Satzfischer - Das literarische Kreativprojekt des Literatur-Cafés in Zusammenarbeit mit dem S. Fischer Verlag
Hier lesen Sie die besten Beiträge der achten Runde (September '02 - Oktober '02), die unseren Autorinnen und Autoren zu einem Satz von Milan Kundera eingefallen sind. Der Satz stammt aus dem Roman »Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins«. Fischer Taschenbuch 5992. ISBN 3-596-25992-4. 9,90 EUR: Cover: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Wollen Sie sich nicht etwas stärken vor dieser schweren Arbeit?

Ohne Zukunft
von Eva K. Wagner, 55278 Mommenheim (Deutschland)

Er trat ein wie jeden Freitag. Grau in Grau. Seine Kleidung, seine Schuhe, seine Haare, sein Gesicht - sein Blick.
Sie fragte ihn wie jeden Freitag: "Wollen Sie sich nicht etwas stärken vor dieser schweren Arbeit?" Und er antwortete wie gewohnt: "Nein danke, meine Frau kocht etwas Warmes zum Abendessen." Das ging seit etwa drei Jahren so, seit er ihr einmal in der Woche im Gelände half. Er hackte Holz, reparierte den Zaun, schleppte Steine an Stellen, an denen sie sie haben wollte. Dinge eben, die ihr Mann übernommen hatte, als er noch lebte.
Dieses Begrüßungsritual hatten sie auch in den letzten drei Wochen beibehalten, seit seine Frau in der Klinik lag. Diagnose Knochenkrebs, unheilbar, keine große Lebenserwartung mehr. Heute ging es ihr besonders schlecht, erzählte er. Seine Frau würde ihm heute nichts kochen können.
Nach getaner Arbeit, heute war Dach reparieren angesagt, trat er noch mal kurz ein. Sie fragte ihn ein weiteres Mal nach einer Mahlzeit. Dieses Mal sagte er "Ja." Sie deckte den Tisch, wärmte den Eintopf auf und schenkte ihm ein Bier ein. Wähtend des Essens erzählte er von seiner Frau, ihrer Krankheit, seiner Angst - der Gewissheit, dass es bald zu Ende sein würde. Sie hörte ihm zu. Konnte ihn verstehen. Als er sagte, er könne sich ein Leben ohne seine Frau nicht vorstellen und er würde alles darum geben, wenn er in diesem Bett liegen würde, streichelte sie ihm über den Unteram. Er blickte auf, eine Träne löste sich aus seinem Auge und rollte die Wange herab.
Danach konnte sie es sich nicht erklären, aber als er aufstand, um sich zu verabschieden, schloss sie die Arme um ihn und drückte sich ganz fest an seinen Körper. Er gab den Druck zurück. So standen sie eine Weile. Jeder schien zu warten. Sie spürte sein Bedürfnis nach Wärme und Geborgenheit und gab ihm nach. Langsam knöpfte sie sein Hemd auf. Er ließ es geschehen.
Sie lagen nebeneinander im Bett - nackt; berührten sich nicht. Starrten beide an die Decke. Da klingelte sein Handy. Er ging, so wie er war, an das Telefon, meldete sich und hörte zu. Er sagte nichts, nicht mal "Auf Wiedersehen".
Sein Handy glitt auf den Tisch. Er kam zurück, blieb in der Tür stehen Grau in Grau. Seine Augen, seine Haare, seine Stimme: "Sie ist tot."

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Eine Bettgeschichte
von Ocrivo, 81243 München (Deutschland)

Hernan beurteilte die Idee, das Bett aus dem Fenster abzuseilen, als "zu mühsam", woraufhin Elli ihn darauf hinwies, daß es ja nicht darum ginge, das Bett in EINEM STÜCK abzuseilen, sondern in seinen ZWEI TEILEN. Roger fragte unverblümt, warum man das Bett nicht in vier Teile zerlege und die vier Teile der Einfachkeit halber aus dem Fenster schmisse. "Hm, das wäre in der Tat eine Überlegung wert", gab Hernan todernst zu bedenken. Die beiden begannen zu überlegen, wo man mit der neuerlichen, diesmal geplanten Trennung der bestehenden Teile am besten ansetzen könne, während Elli kochend vor dem offenen Fenster stand und kurz vor dem Explodieren schien.
"Hernan, hol jetzt bitte das Seil!", kam es schließlich pistolengleich und gepreßt, und Hernan, der den Ernst der Lage sofort erkannte, beeilte sich, aus dem Zimmer zu kommen, wo sich ihm, im Gang, endlich das breite Grinsen übers Gesicht verbreiten durfte. Roger gestattete sich, im Zimmer, ebenfalls ein Grinsen und beschwichtigte: "War doch nur ein Scherz, Ellimaus!"
"Mir ist jetzt nicht nach Scherzen zumute, ich will das Bett draußen haben und zwar durch DIESES Fenster!" Ellis ausgestreckter Arm wies energisch den künftigen Weg des Bettes.
"Was baut ihr Euer Treppenhaus auch so voll, daß eine falsche Bewegung den Tod durch Buchlawine bedeutet!"
"Lieber ein Bett, das runterfällt, als ein Buch."
"Wo sie recht hat, hat sie recht", krähte Hernan vergnügt. Er kam schon wieder ins Zimmer, fröhlich ein dickes Seil schwingend, das er Roger mit Verve zuwarf: "Mach fest!"
"Jawohl, Euer Gnaden!" dienerte Roger sogleich und machte eine Verbeugung. "Haben Euer Gnaden spezielle Wünsche bezüglich des zu verwendenen Knotens, im Angebot sind Palstek, Doppelter Palstek, Roringstek, Slipstek, Webeleinstek..."
"Ich stek Dir gleich ein Knebelchen ins...", drohte Hernan, ihm fiel aber kein geeigneter Reim auf "Knebelchen" ein. Er kniete sich selbst zu Boden und inspizierte die Unterseite der rechten Betthälfte.
"Und überhaupt, wollen wir uns nicht etwas stärken vor dieser schweren Arbeit?" fragte Roger, an Elli gewandt.
"Vor welcher schweren Arbeit?" gab Elli kühl zurück.
Hernan streckte den Arm nach oben. "Hier unten können wir's festmachen. Gib her!" Das Seil wechselte den Besitzer.
Als beide Betteile an der Hauswand gelehnt im Freien standen und die Männer ihr Werk begutachteten, kam Elli durch die Haustür. Sie küßte ihre beiden Recken und verkündete gutgelaunt: "JETZT kommt die Stärkung!"

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