Neuzugang Thomas Strässle ist der beliebteste Bachmannpreis-Juror des Jahres 2023. Bei der Publikumsabstimmung auf literaturcafe.de setzte er sich souverän an die Spitze. Vorjahressiegerin Brigitte Schwens-Harrant fiel auf den dritten Platz. Der zweite Jury-Neuzugang Mithu Sanyal schnitt weniger gut ab, bildet jedoch nicht das Schlusslicht in der Publikumsgunst.
Thomas Strässle ist Professor für Neuere deutsche und vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Zürich, er gehört zum Kritiker-Team des »Literaturclub« des Schweizer Fernsehens und ist Präsident der Max Frisch-Stiftung. Als Bachmann-Juror ist er das erste Mal in Klagenfurt dabei. Und Strässle ist bei der Publikumsabstimmung des literaturcafe.de mit deutlichem Abstand zum beliebtesten Bachmannpreis-Juror des Jahres 2023 gewählt worden.
Die Jury-Vorsitzende Insa Wilke belegt den zweiten Platz in der Publikumsgunst und stieg wieder auf. Vorjahressiegerin Brigitte Schwens-Harrant belegt diesmal knapp hinter Wilke den dritten Platz.
Philipp Tingler ist der »Bad Guy« der Jury, und seine Urteile werden auf Twitter oft negativ kommentiert. Doch die Mehrzahl des Publikums sieht ihn offenbar gerne in dieser Rolle, und Tingler belegt mit Platz 4 das Mittelfeld. Klaus Kastberger, der sich mit Tingler oft einen verbalen Schlagabtausch lieferte, belegt Platz 5, nachdem er 2015, 2016 und 2017 den ersten Platz inne hatte.
Deutlich abgeschlagen und knapp vor dem letzten Platz liegt Neu-Jurorin Mithu Sanyal. Sie konnte vom Premierenbonus nicht profitieren. Mara Delius überzeugte in diesem Jahr die wenigsten. Von Platz 3 im Vorjahr rutschte sie auf den letzten Platz ab.
Sachlichkeit und ruhige Art überzeugen
Warum das Publikum Thomas Strässle zum besten Juror kürte, ist eindeutig. Das Publikum schätzt seine ruhige und besonnene Art. Er argumentiere differenziert, sachlich, ruhig und in die Tiefe gehend, heißt es u. a. in den Begründungen.
Die Publikumsabstimmung zum besten Juror/zur besten Jurorin wurde vom literaturcafe.de 2014 zum ersten Mal durchgeführt. Die erste Preisträgerin war seinerzeit Daniela Strigl.
Das genaue Ergebnis in Zahlen wird wie immer nicht öffentlich bekannt gegeben.
Wie ebenfalls in den Vorjahren haben wir aus ausgewählten Kommentaren, die bei der Abstimmung eingegeben werden mussten, kleine Begründungen zusammengestellt. Wie in den Jahren zuvor gab es erfreulicherweise keinen Juror und keine Jurorin, der oder die gar keine Stimme erhielt. Wir danken allen, die an der Abstimmung teilgenommen und so großartige Begründungen geliefert haben!
Der Preis ist undatiert und wird am Bachmannpreis-Sonntag symbolisch überreicht.
1. Platz: Thomas Strässle
Vorjahresplatzierung: –
Thomas Strässle ist ein stets sachlich argumentierender Juror, der immer fähig war, bei neuen Denkanstößen durch andere seine Positionen neu zu formulieren, der einzige neben Insa Wilke, der auf Widerspruch auch mal mit »Ja, das stimmt.« geantwortet hat. Er hat explizit nach argumentierten Begründungen gefragt, wenn von anderen Jurymitgliedern bloß behauptet wurde, war dabei immer respektvoll und ist auch nie jemandem ins Wort gefallen. Eine große Bereicherung für die Jury!
Strässle argumentiert sachlich, ruhig und ohne dieses unsägliche Germanistensprech. Von großartigen Sensationalismen ist bei ihm nicht die Rede. Man kann ihm gut zuhören, auch wenn man das Urteil nicht immer teilt.
Thomas Strässle war als neues Jury-Mitglied eine Bereicherung durch seine klaren Beiträge, den respektvollen Ton … und den Wunsch, über den Begriff „konventionell“ zu diskutieren.
Herr Strässle verdient den Preis, denn
- er argumentiert kenntnisreich, sachbezogen und vollkommen transparent
- er ist hellhörig für verschiedene Aspekte der zu Diskussion stehenden Texte
- er reagiert in der Diskussion freundlich, aber dezidiert auf entgegengesetzte Meinungen.
Glückwunsch: Thomas Strässle im Interview
In Folge 5 des Bachmannpreis-PodcastFolge 5 des Bachmannpreis-Podcast ist ein Interview mit Thomas Strässle zu hören. Dort berichtet er, warum er nach etwas Bedenkzeit gerne beim Bachmannpreis zugesagt hat und wie er seine Rolle in der Jury-Runde sieht. Zudem erfahren wir, wie er seine beiden Texte für den Wettbewerb ausgewählt hat. Das Gespräch kann über den Audio-Player direkt angewählt werden.
Hier klicken und zum Gespräch mit Thomas Strässle »
2. Platz: Insa Wilke
Vorjahresplatzierung: 4
Insa Wilke bewertet konsequent hochqualifiziert, sachlich fundiert, äußerst fair und sympathisch, scheut sich nicht klar und auch kontrovers zu kommunizieren, ist motivierend, mutig und sehr erfahren in dem, was sie denkt, sagt, schreibt, tut. Kurzum ein Vorbild für alle, die ihr noch folgen.
Kenntnisreich, mal leidenschaftlich, mal vermittelnd, differenziert, humorvoll, theoretisch versiert, streitlustig, uneitel, stringent, nachvollziehbar.
Orientiert sich am deutlichsten an literaturkritischen Kriterien ohne dabei in Formalismus und Rechthaberei zu verfallen. Trägt überwiegend in ruhigem, unaufgeregten Tonfall vor, urteilt und begründet nachvollziehbar. Souverän in ihrer Aufgabe (trotz des immer weiter fortschreitenden Show-Charakters der TddL).
Unter mehreren guten Juror:innen ist Insa Wilke diejenige, die am genauesten die einzelnen Texte befragt. Sie entdeckt oft Sinnpotenziale in ihnen, die in der Diskussion sonst kaum zur Sprache kommen und kann ihre Lesart nachvollziehbar und eloquent begründen. Ihr Ton ist dabei sachlich, freundlich und nicht-konfrontativ. Ihr Statement zu Beginn des Bachmannpreises, das für ein Prinzip des Dialogischen auch in der Kritik warb, überzeugte ebenfalls.
3. Platz: Brigitte Schwens-Harrant
Vorjahresplatzierung: 1
Frau Schwens-Harrant konzentriert sich in ihren Urteilen auf den Text selbst und begründet ihre Einschätzung nachvollziehbar, mit Belegen am Text und intertextuellen Vergleichen/Bezügen. Aus ihren Ausführungen spricht großes Engagement und Involviertheit, dennoch ist sie angemessen kontrolliert/diszipliniert und bleibt gegenüber den Autor*innen und den anderen Juror*innen fair und sachlich.
Frau Schwens-Harrant geht respektvoll und offen an die Texte (übrigens auch an die Mitjuroren) heran, ihre Auseinandersetzung mit den Texten ist differenziert, kenntnisreich, nahe am Text, sie argumentiert genau und nachvollziehbar und ohne Selbstdarstellungs-Attitüde. Sie formuliert ihre Meinung ohne Absolutheitsanspruch. Im Mittelpunkt steht der Wunsch, einen Text in seinen Facetten, Traditionen, Zusammenhängen zu erfassen. Ob sie ihn dann für mehr oder weniger gelungen erachtet, ist zweitrangig. Und so sollte es auch sein.
Bewertet einen Text an seinem eigenen Anspruch, d.h. ob es gelungen ist das gewählte Motiv (Thema) in gelungener Weise zu veranschaulichen/darzustellen, bringt vor ihrer Wortmeldung noch nicht erwähnte Aspekte ein, nimmt argumentativ Bezug auf Wortmeldungen anderer Jurymitglieder (vertiefend statt bloß bejahend oder widerlegend statt bloß ablehnend), legt subjektive Vorlieben offen, macht sie jedoch nicht zum vordringlichen Bewertungsmaßstab.
4. Platz: Philipp Tingler
Vorjahresplatzierung: 5
Trat aus dem Chor des Konsens des öfteren mit überzeugender Argumentation aus. Emotionen spielten eine große Rolle dieses Jahr. Ich denke, es sollte mehr um die Bewertung der literarischen Qualität der Texte gehen, deshalb gebe ich meine Stimme Philipp Tingler. Ich schätze seine erhellenden Analysen. Außerdem hat er zwei gesellschaftskritische Texte mitgebracht, autofiktionale gab es ja mehr als genug.
Text nicht Vortrag steht im Vordergrund, bringt oft interessante Aspekte zu Sprache und Struktur ein und hat für Zuhörende/Zustehende klar nachvollziehbare Beurteilungskriterien, nimmt sich 2023 als Person sympathisch zurück und inszeniert sich kaum, auch deshalb mein Entschluss, meine Stimme ihm zu geben.
Wohltuend: nicht so krawallig wie im letzten Jahr, zudem wirklich mit dem Besteck der Literaturkritik arbeitend – also Bewertungskriterien an den Text anlegend und bemaßend beurteilen – zum Glück nicht das unglaubliche Kriterium: »Ich finde den Text großartig / der Text gefällt mir.« –> wie etwa Frau Sanyal, denn was hat persönliches Gefallen oder ob man sich selbst im Text entdeckt …mit der Qualität eines Textes zu tun? Herr Tingler vermag Fachworte sachlich und ruhig zu gebrauchen. Das ist wirkliche Literaturkritik.
Mit seinem thematisch vielschichtigen Blick (Literatur, Philosophie, Ökonomie etc) und seinem Mut sachlich ! gegen den Tenor zu argumentieren und damit neue Sichtweisen zu ermöglichen, ist Philipp Tingler immer und überall eine Bereicherung! Da darf er auch ein bisschen das enfant terrible zelebrieren – so gut angezogen allemal! In diesem Jahr hat er besonders gut das Verhältnis Individuum und Gesellschaft immer wieder thematisiert. Es scheiden sich die Geister wohl an ihm: hassen oder lieben. Ich tue letzteres und hoffe, dass Philipp Tingler auch im kommenden Jahr wieder in der Jury sitzt!
5. Platz: Klaus Kastberger
Vorjahresplatzierung: 6
Kastberger ist der einzige Lebendige in dieser Runde der Biedermänner.
Klaus Kastberger fragt nach dem außergewöhnlichen, unkonventionellen in den Texten. Für ihn ist der Humor aber auch unvorhersehbare Gedankengänge in der Literatur wichtig. Seine Ehrlichkeit in Bezug auf die Texte gefällt mir.
Guter Kritiker, urteilt mit literarischer Kompetenz, Kopf aber auch mit Herz. Gute Mischung Distanz und Nahblick auf Texte. Seine Art auf die Texte zuzugehen ist einzigartig. Bei ihm stimmt Argumentation und Emotionalität perfekt zusammen.
6. Platz: Mithu Sanyal
Vorjahresplatzierung: –
Mithu Sanyal war für mich in der Kritikerrunde während der drei Tage eine Stimme, die Vernunft und Gefühl in ihr Urteil einfließen ließ. Ich fand sie unter anderem überzeugend, weil sie so oft Gedanken äußerte, die mich selbst beim Zuhören ebenfalls beschäftigt hatten, wie zum Beispiel, wie der Text von Laura Leupi wohl enden werde. Als Newcomerin war sie eine echte Bereicherung der Jury, und ich würde mich freuen, wenn sie nächstes Jahr wieder dabei wäre.
Beide Texte, die sie mitgebracht hat, waren sowohl inhaltlich als auch formal bereichernd und ihre Form der Kritik hat einen frischen Wind in die Diskussion gebracht.
Ehrlich und direkt. Diese Tonlage kam zwischen all den Pauken und Trompeten mit ihren lauten Egos zuletzt oft zu kurz.
7. Platz: Mara Delius
Vorjahresplatzierung: 3
Die Einzige , die nicht emotional durch die Bildröhre fährt, explodierend durch den Wald schlägt, sondern sachlich das Publikum unterhält , anregt indem sie die Texte fachlich analysiert, ohne dabei die Meinung der Mitjuroren geistig erschlägt sondern ergänzt oder akzeptiert.
Ruhig, klar und nicht auf Krawall aus. Sie bleibt immer die so wichtige theoretische Stimme.
Strässle, sachlich ruhig.
Mein Favorit ist eindeutig Herr Tingler, den ich aus dem Schweizerischen Literaturclub kenne, wo er ebenfalls bissig und politisch unkorrekt, dh. fachlich kompetent und aufrichtig Bücher analysiert und mit Witz und Esprit den oft langweiligen Literaturdiskurs auflockert.