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Erzählendes Computerspiel: »Open Roads« – War das das lange Warten wert?

Spielfigur Tess: Beschränkte Auswahl an Gesichtsausdrücken

Über drei Jahre mussten Fans auf das erzählende Wanderspiel »Open Roads« warten. Erfüllt es die Hoffnungen? Wolfgang Tischer hat es durchgespielt – in leider kurzer Zeit.

Was bisher geschah

»Open Roads« ist endlich Ende März 2024 erschienen. Über drei Jahre mussten Fans auf dieses Spiel warten. Dabei gab es bereits 2020 einen Trailer im Netz. Darin sieht man Mutter und Tochter, die im Auto durch die wunderschöne Herbstlandschaft Nordamerikas fahren. Die beiden sind auf dem Weg zum Sommerhaus der Großmutter, und natürlich gibt es dort ein Geheimnis zu ergründen.

Der Trailer von 2020 zeigt bereits die finale Optik des Spiels, das erst 2024 erscheinen sollte. Im Trailer ist noch das Fullbright-Logo zu sehen.

Das Team hinter »Open Roads« hatte mit »Gone Home« 2013 einen Klassiker der erzählenden »Wandersimulatoren« erschaffen. Bei dieser Art von Videospielen gibt es keine Action, kein Geballer, und es sind keine großen Rätsel zu lösen. Im Grunde genommen wird man durch ein Haus oder eine Landschaft geführt, und Dinge, die man findet, spannen eine Geschichte auf, die man somit ebenfalls durchwandern kann. In »Gone Home« hatte das Team das mit wenig Budget grandios umgesetzt (siehe Rezension im literaturcafe.de), sodass große Hoffnungen mit »Open Roads« verbunden waren.

Dass Videospiele das angekündigte Erscheinungsdatum nicht halten, ist nichts Ungewöhnliches. Doch die Nachrichten aus dem Entwicklerstudio Fullbright waren nicht die besten. Der Chef und Gründer benahm sich offenbar mies gegenüber seinen Mitarbeitern. »Toxisch« lautet das Modewort für ein solches Benehmen. Einige verließen das Studio – dann ging das ganze Team. Als »Gone-Home-Team« setzten sie die Arbeit am Videospiel zusammen mit dem Studio »Annapurna« fort, der Erscheinungstermin verschob sich immer wieder, zuletzt noch von Februar 2024 auf den März. Nun ist »Open Roads« endlich da, erhältlich via Steam für Windows und die Konsolen Playstation, Xbox und Switch.

Die Story

Die 16-jährige Tess lebt mit ihrer alleinerziehenden Mutter Opal bei ihrer Großmutter. Als Letztere stirbt, müssen Tess und Opal das Haus verkaufen und ausziehen. Anhand von Dokumenten im Keller und einem Tagebuch auf dem Dachboden, die Tess gleich am Anfang des Spiels im fast leergeräumten Haus findet, wird klar, dass die Großmutter offenbar ein Doppelleben geführt hat. Sie war eine bekannte Autorin von Lebenshilfebüchern. Ihr Mann, Tess‘ Großvater, starb plötzlich und unerwartet mit 43 Jahren.

All das erfahren wir in den ersten Minuten des Spiels, in dem wir in Tess’ Egoperspektive durch das Haus gehen. Die Hinweise führen zu einem alten Ferienhaus, das selbst Mutter Opal schon seit Jahren nicht mehr besucht hat. Der Roadtrip von Mutter und Tochter beginnt.

Die Spielmechanik und -optik

Das Aussehen der 3D-Welt hat sich zwischen »Gone Home« und »Open Roads« kaum geändert. Die Grafik versprüht Retro-Charme, die Spiele-Handlung ist 2003 angesetzt. Man erwartet von einem solchen Spiel und bei einem solchen Entwicklungsbudget ohnehin keine fotorealistische Optik.

Wunderbare Herbstwelt

Zentrales Element sind die Briefe, Zeitungsausschnitte, Werbeprospekte, Bücher, Zeitschriften und Verpackungen, die man überall entdecken und lesen kann. Alles ist mit viel Liebe zum Detail gestaltet, sodass die Dokumente unglaublich echt wirken und auch hier der Retro-Charme der Jahrtausendwende und der 1960er-Jahre herrscht.

Auch wenn die Küche längst verfallen ist: Die Handlungsorte sind schön und detailreich gestaltet

Anders als es der Titel »Open Roads« vermuten lässt, handelt es sich nicht um eine offene Welt, die man beliebig frei durchwandern kann. Vielmehr sind alle Handlungsorte begrenzt. Man kann sie erst verlassen und gelangt zu anderen, wenn man bestimmt Infos erhalten hat. Dafür muss man keine Rätsel lösen, sondern nur die Dokumente und Gegenstände genau betrachten und sich in Schränken und Schubladen umsehen.

Das »Ferienhaus«

Während man bei »Gone Home« allein im Haus unterwegs war, spielen in »Open Roads« die Dialoge zwischen Mutter Opal und Tochter Tess eine wichtige Rolle. Auch sie liefern wichtige Infos. Zunächst durchforscht man alles aus der Ich-Perspektive von Tess, doch mit dem Befehl »Hey, Mum!« kann man bei vielen Dokumenten die Mutter herbeizurufen, und man erfährt weitere Details.

Dialoge zwischen Tochter und Mutter

Zu oft die gleiche Perspektive: Tess im Gespräch mit ihrer Mutter

Die Dialogpassagen zwischen Tochter und Mutter sind gewöhnungsbedürftig. Visuell sind die beiden Figuren als zweidimensionale Trickfilmzeichnungen in die 3D-Welt gesetzt. Eine künstlerische Entscheidung der Macher, die okay ist. Jedoch drängt sich zunächst der Eindruck auf, dass sich hier das schmale Entwicklungsbudget bemerkbar macht. Die Figuren sind nicht vollständig animiert, wie man es im Trailer von 2020 gesehen hat. Oft bewegen sie nur zu den ersten Worten ihrer Sätze die Lippen, dann scheint sich die Mimik auf 10 oder 20 unbewegte Gesichtsausdrücke zu beschränken, die man Jump-Cut-artig in der immergleichen Über-die-Schulter-Perspektive zusammengestellt hat. Ab und an zwinkern mal die Augen. Zoomt die Kamera einmal näher ran, sind die Zeichnungen lediglich vergrößert.

Beschränktes Repertoire an Gesichtsausdrücken und Gesten

Die Dialoge sind auf Englisch, deutsche Untertitel lassen sich einstellen. Man hat für die beiden Figuren durchaus namhafte Sprecher gefunden. Keri Russell (»Star Wars: The Rise of Skywalker«) spricht die Mutter, Kaitlyn Dever (»Booksmart«) gibt Tess ihre Stimme. Doch die beiden Schauspielerinnen zeigen wenig Emotionen, oder die Dialogregie war schlecht. Das behäbige Dialog-Ping-Pong beginnt schnell zu nerven. Glücklicherweise lassen sich die Dialoge rasch kleinteilig weiterschalten, sodass man nach kurzer Zeit die Untertitel selbst viel schneller liest, was das Gameplay enorm steigert. Dafür reichen die wenigen Animationen vollauf, und die Defizite stören nicht.

Hin und wieder kann man sich für zwei oder drei Dialogvarianten entscheiden, doch haben diese keine Auswirkungen auf den Verlauf der Handlung, man durchläuft lediglich eine Dialogschleife mehr.

Bewertung der Handlung

Ohne zu spoilern, muss man feststellen, dass die Handlung nicht sonderlich komplex ist, und die Art, wie die Figuren Infos übermitteln, würde man in einem Roman als plumpe Infodumps einstufen. Dass Mutter und Tochter drmaßen plötzlich ihre eigenen Lebensrealitäten infrage stellen und parallel schnell mal anhand einiger rumliegender Briefe die wahren Tatsachen herausfinden, die sie davor scheinbar nie interessiert haben, ist alles andere als glaubhaft und realistisch. Neben den beiden Hauptcharakteren sind Nebenfiguren nur via Telefonate oder SMS-Nachrichten eingebunden. Schaut man sich in der Welt von »Open Roads« um (was nicht zwingend sehr genau erforderlich ist), liegt die Spielzeit zwischen 90 und 180 Minuten, was nicht sonderlich lang ist.

Fazit: Nicht überzeugend – aber auch nicht schlecht

»Open Roads« lässt einen mit einem zwiespältigen Eindruck zurück. Die kurze und nicht immer glaubwürdig erzählte Geschichte enttäuscht, die nervig langen Dialoge lassen sich glücklicherweise elegant überspringen, und die liebevoll gestaltete 3D-Welt hat ihren Reiz, für den man sich gerne etwas Zeit nimmt. So ganz kann man sich der Geschichte, ihren Figuren und den Schauplätzen nicht entziehen. Leider ist das Spiel zu schnell vorbei. Zum Start kostete das Spiel rund 20 Euro, das Preis-Leistungs-Verhältnis ist daher ok, auch wenn man sich nach der langen Wartezeit mehr erhofft hatte. Natürlich mehr Spiel und nicht mehr Preis.

Wolfgang Tischer

Open Roads
Open Roads
Entwickler: Open Roads Team
Preis: 18,49 €

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