| Hier lesen Sie die besten Beiträge der vierten Runde (März '02 - April '02), die unseren Autorinnen und Autoren zu einem Satz von J. M. Coetzee eingefallen sind. Der Satz stammt aus dem Roman »Warten auf die Barbaren«. Aus dem Englischen von Reinhild Böhnke. S. Fischer Verlag. ISBN 3-10-010814-0. 19,90 EUR: |  | Neben dem Tor kann ich, wenn ich die Augen anstrenge, den dunklen Umriss eines Menschen erkennen, der dort an die Wand gelehnt sitzt oder sich schlafend zusammengerollt hat. Der Ostkreuz-Wächter von Sabine Küster, 10245 Berlin (Deutschand) Neben dem Tor kann ich, wenn ich die Augen anstrenge, den dunklen Umriss eines Menschen erkennen, der dort an die Wand gelehnt sitzt oder sich schlafend zusammengerollt hat. Ein Penner vermutlich . Da kommt plötzlich Leben in das Bündel Mensch. Hoch rappelt sich eine Gestalt in langem roten Ledermantel, mit Perücke und Spazierstock. Eine alte Transe erster Güte. Irgendjemand hat mal was erzählt; nennt sich Ostkreuz-Wächter. Er fixiert mich mit einem langen unergründlichen Blick, schnaubt dann etwas von Sonntags-Touri und schleppt sich dabei langsam die Treppe hoch zum Bahnsteig. Ich blicke ihm nach und kann mir ein überhebliches Grinsen nicht verkneifen. Dies wird registriert und sogleich auch kommentiert von einem älteren Herrn, der sich selbst spazierenführt. Das ist ja eine ganz arme Figur traurige Geschichte, nicht ? Da mich eine notorische Neugierde auszeichnet, nicke ich dem gesprächsbedürftigen Herrn zu. Das war mal ein ganz hohes Tier, zu DDR-Zeiten. Die Transe ? ?? Wurde mal kurze Zeit als hoffnungsvoller Kandidat für den Verkehrsministerposten gehandelt. Ende der 80er. Kurz vor der Wende. Und seit dem bewacht er das Ostkreuz ? Nimmt ihm doch niemand weg ?! Der Herr runzelt die Stirn Ja gut, also, was hat es jetzt mit diesem Wächter auf sich? Nun ja wie gesagt, Parteikarriere, Vorzeigefamilie usw. Wohnte damals in Grünau und fuhr zum Arbeiten nach Pankow... Immer übers Ostkreuz. Und dann passierte diese komische Geschichte mit der Frau im roten Ledermantel. Also diese Frau stieg häufig am Ostkreuz zu. Immer im roten Ledermantel. Er kannte sie schon vom Sehen. Und an diesem einen Tag kommt sie plötzlich durchs Abteil auf ihn zu und drückt ihm einen Packen Zettel in die Hand. Bevor er was sagen konnte war sie auch schon wieder weg. Hätte er die Papiere mal einfach liegen gelassen... Ja was stand denn drin in den Papieren ? Ja, das weiß niemand. Er soll sie gelesen haben, noch in der Bahn, haben später Zeugen ausgesagt. Und dann ist er ausgestiegen und war weg. 5 Jahre weg, untergetaucht, weder auf Arbeit noch zuhause igemeldet. Weg eben. Ja und dann ??? Na ja, Jahre später ist er dann eben wieder aufgetaucht, hier am Ostkreuz, so wie sie ihn eben gesehen haben. Wie gesagt ´ne arme Figur. So ich muß dann mal wieder. Schönen Tag noch. Jetzt lässt der mich doch tatsächlich hier stehen mit dieser dubiosen, halbfertigen Geschichte. Was sind das denn für Leute hier? Nichts wie nachhause... Zurück zur Übersichtsseite des Satzfischers Allein zu Haus von Annette Bruland, 50674 Köln (Deutschand) Eben noch hatte sie gehofft, ihre Nerven hätten ihr einen Streich gespielt. Die Nase dicht vor der Fensterscheibe, die Augen zusammengekniffen starrt sie auf den körperhaften Schatten an der Gartenmauer. Aber jetzt kann es keinen Zweifel mehr geben. Was die Scheinwerfer eines vorbeifahrenden Autos beleuchten, sieht aus wie ein an die Gartenmauer gelehnter Mann. Mit einem Satz ist sie weg vom Fenster, presst den Rücken an die kühle Zimmerwand. Wie lange ist er schon da? Hat er mich die ganze Zeit beobachtet? Hastig löscht sie das Licht im Wohnzimmer. Sie greift zum Telefonhörer. Aber wen anrufen, was sagen? Es ist ja noch nichts passiert. Sie legt wieder auf. Mist! So hatte sie sich ihren ersten Abend allein im neuen Zuhause nicht vorgestellt. Vor zwei Stunden noch hatte sie Peter gut gelaunt zum Taxi vors Haus begleitet. War der Fremde da schon in der Nähe? Dann weiß er, dass ich allein bin heute Nacht. Warum mussten wir auch in diese gottverlassene Gegend ziehen! Vorsichtig tastet sie sich zum Esstisch vor und führt zitternd die halb geleerte Flasche vom Abendessen an den Mund. Die warme Spur des Rotweins in der Kehle tut gut. Der Taxifahrer! Er hatte ihr frech grinsend ins Gesicht und dann auf den Busen geschaut. Er weiß, dass Peter für ein paar Tage ins Ausland fliegt. Wer will mir Angst machen? Der Mann, dem ich letztens fristlos kündigen musste? Weiß er, wo ich wohne? Er ist es! Er will sich rächen! Im Dunkeln tappt sie durch den Flur bis in die Küche, dreht den Schlüssel der Tür zur Veranda ein weiteres Mal rechts herum. In der Holzlade sucht sie nach dem Fleischermesser. Den Knauf fest umklammert schleicht sie zurück ins Wohnzimmer. Sie schiebt den schweren Ohrensessel direkt vor das Fenster, kauert sich in die Kissen und deckt sich mit der Sofadecke zu. Der Mond scheint nun ins Zimmer und wirft die Schatten des Fensterkreuzes auf die nackten Dielen. Das Messer blinkt auf der Armlehne. Sie starrt auf den Schatten draußen im Garten, der sich nicht von der Stelle bewegt.
Ein Knall schreckt sie aus dem Schlaf auf. Das Messer ist zu Boden gefallen. Angstvoll schaut sie aus dem Fenster. Nichts! Nur die alte Ziegelmauer mit den Büschen davor von ersten Sonnenstrahlen beschienen. Das Telefon klingelt: Hallo Peter, stell dir vor, was
! Liebling, bitte vergiss heute nicht schon wieder, deine Tabletten zu nehmen. Wir wollen doch nicht, dass du wieder Gespenster siehst! Zurück zur Übersichtsseite des Satzfischers Das Tor von Hans Pulina, 33611 Bielefeld (Deutschand) Ich muss über das Tor, um in das Haus zu kommen. Über das Tor, dessen Eisenstäbe wie Lanzen in den Himmel ragen. Die Mauer ist zu hoch, um hinüber zu klettern. Mir bleibt also keine Wahl. Unangenehm nur, der Gedanke an die spitzen Eisenstäbe. Äußerst spärlich beleuchtet ist das, außerhalb des Ortes gelegene Anwesen. Hier im Gebüsch dagegen ist es so dunkel, dass man die Hand vor Augen nicht sieht. Das Gebäude indes, liegt hinter dem Tor, auf der anderen Straßenseite und die Eisenstäbe heben sich schwarz gegen den Himmel ab. Neben dem Tor kann ich, wenn ich die Augen anstrenge, den dunklen Umriss eines Menschen erkennen. So lange der dort an die Wand gelehnt sitzt, kann ich nicht an das Tor. Der Gedanke ihn wegzulocken, wirft die Frage nach dem wie auf. Was tun, wenn er vom Wachdienst ist? Gibt es noch mehr davon? Ich kann noch so viel Vermutungen anstellen, etwas erfahren kann ich nur, wenn ich mir das Ganze aus der Nähe anschaue. Ich prüfe wiederholt ob alles griffbereit in den Taschen und dem Rucksack liegt. Im Graben der Straßenseite, die dem Tor gegenüberliegt, gehe ich geduckt etwa zweihundert Meter stadtauswärts, bis hinter die Kurve, die vom Tor aus nicht einzusehen ist. Ein Fahrzeug verlässt fast lautlos die Einfahrt und fährt in Richtung Stadt. Unwillkürlich ziehe ich meinen Kopf ein. Ist sonst noch jemand im Gebäude? Vielleicht habe ich Glück und komme schnell zu den Unterlagen. Sie sollen sich im Safe eines Zimmers befinden, das im ersten Stock, direkt über dem Eingang liegt. Also schnell über die Straße, bevor mich jemand entdeckt. Die glatt verputzte Mauer, an der ich mich nun in Richtung Tor bewege, fühlt sich feucht und kalt an. Setze einen Fuß tastend vor den anderen, um nicht auf trockene Äste zu treten. Etwa zwanzig Meter vor dem Tor halte ich und versuche zu erkennen, wer neben dem Tor sitzt. Ein Geräusch tönt vom Tor herüber. Es hört sich an, wie ein Hund der knurrend den Park hinter der Mauer durchstreift. Ein großer Hund scheinbar. Das hat mir gerade noch gefehlt. Ich lege mich in das Gras, robbe in Richtung Tor und höre es jetzt deutlich. Es kommt vom Tor. Aus dem Rucksack fingere ich, etwas nervös geworden, Richtmikro und Nachtsichtgerät. Schau schau, neben dem Tor liegt jemand, der sich schlafend zusammengerollt hat. Und das Geräusch? Das Richtmikro einschalten und den Kopfhörer auf die Ohren. Ich muss es genau wissen und hätte fast laut aufgelacht. Der Jemand ist ein Mann und der schnarcht laut vor sich hin. Zurück zur Übersichtsseite des Satzfischers l-o-s-t von Yanka, 55126 Mainz (Deutschand) grau-dunkel tropft trübsinnig wie der schlaf selbst aus der tiefe die nur mir so unendlich zu sein scheint die kälte splittert sich in die untersten schichten meiner kleidung das hirn meldet punkte und wirre koordinaten hat aufgehört das sein zu erkennen hart drängt sich der boden heran an den körper als hätte er etwas zu verlieren wärme halbtote wärmen nicht und der boden weiß das zerquetscht zwischen himmel und erde wenigstens kein allzu alltäglicher tod Zurück zur Übersichtsseite des Satzfischers Ich träumte ... von Ursula-Michaela Türinger, 2103 Langenzersdorf (Österreich) "Neben dem Tor kann ich, wenn ich die Augen anstrenge, den dunklen Umriss eines Menschen erkennen, der dort an die Wand gelehnt sitzt oder sich schlafend zusammengerollt hat." Näher zu treten wage ich nicht, denn die Furcht mich selbst zu erkennen überwiegt. Hier im Dämmerlicht zwischen Traum und Wirklichkeit fühle ich mich sicher. Meine Gedanken gehören nur mir. Hinaus zu gehen in die Wirklichkeit und der Realität ins Gesicht zu sehen kostet Kraft. Eine Kraft die es mir aufzubringen immer schwerer fällt. Noch schnell an etwas schönes gedacht, dann Augen auf und funktionieren wie ein Uhrwerk. Nichts vergessen oder dem Zufall überlassen, alles überdenken, kontrollieren und dabei heiter und gelöst wirken. Es allen recht machen und immer hübsch und heiter sein. Doch nachts, wenn es still wird, da sucht mein Herz nach Trost. Schlaf schön, ich wünsch´ dir schöne Träume. Zurück zur Übersichtsseite des Satzfischers Hinweis: Für die Rechtschreibung und Zeichensetzung sind die Autoren selbst verantwortlich. Die Urheberrechte liegen beim jeweiligen Autor. |