Satzfischer - Das literarische Kreativprojekt des Literatur-Cafés in Zusammenarbeit mit dem S. Fischer Verlag
Hier lesen Sie die besten Beiträge der dritten Runde (Feb '02 - März '02), die unseren Autorinnen und Autoren zu einem Satz von Andrea Paluch und Robert Habeck eingefallen sind. Der Satz stammt aus dem Roman »Hauke Haiens Tod«. S. Fischer Verlag. ISBN 3-10-059010-4. 18,90 EUR: Cover: Hauke Haiens Tod

»Kann ich es mit auf das Zimmer nehmen?«

Der Mond in der Tasche
von Norbert Bach, 67547 Worms (Deutschand)

Eine Eichhörnchen im Baum beobachtend
frage ich den Portier:
"Kann ich es mit auf das Zimmer nehmen?"
Das Eichhörnchen meinend, trage ich den Mond hinauf.

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Vom gleichen Schlag
von Lisa-Maria Lienbacher, 8020 Graz (Oesterreich)

Emmi hatte schon immer eine Vorliebe für Körper gehabt. Mit dreizehn sah er zum ersten Mal einen von innen, als er, ziemlich amateurhaft mit einem Schweizer Taschenmesser, seinen Goldfisch Franz auftrennte, vorsichtig, er wollte nichts zerstören, die Eingeweide interessierten ihn, allen voran der Magen, der Magen, wo alles landete, dieser Kontakt zur Außenwelt im Inneren des Körpers, ähnlich dem Gehirn, wo auch alles landete, nur nicht auf diese wunderbar unmittelbare Weise.
Mit achtzehn begann er, Medizin zu studieren. Er war überglücklich, als er zum ersten Mal im Seziersaal stand, sich weißbemantelt dem Bauchraum widmete, in den Gedärmen wühlte, die Umrisse der Leber beinah zärtlich nachzeichnete, und endlich den Magen fand, Gaster*, Emmi lachte, Gaster, als sei er Gast, dabei doch Gastgeber, nicht umgekehrt.
In seinem zweiten Jahr befreundete er sich mit Anna, einer Schönheit, sie war in seinem Semester und trat mit der Bitte an ihn heran, ihr Lernpartner zu sein. Er stimmte zu.
Bald stellte sich heraus, daß Anna mehr an ihm gefiel als nur seine anatomischen Kenntnisse. Nach ihrer ersten gemeinsamen Nacht wachte sie davon auf, daß Emmi ihren nackten Bauch küßte und flüsterte, daß sie bei diesem Körper wohl auch einen wunderbaren Magen haben müßte. Anna erwiderte, ihr Magen wäre wohl nicht mehr existent, bei den winzigen Mengen, die sie aß, seitdem ihr dritter Freund, ein eingebildeter Jurist und selbsternannter Herzensbrecher, ihr zu verstehn gegeben hatte, sie wäre zu fett. Bei der Vorstellung, in Annas Bauchhöhle fehle der Magen, mußten beide lachen. "Du lebst also in völliger Isolation", sagte Emmi, und Anna tippte sich belustigt an die Stirn.
Einige Tage später unterbrach Ex Nummer Drei ihre gemeinsame Kaffeepause in der Mensa, indem er unvermittelt einen Teller dunkles Schokoladenmousse vor Anna stellte, ihrem einstigen Dessert-Favoriten, seit ewigen Zeiten nicht mehr gegessen. "Jetzt nicht", sagte Anna, "aber kann ich es mit auf das Zimmer nehmen - für später?" "Wenn ich auch mitdarf - kein Problem!"
Anna warf Emmi einen Blick zu, der alles bedeutete. Sie erhob sich und ging, gefolgt vom moussetragenden Juristen.
Zehn Minuten später kam Emmi nach, fand den Ex nackt auf dem Bett liegend, mit verbundenen Augen, die Position des Magens chirurgisch genau mit Mousse markiert.
"Befrei' mich aus meiner Isolation", sagte Anna, und Emmi nahm das Skalpell. Drei saubere Schnitte.
Dann gingen sie Mittag essen.

*lat. für Magen, Medizinersprache

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Ernie
von Nicole Kroppen, 67227 Frankenthal (Deutschand)

Er hörte die Schritte, sah aber nichts.
Leise Quietschgeräusche von Turnschuhsohlen auf dem Linoleum, dann Stille, als der Teppich die Schritte schluckte.
"Hi, Ernie."
"Hi, Prinzessin. Wie geht's?"
Er lächelte in die blauen Augen, die über den Rand der Rezeption blinzelten.
"Ist Daddy schon zurück?"
Ernie schüttelte den Kopfund schob der Kleinen den Zimmerschlüssel zu.
"Sorry, Prinzessin. Die Konferenz dauert länger. Du darfst dir ein Extra-Eis bestellen."
"Hab ich mir schon gedacht", nickte die Kleine und griff ergeben nach dem Schlüssel.
Ernies Herz floss über vor Mitleid und unausgelebtem Bruttrieb.
"Willst du vielleicht Monopoly mit mir spielen? Ich hab in einer Stunde frei."
Er konnte ihren Mund nicht sehen, aber ihre Augen spiegelten ihr Lächeln wider.
"Nee, danke. Ich komm schon klar."
Ernie setzte sich wieder, griff nach seinem Kreuzworträtsel und lauschte auf die Schritte des Kindes, die sich leise quiekend in Richtung Fahrstuhl entfernten. Ein leiseres, rasches Klicken mischte sich hinein. Das Geräusch erinnerte ihn an Hundekrallen auf glattem Boden. Er stand auf, lehnte sich über die Rezeption und spähte zum Fahrstuhl hinüber.
Da stand die Kleine und redete leise auf ein dunkelbraunes Tier mit weißen Flecken ein, das ihr bis zum Bauch reichte und wie ein junges Wildschwein aussah. Ernie sah genauer hin, blinzelte und schluckte.
"Wo hast du den denn her, um Gottes Willen?"
Die Kleine drehte sich um und sah ihn ernst an.
"Gefunden", sagte sie.
"Gefunden", wiederholte Ernie. Er nickte. "Gefunden. Ah."
"Er ist mir nachgelaufen. Ich kann ihn doch mit aufs Zimmer nehmen? Ernie?" Die Kleine legte dem Vieh, das jetzt leise tschirpende Töne von sich gab, die Hand auf den Kopf und sah Ernie flehend an. Ernie überlegte. Die Polizei würde schnell herausfinden, welcher Tierpark einen jungen Tapir vermisste, und ihn abholen lassen.
"Wenn er ins Zimmer kackt, machst du's weg", warnte er. "Und gib ihm ja kein Cola, verstanden?"
"Geht klar, Ernie. Danke!" Sie grinste und spazierte in den Fahrstuhl. Der junge Tapir tapste neugierig und krallenklickend hinter ihr her. Sie zwinkerte Ernie noch einmal zu, dann schloss sich die Fahrstuhltür. Ernie schüttelte den Kopf. Sein Blick fiel auf das aufgeschlagene Rätselheft. "Königstochter mit zehn Buchstaben." Er lachte.

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Der schönste Ort
von Maraidon, 80636 München (Deutschand)

ein Mensch der schon genug besessen
war auf viel mehr ganz versessen
wollte keine großen Sachen
die sein Zimmer kleiner machen

eines tages stand er dann,
er hät es selber nie geglaubt,
am schönsten Ort, denn man sich denken kann
von der Vorstellung beraubt
und er stand in seinem Bann
es wär sein Raum den er gebaut
Und frägt sich selbst erstaunt

- Kann ich das mit auf das Zimmer nehmen?

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Weiter nichts...
von Christoph Bernhard Klöcker, 40223 Düsseldorf Bilk (Deutschand)

"Guten Tag, ich hätte da eine Frage, es geht auch ganz schnell." "Aah, eine Frage, genau dafür stehe ich ja hier, also womit kann ich Ihnen dienen?" "Ja, gut, also, kann ich es mit aufs Zimmer nehmen?" "Was?" "Kann ich es mit auf mein Zimmer nehmen?" "Gut, gut, ich hab schon verstanden,aber,was?" "Wie,was...?" "Was wollen Sie mit auf Ihr Zimmer nehmen?" "Na, das da!" "Was denn genau da?" "Dieses kleine da, da vorne..." "Ich weiß ehrlich nicht genau,was Sie meinen?" "Ich meine das niedliche da, direkt neben diesem Ausbund an Häßlichkeit." "Was?Ich sehe hier nichts häßliches." "Jetzt verarschen Sie mich doch, oder? Das müssen Sie doch sehen! Da, dieses fette Weib!Daneben!Ich will nur wissen,ob ich es mit auf mein Zimmer nehmen kann,das können Sie mir doch sagen, oder ist das hier etwa nicht die Information?" "Nein, nein, Sie haben schon recht, das hier ist die Information, doch bevor ich Ihnen behilflich sein kann, müssen Sie mir helfen und versuchen, mir Ihr Problem so exakt wie möglich darzulegen..." "So exakt wie möglich, ich glaub, es hakt, noch genauer kann ich ja wohl kaum werden! Ich will nur wissen, ob ich dieses kleine Dings da mit auf mein Zimmer nehmen kann!!!" "Lieber, guter Herr..." "Ich bin kein lieber guter Herr," "Das merkt man." "...ich bin vielmehr gerade in diesem Augenblick das genaue Gegenteil von lieb und gut, ich werde nämlich langsam sauer, und aus diesem Grunde frage ich Sie ein letztes Mal in aller Freundlichkeit, ob ich das da vorne mit auf mein Zimmer nehmen kann! Wenn Sie jetzt immer noch nicht wissen, was ich meine, empfehle ich Ihnen, einfach mal Ihre Brille zu wechseln, Herr...Sigorski oder was steht da auf Ihrem Schildchen?" "...." "Also?" "Was, also?" "Also, was ist jetzt?" "Womit?" "Mit meiner Auskunft!!" "Ach so, na ja, da Sie mir ja Ihr Problem nicht wirklich zu schildern imstande sind, werde ich Ihnen wohl auch nicht weiterhelfen können, ich empfehle Ihnen..." "Oh Mann, ich scheiß auf Ihre Empfehlungen, ich will jetzt sofort Ihren Vorgesetzten sprechen!" "Der ist im Moment leider nicht im Haus." "Dann will ich mit dem Eigentümer des Hauses sprechen oder dem Verantwortlichen hier." "Das bin dann wohl ich." "Das darf doch nicht wahr sein, ich will doch einfach nur eine klitzekleine Auskunft von Ihnen, eine winzige..." "Dann stellen Sie Ihre Frage." Geben Sie mir erst eine Antwort." "Ohne die Frage zu kennen?" "Sie kennen die Frage doch!" "Ich kenne viele Fragen, Ihre kennen nur Sie." "Hölle, wo bin ich?" "Na endlich, genau da. Angekommen."

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