| Hier lesen Sie die besten Beiträge der vierten Runde (März '02 - April '02), die unseren Autorinnen und Autoren zu einem Satz von J. M. Coetzee eingefallen sind. Der Satz stammt aus dem Roman »Warten auf die Barbaren«. Aus dem Englischen von Reinhild Böhnke. S. Fischer Verlag. ISBN 3-10-010814-0. 19,90 EUR: |  | Neben dem Tor kann ich, wenn ich die Augen anstrenge, den dunklen Umriss eines Menschen erkennen, der dort an die Wand gelehnt sitzt oder sich schlafend zusammengerollt hat. Zu einem guten Mord gehören zwei... von Michael Köhn, 29456 Hitzacker (Deutschand) Stumm, mit gebeugtem Kopf saß er auf der Holzbank. Die Arme hatten sie ihm auf den Rücken geschlossen, das langsame Absterben der Nerven schmerzte, brachte zur seelischen die körperliche Qual, aber sagen wollte er nichts, wollte sich neuerliche Demütigung ersparen, sah nur hoffnungsvoll zur mächtigen Saaltür, vor der er wartete. Auch das Drücken am Hintern nahm er hin. Nicht dran denken! -er konzentrierte sich auf die beiden Justizschließer, die ihn hier im Kammergericht Moabit bewachten, die wie er auf die Tür starrten, kaum einen Blickkontakt mit ihm wagten, ihn nur scheu von der Seite musterten, wenn sie dachten, er könnte es nicht bemerken. Die werden noch keinen Killer gesehen haben, schmeichelte er sich ein wenig, fiel aber aus ironischem Amüsement gleich zurück ins trostlose Dahindämmern. Ob Gefühle irgendwann genauso abstarben wie die Nerven seiner Gliedmaßen? Er neigte seinen Kopf zur Seite, renkte seinen müden Hals und blickte, die innere Leere fliehend, auf die Holzbank neben sich: Ein mit blauem Kugelschreiber geritztes Herz, ein Pfeil, der es in zwei ungleichmäßige Teile spaltete.... Wer wohl hier vor ihm schon alles gesessen hatte, wer wohl dieses kummervoll durchtrennte Herz gefertigt hatte? Dann überlegte er, daß solch ein Herz, selbst ein mit blauem Kugelschreiber gemaltes, auch Trost bringen konnte, Erinnerung an jemanden, den man liebte... Er hatte niemanden mehr, der ihn liebte! Er wartete hier im Kammergericht Berlin Moabit auf den Haftrichter. Wartete nun schon seit fünf Stunden auf den Mann, der ihn beschuldigen würde, seine Mutter getötet zu haben! Er starrte wieder auf die Wärter, sah jetzt, aus der Starre erwacht, wieder ihre Verachtung, die sie aus den Augenwinkeln auf ihn niederwarfen, und fühlte in sich etwas, das Schuld hätte sein können. Doch so richtig hatte er sich nie schuldig gefühlt, und er hatte doch schon eine ganz schöne Latte an... Schuldsein? vorzuweisen. Sein Blick driftete weg von der Saaltür, hin wieder auf die Holzbank, in der neben dem Herz mit roter Schreibfarbe ein "in Liebe, Paul" geritzt stand! Glücklicher Paul! Herz und Liebe, das beides zusammen, hatte er noch nie so zusammenhängend empfunden! Nicht für einen anderen, nicht von einem anderen. Seine Mutter hatte ihn vielleicht geliebt; wenn, mußte er noch ganz klein gewesen sein. Seine Schwester Sigrid hatte ihm zwar später jedesmal, wenn er irgendwie Mist gebaut , ja Sigrid hatte ihm dann gesagt, daß die Mutter ihn lieben würde - trotzdem... Zurück zur Übersichtsseite des Satzfischers Rache von Gitta Kohlmann, 27442 Gnarrenburg (Deutschand) Neben dem Tor kann ich, wenn ich die Augen anstrenge, den dunklen Umriss eines Menschen erkennen, der dort an die Wand gelehnt sitzt oder sich schlafend zusammengerollt hat.
Ich gehe auf ihn zu und denke dabei an die Vergangenheit, reise 11 Jahre zurück: Ich erinnere mich an das Büro, den Schreibtisch, den konservativen Anzug, das Einstellungsgespräch. Große Firma, große Namen, große Pläne, große Versprechungen. Noch heute höre ich seine Stimme: "Sie können es bis ganz nach oben schaffen!". Natürlich schmeichelte mir das. Wer will nicht gern ein Stück vom großen Kuchen naschen?
Dann eine Zeit der Entwicklung, Lernprozesse, zuerst gute Erfahrungen, dann bittere Erkenntnisse. Der erste Nervenzusammenbruch. Einige Zeit später meine Kündigung – viel zu spät merkte ich erst, dass ich nur ausgenutzt wurde. Kein Geld, kein Rückhalt. Und trotzdem glaubte ich immer noch an das Gute im Menschen, zumindest manchmal.
Nur an mich selbst konnte ich nicht mehr glauben, und das brachte mir einmal fast selbst den Tod. Freiwillig wollte ich aus dem Leben scheiden. Und dabei hätte ich nicht mich, sondern ihn hassen sollen. Schon damals.
Aber irgendwie wußte ich auch, dass er seine gerechte Strafe erhalten wird. Irgendwann. Irgendwie. Durch irgendwen. Und ich hatte recht: Er verstrickte sich selbst so sehr in seine dubiosen Machenschaften, dass es ihm das Genick brach. Zumindest finanziell gesehen. Als ich davon erfuhr, konnte ich aufatmen. Ich hatte es nicht nach oben geschafft, aber was macht das schon: Ich bin sauber geblieben.
Sauber ist der Mensch vor mir nicht. Und er riecht unangenehm. Aber das nehme ich in Kauf.
Er schläft. Und ich wiederhole wie jede Woche, wenn ich zum Einkaufen gehe, mein Ritual und spende ihm ein wenig von meinem Kleingeld. Für die nächste Flasche. Irgendwann wird er sich hoffentlich zu Tode trinken. Zurück zur Übersichtsseite des Satzfischers Buenas Tardes Amigo von Bluesy, 33775 Versmold (Deutschand) Hola, mein lieber Freund. Du kennst mich noch? Siehst du dort das Tor im Staub? Neben dem Tor kannst du, wenn du dich anstrengst, den dunklen Umriss eines Menschen erkennen. Er sitzt dort an die Wand gelehnt oder hat sich vielleicht schlafend zusammengerollt. Du siehst ihn nicht? Es ist meine Mama. Jetzt schaut sie her. Ja, genau hierhin. Dienstag ist der fünfte Mai, weißt du! Am fünften Mai hast du meinen Bruder erschossen. Du erinnerst dich? Dreimal in den Rücken! Seither suche ich dich im ganzen Land. Ich gehe zu den Fiestas und warte auf dich. Zu den Fiestas bist du immer gerne gegangen. Ich soll dich von Mama grüßen, sie hat mich geschickt. Hörst du die Glocke im Wind? Sie ruft mich. Von diesem Hühnchen sollte ich dir geben. Schmeckt es? Es war gespickt mit Gift. Die Leute wollten es nicht glauben, als sie meinen Bruder sahen. Ich habe ihnen gesagt, dass du es warst, das war dein Pech. Ich solle dich finden, sagten sie, und jetzt bin ich hier. Ich war so stolz, weißt du. Mama ist jetzt immer bei mir. Sie lässt mich nie mehr allein, und manchmal tröste ich sie Nachts, wenn sie schreit. Sie schreit viel, und am Tag ruft sie mich wie jetzt. Hörst du? Kannst du sie jetzt sehen? Du musst dich anstrengen! Du siehst meinem kleinen Bruder sehr ähnlich. Er war Mamas Liebling. Er verstand sich gut mit den Ladies. Sie mochten ihn. Die Leute haben mich sofort auf die Suche geschickt nach dir. Mama musste ich versprechen, dass ich dir von dem Hühnchen gebe. Spürst du es schon? Du schaust so komisch! Das tut weh, nicht? Hörst du? Es wird still! Mama wartet. Du musst dich jetzt ein wenig beeilen, sie ist schon alt und etwas ungeduldig. Ich werde später nach Hause reiten und ihr alles erzählen, und sie wird mich umarmen. Was für ein schöner Tag heute. Wusstest du, dass ich es war, der ihn umgebracht hat? Nein? Mein Gott, wie ich ihn gehasst habe! Dienstag ist der fünfte Mai, da ist es ein Jahr her. Jetzt werdet ihr mich nicht mehr auslachen, du und dein kleiner Bruder. Siehst du den Schatten, der um das Tor gewandert ist? Niemand sitzt jetzt mehr im Tor. Mama ist sicher schon zu Hause und wartet auf mich. Zurück zur Übersichtsseite des Satzfischers Regie-Einfall von Wolfgang Metzger, 50858 Köln (Deutschand) mi re fa - do sol . . Probiers einfach nochmal, schlug Ralf Sieger seiner neuen Elevin vor. Eleonora war dem Schlager-Guru auf der Party anlässlich der Echo-Musikpreis-Verleihung in die Arme gelaufen. Ihre Freundin Kriemhild, Repräsentantin der deutschen Busen & Bohlen Schmonzette "Executiv" hatte sie eingeschleußt. -Ich möchte den Sieger-Titel singen, sagte Eleonora offensiv. -Bitte, sagte Ralf. – Wenn Du Dirs zutraust. Warum nicht. -Ein bisschen Frieden, ein bisschen Sonne . . -. . ein bisschen Liebe, das wünsch ich mir . . -Was war das?! sagte Eleonora konsterniert. – Eine Männerstimme. . ! Draußn auf dr Gossn . .!! Ich seh mal nach, sagte Ralf Sieger und ging zum Fenster. Dann sagte er: " Neben dem Tor kann ich, wenn ich die Augen anstrenge, den dunklen Umriss eines Menschen erkennen . . -Was redest denn da für ein Zeug, sagte Eleonora und wollte sich vergewissern. -I glabs ned!! Bist Dus Hiero?! Hieronymus Luser, der Barbier von Salzburg (waschen , legen und manchmal einseifen) war angereist. Ralf Sieger schloss Fenster und Vorhänge. -Was will der denn noch von dir? Ich denk Du hast Schluss gemacht. -Ja schon, sagte Eleonora kleinlaut. Ralf ging zu einem Schrank. -Ich spiel Dir mal das Video von damals vor, sagte er stolz. Als er gerade die Kassette ins Maul des Rekorders schieben will, stellt ER sich in die Tür, das Lied "Cherry, Cherry Lady vor sich hinsummend. -Ich glaub das ist von Modern Talkum, sagt Eleonora genauso schlagfertig wie sachkundig. -Raus!! schreit Ralf. – Wie bist Du überhaupt hier reingekommen??!! (The basement window was open). Hiero (meine Frau hat einen Besseren verdient) ignoriert Ralfs Ausbruch und bleibt einfach stehen. Ralf Sieger sieht, dass er sich was einfallen lassen muss. -Auf der Kommode dort liegen Autoschlüssel, sagt Ralf. – Bedien Dich. Hieronymus Luser geht wie geheißen zur Kommode, nimmt die Schlüssel, lässt außerdem eine Packung Davidoff-Zigarillos mitgehen und eine offene Schachtel mit blauen Pillen, die daneben liegt. – Der Wagen steht vor dem Haus.
-Hat Dein Mann Punkte in Flensburg will Ralf Sieger in einer der zahlreichen Pausen wissen. -Ösis haben keine Punkte in Flensburg, sagt Eleonora cool.
Ralf Sieger ist beruhigt. Schließlich hat der Jaguar Vollkasko und die S-Klasse von Daimler nebst dem silbergrauen Rolls Royce stehen ja auch noch in der Garage. Zurück zur Übersichtsseite des Satzfischers Zusammengerollt von Friedrich_N, 3186 Düdingen (Schweiz) Klein, dasitzend auf nassem Asphalt, sich wogend hin- über gleiten lassen. Die andere Seite der Welt. Schlafend da sein. Problem- los (weniger) wegsinken macht vergesslich. Alltag meisselt sich in die Wand - Die Stütze - Der Morgen als Wiederbeginn? Selten... Bettler legen sich zu jeder Zeit schlafen. Zurück zur Übersichtsseite des Satzfischers Hinweis: Für die Rechtschreibung und Zeichensetzung sind die Autoren selbst verantwortlich. Die Urheberrechte liegen beim jeweiligen Autor. |