| Hier lesen Sie die besten Beiträge der vierten Runde (März '02 - April '02), die unseren Autorinnen und Autoren zu einem Satz von J. M. Coetzee eingefallen sind. Der Satz stammt aus dem Roman »Warten auf die Barbaren«. Aus dem Englischen von Reinhild Böhnke. S. Fischer Verlag. ISBN 3-10-010814-0. 19,90 EUR: |  | Neben dem Tor kann ich, wenn ich die Augen anstrenge, den dunklen Umriss eines Menschen erkennen, der dort an die Wand gelehnt sitzt oder sich schlafend zusammengerollt hat. Durch diese hohle Gasse... von Ottohans Werner Pulina, 33611 Bielefeld (Deutschand) Ich muss über das Tor, um in das Haus zu kommen. Mir bleibt keine Wahl. Dieses Gebilde aus Stahlblech und Eisenstäben, die wie Lanzen in den Himmel ragen, wirkt abstoßend. Aber die Mauer ist zu hoch, um hinüberzuklettern. Nur spärlich beleuchtet ist das außerhalb des Ortes liegende Anwesen. Hier im Gebüsch dagegen ist es so dunkel, dass man die Hand vor Augen nicht sieht. Das Gebäude liegt auf der anderen Straßenseite, und die Eisenstäbe heben sich schwarz gegen den Himmel ab. Neben dem Tor kann ich, wenn ich meine Augen anstrenge, den dunklen Umriss eines Menschen erkennen. So lange der dort an die Wand gelehnt sitzt, komme ich nicht unbemerkt heran. Der Gedanke ihn wegzulocken, wirft die Frage nach dem wie auf. Was tun, wenn er vom Wachdienst ist? Gibt es noch mehr davon? Die Antworten darauf finde ich nur vor Ort. Ich prüfe wiederholt, ob alles griffbereit in den Taschen und dem Rucksack liegt. Im Straßengraben, gehe ich geduckt etwa zweihundert Meter stadtauswärts, bis hinter die Kurve, die vom Tor nicht einzusehen ist. Ein Fahrzeug verlässt fast lautlos die Einfahrt und fährt in Richtung Stadt. Unwillkürlich ziehe ich meinen Kopf ein. Ist sonst noch jemand im Gebäude? Vielleicht habe ich Glück und komme schnell an die Unterlagen. Sie sollen sich im Safe eines Zimmers befinden, das im ersten Stock, direkt über dem Eingang liegt. Also schnell über die Straße, bevor mich jemand entdeckt. Die glatt verputzte Mauer, an der ich mich nun entlangbewege, fühlt sich feucht und kalt an. Meine Füße tasten den Boden nach trockenen Ästen ab, ehe ich einen vor den anderen setze, um möglichst geräuschlos voranzukommen. Etwa zwanzig Meter vor dem Tor halte ich. Versuche zu erkennen, wer da sitzt. Plötzlich ein Geräusch. Ein Hund, der knurrend den Park hinter der Mauer durchstreift? Ein großer Hund? Das hat mir gerade noch gefehlt. Ich lasse mich in das Gras fallen, robbe in Richtung Einfahrt und höre es jetzt deutlich. Aus dem Rucksack fingere ich, nervös geworden, das Richtmikrofon und mein Nachtsichtgerät. Im grünverrauschten Bild des Restlichtvertärkers erkenne ich neben dem Tor einen Kerl, der sich schlafend zusammengerollt hat. Sein Kopf ist hintenübergekippt, die Brust hebt und senkt sich, den Mund hat er weit geöffnet. Zurück zur Übersichtsseite des Satzfischers Dahinter ist nichts von monde, 33619 Bielefeld (Deutschand) Dahinter ist nichts
Ich habe sie häufig gesehen.
Manchmal hält sie mit einer Hand ihre roten, gelben und grünen Röcke, die sie übereinander trägt, ein Stück hoch, dreht sich, und sieht dabei aus wie eine dieser russischen Holzpuppen. Lalala, ich bin Ana, kleine Frau aus Kirgisien, gib Cents für Brot, lalala, Mann tot, Tochter tot, Sohn weiss nicht wo. Lalala.
An ihrem Platz unter dem Torbogen sitzt zwischen Tüten und Kram eine Puppe mit langem schwarzen Haar und einem bunten Kleid.
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Ich gehe durch die engen Straßen Venedigs und suche den Bahnhof. Sonne scheint auf dunkle Häuser, Wände und in kleine Läden, Nachmittagsspiel zwischen Hell und Dunkel, Szenerie der Phantasien.
Anscheinend gehe ich im Kreis. Den Brunnen mit dem wasserspeienden Knaben, diese Brücke, das dunkelblaue ölige Wasser des Kanals habe ich eben schon gesehen. Eine schwarze Gondel schwimmt in die Mitte einer orangenen Sonne. Mein Schatten ist länger geworden.
Vor mir, neben und hinter mir sind Brücken, geschlossene Fenster und Türen. Ein hölzernes Tor wird geöffnet. Neben dem Tor kann ich, wenn ich die Augen anstrenge, den dunklen Umriss eines Menschen erkennen, der dort an die Wand gelehnt sitzt oder sich schlafend zusammengerollt hat. Die farblose Decke der Person weht im Luftzug. Roter, gelber und grüner Stoff ist für Augenblicke zu sehen. Zwischen Tüten und Kram sitzt eine Puppe mit langem schwarzen Haar und einem bunten Kleid. Fauliges zieht über die Brücken, steigt aus den Kanälen. Ich muß diese Luft einatmen. Lalala, gib Cents, Mann tot, Tochter tot, Sohn weiss nicht wo, lalala. Das habe ich lange nicht gehört.
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An der Mauer neben dem Tor ist ein Schild befestigt. Stazione. Ich gehe erleichtert durch das Tor. Dahinter ist es sehr hell, dahinter ist nichts. Zurück zur Übersichtsseite des Satzfischers Stille von Nils Weber, 22765 Hamburg (Deutschand) Ich verzehre mich nach der regungslosen Stille, die bei Einbruch der Nacht von der Straße auf die Häuser strahlt. Manchmal, wenn der Flimmerkasten nichts hergibt und ich auch sonst keine Lust verspüre, mich kulturell zu erweitern, lösche ich alles Licht in der Wohnung und blicke hinaus. Die Straße ist nur noch diesseits bebaut, die Häuser der gegenüberliegenden Seite wurden im letzten Krieg fast vollständig zerbombt und abgerissen. Nur zwei einsam stehende Gebäude am Ende der Straße lassen vermuten, daß dies in früheren Zeiten eines jener Wohnviertel des frühen 20. Jahrhunderts gewesen muß, welche zwar dich besiedelt, dennoch aber hochgeschossig nur feineren Leuten zugänglich war. Den Kriegsruinen ist in den 50er Jahren (so erfuhr ich einst von einem älteren Nachbarn, der inzwischen verstorben ist) dann jener Park gewichen, in dem ich sommers gerne viele Stunden damit verbringe, kleine Kinder heranwachsen zu sehen. Nun jedoch, mit dem Einbruch der Dunkelheit, ist auch er von einer Stille ergriffen, die in vielen Menschen eine unerklärliche Angst hervorruft. Da hinter den ehemaligen Häusern dieser Straße auch damals schon ein Park für die Bevölkerung angelegt worden war, ist die gesamte Anlage sehr weitläufig. Zwar kann ich aus meiner Wohnung im dritten Stock des Hauses tagsüber gut über die Fläche schauen, jetzt aber, wo die Dunkelheit alles einerlei aussehen läßt, bleibt mir der Blick in viele Winkel verwehrt. Inmitten des alten Teils des Parks befindet sich ein Denkmal in Form eines steinernen Torbogens. Auf der über die Jahre hinweg schon sehr mitgenommenen Gedenkplatte, die am Granit befestigt hängt, ist meiner Erinnerung nach von ruhmesreichen Heldentaten Gefallener zu lesen, ein paar Worte in Fraktur, eine prägnante Jahreszahl, ansonsten nur der mächtige massive Bogen. Neben dem Tor kann ich, wenn ich die Augen anstrenge, den dunklen Umriss eines Menschen erkennen, der dort an die Wand gelehnt sitzt oder sich schlafend zusammengerollt hat. Warum hat er sich entschlossen, ausgerechnet hier zu nächtigen ? Es gibt doch sicherlich wärmere Ort in dieser Stadt. Ich beschließe ihn zu fragen. Schnell wühle ich im Dunkeln meine Schuhe und Jacke zusammen, gehe hinunter und betrete kurz darauf den Park. Auf einmal werde ich von einer unfaßbaren Ruhe eingehüllt. Meine Gedanken scheinen schweigen zu wollen. Ich bin unfähig auch nur ein Wort zu dem Mann am Tor über die Lippen zu bringen, da sagt er zu mir: "Es ist die Stille die wärmt, mein Herr". Zurück zur Übersichtsseite des Satzfischers Schwarze Dimension von Bettina Eichhorst, 13347 Berlin (Deutschand) Der Wind heulte, Äste knackten und irgendwo aus weiter Ferne hörte Ian das Läuten einer Kirchenglocke. Seit fast vier Stunden hockte er hinter dem Monolithen und beobachtete das Tor. Es wurde allmählich schummerig. Ian rieb sich die müden Augen, als plötzlich ein Schatten über das Feld huschte. Sofort griff Ian zum Handy und rief Jack an, der nicht weit entfernt mysteriöse Steinkreise untersuchte. "Hallo Jack. Neben dem Tor kann ich, wenn ich die Augen anstrenge, den dunklen Umriss eines Menschen erkennen," flüsterte Ian. "Was macht er?" "Hm, schwer zu sagen, aber es sieht aus, als ob er dort an die Wand gelehnt sitzt oder sich schlafend zusammengerollt hat." "Vielleicht meditiert er?" "Möglich, aber ...", Ian stockte mitten im Satz. "Im Innern des Tores beginnt es zu flimmern." "Ich komme zu dir rüber." "Jack, es kommt auf mich zu. Es zieht mich hin....", schrie Ian. "Ian! Was ist los?", kreischte Jack, aber das Handy blieb stumm. "Verdammt!" Jack rannte über die Felder und erreichte völlig außer Atem das Tor. Aber von Ian und den Fremden fehlte jede Spur. Jack spürte ein merkwürdiges Prickeln auf der Haut. Angst stieg in ihm hoch. Unbewusst spannte Jack seine Muskeln an. Bereit zu kämpfen, wenn etwas Unbekanntes ihn angreifen sollte. Plötzlich hörte er hinter sich ein Geräusch. Abrupt drehte er sich um. Vor dem Tor begann die Luft zu flirren. Es wurde unerträglich heiß. Pechschwarze Finsternis starrte ihn aus dem Tor an und drohte ihn zu verschlingen. Er stemmte sich mit aller Macht gegen das drohende Unheil, aber eine gewaltige Kraft zog Jack ins Innere. Schwerelos schwebte er durch die Leere. Er spürte, wie sein Blut kochte, und hörte, wie seine Knochen knackten. Eine Ewigkeit schien vergangen, als Jack plötzlich hart aufschlug. Für einen Moment blieb er benommen liegen. Langsam rappelte Jack sich auf. Die Welt um ihn herum war düster und lautlos. Schwarze Berge säumten den Horizont und in weiter Ferne sah er ein riesiges schwarzes Meer. Er lief ein paar Schritte und bemerkte, dass eine Schicht Asche den Boden bedeckte. Plötzlich berührte etwas Jacks Schulter. Erschrocken fuhr er herum. Vor ihm stand Ian. Sein Körper war vollkommen ausgetrocknet und die Haut hing in Fetzen an ihm herunter. Das Gesicht war nur noch eine grässliche Fratze. "Wa... was ist mit dir passiert?", stotterte Jack und berührte Ians Schulter. Unter Jacks Händen zerfiel Ian zu Staub wie jahrtausendaltes Papier. "Neeeiiinnn!" Niemand hörte Jacks gellenden Schrei. Zurück zur Übersichtsseite des Satzfischers Verhaftung bei Nacht von Franz Eiermann, 55262 Heidesheim (Deutschand) Seit vielen Jahren schon lebt unser Volk unter fremder Besatzung. Nicht dass mich das besonders störte, die Militärregierung sorgt für Ordnung und lässt uns im allgemeinen in Ruhe. Als ehemaliger Soldat habe ich eine Stellung im Wachdienst gefunden, habe ein leidliches Auskommen und führe eine kleine Truppe an. Unser Auftrag heute ist heikel, wir sollen den Anführer einer möglicherweise verfassungsfeindlichen Partei festnehmen und zum Verhör bringen. Außergewöhnlich daran ist, dass wir bei Nacht unterwegs sind und den Gefangenen statt zum Gouverneur zu einem unserer Bonzen und dazu auch noch in dessen Privathaus bringen sollen. Da ist was faul, aber was gehts mich an.
Wir sind unbemerkt in das Gelände, eine verwilderte Ölbaum-Plantage am Stadtrand, von einer zerfallenen Mauer umgeben, eingedrungen. Lautlos haben die schlafenden Anhänger des Demagogen umzingelt und warten nun, hinter Bäumen versteckt, auf das Zeichen, das uns gegeben werden soll. Unser Geheimdienst hat einen verdeckten Ermittler in die Führungsriege dieser demagogischen Partei eingeschleust. Der, den er mit einem Bruderkuss begrüßt, sei unser Mann.
Gut, dass nur ab und zu eine Wolke den Mond verdunkelt. Neben dem Tor kann ich, wenn ich die Augen anstrenge, den dunklen Umriss eines Menschen erkennen, der dort an die Wand gelehnt sitzt oder sich schlafend zusammengerollt hat. Ein Stück weiter, unter einem Olivenbaum, scheinen die anderen zu liegen. Jetzt geschieht was. Die Gestalt an der Mauer erhebt sich und schreitet auf die Gruppe unter dem Baum zu. Ob das der Gesuchte ist? Ich höre eine Stimme, verstehe aber die Worte nicht. Aber da, vom Tor her nähert sich jemand, das wird unser Gewährsmann sein. Richtig, er geht auf den Redner zu, umarmt und küsst ihn.
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