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Bachmannpreis-Podcast 2019: Was ist los in Klagenfurt?

Tanja Maljartschuk, Insa Wilke, Özlem Özgül Dündar und Hubert Winkels – Bachmannpreis-Podcast 2018 – Folge 6 und nach der Preisverleihung 1
Beliebteste Bachmann-Jurorin des Jahres 2018 Insa Wilke zusammen mit Podcaster Wolfgang Tischer. Wird sie ihren Titel 2019 verteidigen können?

Vom 27. bis zum 30. Juni 2019 findet in Klagenfurt erneut der Ingeborg-Bachmann-Literaturwettbewerb statt, einer der wichtigsten und öffentlichsten im deutschsprachigen Raum. Der Podcast des literaturcafe.de wird dann wieder zum Bachmannpreis-Podcast. Wolfgang Tischer berichtet täglich direkt aus Klagenfurt. In der ersten Folge gibt es einen Überblick, was uns 2019 erwartet. Zwei Autoren fallen dabei besonders auf.

Der Bachmannpreis oder die »Tage der deutschsprachigen Literatur«, wie die Literaturveranstaltung offiziell heißt, findet in diesem Jahr zum 43. Mal statt. Sieben Juroren haben 14 Autorinnen und Autoren mit ihren Texten nach Klagenfurt in Kärnten eingeladen. Live und vor Publikum lesen die Autoren ihre Texte vor, anschließend diskutiert die Jury über den jeweiligen Text. Von Donnerstag, 27. Juni, bis zum Samstag, 29. Juni 2019, wird gelesen, am Sonntag, 30. Juni, stimmt die Jury ebenfalls öffentlich über die Preisträger ab. Vergeben werden der mit 25.000 Euro dotierte Hauptpreis, der Ingeborg-Bachmann-Preis, der mit 12.500 Euro dotierte Deutschlandfunk-Preis, der Kelag-Preis mit 10.000 Euro und der 3sat-Preis mit 7.500 Euro dotiert. Zusätzlich gibt es den mit 7.000 Euro dotierten BKS-Publikumspreis, der – wie es der Name bereits sagt – durch eine Online-Abstimmung auf bachmannpreis.at ermittelt wird. Die Tage der deutschsprachigen Literatur finden im österreichischen Klagenfurt am Wörthersee seit 1977 statt. Vorbild des öffentlichen Literaturwettbewerbs waren die Diskussionen der Gruppe 47.

Bislang fand der Literaturwettbewerb immer Anfang Juli statt, aufgrund der hohen Veranstaltungsdichte in Klagenfurt – vom Ironman bis zum Bodypainting-Festival – wurde der Bewerb heuer auf Ende Juni vorverlegt.

Jury ist unverändert

Bevor wir uns anschauen, was in diesem Jahr neu und bemerkenswert ist, schauen wir auf das, was unverändert ist: die sieben Jurorinnen und Juroren. In diesem Jahr gab es keinen einzigen Wechsel. Den Jury-Vorsitz hat seit 2015 Hubert Winkels inne. Nora Gomringer und Insa Wilke, die im letzten Jahr neu dabei waren, sitzen ebenfalls wieder in der Jury, genauso wie Michael Wiederstein, Hildegard Keller, Klaus Kastberger und Stefan Gmünder. Neue Stimmen und Impulse sind also von Seiten der Jury nicht zu erwarten.

Die Bachmannpreis-Jury 2018 (von links): Klaus Kastberger, Insa Wilke, Stefan Gmünder, Hubert Winkels, Hildgard E. Keller, Michael Wiederstein und Nora Gomringer (Foto: ORF/Johannes Puch)
Die Bachmannpreis-Jury 2019 ist die von 2018 (von links): Klaus Kastberger, Insa Wilke, Stefan Gmünder, Hubert Winkels, Hildgard E. Keller, Michael Wiederstein und Nora Gomringer (Foto: ORF/Johannes Puch)

Wie in den Vorjahren wird es im literaturcafe.de wieder die Online-Abstimmung zur Jurorin/zum Juror des Jahres 2019 geben. Machen Sie mit, und stimmen Sie auf literaturcafe.de am Bachmann-Samstag, 29. Juni 2019, ab. Sie finden den Link dann auf der Startseite. Im letzten Jahr gewann Insa Wilke den undotierten Preis.

Die Moderation der Veranstaltung liegt in den bewährten Händen von Christian Ankowitsch (im Studio) und Zita Bereuter (vor dem Studio). Alle Lesungen und die Preisverleihung werden live im Fernsehen von 3sat übertragen, ebenso gibt es via bachmannpreis.at einen Video-Livestream und via Deutschlandradio einen Audio-Stream.

Die 14 Autorinnen und Autoren

Einen Impuls hat Juror Michael Wiederstein schon im Vorfeld gesetzt: Er hat den in diesem Jahr wohl bekanntesten Autor nach Klagenfurt eingeladen: Tom Kummer. Dessen Name wird in jedem Vorbericht erwähnt – so auch hier. Kummer wurde in den 1990er-Jahren als Interview-Fälscher bekannt. Für das Magazin der Süddeutschen Zeitung führte der damals in Los Angeles lebende Journalist Interviews mit Hollywood-Stars wie Brat Pitt. Dann stellte sich heraus, dass die Gespräche frei erfunden waren, der Skandal war perfekt. Kummer selbst bezeichnete die erfundenen Gespräche später als »Borderline-Journalismus« und Kunstform. Einige Kritiker behaupten, dass in Kummers neuestem Roman aus dem Jahre 2017 Spuren von anderen Texten enthalten seien. Welches Signal wird gesetzt, wenn in Zeiten der Debatte um Urheberrecht und geistiges Eigentum und den Skandalen um Claas Relotius und Marie Sophie Hingst nun Tom Kummer in Klagenfurt liest?

Jedoch: Auffallen, bekannt und bunt sein, das muss in Klagenfurt nichts bedeuten. Egal ob Joachim Meyerhoff, Ronja von Rönne oder Stefanie Sargnagel, die Jury fand diese Autoren trotz ihrer Bekanntheit in den letzten Jahren nicht preiswürdig.

Bemerkenswert ist ein anderer Autor: Daniel Heitzler. Er ist in diesem Jahr nicht nur der jüngste Teilnehmer (Jahrgang 1996), sondern auf seiner Autoren-Seite ist zu lesen: »Er arbeitet als Barkeeper. Bislang keine Veröffentlichungen, Stipendien oder Preise.« Das ist ungewöhnlich, haben die Lesenden ansonsten üblicherweise schon eine mittellange Liste an Preisen und Veröffentlichungen vorzuweisen. Nicht selten erscheint unmittelbar nach der Klagenfurt-Lesung ein neues Buch. Nicht so bei Daniel Heitzler, der von Juror Hubert Winkels eingeladen wurde. Man darf auch hier gespannt sein.

Der Bachmannpreis, auch das muss immer wieder betont werden, ist jedoch kein Newcomer-Preis oder ein Preis für Jungautoren. Außer, dass die eingereichten Texte auf Deutsch verfasst und bislang unveröffentlicht sein müssen, gibt es keine weiteren Kriterien. Freilich muss die Autorin/der Autor den Text selbst in Klagenfurt vorlesen, was bei normalem Lesetempo nicht länger als 25 Minuten dauern darf.

Blicken wir statistisch auf das Feld der 14 Autorinnen und Autoren: Die Österreicher sind in diesem Jahr in der Überzahl: sechs. Drei Teilnehmer sind aus der Schweiz, fünf aus Deutschland. Die Frauen sind in diesem Jahr mit acht Autorinnen in der Mehrzahl. Der jüngste Teilnehmer ist Jahrgang 1996, die älteste Teilnehmerin Jahrgang 1959. Das Durchschnittsalter liegt bei rund 38 Jahren. Der in frühen Jahren in den Autoren-Biografien oft zu lesende Satz »lebt in Berlin« taucht diesmal nur zweimal auf. Ebenso haben nicht mehr allzu viele Autorinnen und Autoren an einem der Literaturinstitute das Schreiben studiert. Tatsächlich zeigt sich beim Lesen der Biografien ein Bild, das sich ebenfalls schon in den Vorjahren abzeichnete: Viele Autorinnen und Autoren kommen aus anderen künstlerischen Feldern wie Theater oder bildender Kunst.

Clemens J. Setz hält die Klagenfurter Rede zur Literatur

Eröffnet werden die 43. Tage der Deutschsprachigen Literatur am Vorabend, dem 26. Juni 2019. Hier wird die Lesereihenfolge der kommenden drei Tage ausgelost und die »Klagenfurter Rede zur Literatur« gehalten – in diesem Jahr vom Autor Clemens J. Setz. Setz las 2008 selbst in Klagenfurt und gewann damals den Ernst-Willner-Preis. Der Titel seiner Rede lautet »Kayfabe und Literatur«. Kayfabe ist ein Begriff aus dem Wrestling. Er steht für die Inszenierung, das »Theaterspiel« und die Vorabsprachen bei diesen Schaukämpfen, die jedoch vor der Kamera nicht so wirken sollen. Man darf gespannt sein, welche Verbindungen und Parallelen Setz ziehen wird.

Mangelnde Transparenz: Kritikpunkt Shortlist

Obwohl seit vielen Jahren ein übliches Verfahren, stand im vergangenen Jahr plötzlich die Shortlist des Bachmannpreises in der Kritik. Bevor am Sonntag die Jury live über die Gewinner abstimmt, werden 7 der 14 Autorinnen und Autoren bereits ausgesiebt. Vor der finalen TV-Abstimmung wird eine Shortlist mit sieben Namen präsentiert. Wer hier nicht draufsteht, hat keine Chance mehr auf die vier Jurypreise. Einzige Ausnahme ist der BKS-Publikumspreis.

Insbesondere im letzten Jahr waren viele Kritiker und Beobachter erstaunt, welche Namen auf der Liste zu finden waren und welche nicht. Sie spiegelte nicht unbedingt die vorherige Diskussion der Jury über die Texte wider. Wiebke Porombka schrieb in der ZEIT: »Dennoch sieht es danach aus, dass Juroren oder Jurorinnen vermeintlich schwächeren Autoren oder Autorinnen Punkte zuschanzen, um damit potenzielle Preisträger, die ihnen nicht behagen, auszubooten und die Chancen für die eigenen Kandidaten zu erhöhen.«

Obwohl der Bachmannpreis unglaublich öffentlich und transparent ist, bleibt just die Shortlist-Erstellung geheim. Und in der Tat haben hier die Juroren die Möglichkeit, strategisch und nicht-literarisch abzustimmen, da aufgrund der geheimen Wahl keiner diese Schachzüge bemerkt wird und sich keine Jurorin und kein Juror dafür rechtfertigen muss.

Wie wird die Shortlist ermittelt? Kurz vor der finalen öffentlichen Abstimmung im TV trifft sich die Jury unter notarieller Aufsicht am Sonntagmorgen zur nicht-öffentlichen Abstimmung. In geheimer Wahl vergeben die sieben Jurymitglieder ihre Punkte an 7 der 14 Kandidaten. Sie vergeben an ihren Favoriten 7 Punkte, an ihre Nummer 2 6 Punkte usw. bis zu 1 Punkt. Die sieben Autorinnen und Autoren mit den meisten Punkten bilden dann die Shortlist. Gibt es Punktegleichheit und mehr als sieben Kandidaten, kommt es nochmals zu einer Stichwahl. Die sieben Finalisten werden dann in alphabetischer Reihenfolge dem Publikum bekanntgegeben.

Bei der öffentlichen Abstimmung vor der Kamera dürfen die Juroren im ersten Wahlgang nicht für die eigenen Kandidaten stimmen, bei der geheimen Shortlist-Wahl jedoch schon.

Gibt es keinen herausragenden literarischen Superstar und kommt es nicht zu irgendeinem Zerwürfnis zwischen dem Autor und seinem Juror, so dürften die Juroren zunächst ihre 7 und 6 Punkte loyal an ihre eigenen Autoren vergeben. Es sind also die 5- bis 1-Punkte-Stimmen, die die eigentliche Entscheidung bringen.

Tatsächlich lassen sich Porombkas Gedankenspiele nachvollziehen: Man könnte als Juror seine 5 Punkte bewusst an einen schwachen Text vergeben, sodass es dieser vielleicht in die Shortlist schafft, um dann bei der öffentlichen Abstimmung keine Konkurrenz mehr zu sein. Porombka spekulierte im letzten Jahr auch, ob die Juroren aus der Schweiz bewusst oder unbewusst ihre Stimmen auf Schweizer Autoren verteilt haben, sodass diese mit schwächeren Texten überproportional auf der Shortlist vertreten waren.

Es muss betont werden, dass keinem Jury-Mitglied solche strategischen Stimmenspiele unterstellt werden. Dennoch wären diese möglich, da es niemand merkt.

Wie unfair die Shortlist-Ermittlung sein kann, haben wir in einem weiteren Beitrag exemplarisch durchgerechnet und aufgezeigt (Hier klicken, um Beitrag zu lesern).

Die geheime Shortlist-Abstimmung widerspricht eklatant dem Geist des transparenten Bachmann-Wettbewerbs und muss geändert werden.

Hinzu kommt, dass diese Vorauswahl überhaupt nicht in den Statuten des Wettbewerbs steht! Nach dem öffentlichen Lesen kommt dort sofort die öffentliche Abstimmung. Dass die Hälfte der Autorinnen und Autoren in einer geheimen Abstimmung vorab rausgewählt wird, ist dort nicht vorgesehen!

Seitens der Veranstalter signalisierte man dem literaturcafe.de, dass man zum einen die Statuten ändern müsse, dass man aber durchaus auch über eine Änderung des Prozedere an sich nachdenke. Dazu müssten alle Beteiligten an einem Tisch sitzen, was in der Regel terminlich nur während des Wettbewerbs beim ORF in Klagenfurt der Fall ist.

Wie könnte die Shortlist reformiert werden?

Wie aber könnte die Shortlist reformiert werden? Dass die Zahl der möglichen Preisträger zunächst minimiert wird, ist durchaus sinnvoll, um die Abstimmung im TV nicht unnötig lang und zäh werden zu lassen.

Natürlich könnte man die Punktewertung der Shortlist direkt zur Preisvergabe heranziehen. Sprich: Wer die meisten Punkte hat, erhält den Hauptpreis, Platz 2 den Deutschlandfunk-Preis und so weiter. Das jedoch wäre wenig telegen und spannend.

Wir haben im literaturcafe.de die Varianten diskutiert und empfehlen schlichtweg eine öffentliche und unbegründete Bekanntgabe der Shortlist-Punktvergabe vor der finalen Abstimmung. Das könnte so ablaufen wie beim ESC, indem die Juroren der Reihe nach und ohne Begründung verkünden, wem sie ihre 7 bis 1 Punkte vergeben haben. Somit wäre die Shortlist transparent erstellt und »merkwürdige« Punktvergaben weniger wahrscheinlich bzw. nach dem Wettbewerb könnte der Juror seine Wahl begründen. Dass die Juroren für die eigenen Autoren Punkte vergeben können, kann beibehalten werden. Bei Punktegleichheit gibt es wie jetzt auch eine Stichwahl.

Danach ändert sich nichts, d. h. nun wird mit Begründung zwischen den verbleibenden Sieben abgestimmt, wobei man im ersten Wahlgang den eigenen Kandidaten keine Stimme geben darf.

Man kann an dieser Stelle freilich den Einwand erheben, warum nochmals zwischen den Sieben abgestimmt werde und ob die Shortlist-Punkte nicht schon einen Sieger vorgeben. Auf der anderen Seite ist aber genau das das Spannende, um zu sehen, ob sich der Favorit auch wirklich durchsetzt. Dieses Vorgehen entspricht dem vieler Literaturpreise. Von den vielen Einsendungen werden vorab die Favoriten benannt, doch dann wird nochmals final abgestimmt. Dass zunächst klar als Favoriten Benannte im ganz unglücklichen Fall preislos nach Hause gehen, kann passieren. Hin und wieder geschah solch ein »Durchrutschen« nach unten vor laufender Kamera, da für jeden der vier Jury-Preise stets neu abgestimmt wird und nicht der Verlierer der Stichwahl automatisch den nächsten Preis bekommt. Ein wenig Drama macht es spannend.

Mit diesen Änderungen wäre der Ingeborg-Bachmann-Preis endlich zu 100% transparent, was ihm guttun würde. Warten wir ab, was passiert und wie und ob sich die Statuten des Wettbewerbs künftig ändern werden.

Bachmannpeis-Podcast und #tddl

Ab dem 27. Juni bis zum 30. Juni wird es eine tägliche Folge des Bachmannpreis-Podcasts geben. Wolfgang Tischer wird vor Ort in Klagenfurt wieder Jurymitglieder, Autorinnen und Autoren und andere spannende Gäste vor dem Mikrofon haben und die Texte analysieren. Die Folgen erscheinen täglich auf literaturcafe.de/podcast. Noch besser: Abonnieren Sie den Podcast des literaturcafe.de mit dem Podcast-Programm Ihrer Wahl, um die aktuelle Folge direkt auf ihrem Smartphone anzuhören. Nutzen Sie den »Abonnieren«-Button rechts bzw. auf Mobilgeräten unten auf dieser Seite. Sie finden den Podcast in allen Podcast-Verzeichnissen, natürlich bei Apple iTunes aber auch bei Spotify.

Wolfgang Tischer wird zudem die Lesungen und Jury-Diskussionen live auf Twitter kommentieren. Folgen Sie ihm auf Twitter unter @literaturcafe, oder allgemein dem Hashtag #tddl (steht für Tage der deutschsprachigen Literatur), um die gesamte Diskussion zum Wettbewerb mitzubekommen.

Wir hören uns aus Klagenfurt! Und wir freuen uns über Rückmeldungen, Bewertungen und Kommentare zu diesem Podcast. Unten können Sie die Pilotfolge direkt anhören. Viel Spaß!

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