| Hier lesen Sie die besten Beiträge der vierten Runde (März '02 - April '02), die unseren Autorinnen und Autoren zu einem Satz von J. M. Coetzee eingefallen sind. Der Satz stammt aus dem Roman »Warten auf die Barbaren«. Aus dem Englischen von Reinhild Böhnke. S. Fischer Verlag. ISBN 3-10-010814-0. 19,90 EUR: |  | Neben dem Tor kann ich, wenn ich die Augen anstrenge, den dunklen Umriss eines Menschen erkennen, der dort an die Wand gelehnt sitzt oder sich schlafend zusammengerollt hat. Die Flucht aus dem Kerker von Maria, 91413 Neustadt (Deutschand) Neben dem Burgtor kann ich, wenn ich die Augen anstrenge, den dunklen Umriss eines Menschen erkennen, der dort an die Wand gelehnt sitzt oder sich schlafend zusammengerollt hat. Was für ein Glück, die Torwache ist eingenickt! Meine Flucht kann gelingen! Aber was, wenn der Wächter nur döst? Es hilft nichts, ich muß mich dem Tor nähern, es wird schon jede Minute heller. Bald wird sich Leben regen in der Burg, dann ist meine Chance zur Flucht vertan. Langsam schiebe ich mich an der Mauer entlang Richtung Tor. Mein Herz klopft in rasendem Takt. Wenn der Wächter aufschreckt, ist alles aus. Dann geht es zurück in den Kerker und ich sehe die Sonne heute nicht aufgehen. Plötzlich hustet der Mann, mir bricht der Schweiß aus, ich erstarre. Nach einer Ewigkeit ist leises Schnarchen zu hören. Ich atme auf und schiebe mich weiter Richtung Tor. Nur noch zwei Meter, die Freiheit ist zum Greifen nah. Endlich bin ich angekommen, direkt neben dem Schlafenden, und greife an den schweren Riegel, der das Tor verschließt. Vorsichtig, lautlos das Ding hochstemmen ... Da wirft sich der Wächter im Schlaf herum und lehnt an meinem Bein. Und ich stehe wie festgefroren, den gewichtigen Riegel aus der Halterung gehoben, alle Muskeln verkrampft. Der Kerl rückt sich gemütlich zurecht an meinem Bein, sein Schnarchen setzt wieder ein. Gott sei Dank, er schläft- aber ich weiß nicht weiter. Einen Moment überlege ich, ob ich ihm nicht mit dem Torriegel eins über die Rübe geben könnte, damit er noch fester schläft ... Aber ich kann doch einen Schlafenden nicht niederschlagen ... Ich lasse den Riegel vorsichtig, Zentimeter für Zentimeter, niedersinken. Nur das Bein nicht bewegen und kein Geräusch. Meine Armmuskeln schmerzen. Endlich kann ich den Riegel sanft ablegen. Und nun? Gleich bekomme ich einen Krampf im Bein. ich muß dem Kerl jetzt sein Ruhekissen wegziehen. Langsam, langsam ziehe ich mein Bein zurück, der Mann rutscht unmerklich tiefer. Er brummt etwas im Schlaf, ich knirsche mit den Zähnen vor Anspannung. Aber noch schläft er. Jetzt ruht sein Kopf auf meinem Fuß, den ziehe ich auch noch vorsichtig weg: Geschafft! Ganz sachte ziehe ich das schwere Tor auf, einmal knarzt es und ich zucke zusammen. Der Wächter aber schläft. Da, endlich ist die Öffnung groß genug, daß ich mich hindurchzwängen kann und ich bin außerhalb der Burg und ich renne los Richtung Wald. Da ertönt eine Fanfare und ein Schrei: "Flüchtling gesichtet!" Verdammt! Zurück zur Übersichtsseite des Satzfischers Früh am Morgen von Woschanova, 10707 Berlin (Deutschand) Früh am Morgen zu neuen Ufern, schwebend, den Bordstein entlang, schlendernd mit der Ahnung, losgelassen zusein.
Graupel fällt auf den Asphalt, kontrastierend, stechend, laufen, den Atem spüren, sich vergessen wollen.
Selbst beschäftigt mit dem Ich, kritisch mit der Frische, bereuend doch beteuernd, nicht nach zulassen.
Bäume schauen herab, Abgasschwaden schleichen herum, die Haltung bewahren, Ich vermisse Dich. Zurück zur Übersichtsseite des Satzfischers Der Mann in der Toreinfahrt von Annette Heinfling, 22159 Hamburg (Deutschand) An manchen Abenden , wenn ich erst spät und müde von der Arbeit nach Hause ging, sah ich ihn dort stehen: Wie einen Schatten ins Dunkel der Toreinfahrt gedrückt. Wartend? Doch worauf wartete er? Auf seine heimliche Geliebte? Oder beschattete er im Auftrag eines eifersüchtigen Mannes nur dessen vermeintlich untreue Ehefrau? Wer wußte es schon so genau... Manchmal fragte ich mich, ob er wirklich da war. Denn außer mir schien ihn auch noch keiner wahrgenommen zu haben, den Mann dort im Dunkel der Toreinfahrt, in seinen Mantel gehüllt, die Mütze tief ins Gesicht gezogen. Selbst vor drei Tagen, als bei schneidend kaltem Ostwind niemand freiwillig aus dem Haus gehen mochte, stand er bewegungslos dort. Vielleicht war er doch nur eine Ausgeburt meiner eigenen Phantasie?
Gestern stand ein Bericht in der Zeitung, daß ein Obdachloser erfroren aufgefunden worden war: zusammengekauert an der Wand in einer Toreinfahrt. Nur ein ungewöhnlicher Zufall? Zurück zur Übersichtsseite des Satzfischers Letzte Chance von Hans E. Aeschlimann, CH-8046 Zürich (Schweiz) Da stand ich wieder vor dem ausladendem Schreibtisch, nicht das erstemal, aber bestimmt das letzte. Dies war nach jahrelanger Geduld sein Entscheid, nicht meiner. Seine Geduld kämpfte gegen mein labiles Wesen, versuchte das Selbstmitleid in mir zu töten, um mich von der Flasche wegzureißen. Ich trank nicht um Probleme zu ersäufen. Am Anfang schon, aber jetzt hatte sich alles gewendet – gegen mich. Durch das ständige Saufen baute ich nur Probleme auf. "... wenn ich die Augen anstrenge ...", setzte er sein gut vorbereitetes Gespräch fort. Ich hörte nur halb hin, obwohl ich begriff um was es ging. Es war bereits zehn Uhr, und er wusste Bescheid. Er sprach doch von nichts anderem. Zeit für meine Inspiration, so nannte ich heimlich meine unentbehrlichen Rationen Whisky, welche ich zu Hause in Fläschchen abfüllte. Ganz genau wusste er, dass ich die Ration jetzt brauchte. Sofort. Meine Finger vibrierten bereits, und meine Aufmerksamkeit pegelte um Null. "... wenn ich die Augen anstrenge ...", wiederholte er sich, um seiner Aussage Gewicht zu verschaffen, um mich fühlen zu lassen, dass es auch ihn schmerzte, wie ich mich zu Grunde richtete, mich und meine Familie zerstörte und vor allem auch die Arbeitsleistung nicht mehr erbrachte, "so sehe ich nichts Gutes im vertraulichen Bericht an die Direktion stehen", schloss er mit ernster Mine. "Meine Geduld ist am Ende; dies ist die letzte Warnung. Dazu bin ich nach gründlicher Überlegung gekommen. Ich mag sie, dieser eingreifende Schritt fällt mir nicht leicht. Ich schätze ihre Arbeit, die Kreativität, ihre Ideen, mit denen wir die Aufträge reinbekommen, aber auch die Zusammenarbeit, welche jetzt leidet. Ich gebe ihnen keine Chance sich mir zu widersetzen. Der Entzug beginnt jetzt. Jetzt, sofort, oder sie suchen sich einen neuen Arbeitsplatz. Ich fahre sie hin, sie können wählen." Er meinte es tatsächlich ernst. Ich hasste ihn, schrie ihn an, er verstehe überhaupt nichts. Er schaute mich nur mit leeren, traurigen Augen an, als müsste er zum Entzug. "Wir fahren, sagte er mit ruhiger Stimme." Ich konnte keinen klaren Gedanken zusammenklauben, mein Kopf leerte sich. Meine allerletzte Inspiration ließ er mir noch. Ich fragte gar nicht erst, sondern leerte das kleine Fläschchen in einem Zug. Doch es verfehlte bereits die Wirkung, ich lechzte nach mehr, hasste ihn. Hasste ihn dafür, dass er sich in mein Leben einmischte und bettelte gleichzeitig für einen kleinen Schluck, nur noch einen. Zurück zur Übersichtsseite des Satzfischers Traumzeit von Barbara Siwik, 06242 Braunsbedra (Deutschand) Der Zug hielt! Anna raffte ihr Gepäck zusammen und verließ das Abteil. Der Bahnsteig war hell erleuchtet und fast menschenleer; Antonio war nirgends zu sehen. Er wartete auch nicht in der Bahnhofshalle. Aber am Ausgang stand ein Gondoliere, der sie aufmerksam fixierte. Als Anna an ihm vorübergehen wollte, fragte er vorsichtig: Signorina Anna, Germany? Anna nickte erstaunt und schickte dem Nicken ein hastiges si hinterher. Antonio schickt Schlüssel für apartment, he comes later, sagte der Gondoliere im üblichen Touristenkauderwelsch, tippte leicht an seinen Strohhut und entfernte sich eilig. Anna griff nach den Bügeln der Reisetasche und stieg die Stufen zum Vorplatz hinunter: Golden waberten die Reflexe der Lichter über die schwarzen Wasser des Canal Grande. Sie kannte den Weg zu San Rocco: wenn man die Brücke über den Canal passiert hatte, geradeaus, dann rechts und wieder links über ein Brückchen, durch ein Gässchen ... Niemand außer Anna schien unterwegs zu sein. Sie ärgerte sich über den lauten Klang ihrer Schritte auf dem Pflaster der Gasse. Wie ein steinerner Vorhang schob sich die imposante Masse der Frari-Kirche in ihr Blickfeld... Eine Bewegung lenkte Annas Aufmerksamkeit von der dunklen Silhouette der Kirche ab. Neben dem schmiedeeisernen Tor konnte sie, wenn sie die Augen anstrengte, den dunklen Umriss eines Menschen erkennen, der dort an die Wand gelehnt saß oder sich schlafend zusammengerollt hate. Sie hielt den Atem an und wagte keinen weiteren Schritt, allein mit diesem Schatten, der sich aufrichtete und auf sie zuzuschweben schien. Das Gesicht des Fremden war in der Dunkelheit nicht zu erkennen. Anna wollte zurückweichen aber eine unbekannte Macht hinderte sie an der Flucht. Der Fremde legte ihr die Hand auf die Schulter und sagte eindringlich: Das ist das Ende! Endlich gelang es ihr zu schreien ... Schlagartig wurde es hell um Anna! Der italienische Schaffner rüttelte noch immer sanft an ihrer Schulter und sprach auf sie ein: Capolinea, Signorina, last stop, Endstation! Anna verließ als Letzte den Zug. Der Bahnsteig war hell erleuchtet aber fast menschenleer; Antonio war nirgends zu sehen. Er wartete auch nicht in der Bahnhofshalle. Aber am Ausgang stand ein Gondoliere, der sie aufmerksam fixierte. Als Anna an ihm vorübergehen wollte, fragte er vorsichtig: Signorina Anna, Germany? ... Zurück zur Übersichtsseite des Satzfischers Hinweis: Für die Rechtschreibung und Zeichensetzung sind die Autoren selbst verantwortlich. Die Urheberrechte liegen beim jeweiligen Autor. |