Satzfischer - Das literarische Kreativprojekt des Literatur-Cafés in Zusammenarbeit mit dem S. Fischer Verlag
Hier lesen Sie die besten Beiträge der zweiten Runde (Jan '02 - Feb '02), die unseren Autorinnen und Autoren zu einem Satz von Stefan Zweig eingefallen sind. Der Satz stammt aus der Erzählung »Brennendes Geheimnis«. Fischer Taschenbuch 9311. ISBN 3-596-29311-1. 6,90 EUR: Cover: Brennendes Geheimnis

Schon war alles in furchtbarster Aufregung und voll gefährlicher Vermutungen, als ein Herr die Nachricht brachte, er habe das Kind gegen drei Uhr am Bahnschalter gesehen.

Erntezeit
von Carola Holtermann, 22393 Hamburg (Deutschand)

Nichts deutete an diesem Tag auf die seltsame Begebenheit hin, die sich noch ereignen sollte. Es war ein heißer Sommernachmittag und die Menschen in der kleinen Stadt gingen wie üblich ihren Geschäften nach. Auch auf dem Gutshof herrschte rege Betriebsamkeit. Die Ernte war in vollem Gange und die Bewohner des Hauses waren eingehüllt in das Klappern und Rattern der schweren Erntefahrzeuge. An einem Tag wie diesem hielt es niemanden im Haus, sondern jeder wollte raus, Teil des geschäftigen Treibens werden, den Duft von frisch gemähtem Getreide in sich aufnehmen und gewahr werden, wie der goldene Staub, der überall in der Luft hing, langsam alle Körper bedeckte und so jeden einbezog in den Tanz der duftenden Partikel.

Auch der kleine Sohn des Gutsbesitzers war wie elektrisiert von all diesen Düften und Geräuschen. Sein Name war Richard, wie bei den Männern dieser Familie üblich, aber alle nannten ihn nur „das Kind“. Keiner konnte sich mehr recht daran erinnern, wie es dazu gekommen war – vielleicht lag es an seiner durchsichtigen Erscheinung, die ihn gleichsam mit seiner Umgebung verschmelzen ließ, so als würde er ihre Gestalt und ihren Charakter annehmen. Diese Eigenart ließ ihn irgendwie unwirklich erscheinen, als würde er nicht in diese Welt gehören, so dass es den Menschen in seiner Umgebung unpassend erschienen wäre, ihn mit seinem Namen anzureden, der als Erbe seiner bodenständigen Vorfahren seinem ätherischen Charakter so wenig gerecht wurde.

Angelockt von der Betriebsamkeit auf dem Hof, verließ das Kind die Stille des alten Gutshauses und tauchte ein in die flirrende Welt des Getreidestaubes, schwirrte von einer Stelle zur anderen und entfernte sich dabei immer mehr vom elterlichen Hof. Magisch angezogen von den tanzenden Staubpartikeln, die von den Ladeflächen der Hänger aufstiegen, lief es einem der Wagen, die den Hof in Richtung Bahnhof verließen, hinterher. Je länger es dem Gefährt folgte, desto mehr schien das Kind eins zu werden mit dem flimmernden Dunst. Mittlerweile war sein Verschwinden auf dem Hof bemerkt worden. Schon war alles in furchtbarster Aufregung und voll gefährlicher Vermutungen, als ein Herr die Nachricht brachte, er habe das Kind gegen drei Uhr am Bahnschalter gesehen. Aber als der Suchtrupp am Bahnhof eintraf, waren die Halle und der Bahnsteig menschleer. Doch in der Ferne sah man einen Güterzug mit Getreidesilos, eingehüllt in eine goldene Staubwolke, die bei genauerem Hinsehen ein wenig die Umrisse eines Kindes hatte.

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Wirbelwind mit Herz
von SventeliHooter, 89077 Ulm (Deutschand)

Fräulein Edelgard war sich nicht sicher, ob sie diesem fragwürdig ausschauenden Herrn trauen konnte, aber es war die einzige Spur die sie hatten. Frau Kloppenbücher war sowieso völlig in Aufregung versunken und stieß nur einen kleinen Seufzer der Erleichterung aus. Anton stand schon in seinem makellosen Anzug vor dem Auto, hielt dem einzig kühlen Kopf der Familie, Herrn Dr. Kloppenbücher, die Tür auf und zeigte sein beflissenes Verständis der Situation durch einen kurz gehaltenen Diener um dann sofort den Wagen auf küzestem Weg zum Konstanzer Bahnhof zu dirigieren. ‚Was Herr Kloppenbücher denn nun zu tun gedenken wollte?' Immerhin sei der Wirbelwind der Familie schon seit acht Uhr morgens nicht mehr gesichtet worden, wobei dies sicherlich nicht die Zeit war, als sie durch das Küchenfenster mit samt ein paar belegten Broten verschwand, was an dem offenen Kühlschrank, der zerloffenen Butter und einem kleinen Brief festzustellen war.

"Liebe Mama, lieber Papa - ich muss unbedingt Pepe helfen! Der kommt doch ohne mich nicht zurecht mit den Schweizern. Macht Euch keine Sorgen! Bin in 2 Tagen wieder zurück. Eure Betty"

Dieses Kind hatte Nerven! Gerade mal 12 und will dem Pagen des Hauses helfen eine neue Anstellung zu finden, soviel war klar. Gut - Pepe spricht nur Italienisch, ein paar Brocken Englisch und ein noch schlimmeres Deutsch. Aber war das Grund die Eltern in hellste Aufregung zu versetzen? ‚Nein Betty, Pepe kann nicht bleiben, er hat eindeutig zu lange Finger....' Betty hatte anscheinend Verständnis dafür, dass ein armer Italienerjunge nun mal seine Grossfamilie nur durch das gründliche Abstauben der Nippesfiguren finanzieren konnte. ‚Aber Papa! Pepe ist mein Freund, er ist immer so nett zu mir und außerdem hat er keine Villa, vier Autos und eine Horde Diener!' Bettys Augen glühten immer bei ihren Ansprachen und es hatte noch nie einen Zweck mit ihr wirtschaftliche Unterschiede zu diskutieren.

"Nun Anton, wir wissen vermutlich wo sie ihre Reise angetreten hat. Wir werden uns ein wenig am Bahnhof nach unserem kleinen Dickkopf erkundigen. Jemand vom Personal wird sie möglicherweise gesehen haben. Also - sprechen sie mit jeder in Frage kommenden Person." "Natürlich Herr Kloppenbücher." Während Frau Kloppenbücher von Fräulein Edelgard mit Likör versorgt wurde, Anton und Herr Kloppenbücher auf Konstanz zusteuerten hatte Betty im Moment ganz andere Probleme, die da ganz behende in Form eines Schaffners auf sie zukamen.

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Zeugnisausgabe
von Rosemarie C. Barth, 39120 Magdeburg (Deutschand)

Schon war alles in furchtbarster Aufregung und voll gefährlicher Vermutungen, als ein Herr die Nachricht brachte, er habe das Kind um drei Uhr am Bahnschalter gesehen. Es war Nachbar Krautfuß, der bei den Semps klingelte, um nach Mehl zu fragen. Bert Semp öffnete und bat Krautfuß in die Stube. Elm Krautfuß sah Frau Semp weinend im Sessel sitzen. Ihre zittrigen Hände umklammerten das Telefon. Krautfuß fragte sacht: "Frau Semp, kann ich Ihnen helfen? Ich wollte nur etwas..."
"Herr Krautfuß, wo waren Sie? Wir haben Sie dauernd angerufen. Mandy ist weg, spurlos ... Wir haben sie gesucht, überall angerufen, auch Polizei! Das Zeugnis, heute gab‘s Zeugnisse, ob sie Angst hatte? Wenn was passiert ist!" Lea Semp schluchzte.
"Ja Frau Semp, ich hab‘ doch Mandy gesehen – am Bahnhof von weitem. Sie lief zum Berlinsteig. Ich dacht‘ noch, sie fährt allein, ohne Sie!"
"Was sagen Sie? Wieso Berlin? Da wohnt meine Mutter, aber die ist zur Kur!" Frau Semp wählte eilig ihre Mutter an.
"Klar ist Mandy hier! Was? Aber sie sollte kommen! Ja und ihr wißt es! Paar Tage will sie bleiben."
"Mutter, bist du verrückt? Ich denk‘ du bist zur Kur? Dich hab‘ ich darum nicht angerufen! Gib‘ mir Mandy!"
"Nein Lea, sie schläft. Ihr geht‘s gut. Wir rufen dich morgen an. Bin zwei Tage eher zurück gekehrt. Der eisige Sturm am Meer, und meine Knie sind wieder gut. Da bin ich früher los."
"Mutter, das wußte doch Mandy nicht."
"Doch! Ich hab gestern bei euch angerufen. Ihr wart nicht da – das Mädel wollt es euch sagen. Hab‘ gestaunt, als sie abends vor meiner Tür stand."
"Mutter, das gibt’s doch gar nicht! Hat sie was vom Zeugnis gesagt?"
"Nee. Ich hab‘ auch nicht dran gedacht. Denkst du deswegen ist sie weg von euch?"
"Weiß nicht!"
"Lea, du bist zu streng und Bert auch, sicher hatte das Mädel Angst vor euch und ist auf und davon - zu mir. Glaub‘ mir, gut find ich‘s nicht, daß sie lügt, ihr hättet sie geschickt. Das tut sie wegen eurer Strenge!"
"Mutter, kannst du sie wecken und ans Telefon holen?"
"Nein – wir reden morgen zusammen drüber! Ihr solltet euch Gedanken machen. Ein Kind muß sich nicht nur gegängelt, sondern vor allem geliebt fühlen! Tschüß Lea."
Bert hatte alles gehört. Er war froh, daß Mandy in guten Händen war. Über eine liebevollere Erziehung wird er nachdenken. "Kommen Sie, Krautfuß – Sie kriegen jetzt Mehl. Gut, daß es Ihnen ausgegangen war. Sehr gut!"

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Aufregung am Bahnschalter
von Sonja Mietlewski, 90186 Weisendorf (Deutschand)

Es war zehn vor drei Uhr am Nachmittag, als eine Frau mit Kleinkind die Bahnhofshalle betrat. Sie schleuste ihr Kind elegant durch die Menschenmenge. Sie wollte nur eben noch schnell am Ticketautomaten die Fahrkarten für den Nachhauseweg um sechs Uhr kaufen. Danach wollte sie mit der kleinen noch in den Park gehen.
Sie reihte sich in der Schlange am Automaten ein. Etwa fünf Personen waren noch vor ihr, als sie sich nur kurz einmal umdrehte und der älteren Frau hinter hier behilflich zu sein. Ehe sie sich versehen konnte, war ihr kleiner Engel durchgebrannt.

Voller Tatendrang stapfte das dreijährige Mädchen durch die Bahnhofshalle. Da gab es allerhand interessantes zu entdecken. Und so verirrte sich das Kind in der Menge...

Die Mutter bemerkte mit Entsetzen, dass ihr Kind weg war. Sie rief verzweifelt nach dem Kind. Schon war alles in furchtbarster Aufregung und voll gefährlicher Vermutungen, als ein Herr die Nachricht brachte, er habe das Kind gegen drei Uhr am Bahnschalter gesehen. Voller Panik lief die Frau zum Bahnschalter. Ihr Herz hämmerte aufgeregt, als sie abgehetzt am Schalter ankam. Man konnte sie jedoch nur noch auf die Polizeistelle verweisen. Dort werden für gewöhnlich elternlose Kinder abgegeben. Die Frau, eilte nun außer sich zur Polizeistation. Der diensthabende Beamte lächelte milde, als er ihren Ausreißer zurückgab. "Auf diese Kleine müssen sie mehr als nur zwei Augen werfen."

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Das Kind
von Rosel Warnstedt, 39524 Sandau (Deutschand)

Die Ruhe, die hier herrscht, sie ist dahin-verschwunden ist ein kleines Kind.
Ein Kind mit blonden Locken, kurzem Haar
es ist ganz einfach wunderbar.
Jetzt ist ein laufen, hasten, schreien-wo
ist es, ach, wo mag es sein.
In aller Ruhe kommt daher, ein Mann-mittelschwer-er zeigt ganz ruhig, dort
entlang.Ich sah sie an der Schranke stehen. Sie wollt wohl mit dem Zuge fort,
gewiss an einen anderen Ort.

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