Satzfischer - Das literarische Kreativprojekt des Literatur-Cafés in Zusammenarbeit mit dem S. Fischer Verlag
Hier lesen Sie die besten Beiträge der achten Runde (September '02 - Oktober '02), die unseren Autorinnen und Autoren zu einem Satz von Milan Kundera eingefallen sind. Der Satz stammt aus dem Roman »Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins«. Fischer Taschenbuch 5992. ISBN 3-596-25992-4. 9,90 EUR: Cover: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Wollen Sie sich nicht etwas stärken vor dieser schweren Arbeit?

Die Hilfe
von Paula Heinfling, 22147 Hamburg (Deutschland)

Es herrschte ein furchtbares Unwetter.
Unruhig stand sie am Fenster und schaute in die Dunkelheit. Eigentlich müßte er längst zurück sein.
Da – jetzt sah sie die Lichter eines Autos, das in den Parkweg einbog. Im grellen Schein eines herabzuckenden Blitzes erkannt sie seinen Wagen.
Angst überkam sie.
Wieder zuckte ein Blitz herab, schlug in eine alte Pappel am Wegrand. Wie ein Strohhalm knickte der Baum um und stürzte krachend auf das herannahende Auto.
Die Scheinwerfer erloschen.
Panik ergriff sie, was sollte sie tun? Hilfe, sie mußte ihm helfen.
Doch erst einmal ging sie an die Hausbar und nahm einen doppelten Scotch zur Stärkung vor dieser schweren Arbeit.

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Das Sahnehäubchen auf der Torte
von Liese Bast, 59872 Meschede (Deutschland)

"Bitte, so tun Sie mir doch den Gefallen. Ich habe so selten Gäste. Sie müssen sich doch stärken, bevor Sie Ihren Auftrag erfüllen."
Er sah zweifelnd zu der Alten und dann auf das Stück Sahnetorte, das sie ihm auf einem Goldrandteller reichte. Den Umschlag mit seiner Anzahlung hielt sie direkt unter dem Teller fest. Er hatte gar keine Wahl. Er musste danach greifen. Er hatte schon viel erlebt, aber als Gast war er noch nie bezeichnet worden. Widerwillig griff er nach Teller samt Sahnetorte und seinem Honorar.
"Also gut, ich probiere mal eben." Sein Auftrag würde ihm nicht weglaufen. Die Anzahlung war ihm schon mal sicher.
"So ist es recht." Entzückt starrte die Alte ihn an, während er sich einen großen Bissen in den Mund stopfte und mit einem Schluck dampfenden Kaffee runterspülte, den sie schon für ihn parat hielt.
"Schmeckt gut, nicht wahr? Habe ich mit viel Liebe gebacken. Extra für Sie und für meine Schwester. Sie hat heute Mittag auch ein Stück gegessen. Sie liegt in der Küche. Es hat ziemlich lange gedauert, obwohl ich die Dosis extrem hoch angesetzt hatte. Ich kenne mich ja auch nicht so aus mit diesen Dingen. Im Gegensatz zu Ihnen, nehme ich an. Sie können ruhig auf den Teppich spucken. Das nützt Ihnen nichts mehr. Rattengift. Hatte ich bei meiner Schwester in der Garage gefunden. Wer weiß, wozu sie es noch benutzen wollte." Mühsam bückte sie sich und riss ihm den Umschlag mit dem Geld wieder weg.
"Das brauche ich jetzt selber. Ich habe nämlich eine schöne Reise gebucht. Ihr Honorar für diese Angelegenheit kann ich mir ja jetzt sparen. Ach, ist das eine Genugtuung, dass ich mich nach all den Jahren an den Mord an meinen geliebten Mann rächen kann. Was hat sie Ihnen eigentlich damals bezahlt? Auch 5.000? Oder gar weniger? Enttäuschen Sie mich nicht. Ein Jammer, dass ich Ihnen und meiner Schwester nicht eher auf die Schliche gekommen bin. Machen Sie bitte nicht so einen Lärm, man wird Sie hier draußen sowieso nicht hören. Hier kommt fast nie jemand vorbei. Das Telefon funktioniert auch nicht. Also, keine falschen Hoffnungen. Wer weiß, wann man Sie beide finden wird. Also, es war mir ein besonderes Vergnügen. Sterben Sie wohl."

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Alles inklusive
von Marlene Geselle, 72513 Hettingen (Deutschland)

An der Haustür klingelte es dreimal kurz und energisch. Sandra horchte auf, warf noch einen schnellen, abcheckenden Blick durchs Zimmer; nickte kurz. Unter dem Heizkörper stand der Plastikeimer. Melodisch-monotones Tröpfeln erzählte von einer undichten Schweißnaht an den Rippen.
Der Mann im Rahmen strahlte über das ganze Gesicht, wischte noch schnell mit den Fingern über die Beine seines Blaumanns, fasste die alte Werkzeugtasche fester. „Klassefrau“, schoss es ihm durch den Kopf. Ließ sie ein paar Schritte vorgehen, ehe er ihr folgte. Kurze, brünette Strubbelfrisur, milchfeine Haut; eine schlanke Figur zeichnete sich unter dem Hausmantel ab.
„Wollen Sie sich nicht etwas stärken vor dieser schweren Arbeit?“
Die Champagnerflasche öffnete sich wie von selbst. Nur ein leises, verhaltenes Ploppen. Schaum quoll aus dem Flaschenhals, ergoss sich in die Designergläser auf dem Beistelltisch.
Mit der Linken reichte sie ihrem Besucher die Erfrischung, während ihre Rechte langsam nach den Knöpfen seiner Klempnermontur tasteten. Angenehme Wärme durchströmte ihn, ließ ihn alles andere vergessen ...
„Du bist einfach wunderbar, Sandra“, strahlte er sie an. Seine Hände griffen nach dem vorgewärmten Abtrockentuch. Hatte während der ganzen Zeit auf den Sprossen der Badezimmerheizung gehangen; für ihn. Wohlige Wärme zum Genießen, direkt nach der erfrischenden Dusche.
„Hast du in der kommenden Woche noch einen Termin für mich frei?“, erkundigte er sich. Zog sich dabei fertig an, pfiff ein kleines Lied dabei. „Gleicher Tag? Gleiche Zeit?“ Sandra war einverstanden. Brachte ihren Besucher noch zum Ausgang, achtete darauf, dass nichts vergessen wurde.
Drinnen, im Schlafzimmer, wanderte der Umschlag mit den Scheinen ungeöffnet in die Kommode. Nachzählen nicht nötig, auf Berti war verlass. „Wenn wir die Handwerker nicht hätten ...“, seufzte Sandra noch; guckte auf die Uhr. Mit der Linken zerzauste sie ihre Frisur. Die Rechte verfrachtete den Plastikeimer in die Besenkammer, wischte den Heizkörper mit einem Mikrofasertuch trocken. Gleich war Tommy dran – zum Haare schneiden.

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Mittagspause
von Vero, 85416 Langenbach (Deutschland)

Er kam in der Mittagspause zu ihr.
„Würden Sie mit mir zum Essen gehen? Ein bißchen anfreunden...was meinen Sie? Nein? ... Kommen Sie schon. Wollen Sie sich nicht ein bisschen stärken davor, vor ... äh, dieser Arbeit?"
Sie hörte sich alles ruhig an, aber innerlich erstarrte sie; ihre Augen waren auf einen fiktiven Punkt am Boden gerichtet.
Und wie sie wollte. Ihr war alles recht, um das unvermeidlich Folgende ein wenig hinauszuzögern. Aber irgendetwas – vielleicht das süffisante Grinsen, dass er dabei zog – hielt sie davon ab, ja zu sagen.
Nie würde sie zugeben, etwas zu brauchen. Von einem wie ihm. Nie würde sie Schwäche zeigen.
Diesen Gefallen werde ich ihnen sicherlich nicht tun.
Besonders, weil er geradezu darauf wartete.
Das alles schoss ihr innerhalb einer halben Minute durch den Kopf, bevor sie zu ihm aufsah und schließlich entschlossen den Kopf schüttelte. Sie wusste, welche Meinung er über solche Menschen wie sie hatte. Sie wusste auch, was er für sie empfand. Nichts. Diese Frage gehörte zu einer Reihe von Fragen, die dazu dienten, ihr klar zu machen, wer sie war und wer er dazu im Gegensatz war.
Endlich: Da, das vereinbarte Signal. Er nickte ihr mit einer etwas groben Kopfbewegung zu und langsam begann sie damit seine Hose aufzuknöpfen.

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Sein Bruder
von Sylvia Reim, 2483 Ebreichsdorf (Österreich)

In ihrem Garten stand mit Sicherheit der weltbestaussehendste Fliesenleger. "Wie aus dem Bilderbuch für erwachsene Mädchen", dachte Anne. Irgendwie erinnerte er sie an Tom Cruise. Nur etwas größer und die Haare länger, dafür etwas heller. Okay, er sah nicht aus wie Tom Cruise. "Auch egal", dachte sie "er sieht jedenfalls gut aus." Anne zog ihre Stirn kraus und überlegte angestrengt, wie sie es schaffen könnte Mister Fliesenleger von dort draußen nach da drinnen zu bekommen.
"Wollen sie sich nicht etwas stärken vor dieser schweren Arbeit?" rief sie durch das gekippte Fenster in den Garten. Er unterbrach seine Arbeit und drehte sich in ihre Richtung. Rasch schob Anne den Vorhang zur Seite und zeigte sich. "Mist", entfuhr es ihr. Erst jetzt fiel ihr ein, dass sie ja noch ihren labberigen, verwaschenen Pyjama an hatte. "Sehr verlockend. Miss Supersexy lädt ein!"
Sie zog noch schnell ihr Haarband vom Kopf und fuhr sich durch die Locken, als die Tür bereits geöffnet wurde.
"Zu einem guten Kaffee sag ich bestimmt nicht nein". Seine Stimme verursachte bei ihr in sekundenschnelle einen leicht nervösen Magen.
"Schön heute", hörte sie sich sagen. So viel zum Thema witzig und sprühend. Ihre alte Tante Rosi hätte das Gespräch sicher mit mehr Esprit begonnen. "Kaffee mit Milch und Zucker?"
"Milch nehm ich gern, aber keinen Zucker".
Wenn das so weiterging, würden sie frühestens in einer Woche bei dem Thema angelangt sein, das sie in Wahrheit brennend interessierte. "Sind sie verheiratet?" fragte sie.
Er sah sie an, leicht erstaunt und belustigt. "Ich mag Frauen die direkt sind", sagte er, " nein, ich bin nicht verheiratet!"
Gut. Somit hatte sie immerhin eine gute Woche Smalltalk gespart. Von draußen hörte sie plötzlich das Geräusch von auf Kies bremsenden Reifen. Anne warf einen Blick durchs Fenster. Sie konnte die Konkuren eines Mannes erkennen, der eben aus dem Auto stieg.
"Er ist schwul, der weltbestaussehendste Fliesenleger ist schwul", durchfuhr es sie. Leise stöhnend stand sie auf um zu öffnen, als es an der Türe klopfte. Der Mann der da vor ihr stand, sah sogar noch besser aus, als durch den Gardinenweichzeichner. Definitiv schwul, dachte sie.
"Hallo. Ist mein Bruder schon hier?"
Definitiv nicht schwul! Sein Bruder! Fröhlich zog sie die Tür ganz auf, um ihn hereinzulassen. "Zum zukünftigen Schwager sollte man höflich sein", dachte sie und lächelte ihren weltbestaussehendsten Fliesenleger an!

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