Seltener als zu den Hype-Zeiten vor einigen Jahren berichten Zeitungen über Self-Publisher. Am Montag gab es einen Bericht in den Stuttgarter Nachrichten. Doch diese Beiträge vermitteln ein naives und falsches Bild übers Self-Publishing und das Handwerk des Schreibens.
Normalerweise erscheinen Beiträge übers Self-Publishing kurz vor den Buchmessen. Erstaunlich, dass die Stuttgarter Nachrichten mitten im Januar einen Beitrag übers Self-Publishing veröffentlichen. Ich hätte den Beitrag in meinem Seminar am vergangenen Samstag gebrauchen können, kann ihn aber auf jeden Fall im nächsten Seminar Anfang März einsetzen. Ich sammle solche Artikel, um den Teilnehmern zu zeigen, dass diese Beiträge stets dem gleichen Muster folgen, das eigentliche Problemfeld beim Self-Publishing jedoch ausklammern. So entsteht ein falsches Bild, und es werden falsche Hoffnungen geweckt.
Der typische Zeitungsbericht übers Self-Publishing
Der typische Aufbau eines Zeitungsbeitrags übers Self-Publishing sieht so aus:
- Sofern es sich nicht um einen umgeschriebenen dpa-Artikel handelt, wird eine regionale Autorin oder ein regionaler Autor vorgestellt. Zeitungen, genauso wie ARD-Sender, benötigen in der Regel einen lokalen Bezug für ihre Story.
- Die Autorin berichtet davon, dass sie ihr erstes Buch geschrieben habe, meist eine Fantasy-Geschichte oder einen Text mit biografischem Bezug.
- Die Autorin berichtet davon, dass sie das Manuskript an viele Verlage geschickt habe, doch dass sie nur Absagen bekommen habe oder sich die Verlage überhaupt nicht gemeldet hätten.
- Die Autorin erzählt, dass sie ihr Werk schließlich als Self-Publisherin veröffentlicht habe.
- Der Beitrag zitiert Matthias Matting von der selfpublisherbibel.de mit Zahlen über den Self-Publishing-Markt. Aufgrund seiner Umfragen und Analysen ist er der einzige, der Zahlen nennt, da Amazon und Tolino in der Regel keine Daten über veröffentlichte Werke nennen.
- Der Beitrag zitiert jemanden aus einem Verlag, vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels oder einen Hochschulprofessor, der attestiert, dass sich der Buchmarkt in den letzten Jahren schon verändert habe und Self-Publishing durchaus eine Option geworden sei. In der Regel bietet der Verlag eine eigene Plattform für Self-Publisher an.
- Die Autorin berichtet, dass es, trotz aufmunterndem Zuspruch durch Freunde und Verwandte nicht einfach sei, das Buch zu verkaufen. In dieser Hinsicht sei sie sehr erfolglos.
- Der Beitrag endet damit, dass die Autorin aber weiterhin guter Dinge ist, da das Schreiben für sie ein wichtiger Bestandteils ihres Lebens sei und sie trotzdem am nächsten Buch arbeite. Irgendwann werde es schon klappen und werden sich Leser finden. Vielleicht sogar über einen Verlag.
Diesen Beitrag gibt es auch in einer Variante mit einer erfolgreichen Self-Publisherin, die eine große Leserschaft erreicht und viele Bücher verkauft. Entweder ersetzt sie im Beitrag die erfolglose Autorin komplett, oder der Erfolg wird dem Misserfolg gegenübergestellt. Auch die erfolgreiche Self-Publisherin erzählt zunächst von den vielen Verlagsabsagen, berichtet dann von ihren Verkaufserfolgen, am besten in Form von monatlichen Einnahmen. Nach den Zitaten von Matthias Matting und des Verlagsmitarbeiters erzählt die kommerziell erfolgreiche Self-Publisherin dann, dass der Aufwand fürs Marketing bzw. den Leserinnenkontakt hoch sei, das ganze aber Spaß mache. Der Beitrag über die erfolgreiche Self-Publisherin endet in den meisten Fällen damit, dass diese nun auch Bücher bei einem »richtigen« Verlag veröffentlicht oder sich zumindest Verlage bei ihr gemeldet hätten.
Der Beitrag in den Stuttgarter Nachrichten fällt in die erste Kategorie mit einer erfolglosen Self-Publisherin, die kaum Leserinnen hat.
Erfolg ist keine Marketing-Frage
Nie wird in diesen Beiträgen über Inhalt und Qualität gesprochen. Wenn über Self-Publisher berichtet wird, dann geht es um Erfolg oder Misserfolg beim Buchverkauf und die Veränderungen auf dem Buchmarkt.
Es wird der Eindruck erweckt, dass die Zahl der Käufer und Leser lediglich eine Frage des (Selbst-)Marketings sei. Die Artikel bedienen das Vorurteil, das viele Leser und Autoren vom Buchmarkt haben: Mit einem entsprechend großen Marketing-Budget kann man jedes Buch zum Bestseller machen. Experten wissen, dass das Unsinn ist.
So heißt es im erwähnten Artikel der Stuttgarter Zeitung vom 21. Januar 2019:
Die 37-Jährige hat einen Vollzeitjob, mehr als 40 Stunden in der Woche verfasst sie Produkttexte für ein Unternehmen. Zeit für Selbstvermarktung findet sie selten, weshalb sie bisher auch kaum Exemplare ihres Romans verkauft hat. „Wenn ich in den Rankings wirklich oben auftauchen wollen würde, müsste ich viel präsenter sein“, sagt sie.
Wie sehr sich dieser Glaube bei den Autorinnen und Autoren verankert, stelle ich in der Vorstellungsrunde meiner Seminare fest. Nach dem Grund gefragt, warum die Teilnehmerinnen etwas übers Self-Publishing lernen wollen, höre ich nicht selten: »Ich würde gerne wissen, was ich in Sachen Marketing tun kann, um mein Buch bekannt zu machen und mehr zu verkaufen.«
Natürlich gibt es Dinge, die man in Sachen Vermarktung tun kann und lassen sollte, und als Self-Publisher muss man für den Leser präsent sein. Nur: Im Kern liegt es eben nicht am Marketing, wenn sich ein Buch nicht verkauft. Wäre es so simpel, würden Verlage nur Bestseller produzieren.
Äußere Gründe für den Misserfolg
Schaut man sich das im Beitrag der Stuttgarter Nachrichten erwähnte »Fantasy-Epos« mit dem Titel »Dhenari – Hüter der Portale« an, so sieht man sofort eine Vielzahl von äußerlichen und innerlichen Gründen, warum sich das Buch nicht verkauft, und dass diese nichts mit der fehlenden Zeit für die Selbstvermarktung zu tun haben.
Da sich die meisten der folgenden Dinge jederzeit ändern lassen, gilt die Analyse für den 23. Januar 2019 (siehe Screenshot oben).
Der Titel befindet sich bei Amazon auf dem sehr schlechten Verkaufsrang 302.161, am Tag zuvor war es Platz 292.655. Nicht einmal die Erwähnung in den Stuttgarter Nachrichten – freilich ohne direkte Verlinkung – hat offenbar eine Auswirkung auf die Verkäufe. Leserbewertungen hat das Werk aktuell keine einzige.
Die erste Enttäuschung erlebt man beim Blick auf den Umfang des Werkes. Stellt man sich unter einem Fantasy-Epos ein dickes Buch mit mindestens 700 Seiten vor, wie es Fantasy-Leser lieben, so ist Dhenari eher ein Epös-chen. Gäbe es das Buch gedruckt, so hätte es magere 178 Seiten.
Dem gegenüber steht der für einen Self-Publishing-Titel zu hohe Preis von 4,99 Euro. Will die Autorin die relativ hohe Tantieme von rund 70% erhalten, so sollte der Preis auf 2,99 Euro gesenkt werden. Für diesen Preis gibt es bei Amazon wesentlich umfangreichere Fantasy-Titel mit guten Leserbewertungen. Besser wäre es, den Preis noch weiter zu senken.
Dann das Cover: Es suggeriert auf den ersten Blick, dass es sich hier um einen Roman aus dem militärischen Bereich handelt, vielleicht um eine Söldnergeschichte über einen Einzelkämpfer im Urwald. Es ist ein eher typografisches Cover, tarnfarbengrün mit schemenhaft erkennbarem Laubwald. Der Militär-Look entsteht in erster Linie durch die verwendete Schrift. Die unterbrochenen Buchstabenlinien erinnern an Spray-Schablonen, mit denen Militärfahrzeuge oder Frachtcontainer beschriftet werden. Das Cover könnte in dieser Anmutung gut für die Collectors-Edition eines Egoshooters verwendet werden.
Tatsächlich sind wir nun doch beim Marketing, und einer der wichtigsten Aussagen beim Buch lautet: Ein Cover muss verkaufen! Ohne den Titel gelesen zu haben, muss das Cover eines Genre-Titels sofort vermitteln, um was für eine Art von Geschichte es sich handelt. Das Cover von Dhenari signalisiert in keiner Weise, dass es sich hier um eine Fantasy-Geschichte handelt.
Der Titel Dhenari: Hüter der Portale ist in Ordnung. Er macht klar, dass es sich um Fantasy oder Science-Fiction handelt und nicht um einen erotischen Unterhaltungsroman.
An der Buchbeschreibung könnte man noch feilen, doch dieser digitale Klappentext ist grundsätzlich in Ordnung, da er das Universum des Romans deutlich macht und signalisiert, dass es hier wahrscheinlich um High-Fantasy geht. Vielleicht aber auch um Science-Fiction. Die Abgrenzung könnte präziser sein, da die erwähnte Typografie in diesem Zusammenhang wiederum an die Beschriftung von Raumschiffen denken lässt.
Obwohl die Autorin nach eigener Aussage wenig Zeit hat, sollte sie sich 15 Minuten nehmen, um sich auf authorcentral.amazon.de ein Autorenprofil mit -foto anzulegen, sodass beim Buch Infos zur Autorin erscheinen, was das Werk für Leserinnen und Leser persönlicher macht.
Fehlende Qualität beim Inhalt
Soweit zu den nicht unwichtigen »äußeren« Faktoren. Kommen wir zum eigentlichen Knackpunkt: dem Inhalt.
Ich weiß, dass sich da viele um eine klare Aussage herumdrücken. Man würde sie nie in einem solchen Zeitungsartikel finden, und das ist der Grund, warum auch Verlage meist eine klare Aussage vermeiden und lieber eine nichtssagende Standardabsage schicken oder sich gar nicht melden.
Ein kurzer Blick in die Leseprobe zeigt, dass Dhenari kein guter Text ist. Es ist ein Anfängertext, ein Text wie er typisch für den Bereich der Fanfiction oder entsprechender Foren ist, in denen sich das Lesen und Schreiben von Texten vermischt.
Unser Textkritiker Malte Bremer hätte seine Freude an diesem Text. Schon im Pseudo-Prolog erstarrt nichts weniger als »das ganze Universum«. Es gibt das schiefe Bild einer hinwegbrandenden Stille, und konsekutive Handlungen werden sprachlich mit einem »während« verbunden. Am Anfang des Textes stößt ein Fluss einen Paarungsruf aus (»Als ein lauter Paarungsruf vom Fluss ertönte …«). Natürlich ist »vom Fluss her« oder »aus Richtung des Flusses« gemeint, doch diese unfreiwillige Komik zeigt, dass der Text nie einen Lektor gesehen hat, der zudem mindestens die Hälfte der Adjektive gestrichen hätte.
Auf den Inhalt kommt es an
Die wenigsten werden als Schriftsteller geboren. Durch konsequente Textarbeit, Schreibseminare und die Zusammenarbeit mit einer guten Lektorin kann die Autorin ihren Stil sicherlich verbessern. Das allerdings kostet ebenfalls Zeit.
Es ist die Quintessenz meiner Seminare – und ich würde es mir ebenfalls von den Zeitungsbeiträgen wünschen –, dass vermittelt wird, dass ausbleibender Erfolg beim Schreiben primär keine Frage des fehlenden Marketings ist, sondern in den meisten Fällen am schlechten Produkt und am mangelnden Können der Autoren liegt. Schreiben und vor allen Dingen besser werden beim Schreiben ist Arbeit.
Auch vor den Zeiten des Self-Publishing – und leider ab und zu auch heute noch – gab es ähnliche Artikel in den Zeitungen. Auch darin berichtete eine oft noch minderjährige Autorin, dass sie seit der frühesten Kindheit schreibe, aber es von Verlagen nur Absagen gab. Bis sich endlich ein Verlag meldete und nun das Buch sogar auf internationalen Buchmessen ausgestellt werde. Völlig naiv berichten Zeitungen von solch scheinbaren Erfolgen. Doch leider war die junge Autorin in die Hände von Abzockern geraten, also eines Zuschussverlags. Für die Veröffentlichung zahlten die Eltern wahrscheinlich vier- oder gar fünfstellige Summen. Davon steht in diesen Berichten nichts, weil auch der Journalist den Buchmarkt und die Abzocke durch Pseudoverlage nicht kannte.
Nun ist es natürlich weniger schlimm, wenn jemand seinen schlechten Text kostenfrei bei Amazon hochlädt.
Und dennoch wünsche ich mir von den Zeitungsartikeln übers Self-Publishing, dass vermittelt wird, dass es mehr braucht als Zeit fürs (Social-Media-)Marketing und dass der Misserfolg beim Verkauf, über den berichtet wird, beim Blick aufs und ins Buch nicht verwundert.
Darüber, warum selbst gute Bücher erfolglos bleiben, reden wir dann ein anderes Mal.
Wolfgang Tischer
Weitere Links zum Artikel:
- Der Beitrag »Ich bin dann mal Autor« in der Stuttgarter Zeitung vom 21.01.2019 (Online vom 20.01.2019)
- Seminar »Self-Publishing – E-Books selbst erstellen, veröffentlichen und vermarkten« mit Wolfgang Tischer am 21. Mai 2019 in Mannheim
Die seit Jahrzehnten gebetsmühlengleich angelegte Berichterstattung der Holzpresse über die meist lokal/regional greifbaren, aktuell Self-Publisher genannten Autoren auf eigene Kosten hast du aus Sicht meiner Erfahrung als Autor und Verleger sauber zusammengefasst, lieber Wolfgang.
Hinsichtlich der von dir aufgeworfenen Qualitätsfrage und dem damit unterstellten Einfluss auf Umsatz lässt sich mittels der Leseproben der »Top 100« von Amazon unschwer erkennen, dass auch intellektueller Müll täglich 400 bis 500 mal gekauft wird, so lange nur bestimmte Ansprüche an Cover und Titelei erfüllt werden. Ganz offensichtlich wird hier eine Leserschaft bedient, die nicht an die hohen Weihen selbsternannter Literaturpäpste glaubt und weitgehend literarisches Fast Food goutiert, wobei gelegentlich durchaus Perlen unter den Titeln zu entdecken sind.
Nun produziert der SP-Markt genauso wie der klassische Buchmarkt Filetspitzen, Sättigungsbeilagen und Ekelfleisch. Die neuen technischen Möglichkeiten senken die Einstiegshöhe und sind insofern demokratischer, denn die Gatekeeper-Rolle der Verleger wird aufgehoben. Insofern findet ein Paradigmenwechsel statt, der in Sachen literarische Qualität wenig Hoffnung macht. Es ist schlicht so, dass Schleusen geöffnet wurden, die vorher einen kontrollierteren Zufluss in den Buchmarkt gewährleisteten.
Wenn sich nun aber sogar Bücher gut verkaufen lassen, die jeder halbwegs erfahrene Verlagsmensch nie als hochwertig anerkennen würde, dann stellt sich automatisch die Frage nach dem »Wie?«
Und da ist es eben Oldschool-Denken, das Marketing vom ersten Platz zu schubsen. Natürlich wäre es herausgeworfenes Geld, halbseitige Anzeigen in der Bildungspresse zu schalten, denn da sitzt kein Leser. Aber das zielgruppenorientierte Marketing in »sozialen« Netzwerken spielt schon eine wesentliche Rolle, und wenn – beispielsweise durch eine Fangemeinde – mittels dutzender 5-Sterne-Benotungen mehr Sichtbarkeit entsteht, ist das schon der auslösende Moment für einen höheren Absatz.
Lieber Wolfgang Tischer,
stimmt, genauso berichten die Medien über uns Selfpublisher. Der Schluss, zu dem Du kommst, trifft es allerdings – leider – nicht ganz im Kern. Denn Bestsellerplätze erobert man nicht mit inhaltlicher oder sprachlicher Qualität, was ein Blick in die Bestsellerlisten sofort bestätigt. Was im übrigen auch für Verlage zutrifft, nicht alles, was sich für Verlage als gewinnbringend erweist, ist ein literarisches oder sprachliches Meisterwerk. Es kommt darauf an, den Publikumsgeschmack zu treffen. Nur wenn Titel, Cover und Leseprobe den Geschmack der Zielgruppe im Kern treffen, und die Zielgruppe darüber hinaus regelmäßig mit Marketingmaßnahmen bedient wird, kann ein Titel Erfolg haben. Auch Müll hat eine Zielgruppe, sonst würden z.B. viele TV-Sender gar nicht existieren. Eigentlich kann man alles verkaufen, man muss nur genau wissen, für wen man schreibt und wie man diejenigen anspricht. Eine falsche Zielgruppenansprache in Werbung, Gestaltung und Inhalt führt dauerhaft ins Abseits, denn ein enttäuschter Leser wird kein zweites Mal zugreifen.
Liebe Grüße
Nika Lubitsch
Liebe Nika Lubitsch,
lieber Ruprecht Frieling,
vielen Dank für eure Kommentare, denen ich absolut zustimme und die den Artikel gut ergänzen. Schön, dass ihr sie hier geschrieben habt, wo sie nicht in einer Timeline versickern, sondern für alle lesbar sind.
Das Resümee meines Artikels soll jedoch nicht sein, dass sich Qualität durchsetzt oder Qualität zwingende Voraussetzung für den Erfolg ist. Das wäre ein Missverständnis. In dieser Hinsicht muss man auch nicht auf E-Book-Bestsellerlisten bei Amazon schauen, da reicht sogar der Blick auf die SPIEGEL-Bestsellerliste 🙂 Allein durch den letzten Satz des Beitrags wollte ich andeuten, dass der Umkehrschluss »Qualität setzt sich durch« nicht gilt.
In einem anderen Beitrag über die Veränderungen, die das Self-Publishing für den Buchmarkt gebracht hat, habe ich das mal provokativ und wegen der schönen Alliteration einen »Markt für das Minderwertige« genannt, den das Self-Publishing erst erschlossen hat. Das ist gar nicht so abwertend gemeint, wie es einige aufgefasst haben. Tatsächlich zeigt der Self-Publishing-Markt, dass es für Texte einen Markt gibt, die selbst bei Verlagen im nicht allzu anspruchsvollen Bereich abgelehnt worden wären. Auch diese Texte finden durchs Self-Publishing ihre begeisterte Zielgruppe. Und das ist ja auch ok.
Doch es ist essentiell wichtig, dass alle Elemente eines Buches diese Zielgruppe ansprechen (Cover, Titel, Buchbeschreibung, Preis, Inhalt …), da auch die Bewertungskriterien auf den Online-Plattformen nicht die der Literaturkritiker oder Lektoren sind. Nichts ist schlimmer, als wenn eines der Elemente eine falsche Zielgruppe anspricht und es eine 1-Sterne-Wertung gibt à la »Ich habe mir bei dem Cover ganz was anderes vorgestellt«. John Locke hat das schon vor Jahren in seinem Ratgeber sehr amerikanisch-selbstsicher (heute würde man wohl sagen »Trump-artig«) auf den Punkt gebracht: »Wer dein Buch nicht mag, gehört nicht zu deiner Zielgruppe!« So einfach kann man es sich natürlich auch machen. Dennoch lohnt es sich einmal zu analysieren, ob es da nicht auch andere Gründe geben könnte.
Beste Grüße
Wolfgang Tischer
Ich denke, die Quintessenz und wichtigste Aussage in Deinem Artikel, lieber Wolfgang ist: Erfolg auf dem Buchmarkt ist nicht planbar. Vor allem nicht, weil sich Erfolg verschieden definieren lässt. Nika und Ruprecht haben es schon erwähnt: Gerade bei Amazon findet sich viel Fast-Food oder sogar Müll unter den Top 500. Beobachtet man einige dieser Bücher mal eine Weile, stellt man aber schnell fest, dass viele dieser Bücher genauso schnell wieder in der Versenkung verschwinden, wie sie nach oben geschossen sind. Oft beträgt die Halbwertszeit solcher Bücher nicht mehr als einen Monat. Was auch die Frequenz erklärt, mit der manche veröffentlichen.
Ich meine mich zu erinnern, dass es Stephen King war, der geschrieben hatte, dass vor allem Qualität und Straffung des Textes dabei die wichtigsten Faktoren seien, um einen Long-seller zu produzieren.
Ich denke, Marketing und Fan-service haben ihren Platz, um Initiale Verkäufe und Sichtbarkeit zu erreichen, vor allem auf den Online-Verkaufsplattformen. Für langfristigen Erfolg stimme ich King zu. Und füge höchstens noch an, dass es sicher für moderne Autoren hilfreich ist, sich auch eine “Marke” oder “Corporate Identity” zuzulegen, was über Genrebücher und dauerhafte Präsenz in sozialen Medien machbar ist. Beispiele wie Poppy Anderson zeigen das. Da geht es es eben um Liebes-Fast-Food-Lektüre und das wissen ihre Leser. Die Bücher haben sicher wenig Halbwertszeit, aber das macht sie allemal durch Produktivität wett. Nika ist selbst ein gutes Beispiel. Ihre Marke sind die Berlin-Krimis, wage ich mal zu behaupten. Dank Qualität mit etwas mehr Halbwertszeit, aber eben auch etwas niedrigerer Veröffentlichungsfrequenz.
Was man auch beobachten kann: Erfolg gebiert Erfolg. Ein bereits erfolgreicher Autor wird weniger Probleme haben, ein neues Buch gut zu platzieren. Der gemeine Leser scheint nun mal mehr vom Gleichen zu wollen. Selbst mich als ehemals moderat erfolgreichen Autor, dessen letzte Veröffentlichung nun bereits 7 Jahre her ist, erreicht noch regelmässig die Frage, ob und wann jetzt noch mal eine Fortsetzung erscheint. Die Häufigkeit solcher Anfragen korrelierte bei mir natürlich auch stark mit den momentanen Verkäufen.
Insofern muss ich/man vielleicht qualifizieren: Initialer Erfolg, für ein neues Buch von einem unbekannten Autor ist nicht planbar. Dauerhafter Erfolg für einen produktiven Autor, je nach Definition von “Erfolg” ist zumindest beeinflussbar.
Lieber Wolfgang Tischer,
in NRW werden wir derzeit im 20-Minuten-Takt mit Werbung über den Roman “Und dann bin ich auf den Baum geklettert”, des Inhabers, Sohnes oder was auch immer der Drogeriekette Rossman beschallt. Den Roman soll es dort auch zu kaufen geben. Wahrscheinlich nicht neben dem Klopapier. Laut Radio-Werbung hat der Roman bereits Platz sieben der Spiegel-Bestsellerliste erklommen. Ganz ohne Self-Publishing und Marketingsseminare! Bleibt zu empfehlen, vor der ersten Veröffentlichung, eine Drogeriekette zu eröffnen.
Herzlicher Gruß,
Hanna-Laura Noack
Ihr habt es gemeinsam gut herausgearbeitet. Wolfgang zeigt ja selbst, dass bei Dhenari sowohl inhaltlich als auch im Marketing Verbesserungen möglich sind. Beides ist relevant. Dhenari hat bis jetzt (30.01.2019 13:05) immer noch keine Bewertungen. Da ist in der Vorbereitung etwas schief gelaufen, und zwar im Marketing. Ja, gute Bücher können erfolglos bleiben und weniger gelungene erfolgreich sein. Es gibt auch eine Nachfrage für inhaltliche Leichtgewichte. Chacun à son goût. Man muss kein Social Media Nerd sein um Erfolg zu haben (siehe Patrick Süßkind) und kein Stephen King um sich gut zu verkaufen. Ein Buch muss eine Zielgruppe haben und für diese sichtbar sein. Inhalt und Marketing müssen zueinander passen. So einfach ist das im Prinzip. Die konkrete Ausgestaltung ist die Kunst.
Hierzu passt auch https://www.literaturcafe.de/aufbau-einer-autorenmarke-mitschnitt-von-der-frankfurter-buchmesse-2018/
Ich behaupte dennoch, dass Marketing (dazu gehört auch Cover- und Preisgestaltung) für den Verkaufserfolg wichtiger ist, als inhaltliche Qualität. Als Beweis ziehe ich die unzähligen schlechten Verlagsbücher heran, die zwar nicht immer (aber immer noch zu oft) Bestseller wurden und mit zig Fortsetzung in zig Sprachen veröffentlicht wurden. Es gibt einfach einen sehr lukrativen Markt für Schund. Die meisten Leser sind eben eher anspruchslos und würden sich an einem “Paarungsruf vom Fluss” oder Adjektivitis überhaupt nicht stören.