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Bachmannpreis 2023 geht an Valeria Gordeev für den Text »Er putzt«

Sie können sich über Ihre Preis freuen: Martin Piekar, Anna Felnhofer, Valeria Gordeev und Laura Leupi (Foto: Tischer)
Sie können sich über ihre Preise freuen: Martin Piekar, Anna Felnhofer, Valeria Gordeev und Laura Leupi (Foto: Tischer)

Valeria Gordeev ist die Gewinnerin des mit 25.000 Euro dotierten Bachmannpreis‘ 2023. In der Jurywertung lag ihr Text nur einen Punkt vor Anna Felnhofer, die den Deutschlandfunkpreis erhielt. Weitere Preise gingen an Martin Piekar und Laura Leupi, über deren Platzierung eine Stichwahl entscheiden musste.

Ein Punkt macht den Bachmannpreis

Am Sonntag um die Mittagszeit ist die Stunde der Wahrheit und die Stunde der Preise. Drei Tage lang haben in diesem Jahr 12 Autorinnen und Autoren ihre Texte vor Jury und Publikum gelesen.

Und dann stimmt die Jury live vor Kamera und seit letztem Jahr ohne Begründung ab.

Fünf bis einen Punkt dürfen die sieben Jury-Mitglieder für die Texte vergeben, eine Punktvergabe an die eigenen eingeladenen Texte ist ausgeschlossen.

Erstmals wurden in diesem Jahr die vier höchsten Punktwerte noch ohne Namen im Fernsehen und Studio angezeigt. Schon da war klar, der Bachmannpreis basiert auf dem Vorsprung von nur einem Punkt: 19 Punkte Bachmannpreis, 18 Punkte Deutschlandfunkpreis.

Stichwahl legt Gewinner offen

Zweimal gab es dann noch 11 Punkte, sodass eine Stichwahl notwendig wurde, wer den Kelag-Preis und wer den 3sat-Preis erhält. Hierzu wurden die Namen erstaunlicherweise auch fürs Publikum aufgedeckt, sodass klar war, dass Martin Piekar und Laura Leupi nicht den Hauptpreis erhalten werden. Und als Laura Leupi dann den 3sat-Preis bekam, war auch schon einmal klar, dass Martin Piekar der Kelag-Preis erhält. Er musste sich aber, sichtlich gerührt und mit den Tränen kämpfend, noch etwas an der Tür des ORF-Studios gedulden. Obendrein erhielt er wenige Minuten später auch noch den mit 7.000 Euro dotierten Publikumspreis und wird im nächsten Jahr Stadtschreiber sein. Ein Gespräch mit Martin Piekar ist im Podcast von Tag 2 zu hören.

Anna Felnhofer war die Autorin hinter den 18 Punkten. Sie erhielt für ihren Text eines gemobbten Jugendlichen, der an Gesichtsblindheit leidet, den Deutschlandfunk-Preis. Mit Anna Felnhofer ist ebenfalls ein Gespräch im Podcast nachzuhören.

Der Haupt- und Bachmannpreis des Jahres 2023 ging schließlich an Valeria Gordeev für ihren Text über einen Mann mit Putzwahn. Ein Text, unter dessen glattgescheuerter Oberfläche sich einiges verbarg. Jurorin Insa Wilke hatte die Autorin eingeladen.

Erfolg für Schwens-Harrant und Kastberger

Auch für die Juroren Brigitte Schwens-Harrant und Klaus Kastberger war es ein Erfolg. Obwohl beide aufgrund von Absagen nur einen Text im Rennen hatten, konnten beide eine Laudatio auf die von ihnen Eingeladenen, Anna Felnhofer und Martin Piekar, halten.

Laura Leupi wurde von Thomas Strässle nach Klagenfurt geholt. Neu-Juror Strässle wurde in einer Publikumsabstimmung des literaturcafe.de zum beliebtesten Juror des Jahres 2023 gewählt und platzierte obendrein einen Gewinnertext.

In diesem Jahr gab es ohnehin viele starke Texte, und es ist bedauerlich, dass einige von der Jury überaus gut besprochenen Werke am Ende ohne Preis aus dem Wettbewerb hinausgingen.

Performance gehört dazu, die Klimakrise nicht

Deutlich wurde auch, dass mittlerweile Vortrag und »Performance« des Textes zum »Gesamtpackage« (Klaus Kastberger) dazugehören. Zum Glück fernab einer aufmerksamkeitsheischenden Aktion wie blutig ritzen oder Text aufessen. Es lohnt sich, die Auftritte von Martin Piekar und Laura Leupi nochmals anzusehen, die einen ganz eigenen Weg der Präsentation wählten, ohne wie Poetry-Slam oder Lesebühne zu wirken. Dass Bachmannpreis und Deutschlandfunkpreis an ebenfalls herausragende aber ruhig vorgetragene Werke ging, zeigt die erfreuliche Bandbreite, die aktuelle Texte haben.

Wenn man ein Schwerpunktthema 2023 ausmachen will, so behandelten viele Texte die Beziehung von Kindern zu ihren Eltern, nicht selten im Angesicht von Tod und Krankheit.

Die Klimakrise tauchte hingegen nur einmal als Wort im Alphabet von Laura Leupi auf. Literarisch spielte sie keine Rolle.

Wolfgang Tischer

Die Preisträger:innen des Jahres 2023

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4 Kommentare

  1. Die neue Wertung ist einerseits gut und vielleicht etwas gerechter, da es nun direkt nach Punkten geht. Allerdings fehlen die Begründung der Juroren und wer wie abgestimmt hat. Dies sollte im nächsten Jahr unbedingt ergänzt werden. – Die Punktevergabe der einzelnen Juroren könnte doch öffentlich gezeigt werden – warum denn nicht? Vielleicht nicht gerechter – aber spannender waren die vorigen Wertungen.

  2. So unterschiedliche literarische Texte von so verschiedenen Juroren beurteilen zu lassen und zu bestimmen, welcher Text und dessen Vortrag und Präsentation ( Gesamtpaket, wie es Herr Kastberger nannte) der beste sei, ist ohnedies willkürlich und hinterfragenswert.
    Bei einem solchen Literaturwettbeweb geht es vielmehr um kritische öffentliche Vorstellung und Besprechung neuer Autorinnen und Autoren und neuer Trends und Strömungen in der Literatur und das in unterhaltsamer und trotzdem anspruchsvoller Form. Wenn das gelingt sind die Preise Nebensache.

  3. Der ORF hat inzwischen die Abstimmungsergebnisse veröffentlicht: https://bachmannpreis.orf.at/stories/3214119/ (ganz unten auf der Seite). Sehr interessant! Für mich sieht es ein bisschen danach aus, als ob jemand (die Juryvorsitzende!) so abgestimmt hat, um eine Stichwahl zwischen Valeria Gordeev und Anna Felnhofer zu verhindern. Anders kann ich es mir nicht erklären, warum jemand Punkte an Andreas Stichmann und Jacinta Nandi geben würde, aber nicht an Anna Felnhofer (vor allem weil deren Text in der Diskussion von allen Jurymitgliedern positiv bewertet worden war). Die Stichwahl hätte Valeria Gordeev vermutlich verloren. Die Entscheidung hätte dann bei Mithu Sanyal gelegen, die Valeria Gordeev keine Punkte gegeben hat – was aber auch mit ihren Statements während der Jurydiskussion übereinstimmt. Mithu Sanyal und Mara Delius waren die Einzigen, die von dem Gordeev-Text nicht restlos begeistert waren. Interessant an den Abstimmungsergebnissen ist auch, dass man bestimmte „Allianzen“ erkennen kann, die wechselseitig für die Autorinnen und Autoren des jeweils anderen abstimmen (Kastberger-Wilke, Tingler-Delius). Zum Teil stimmt die Punktewertung durchaus mit den Statements während der Diskussion überein, manchmal aber nicht. Das bestätigt eigentlich, was viele bereits seit Jahren vermuten: Einige Jurymitglieder stimmen strategisch ab. Herr Tischer, könnten Sie noch einen Beitrag oder einen Podcast zu der Punktewertung machen? Mich würde Ihre Meinung dazu interessieren.

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