Satzfischer - Das literarische Kreativprojekt des Literatur-Cafés in Zusammenarbeit mit dem S. Fischer Verlag
Hier lesen Sie die besten Beiträge der dritten Runde (Feb '02 - März '02), die unseren Autorinnen und Autoren zu einem Satz von Andrea Paluch und Robert Habeck eingefallen sind. Der Satz stammt aus dem Roman »Hauke Haiens Tod«. S. Fischer Verlag. ISBN 3-10-059010-4. 18,90 EUR: Cover: Hauke Haiens Tod

»Kann ich es mit auf das Zimmer nehmen?«

Verlorener Traum
von Martina Heitmann, 23569 Lübeck (Deutschand)

Die Sonne brannte noch immer auf ihrer Haut. Die salzige Luft konnte sie auf ihren Lippen schmecken. Allein schlenderte sie am Strand entlang und ließ die Gischt auf ihren Füßen spielen. Endlich hatte sie die kleine Strandbar erreicht. Wie jeden Abend nahm sie auf dem Barhocker Platz. Das Strohdach wies sich als willkommener Schutz vor der glühenden Sonne. Ihr Tequilla Sunrise wollte ihr heute nicht recht schmecken. Gelangweilt stocherte sie mit dem Strohhalm auf der Apfelsinenscheibe, als sich ein braungebrannter, gutaussehender Mann neben sie setzte. Erschrocken blickte sie ihn an, als er sie aus seinen Gedanken riss:" Entschuldigen Sie bitte, daß ich Sie so einfach anspreche. Ich beobachte Sie nun schon seit drei Tagen. Sie sind ganz allein hier auf der Insel?" "Ja, ganz allein. Und das habe ich mir so ausgesucht", antwortete sie höflich, aber bestimmt. "Verstehe", sagte er verständnisvoll, " dann haben Sie wohl auch Ihre Geschichte, die Sie dazu veranlaßt. Ich kann es auf ihrem Gesicht erkennen". "Die meisten Geschichten bestehen wohl darin, daß die Menschen einer verlorenen Liebe nachtrauern. Meine Geschichte hat aber keinen Namen". "Sondern?", tastete er vorsichtig weiter. "Ein verlorener Traum", erklärte sie kurz. "Und Sie sind sicher, daß er verloren ist?" "Ja, ganz sicher. Ich schreibe, müssen Sie wissen. Ich schreibe und schreibe, seit einem Jahr schon. Aber niemand will es haben. Immer wieder Hoffnung, immer wieder Absagen. Ich bin einfach nicht gut genug. Eigentlich wollte ich mein Manuskript hier überarbeiten. Jetzt habe ich beschlossen, ich lasse es ganz", erzählte sie mit trauriger Stimme. "Sie haben IhrManuskript mit? Wir wohnen doch beide im gleichen Hotel. Ich würde es sehr gern lesen. Kann ich es mit auf mein Zimmer nehmen?" "Wenn Sie unbedingt möchten", lachte sie resigniert auf. Drei Tage sah sie diesen Mann nicht wieder. Doch dann setzte er sich plötzlich neben sie an die kleine Strandbar. " Es ist genial und schon so gut wie gedruckt", sagte er begeistert, "darf ich mich vorstellen? Axel Reimers, Lektor von Beruf".

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Teufelsbrut
von Bettina Eichhorst, 13347 Berlin (Deutschand)

Immer wieder drehte Thomas den unheimlich anmutenden Holzkasten in seinen Händen. Fasziniert schaute der Fünfzehnjährige auf die Hieroglyphen und grässlichen Fratzen, die wie eine unsichtbare Macht nach seiner Seele zu greifen schienen. Leise schlich er die Treppe in sein Zimmer hinauf, als die tiefe Stimme Dr. Eichfelds wie ein Donner durch das Haus hallte.
"Was hast du jetzt schon wieder aus meinem Labor entwendet, mein Sohn?", fragte Dr. Eichfeld und blickte Thomas über seine Brille streng an.
"Nur einen kleinen Kasten. Kann ich ihn mit auf mein Zimmer nehmen? Ich möchte die Gesichter abzeichnen", sagte der zierliche Thomas und rückte verlegen seine Nickelbrille zurecht.
Dr. Eichfeld zögerte. "Meinetwegen. Aber auf keinen Fall darfst du diesen Kasten öffnen", mahnte sein Vater mit erhobenen Zeigefinger.
Thomas rannte in sein Zimmer und stellte den Kasten auf sein Bett. Vorne befand sich ein kleines Rädchen. Wispernde Stimmen drängten ihn, das Rad zu drehen und den Deckel zu öffnen. Wie hypnotisiert tat Thomas was die Stimmen ihn befohlen hatten. Plötzlich wurde er nach hinten geschleudert. Der Deckel sprang auf und ein grauenvolles Lachen schallte durch sein Zimmer. Rauch stieg aus dem Kasten empor und schwebte dicht über dem Teenager. Allmählich wurde eine Fratze sichtbar. Die Augen rot wie Feuer, die Wangenknochen zertrümmert. Ein fürchterlicher Verwesungsgestank raubte Thomas den Atem. Er spürte, wie böse, dunkle Mächte nach seinen Gedanken griffen. Mit aller Kraft stemmte Thomas sich gegen diese grauenvollen Bilder in seinem Kopf. Aber er konnte sich gegen diese Allmacht nicht wehren. Eine unwiderstehliche und geheimnisvolle Macht manifestierte sich in seinem Bewusstsein. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen.
"Thomas!", schrie Dr. Eichfeld.
Mit einem gewaltigen Satz stürzte sich Dr. Eichfeld auf den Kasten, doch Thomas hielt ihm am Arm fest. "Zu spät", donnerte eine tiefe Stimme.
"Teufelsbrut", fauchte Dr. Eichfeld und versuchte sich loszureißen. Doch Thomas verfügte über Bärenkräfte. Der Wissenschaftler flog wie eine Kanonenkugel durch die Wand. Thomas Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. Seine Augen glühten und sein donnerndes Lachen ließ das Haus erzittern. Die Wände wurden eingedrückt, Holz splitterte, Scheiben klirrten. Explosionen erschütterten das Gebäude, das sich schließlich in einem feurig glühenden Ball verwandelte.

Zufrieden betrachtete Thomas das Loch in der Erde. Jetzt kann mich niemand mehr aufhalten.

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Darf ich es mit aufs Zimmer nehmen?
von Birtha Noltmann, 70597 Stuttgart (Deutschand)

Er schlief dicht neben ihr. Seine dunkelblonden Haare schimmerten, wenn sich ein Sonnenstrahl durch den Spalt im Vorhang schlich, und das Morgenlicht zeichnete die Falten der weißen Hotelbettwäsche scharf. Sie drehte sich auf den Rücken und zog das Laken bis knapp unter die Nasenspitze. Ein bisschen frei und ein bisschen erschrocken vor dem eigenen Leichtsinn - ob sich ihre Lieblingstante manchmal ähnlich gefühlt hatte? Mit ihrer achselzuckenden Mir-doch-egal-Philosophie hatte die schon vor über 70 Jahren selten auf eine Erlaubnis gewartet, nicht für die Scheidung und nicht für den zweiten Ehemann, der so viel jünger war als sie. Wer viel fragt, kriegt auch viele Antworten, und damit basta. Ist es klug, sich in einen verheirateten Mann zu verlieben? Gehe ich ein zu großes Risiko ein? Werde ich am Ende enttäuscht? Liebe Tante, ich habe gern von dir gelernt und bin gerade stolz auf mich, denn der fragliche Mann liegt jetzt neben mir. Und wenn ich gestern aus alter Gewohnheit das Fragen schon nicht lassen konnte, bin ich doch zuletzt mit der Formulierung schon ein gutes Stück vorangekommen. Darf ich mein Glück mit aufs Zimmer nehmen? Sie grinste zufrieden. Wer kann dazu schon nein sagen.

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Das Heft
von Thomas Matterne, 91522 Ansbach (Deutschand)

Es gab eine Frage die Peter ganz bestimmt nicht stellen würde: "Darf ich dass mit hoch nehmen?" Ja, klar, da hätte er auch gleich fragen können, darf ich masturbieren. Eine Frage die man so gut wie niemanden stellen würde, schon gar nicht der eigenen Mutter. Aber die Verlockung lag vor ihm, aufgeschlagen und demonstrativ auf einer besonders nackten Seite. Wie hieß die Zeitschrift eigentlich, Konfekt oder Montag? Eigentlich auch egal, Hauptsache es wimmelte in ihr nur so von nackten Frauen. Und wenn die aufgeschlagene Seite nur halb soviel hielt wie sie versprach, es würde sich sicher für ihn lohnen. Wer hatte die eigentlich gekauft? Er selbst natürlich nicht, er wurde ja schon rot wenn er die Bravo kaufen wollte. War bestimmt sein Vater gewesen, der kaufte doch immer solche Hefte, allerdings nur wenn er unter der Woche nicht zu Hause war und in der kleinen Pension bei seiner Firma wohnte. Aber hatte er schon mal eins für zu Hause gekauft? Peter wusste es nicht. Es interessierte ihn auch nicht weiter. Er überlegte lieber wie er das ganze Heft möglichst schnell mit hoch auf sein Zimmer bringen sollte. Am besten stopfte er es sich unters Hemd, vorn oder hinten, besser vorn. Gedacht, getan. Er hob seinen Pullover, den ihm seine Mutter gestrickt hatte, kurz hoch und stopfte sich das Heft in den Hosenbund. Dann sah er sich nach allen Seiten um, ob ihn auch ja niemand gesehen hatte. Gut, wäre klüger gewesen vorher nachzusehen, aber es war ja nichts passiert. Er schlich aus dem Wohnzimmer, vorbei an der Küche, wo seine Mutter gerade zwei Töpfe einräumte. Er beugte seinen Körper leicht nach vorn, damit die scharfe Kante nicht auffiel, die das Heft in seinen Pullover drückte. Dann stürmte er förmlich die Treppe hinauf. Er zog das Heft aus dem Hosenbund und warf es auf den kleinen Nachttisch neben seinem Bett, wobei er die alte Pumuckellampe beinahe herunterstieß. Dann warf er sich selbst aufs Bett, öffnete seine Hose und zog sich die Unterhose aus. Dann schlug er die erste Seite des Heftes auf und packte mit der freien Hand zu. Im nächsten Moment öffnete sich die Tür und seine Mutter stand im Türrahmen. Kein Wort fiel, aber irgendwo hörte ein Psychiater wieder seine Kasse klingeln.

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"Kann ich es mit aufs Zimmer nehmen?"
von Annette Heinfling, 22159 Hamburg (Deutschand)

Ich saß im Foyer eines kleinen, schäbigen Hotels.
Der Sessel war schon so abgewetzt, daß man das ursprüngliche Muster des Bezugs nur noch erahnen konnte. Hatte er je eine andere Farbe als grau gehabt?
Überhaupt erschien mir alles grau zu sein, selbst der Mann an der Rezeption hatte ein graues Gesicht und schien mit seiner Umgebung zu verschmelzen.
Lustlos blätterte ich in einer Zeitung vom gestrigen Tag. Auf Unterhaltung brauchte ich nicht zu hoffen: außer mir war kein weiterer Gast in der Halle. Eigentlich saß ich hier unten sowieso nur, weil ich es oben in dem winzigen Zimmer mit Aussicht auf den Hinterhof nicht aushielt und darauf hoffte, jeden Moment würde die Nachricht kommen, mein Wagen wäre endlich fertig. Dieser war vor ein paar Tagen meilenweit entfernt auf der Landstraße stehengeblieben und mitten in der Nacht war ich dann dankbar, hier eine Unterkunft zu finden.
Die letzte Fliege des Sommers summte eintönig auf der trüben Fensterscheibe herum. Das monotone Geräusch machte mich müde, ich schloß die Augen und...
"Kann ich es mit aufs Zimmer nehmen??"
holte mich eine schrille Stimme wieder in die Realität zurück.
Ich blinzelte und sah zur Rezeption. Der graue Mann machte ein undefinierbares Gesicht zwischen Ablehnung und Verdruß.
Vor ihm, mit dem Rücken zu mir, stand eine Frau mit einem großen Korb, den sie auf den Tresen gestellt hatte. Von der grauen Umgebung hob sie sich mit ihren rotgefärbten Haaren und der gelben Plüschjacke auffallend ab.....
Noch einmal fragte sie, diesmal noch etwas lauter und fordernder:
"Kann ich es mit aufs Zimmer nehmen?"
Der Mann wurde noch etwas grauer, er trat einen Schritt heran, blickte in den Korb, sah dann angewidert hoch.
Seine Augen quollen hervor und er lief puterrot an, während er seine Antwort so leise zischelte, daß ich sie nicht verstand, und dabei energisch auf die Hausordnung an der Wand wies.
Die Frau schnaubte wütend und riß ihren Korb vom Tresen, wandte sich um und verließ das Hotel, wobei sie beinahe mit dem Mechaniker der Werkstatt zusammenstieß, der mir Bescheid geben wollte, daß der Schaden behoben worden war. Darüber war ich so froh, daß ich ganz vergaß, mich nach der Frau und dem Korb zu erkundigen - und so weiß ich bis heute nicht, was die Frau mit aufs Zimmer nehmen wollte.

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