| Hier lesen Sie die besten Beiträge der ersten Runde (Nov '01 - Jan '02), die unseren Autorinnen und Autoren zu einem Satz von Gao Xingjian eingefallen sind. Der Satz stammt aus der Erzählung »Fünfundzwanzig Jahre«. Sie findet sich im Fischer Taschenbuch 15183 mit dem Titel »Auf dem Meer«. Aus dem Chinesischen von Natascha Vittinghoff. ISBN 3-596-15183-X. 8,90 EUR: |  | »Ich hätte nicht gedacht, dass ich dich einmal wiedersehen würde« atmete er auf und setzte sich. Cognacschwenker von Claus Will, 20357 Hamburg Ich hätte nicht gedacht, dass ich dich einmal wiedersehen würde", atmete er auf und setzte sich. Warum eigentlich nicht?" Er wischte seine schweißnassen Hände an der Serviette ab. Er schaute sie an. Du hast dich nicht verändert." Sie lachte auf. Dir sieht man die zwei Jahrzehnte an." Er bestellte sich einen Cognac. Woher wusstest du, dass ich in der Stadt bin?" Er beobachtete ihren Gesichtsausdruck. Sie lächelte spöttisch. Mein Geheimnis." Sie holte ein krokodilledernes Zigarettenetui aus ihrer Handtasche, entnahm eine Zigarette, ließ es mit einem schnappenden Geräusch zuklappen und drehte die Zigarette zwischen Daumen und Zeigefinger. Er gab ihr Feuer. Was willst du von mir?" Sie inhalierte tief, blies dann den Rauch durch ihre feuerroten Lippen, ihm direkt ins Gesicht. Deine Tochter heiratet. Sie braucht Geld." Ihre Mundwinkel zuckten. Etwas Asche fiel auf den Tisch. Sein Mund stand offen. Meine Tochter?" Sie zog die Augenbrauen hoch. Du bist damals einfach verschwunden. Hätte ich dir hinterherlaufen sollen?" Sie nahm einen neuen Zug. Ich kam gut alleine zurecht." Er atmete tief durch. Wie heißt sie?" Bérénice." Seine Hand zitterte, als er den Cognacschwenker auf einen Sitz leerte. Bérénice ..." Er lächelte unsicher. Wann werde ich sie sehen?" Ihre Augen wurden zu schmalen Schlitzen. Gar nicht." Sie drückte die Zigarette aus. Du wirst an ihr gutmachen, was du an mir versäumt hast. In einem halben Jahr heiratet sie einen Mann aus reicher Familie. Aber sie ist schwanger von einem anderen." Sie machte eine Pause. Dummer Zufall. Kommt dir bekannt vor?" Sie sah ihn an. Nun braucht sie Geld, um das Kind diskret entfernen zu lassen. Mehr wirst du nicht erfahren." Er schüttelte den Kopf. Aber ..." Sie unterbrach ihn. Nein." Er stieß etwas Luft aus. Du hast dich nicht verändert." Er sah sie an. Und woher weiß ich, dass sie meine Tochter ist?" Sie lächelte. Du musst es mir glauben." Bis wann braucht sie das Geld?" Bis morgen." Ich werde es mir überlegen." Tu das." Sie holte einen Zettel aus der Handtasche und kritzelte ein paar Zahlen darauf. Soviel brauchen wir. Darunter ist meine Telefonnummer." Sie stand auf, schaute ihn von oben herab an. Ich kann mich noch gut daran erinnern, mit wem du Geschäfte machtest, früher." Er blickte ihr nach. Ihr Rock schwang gleichmäßig hin und her, alle Männer drehten sich nach ihr um. Er pfiff durch die Zähne. Sie hat sich nicht verändert." Zurück zur Übersichtsseite des Satzfischers Ende einer Ära von Birtha Noltmann, 70597 Stuttgart Mit dem Handrücken wischte er sich den Schaum vom Mund. Blut floss, sammelte sich zu dicken Tropfen und rann über die Haut. Aber kein Laut des Schmerzes bisher. Die Klinge in seiner Hand blitze und gierte danach, ihr Werk fortzusetzen. Er lauschte angestrengt. Gerade jetzt durfte ihn niemand stören. Nicht auszudenken, wenn sie früher als erwartet nach Hause käme. Alles war sorgsam vorbereitet, das lange Wochenende wie gemacht für seinen Plan. Er wollte Fakten schaffen, weil er es endgültig satt hatte, sich vor ihren Vorwürfen zu fürchten. Vielleicht hätte er lieber auf sie hören sollen? Aber nun war er schon zu weit gegangen. Die Gelegenheit war einfach zu verlockend. Sie war nach Düsseldorf gefahren, zum Wellness-Trip mit einer Freundin. Fango, Massage, Schönheitsbad, Maske. Das schaffte ungeahnte Gemeinsamkeiten. Obwohl viele Kilometer zwischen ihnen lagen, machten sie ihre Erfahrungen in diesen 48 Stunden vor der Kulisse gefliester Wände. Nur - wenn seine Frau zurückkam, würde es nicht mehr sein wie vorher. Das weiße T-Shirt musste er gleich ausziehen, verstecken oder noch besser: heimlich in den Müll stecken. Es war wirklich ungeschickt gewählt, ärgerte er sich, rotbraune Flecken machten sich breit, saugten sich in den Stoff, um als ewiger Beweis seiner Ungeschicklichkeit darin zu überdauern. Gut war, dass ihm sein Tun viel leichter fiel, als er selbst erwartet hatte. Jahrelang hatte er den Gedanken an die Tat gehütet, genährt und vom Tag X geträumt. Darüber waren seine Haare erst grau und dann schütter geworden. Aber ab heute sollte sich sein Leben verändern. "Erleichtert werde ich sein", hatte er sich ausgemalt. An das Blut würde er sich als magisches Zeichen seiner neuen Jugend erinnern. Er hob die Brauen, bleckte die Zähne zu einem vampirischen Grinsen, setzte die Klinge zum finalen Schnitt an den Hals und zog durch. Danach drehte er sich zum Spiegel. "Ich hätte nicht gedacht, dass ich dich einmal wiedersehen würde", atmete er auf und setzte sich. Als die Frau nach Hause kam, schlug sie bei seinem Anblick die Hände vors Gesicht: "Wie siehst Du denn aus? Mit Bart hast Du mir besser gefallen!" Zurück zur Übersichtsseite des Satzfischers Wiedersehen von Andrea Tillmanns, 52070 Aachen „Wohnst du noch immer in Stuttgart?“ fragt er. Sie nickt. „Aber ich bin oft unterwegs. Und du?“ „Auch immer noch Hannover.“ Er sieht nach oben. „Damals war das Wetter besser“, sagt er. Sie schmunzelt. „Ja, allerdings. Ein richtig schöner Frühlingstag – nur die Milchshakes flogen tief...“ „Ein merkwürdiger Gedanke“, überlegt er. „Wenn ich nicht gestolpert wäre, hätte ich dich niemals kennengelernt. Wir hätten nicht den ganzen Tag gemeinsam hier verbracht...“ „...und wären nun bestimmt nicht wieder hier“, ergänzt sie. Sie sucht unkonzentriert nach einem Taschentuch, das sie dann doch achtlos auf den Tisch vor sich legt. „Ich hatte immer erwartet, meine wahre Liebe auf einer Kreuzfahrt zu treffen oder vielleicht beim Après-Ski – daß sie mir ausgerechnet in einem Straßencafé in Köln begegnen muß...“ „Habe ich dir damals eigentlich gesagt, daß ich dich nach diesem einen Tag schon geliebt habe?“ fragt er leise. „Nicht direkt“, sagt sie, „außerdem waren wir ja beide noch in festen Händen... Aber wären wir uns damals nicht schon sicher gewesen, hätten wir uns doch niemals darauf eingelassen zu warten.“ „Wirklich eine verrückte Idee“, nickt er lächelnd. „Wir waren wohl beide etwas beschwipst, vom Wein und vom Frühling... Ich habe den Bierdeckel so oft angesehen, auf dem du damals Datum und Uhrzeit notiert hast, daß die Schrift kaum noch zu erkennen ist.“ „Ich hatte meinen so gut versteckt, ich habe ihn kaum wiedergefunden“, sagt sie. „Ich hätte es nicht ertragen, zu wissen, daß du vielleicht seit Jahren schon jedes Jahr zur gleichen Zeit hier auf mich wartest... Ich habe versucht, den Tag zu vergessen, um nicht immer wieder erinnert zu werden.“ Sie streichelt seine Finger. „Hast du lange gewartet?“ „Vor zwei Jahren war ich zum ersten Mal hier“, antwortet er. „Letztes Jahr ist meine Tochter mitgekommen, aber nun wollte sie lieber mit ihrem Freund in Urlaub fahren.“ „Stefanie ist... siebzehn, oder?“ rechnet sie. „Insgesamt acht Jahre nun, seit damals.“ „Aber das Warten hat sich doch gelohnt“, entgegnet er. „Warum klingen wahre Sätze immer so kitschig?“ seufzt sie lächelnd. Das Taschentuch liegt noch immer unberührt vor ihr auf dem Tisch, gleich neben den vier verschlungenen Händen. Zurück zur Übersichtsseite des Satzfischers Der Rosenmörder von Mechthilde Vahsen, 40597 Düsseldorf "Was bin ich froh." Sie schwieg und reagierte nicht auf seine Bemerkung. Er warf ihr einen verdutzten Blick zu. "Hallo", versuchte er ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, "ist dir nicht gut? Du bist so abwesend." Leise fiel ihr Oberkörper nach vorne, das Gesicht prallte mit einem unangenehmen Laut auf den Tisch. Ein Wasserglas fiel um, das Wasser spritzte in seine Richtung. Er sah, wie das Glas bis zu ihrem Kopf rollte und dort liegen blieb. Direkt neben einem Löffel, dessen eines Ende merkwürdig bizarr in die Luft ragte. Ihr Kopf lag darauf. Daneben lag eine Rose. Er sprang entsetzt auf und riß dabei den Stuhl um. Das Getöse ließ die Gäste des Cafes aufblicken, alle in seine Richtung. Es hatte nicht geklappt, die Falle hatte nicht funktioniert. Dann schrie jemand auf, und alle Augen schauten auf den kleinen Holzstiel, der im Rücken der Frau steckte. Als die Polizei eintraf, herrschte große Unruhe im Cafe. Die meisten Gäste waren vor dieser Mordszenerie in das gegenüberliegende Restaurant oder auf die Straße geflüchtet. Einige wenige waren geblieben, um sich als Zeugen bereit zu halten. Es waren Stammgäste, die nun in einer Ecke zusammen saßen und sich in Vermutungen ergingen. Die Kellnerin, an ein ruhiges, in Alltagslangeweile dahinschleichendes Arbeiten gewöhnt, sah mit einem vor Ekel verzogenen Gesicht immer wieder zu dem Tisch mit der Toten. Ihr war übel, deswegen trank sie schweigend und beteiligte sich nicht an dem Gerede. Ihr Nachbar, ein stämmiger Herr um die 60, der regelmäßig im Cafe zu Mittag aß, ereiferte sich über Tathintergründe und glaubte den Mann erkannt zu haben. Ein Autoverkäufer aus dem großen Autohaus fünf Straßen weiter. Vielleicht eine heimliche Affaire und ein eifersüchtiger Ehemann. Oder ein Millionenbetrug mit Streit um die Beute. Das war die Version der älteren Frau, die täglich im Cafe saß, sehr oft Männer ansprach und sich zu Champagner einladen ließ. Manchmal verschwand sie auch für ein oder zwei Tage und brüstete sich dann mit ihren Abenteuern. "Wer mag die Tote wohl sein? So jung noch", überlegte der vierte in der Runde. Ein Mann um die 30, der sich mit Gelegenheitsjobs verdingte und seine künstlerische Identität entdecken wollte. Sagte jedenfalls die ältere Frau, die sich in flauen Zeiten zu ihm setzte. Auch der Mann war geblieben. Der ältere Mann legte ein Foto vor ihn auf den Tisch. Seine Frau, er erkannte sie sofort, mit einer Rose in der Hand. "Hatte die Tote bei sich", sagte der Mann noch. Zurück zur Übersichtsseite des Satzfischers Die Begegnung von Victoria Hadden, 22609 Hamburg Es regnete und die Luft war kalt und feucht. Ich ging durch die leere Einkaufsstrasse und dann sah ich ihn. Wir standen einander ueberrascht gegenueber. Er war aelter geworden und wirkte muede. Doch selbst durch seinen Mantel und den zwei Mal gewickelten Schal roch ich ihn, und mir war als waere er nie aus meinem Leben gewesen. Das schwelende Gefuhel das ich schon lange vergessen und tief vergraben geglaubt hatte, stieg in mir auf wie die Nebelschwaden die zunehmend dichter wurden. Ich wollte etwas sagen, aber die Worte die ich mir fuer diese Situation so oft zurecht gelegt hatte, schmolzen wie der Sand meiner Kinderburgen wenn sie von einer schweren Welle ueberrascht worden waren. Er fragte verhaltend: ”Wollen wir etwas trinken gehen?” Ich hoerte mich ja sagen, und wir gingen schweigend durch die graue Daemmerung in ein altmodisches Kaffeehaus, das ich oft mit meiner Grossmutter besucht hatte als ich noch klein war. Ich merkte wie er mich pruefend von der Seite aus ansah als ich langsahm meinen Mantel auszog. Vier Jahre war es her als ich mich das letzte Mal fuer ihn ausgezogen hatte. Mit Traenen in den Augen die er nicht einmal bemerkt hatte, war ich wie eine Schlafwandlerin zu seinem Bett gegangen. Meine Sachen hatten begonnen sich auf dem Boden zu stapeln und der Haufen wuchs, wie das, was seit Monaten erst meinen Bauch und dann mein ganzes Wesen wie eine Pest befallen hatte. Wir schliefen miteinander, ich verzweifelt, versuchend noch einmal das heraufzubeschwoeren weshalb ich mich so gaenzlich in ihm verloren hatte. Er gierig, ohne zu begreifen wo wir uns befanden. Ich wollte nicht weg, wollte mich nicht aus jenem Sumpf der taeglich tiefer, brauner und schlammiger wurde befreien. Aber ich wusste inzwischen das dort Schlingpflanzen wuchsen die einen erwuergten wenn man zu lange blieb. Er war danach sofort eingeschlafen und ich sah gegen die unueberwindliche Wand seines sich hebenden und senkenden Rueckens. Eine Wand die durch sein gesamtes Wesen lief, die ich nie ueberwinden wuerde und deren Schatten noch grauere Kaelte versprach.
“Ich haette nicht gedacht, dass ich Dich noch einmal wiedersehen wuerde,” atmete er auf und setzte sich. "Inzwischen habe ich verstanden." Ich erschrak, denn ich sah in seine Augen und wollte ihm glauben. Aber das erstickende Gefuehl liess mich nicht los, genau wie damals, und ich zog meinen Mantel wieder an, strich ihm ueber die Hand und ging hinaus in den Nebel. Zurück zur Übersichtsseite des Satzfischers Hinweis: Für die Rechtschreibung und Zeichensetzung sind die Autoren selbst verantwortlich. Die Urheberrechte liegen beim jeweiligen Autor. |