Satzfischer - Das literarische Kreativprojekt des Literatur-Cafés in Zusammenarbeit mit dem S. Fischer Verlag
Hier lesen Sie die besten Beiträge der dritten Runde (Feb '02 - März '02), die unseren Autorinnen und Autoren zu einem Satz von Andrea Paluch und Robert Habeck eingefallen sind. Der Satz stammt aus dem Roman »Hauke Haiens Tod«. S. Fischer Verlag. ISBN 3-10-059010-4. 18,90 EUR: Cover: Hauke Haiens Tod

»Kann ich es mit auf das Zimmer nehmen?«

Kann ich es mit auf mein Zimmer nehmen
von Rosel Warnstedt , 39524 Sandau (Deutschand)

ein sehr schöner frühlingstag lockte mich ins freie. im park war schon ein reges treiben. spaziergänger, wie ich, junge leute liefen flott über die noch nicht trockenen wege. auf dem kleinen spielplatz wetteiferten ein paar kinder um den höchsten platz am klettergerüst. sie rieben sich die hände, denn das eisen war noch recht kalt. wie um die stimmung des nahenden frühlings abzurunden, flitzten einige amseln, futter suchend durch das raschelnde laub. hier und da lugte ein märzenbecher, ein krokus aus dem spärlichen grün. am rande des parkes fiel mir eine frau auf, die auf einer bank saßund dabei ein kind beobachtete. als ich sie ansah bemerkte ich, dass sie weinte-traurig war. "kann ich ihnen helfen"fragte ich?. sie schaute mich an und schüttelte den kopf. das kind hatte unser gespräch bemerktund kam näher. sie schmikte sich an ihre mutter, "du mußt doch noch nicht ins krankenhaus", versuchte sie zu trösten. nun wurde ich hellhörig und unser gespräch ergab, das die frau unbedingt behandelt werden mußte, aber nicht wußte, was mit der kleinen geschehen, wem sie sie anvertrauen sollte. "wenn es ihnen recht ist" erklärte ich, "nehme ich sie mit in mein zimmer bis alles in ordnung ist, evtl. sogar biss sie von der behandlung zurück sind." nach längerer überlegung stimmte sie meinen vorschlag zu und wir gingen gemeinsam in mein zimmer.

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Fundsache
von Sylvia Smuda, 71083 Herrenberg (Deutschand)

Nordzypern. Kurze Geschäftsreise nach Nikosia.
Mir bleibt ein halber Tag vor dem Rückflug. Bloß raus aus dem sterilen Hotel, das sich in nichts von den anderen auf der Welt unterscheidet.
Mit einem Mietauto fahre ich nach Lefke, in den hintersten Zipfel der Insel. Ich halte vor der Markthalle, trinke in einem Straßencafé zuckersüßen Kaffee und beobachte die Menschen.
Sie sind zu beneiden. Keine Computer, Laptops, Börsennachrichten, Meetings.
Könnte ich doch nur alles hinter mir lassen und ein paar Tage hier bleiben.
Aber ich muss zurück. Schon morgen erwartet mein Chef den Bericht.
Rückfahrt gegen Abend, kilometerlang durch einsame Landschaften. Die Erde ist ausgetrocknet, die Bäume dürr. Die Sonne steht schon schräg.
Plötzlich liegt ein schwarzes Etwas auf der Straße.
Vollbremsung in letzter Minute.
Ein schwarzer Winzling.
Vorsichtig umfahre ich ihn, kurble das Fenster hinunter, schaue den Welpen an.
Er jault kläglich, läuft auf das Auto zu, scheint unverletzt.
Ich gebe Gas, fahre weiter.
Im Rückspiegel sehe ich, wie er auf der Mitte der Straße liegen bleibt.
Meine Gedanken überschlagen sich. Das nächste Auto wird ihn überfahren.
Kein Mensch weit und breit.
Wie kommt er hier in diese Einöde?
Noch lebt er. Lasse ich ihn liegen, wird er sterben.

Ich muss verrückt geworden sein.
Das Bündel liegt im Fußbereich des Beifahrerraums, als ob es dort hingehört.
Würde es wenigstens toben, könnte ich es im nächsten Ort hinauswerfen.
Kindheitserinnerungen. Blitzlichtaufnahmen während ich weiterfahre.
Wieder und wieder der gleiche Weihnachtswunsch: ein Hund.
"Du bist ein Leben lang verantwortlich für das, was du dir vertraut gemacht hast."
Ich kaufe eine Reisetasche, ein leichtes Beruhigungsmittel für Tiere, Hundefutter.
Der Portier im Hotel schaut mich verschlafen an.
"Kann ich es mit auf das Zimmer nehmen?" frage ich und deute auf das Bündel.
Sein Blick sagt mir, dass er mich für verrückt erklärt. Vielleicht bin ich es, auf eine bestimmte Art, aber ich fühle mich wahnsinnig glücklich dabei.

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Kann ich es mit auf das Zimmer nehmen?
von Sabine Schlöglhofer, 1210 Wien (Österreich)

"Kann ich es mit auf das Zimmer nehmen?" Die leise Stimme brach die Stille des Momentes. Sie blickte von ihrem Buch auf, das sie gerade aufmerksam studierte. "Du hast es doch gefunden, oder?" Ihre Stimme klang ein klein wenig genervt. "Ja schon, aber..." Der kleine Junge druckste einen Augenblick herum. "Eigentlich gehört es ja dir, hier, nimm es." Er hielt ihr den länglichen Gegenstand hin. Doch sie schob ihn ihm mit einer abweisenden Bewegung wieder zu. "Nein, nimm du ihn an dich. Bei dir ist es sicherer aufgehoben." Dennis hob den Gegenstand an, bis dieser genau vor seinen Augen pendelte. Aufmerksam betrachtete er die merkwürdig, sich scheinbar unter seinen Augen windenden, längliche Form des Anhängers und die seltsamen verschnörkelten Zeichen, die in seinen Augen unleserlich waren. "Meinst du nicht wir sollten es jemanden von diesen komischen...wie hießen sie doch gleich.. ja...von diesen komischen Männern zeigen?" Schweigen. "Was meinst du?" Tanja schlug mit einer hastigen Bewegung ihr Buch zu und schaute Dennis sichtlich gestresst an. "Wenn du jemanden auf den Nerv gehen willst dann tu es gefälligst auch bei jemanden anderen. Glaubst du auch nur einer deiner "komischen Männer" würde sich für diesen Schrott, den du übrigens von der Straße aufgehoben hast, interessieren?" "Aber du bist meine Schwester.", entgegnete Dennis patzig. "Und Mama und Papa sind nicht daheim. Also ist es deine Pflicht mir zu helfen." Tanja seufzte resigniert. Irgendwie muss ich ihm weismachen, dass es sich bei dem Ding bloß um einen ganz gewöhnlichen Kettenanhänger handelt, dachte sie. "Was meinst du?", fragte sie schließlich. "Gehen wir morgen Vormittag zu dem Schmuckgeschäft am Spitz. Dort kaufen wir dir dann eine vergoldete Halskette ohne Anhänger, dann kannst du diesen immer bei dir tragen." Dennis musterte Tanja argwöhnisch. Woher dieser plötzliche Stimmungswechsel. Doch letztendlich nickte er, wenn auch recht widerwillig. Ein triumphierendes Lächeln umspielte ihre Lippen. "Aber nur-" Tanja sah gespannt auf, "aber nur wenn wir danach zu diesen komischen Männern gehen.", beendete Dennis den Satz.

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Zwei
von Francis R. Gallagher, 14057 Berlin (Deutschand)

"Kann ich es mit auf das Zimmer nehmen?"
"Bin ich etwa der Portier?"
"Nein."
"Was aber?"
"Nun, ehrlich gesagt, ich weiß, daß Sie nicht der Portier sind."
"Das überrascht mich doch etwas."
"Ich kann das ja nun wirklich nicht einfach so mit hoch nehmen. Und Sie sind nun einmal hier."
"Das haben Sie sich toll ausgedacht."
"Ich wollte auch nicht vorbeigehen ohne ein Wort."
"Wie wäre es mit Guten Abend?"
"Das klingt äußerst langweilig."
"Sie sind langweilig."
"Warum beleidigen Sie mich?"
"Das ist wieder typisch. Darf ich nicht ehrlich sein?"
"Sie verletzen meine Gefühle. Ich habe doch nur höflich gefragt."
"Genau, das macht Sie nicht gerade aufregend."
"Hmm."
"Sie kommen herein, sehen mich groß an. Dann schnappen Sie sich dieses Teil und fragen mich, ob Sie es mitnehmen dürfen. Das spricht nicht gerade von Originalität."
"Hätte ich herein stürmen, das Ding schnappen und nach oben verschwinden sollen?"
"Warum nicht? Mir ist es doch egal, ob Sie es mit aufs Zimmer nehmen."
"Genau daran krankt die Welt. Niemand interessiert sich mehr für den anderen. Wir wohnen doch schon ein Weilchen in dieser Pension und niemals haben wir auch nur ein Wort gewechselt."
"Gegrüßt haben wir uns schon."
"Das können Sie doch wirklich nicht zählen. Menschliche Kommunikation sollte darüber hinausgehen. Interessiert Sie nicht, wer ich bin?"
"Lassen Sie mich kurz überlegen. Nein."
"Warum nicht?"
"Habe ich schon gesagt, Sie sind langweilig. Sie kaufen sich jeden zweiten Tag ein Baguettebrot."
"Sie spionieren mir nach?"
"Nein. Warum sollte ich es tun."
"Sie sind gemein."
"Wie schon gesagt, ich bin ehrlich."
"Jetzt weiß ich Bescheid. Im Grunde sind Sie auch nur öde."
"Vielleicht bin ich es. Alle Menschen sind langweilig. Der eine oder andere kann es nur ganz gut kaschieren."
"Finden Sie nicht die ganze Situation für ziemlich abstrus."
"Aber wieso? Ich habe Ihnen eine Frage gestellt und dann haben wir ein bißchen geredet. Ich weiß ja nicht wo Sie herkommen, aber hier machen Leute das so."
"Langsam kommen Sie mir sehr merkwürdig vor. Ich denke nicht, daß wir dieses Gespräch fortsetzen sollten."
"Sehen Sie es als ein Versuch an, mich mit Ihnen bekannt zu machen."
"Das auch noch. Jetzt gehen Sie aber wirklich zu weit. Wie gesagt, ich habe kein Interesse an Ihnen."
"Wohl nicht, aber das sagten Sie schon. Ich wünsche Ihnen ein schönes Leben noch."
"Ich gehe jetzt."
"Ich weiß."

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Das bleibt mir noch
von Naphta, 70435 Stuttgart (Deutschand)

"Egal, das könnt Ihr mir nicht nehmen". Das war mein Mantra. Das war meine Überzeugung. Und meine Hoffnung. Alles andere war urplötzlich jeglicher Bedeutung beraubt worden. Nur dieser Gedanke blieb. Dieser eine Gedanke, der alles in sich einschloss, was mir geblieben war. Was mir bleiben würde. Locked-In-Syndrom. Das Wort, das am häufigsten in meiner Gegenwart gesprochen wurde. Und die Diskussionen darüber, ob ich es - und alles andere - wirklich mitbekommen würde. Eine Diskussion, die über mich und über mir geführt wurde. JA! Ich bekomme es mit. Nur weiß es keiner. Außer mir. Und ich kann es nicht mitteilen. Nicht mit dem Zeh - nicht mit der Augenbraue. Mit nichts. Und nichts bleibt mir in so einem Zustand (Alkohol- und Nikotinabusus als Ursache wird diagnostiziert: aber mir entsprechend durch den Tropf einen Klaren und eine Eckstein darzureichen, dafür ist der Ethos der Herren in weiß nicht gemacht. Nicht gedacht.)
Nichts kann ich benutzen, brauchen oder erwarten. Nichts von meinem Leben zog mit in dieses Heim. Ausser meinem Mantra. Ich lebe - aber nur noch rückwärts. Ich kann nichts mehr erleben - nur noch nachleben. Was ich bis dato nicht erlebt habe, ist für immer vorbei. In ein solches Nichtleben kann man nur das eine mitnehmen ... die Erinnerung. Sie nahm ich mit in meine Bett. In mein Zimmer. Mein Heim. Meinen lebendigen Sarg.
"Egal, das könnt Ihr mir nicht nehmen". Oder doch? Vor was kann einer wie ich Angst haben? Was soll mir passieren? Was soll mir Schlimmes passieren? Was soll mir Schlimmeres passieren? Die Angst ist da - real; begründet. Was ist, wenn ich vergesse? Alzheimer? Amensie? Würde ich es merken? Was soll ich den ganzen Tag machen? So, jetzt; noch; kann ich mit meiner Tochter den Drachen zum hundersten Mal bauen. Aber wenn ich das vergesse? Was dann?
Mein Mantra - wenn ich es vergesse - dann ist es vorbei mit mir. Vergessen - das einzige, was ich vergessen muss, ist diese Angst.

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