Arbeit?" meinte sie, nachdem er sich vorgestellt hatte, freundlich.
Herzlich war sie, dachte er einige Tage später, als er in seinem Fahrradanhänger Essen für einige Tage heimfuhr. Auch der Lohn, den sie ihm gegeben hatte, war nicht schlecht und vor allen Dingen, wollte sie ihn weiterbeschäftigen, schon aus dem Grund, weil er Hugentobler hiess. Hugentobler, wie ihre Mutter ledig, schliesslich konnte man nie wissen ...

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Aus dem Leben eines Systemadministrators
von Francis R. Gallagher, 14057 Berlin (Deutschland)

„Wollen Sie sich noch etwas stärken vor dieser schweren Aufgabe?“

Er suchte nach einer Spur von Ironie in ihren Augen. Doch er wurde nicht fündig. Bedächtig nickte er mit dem Kopf. „Ein Kaffee wäre nicht schlecht mit einem Hauch von Milch und zwei Stück Zucker.“ Er klappte wie nebenbei das Papierfach des Druckers heraus. Papier war drin. Das war geklärt.

„Ja gern, kommt sofort.“ Sie eilte hinaus. Das Klappern ihrer Absätze wurde immer leiser. Er war allein im Zimmer und ein abfälliges Grinsen verzerrte sein jungenhaftes Gesicht.

Er setzte sich vor den Monitor und klickte einen Button. Erwartungsvoll sah er zum Drucker. Es passierte nichts. Er schlenderte zum Drucker und rüttelte am Druckeranschluss. Schließlich kroch er seufzend unter den Tisch und prüfte den Anschluss am PC. In diesem Moment öffnete sich die Tür.

„Herr Vernatier?“, flötete sie in den Raum. Ein Ächzen kam statt einer Antwort. Sie bückte sich und sah unter den Tisch. „Da sind sie also. Ich habe hier Ihren Kaffee.“ Er kam unter dem Tisch hervor.

Er startete den Druckjob. Ein grünes Lämpchen signalisierte kurz Bereitschaft. Mehr passierte nicht. Gedankenvoll nahm er einen Schluck Kaffee.
„Was haben Sie denn gemacht?“ Er sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an.

„Na nichts!“, antworte sie. Das hätte er sich ja denken können. „Ich habe alles wie immer gemacht, doch er druckt nicht.“

„Ach Herr Vernatier, wenn ich Sie nicht hätte.“, begann sie plötzlich. „Die jungen Leute haben es einfach, die wachsen mit diesen Dingern auf. Ich habe doch noch an der Schreibmaschine gelernt, der mechanischen. Hätte nicht gedacht, dass ich mal an so einem Ding sitzen werde.“ Sie seufzte und sandte feindliche Blicke in Richtung Monitor.

Er sah sie an. Sie musste wohl an die sechzig sein, schätzte er. „Das sind Ihre negativen Gedanken, die beeinflussen den PC.“ Er versuchte nicht zu lachen. „Versuchen sie ihn auch ab und zu mal zu loben. Auch dieser hier“, er tätschelte sanft den Monitor, „brauchen ihre Streicheleinheiten.“ Sie lächelte still.

Plötzlich hatte er einen Gedankenblitz. Ein paar Mausklicks später, ratterte der Drucker.

Sie fiel ihm vor Freude fast um den Hals. „Sie sind ein Zauberer. Wie Sie das immer hinkriegen.“

„Das Papierformat war auf Letter gestellt. Der Drucker kann aber nur A4 drucken.“

„Ich habe wirklich nichts gemacht.“ Sie sah ihn treuherzig an.

Dem hatte er nicht viel entgegenzusetzen. „Dann waren es wohl ihre negativen Schwingungen.“

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Die Pause
von Thomas Ritter, 06618 Naumburg (Deutschland)

Arbeit ist schwer. Das begriff K. recht schnell und stellte sich mit seinen täglichen Gewohnheiten über die Jahre seiner Existenz darauf ein. Seine Muskulatur vernahm jede Regung der synaptischen Nervenverbindungen, und so eignete er sich jene spezielle Fähigkeit an, schon weit vor dem zu verspürenden Zwang zur Bewegung der Arbeit aus dem Wege zu gehen - gewissermaßen zelebrierte er sein Leben als Pause, deren Inhalt es war, eine Pause zu sein. Seine Atmung versuchte, fast schon im niederfrequenten Bereich, seinen Lebensinhalt in mikroskopisch kleine Einheiten zuregeln. Nicht das er zum Stillstand kam, was man ihm letztendlich dann auch nicht mehr ansehen würde, aber jeder auch noch so winzige motorische Impuls konnten ihm Schmerzen erzeugen, und so war es ihm letztlich im Rest seines Lebens bestimmt, verharrend, mit niedrigstem Puls an seinem Schreibtisch zu verharren, und sich in eiliger Hast gespielter Rolle des Fürsorgenden durch die Aktenberge zu arbeiten, wohl wissend, dass sein Leben eine Pause verdient hätte...

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