Schön war es in Klagenfurt beim Bachmannpreis. Und das mit den Gewinnertexten geht so in Ordnung.
Dennoch litt einer der scheinbar transparentesten Literaturpreise in diesem Jahr massiv an seiner Intransparenz.
Jetzt wäre es an der Zeit, den Preis in zwei elementaren Punkten zu reformieren.
Der Bachmannpreis muss transparenter werden
Alles geschieht beim Bachmannpreis öffentlich und vor den Augen des Publikums: 14 Autorinnen und Autoren lesen ihre Texte vor, und die Jury diskutiert die Qualität des Gehörten. Anschließend stimmt die Jury ebenfalls öffentlich darüber ab, wer die vier von ihr zu vergebenden Literaturpreise erhält. Transparenter geht es eigentlich nicht. Oder doch?
Doch! Denn obwohl es keine geheime Jury-Diskussion gibt, findet dennoch eine Sache geheim und ohne Öffentlichkeit statt: die Ermittlung der Shortlist. Auf der Shortlist finden sich 7 der 14 Autorinnen und Autoren. Wer hier nicht drauf steht, ist sofort aus dem Rennen und steht nicht mehr zur Abstimmung.
In diesem Jahr musste man sich ganz besonders wundern, wer auf dieser Liste stand und wer nicht. Warum und wieso? Just das bleibt ein Geheimnis.
Shortlist-Mauscheleien oder Verschwörungstheorien?
Die Jury ermittelt die Shortlist bei einer geheimen Abstimmung unter notarieller Aufsicht am Sonntagmorgen vor der finalen öffentlichen Abstimmung. Die sieben Jurorinnen und Juroren können Punkte auf die 14 Autorinnen und Autoren verteilen. Die 7 Autorinnen und Autoren mit den meisten Punkten bilden die Shortlist.
Nun ist es jedoch zusätzlich so, dass jeder Juror zwei Autoren nach Klagenfurt einlädt und daher natürlich zwei präferierte Textpferdchen am Start hat. Nicht nur in den Diskussionen, auch bei den Abstimmungen wird sich daher jede Jurorin und jeder Juror für seine Kandidaten einsetzen, egal wie die Diskussion verlief. Ein klein wenig wird dies versucht auszubremsen, indem in der ersten Runde der öffentlichen Abstimmung nicht für die eigenen Kandidaten gestimmt werden darf.
Aber wie ist es in der geheimen Shortlist-Abstimmung? Wiebke Porombka geht in der Zeit sogar noch einen Schritt weiter und erwägt die Möglichkeit, dass die Juroren theoretisch sogar Abstimmungspunkte an einen eher chancenlosen Text verschwenden könnten, um vielleicht die eigenen Texte auf die Shortlist zu bringen. Denn wie oben erwähnt: Wer nicht auf der Shortlist steht, hat keine Chance mehr auf einen Preis. Ausgenommen ist hier nur der nicht von der Jury vergebene BKS-Publikumspreis.
Selbst das langjährige Jury-Mitglied Stefan Gmünder kritisiert im Podcast des literaturcafe.de, dass just die Shortlist-Abstimmung geheim erfolgt, obwohl ansonsten beim Bachmannpreis doch alles so transparent abläuft.
Shortlist vs. Endabstimmung
Würde man das genaue Ergebnis der Shortlist-Abstimmung zumindest nachträglich bekannt geben, so wie es – der Vergleich sei hier erlaubt – RTL beim Voting fürs Dschungelcamp macht, so würde dies weiteren Zündstoff bergen: die Punktreihenfolge der Shortlist-Wahl würde bereits eine Gewinner-Reihenfolge unter allen 14 vorgeben. Wenn sich das Stimmverhalten der Juroren dann in der öffentlichen Abstimmung unter den verbleibenden 7 ändern würde, würde dies ebenfalls sehr merkwürdig wirken und zu Diskussionen führen, warum letztlich nicht der Text gewonnen hat, der bei der Shortlist-Wahl die meisten Stimmen erhielt.
Die geheime Shortlist-Ermittlung, verbunden mit der doppelten Textpatenschaft der Juroren, bietet daher bei diesem öffentlichen Preis die Möglichkeit zur Mauschelei und dem Aufkeimen von Verschwörungstheorien. So spekuliert Wiebke Porombka über eine (bewusste oder unbewusste) Schweiz-Seilschaft, die in diesem Jahr dazu beigetragen haben könnte, dass es ein vergleichsweise schwacher Text wie der von Anna Stein auf die Shortlist schaffte. Ähnliche Schweiz-Tendenzen machte Porombka schon in den Vorjahren aus.
Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt für eine Änderung
Der Bachmannpreis ist nun in einem ruhigen Fahrwasser. Sein Erhalt scheint gesichert, so betonten es in diesem Jahr die Veranstalter, Sponsoren und der Jury-Vorsitzende Hubert Winkels. Als der Bachmannpreis vor einigen Jahren jedoch vom ORF infrage gestellt wurde und die Tage der deutschsprachigen Literatur auf der Kippe standen, da wurde anschließend heftig darüber diskutiert, ob man die Modalitäten des Preises ändern sollte. Damals zielte man jedoch primär darauf ab, den Wettbewerb irgendwie »telegener«, also schneller, kürzer oder spektakulärer zu gestalten. Dass dies nicht erfolgt ist, ist sehr gut so!
Daher ist jetzt der genau richtige Zeitpunkt, darüber nachzudenken, ob man die beiden unguten »Mauschelfaktoren« des Wettbewerbs nicht abschafft, nämlich das Prinzip der Autorenpatenschaft und die geheime Shortlist-Abstimmung.
Natürlich wäre es ein erheblicher Mehraufwand und ebenfalls nicht frei von Diskussionen, würde ein weiteres unabhängiges Gremium die 14 Autorinnen und Autoren nach Klagenfurt einladen, über deren Texte dann die Jurorinnen und Juroren urteilen. Diesen Aspekt zu ändern mag daher problematisch sein.
Streicht die Shortlist!
Somit wäre es bereits eine wesentliche Verbesserung, wenn die geheime Shortlist-Abstimmung entfällt. Oder noch besser: Die Shortlist-Abstimmung, bei der die Jurorinnen und Juroren 5 bis 1 Punkt auf die Autorinnen und Autoren verteilen, wird zur öffentlichen Abstimmung, die künftig nicht mehr die Shortlist, sondern gleich die Preisträger ermittelt. Hierbei dürfen die Juroren den »eigenen« Autorinnen und Autoren keine Punkte geben.
Diese Abstimmung unter allen 14 Texten könnte vor Publikum zunächst geheim per Tablet erfolgen, anschließend verkündet der Moderator das Ergebnis. Dies hätte den zusätzlichen Charme, dass man die Gewinnerin oder den Gewinner des Hauptpreises erst ganz am Schluss verkünden könnte, was – anders als jetzt, wo der Hauptpreis als erstes vergeben wird – mehr Spannung brächte. Auch das preislose »Durchrutschen« eines Kandidaten in jeder Abstimmungsrunde (wie in diesem Jahr Joshua Groß) wäre verhindert. Außerdem wüssten so auch selbst die Juroren bis zum Schluss nicht, wem sie gemeinsam die meisten Punkte gegeben haben. Nur für den Fall einer Punktgleichheit muss noch ein Weg gefunden werden. Hier könnte zum Beispiel eine weitere zunächst verdeckte Stichwahl erfolgen.
Nach oder mit der Preisbekanntgabe wird das Abstimmungsverhalten der Juroren dann komplett öffentlich gemacht.
So wäre kein Platz für tatsächliche oder vermutete geheime Shortlist-Mauscheleien und Verschwörungstheorien. Der Bachmannpreis und die Jury-Entscheidung wären tatsächlich transparenter.
Wolfgang Tischer
Ja, das war ein bißchen seltsam, daß sich plötzlich zwei Juroren, die eigentlich nichts zu der geheimen Abstimmung sagen sollten, plötzlich dagegen aussprachen und indirekt zu verstehen gaben, daß sie Anna Stern nicht auf der Shortlist haben wollten, was eigentlich ihr gegenüber ein bißchen unfair ist!.
Als ich 1996 in Klagenfurt war und von dieser Shortlist erfuhr, habe ich es schade gefunden, daß nicht jeder Lesende eine Chance hat. Inzwischen habe ich mich schon daran gewohnt und bei den letzten Bewerben mit Erstaunen festgestellt, daß da immer zwei Namen auf der Liste waren, über die ich mich gewundert habe und die dann auch nie genannt wurden, während andere, die ich erwartet hätte, übergeblieben sind und habe mir gedacht, daß das halt die Durchwinker sind und, daß immer einige Kandiate,n wie diesmal Joshua Gross oder noch ärger bei Theresa Präauer oder Gertrud Klemm ständig in der Stichwahl stehen und dann über bleiben, finde ich für die Kanditaten eigentlich auch sehr unangenehm, die dann nur hoffen können, wie damals Gertraud Klemm, daß sie den Publikumspreis bekommen.
Heuer ist dann plötzlich Anna Stern, die bei der Diskussion eher schlecht wegkam oder war das nur auf der Seite des Literaturcafes, eine Preisträgerin, das hat mich gewundert und ich hätte sie weder auf der Shortlist noch, als Preisträgerin erwartet und ich verstehe auch nicht so recht, wo das Problem sein soll, wenn jeder Juror sieben Namen auf eine Liste schreibt, das kann natürlich auch öffentlich passieren, aber bisher war das nie so wichtig, da ist bisher keiner auf die Idee gekommen ist, daß man das ändern soll und so sehe ich das eher, als ein gruppendynamisches Problem, was eigentlich nicht sein sollte und unangenehm ist.Das stimmt schon, also bin ich sehr gespannt, wie dieser Vorschlag aufgegriffen wird und gebe jetzt auch meinen Senf dazu, daß ich mit Tanja Maljatschuk als Preisträgerin sehr einverstanden bin, mir hat auch der sogenannte Zahnarztporno sehr gefallen, weil er sehr sehr gewagt war und ich verstehe ihn immer noch als Protest gegen die Männerphantasien a la Martin Walser und Philip Roth. Der Text mit dem Obdachlosen hat mir gut gefallen und den mit dem kaukasischen Österreich müßte ich wohl noch mal lesen, weil ich politische Texte ja an sich mag, das wären also meine Shortlistkanditaten gewesen und jetzt bin ich gespannt, liebe Grüße aus Wien!
Bin stark beeindruckt – zum ersten Mal vom ersten bis zum letzten Tag zugehört/-gesehen – Longue vie dem Bachmannpreis und seinen fabelhaften Juroren mit Dank. Anna Kamp