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lit.COLOGNE die 10. – Ein Rückblick von Barbara Fellgiebel

WasserglasNiemand bringt so viele Promi-Namen in einem Text unter wie sie: Barbara Fellgiebel, Autorin unserer alljährlichen Frankfurter Buchmesseimpressionen und Veranstalterin des 1. Literaturfestivals an der Algarve, hat die lit.COLOGNE in Köln besucht, die in diesem Jahr vom 10. bis 20. März 2010 stattfand. Hier ihr Bericht:

Lit.COLOGNE die Zehnte – meine Zweite. Die Faszination des Erstbesuches, der Blindheit frischer Verliebtheit nicht unähnlich, weicht der erleichternden Reihe von Wiedererkennungseffekten – wie Sex beim zweiten Mal, wo sich Fehler vermeiden lassen und man weiß, was gut tut.

Meine lit.COLOGNE beginnt am 11. März 2010 mit einem Besuch in der Maria-Hilf-Straße, dem Hauptquartier der lit.COLOGNE. Ein verstecktes Lagerlokal auf einem Hinterhof, genauso low-key mäßig, wie die drei erfolgreichen Macher von Europas bedeutendstem Literaturfestival nun mal sind. Bescheiden, zurückhaltend, lieber weniger als zu viel sagend. Kein Wunder, das Erfolgsrezept wird von vielen hinterfragt, von manchen Orten abgekupfert aber nie erreicht.

Denn in Köln kommen viele glückliche Umstände zusammen, allen voran der WDR, offiziell der Medienpartner und Supersponsor des Festivals schlechthin, dicht gefolgt von den Hauptsponsoren Rheinenergie. Lanxess und Thalia.de sowie namhaften Förderern wie der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, Kunststiftung NRW, Stadt Köln, KölnTourismus usw usf. jeder, der was auf sich hält fördert und füttert dieses goldene Kalb, von dem alle profitieren.

»Wir finanzieren uns ausschließlich durch den Ticketverkauf und unsere Sponsoren«, wurde mir stolz im letzten Jahr versichert. Kann man dem informativen Dokumentarfilm »10 Jahre lit.COLOGNE – ein Blick hinter die Kulissen«, den der WDR am 15.3. ausstrahlte glauben, beträgt der Etat in diesem Jahr 1,2 Millionen Euro.

103 Leseveranstaltungen für Erwachsene, über 70 Kinderlesungen (im Rahmen der lit.kid.COLOGNE, die die Imhoff-Stiftung fördert), finden an 10 Tagen statt und wer was auf sich hält in Köln, besucht im Schnitt drei Veranstaltungen in dieser Zeit.

Drei Monate vor dem großen Ereignis werden 400.000 der taschenkalenderformatigen, jedes Jahr dickeren Programme flächendeckend über die Stadt verteilt und damit geht der Run auf die 80.000 Tickets bei den Vorverkaufsstellen los.

Lit. COLOGNE überschneidet sich zwar mit der Leipziger Buchmesse, aber sie ist keine Buchmesse sondern ein Publikumsereignis, bei dem bestenfalls der ALFA-Effekt entsteht: Hörer(in) ist dank der persönlichen Begegnung mit dem Autor/der Autorin so begeistert, dass er oder sie sofort das vorgestellte Buch erwirbt und lesen will.

Mich erstaunt dieses Kölner Publikum: es ist zahlreich und zahlkräftig (die Veranstaltungen kosten von 13,50 bis 53,50 Euro), Kinderveranstaltungen sind billiger, der lit.Marathon (=24 Stunden non stop Lesungen) sowie ein paar andere WDR-events sind kostenlos und entsprechend überwältigend besucht: Hat da jemand gesagt, das Buch stirbt aus? Der Mensch von heute liest nicht mehr?

Nun, vorlesen lässt er sich gar zu gern und die Chance, Autoren zum Anfassen zu treffen, nehmen erfreulich viele Menschen aller Generationen wahr.

Wie wählt man unter 175 Veranstaltungen die richtigen aus?

Herta Müller mit dem chinesischen Künstler Ai Weiwei und der misslungenen Moderation des von mir so geschätzten Michael Krüger (auch die besten haben mal einen schlechten Tag) erspare ich mir, zumal ich so positive Erinnerungen an sie von der Frankfurter Buchmesse habe, das kann eine Lesung in Köln nicht toppen.

Freitag, 12. März 2010

Bei meiner ersten Lesung in diesem Jahr lande ich im Arkadas Theater im hintersten Ehrenfeld, einem Viertel mit starkem Migrationseinfluss, wie das wohl heute politisch korrekt genannt wird.

Na, dahin wird sich wohl kaum jemand verirren, denke ich still und bin nicht bass erstaunt, Trauben von Menschen vor diesem Theater auf Einlass wartend zu sehen. 150 Frauen und 8 Quotenmänner ergattern einen der begehrten, nicht ausreichenden Sitzplätze. »100 Frauen durch den Wind« heißt die Veranstaltung, die nach bewährtem Prinzip abläuft:

Eine Vertreterin des »harten Kerns«, will sagen der 12 das ganze Jahr mit lit.COLOGNE beschäftigten Macher(innen) begrüßt das Publikum, wünscht gute Unterhaltung und erwähnt die Sponsoren der jeweiligen Veranstaltung dankend. Diesmal ist es Regina Schilling, die ihre Sache gekonnt macht und druckreif spricht. Moderatorin Wiebke Porombka redet da eher mal ins Unreine was sie mit jugendlichem Charme wieder wettmacht. Solange das Publikum lacht, ist alles erlaubt. Martina Zöllner ist die Autorin von 100 Frauen, Annika Reich von Durch den Wind und aufgrund gewisser Gemeinsamkeiten hat man die beiden in einer Lesung kombiniert. Martina Zöllner beginnt zu lesen und schnell strömt der Autorin geballte Sympathie entgegen.

Annika Reich erntet viele Wiedererkennungsnicker als sie schildert, wie vier Frauen die größtmögliche Freiheit zwischen 20 und 30 erleben und plötzlich eine Art Torschlusspanik und einen Sich-Festlege-Zwang erleben.

»Die sonntägliche existenzielle Einsamkeit der Frauen ist universell, egal ob sie in einer Beziehung leben oder nicht« konstatiert sie. Sie benutzt die Farbe Weiß als Entgrenzungszauber und drohendes Erstarrungsmittel und spricht von kultureller Kodifizierung von Liebe.

Nach zwei Stunden ist die Lesung vorbei; mit unterschiedlichsten Mienen verlassen die Zuhörer/innen den Saal.

Um 21 Uhr findet die zweite Lesung des Abends statt:

Die in Irland geborene Amerikanerin Nicola Keegan stellt ihr Romandebut Schwimmen vor, flankiert von Übersetzer Bernhard Roggen und Vorleserin Anja Lais, die in letzter Sekunde für die erkrankte Fritzi Haberlandt eingesprungen ist.

Die Enttäuschung ist enorm und zeigt, dass 80 % des Publikums (ich auch) offensichtlich wegen Fritzi Haberlandt erschienen ist. Wer kennt schon Nicola Keegan? Nach dieser Lesung werden knapp 200 Menschen von dieser selbstsicheren, natürlichen Autorin hingerissen sein, ihr Buch kaufen und sich bereichert fühlen. Gelungener ALFA-Effekt.

Samstag 13.März 2010

Beim Literaturmarathon muss ich eine halbe Stunde Schlange stehen, um ins Foyer des WDR-Hauses vordringen zu können, wo Menschen mit Schlafsäcken vor großen Wandbildschirmen die 24-Stunden-Lesung im dahinterliegenden Sendesaal verfolgen. Namhafte Leser, Leserinnen und Kinder lesen die unterschiedlichsten Literaturklassiker zum Thema 100 Bücher – 100 Städte vor. Im Zweistundentakt wechseln Moderatoren und Vorleser, dazwischen spielen verschieden Musikgruppen und während der Lesungen erstellen Illustratoren Bilder zu den gelesenen Texten. Eine gelungene Kombination die insgesamt 8.000 Personen begeistert. Abends um 20.00 h liest Hella von Sinnen aus Nils Holgerssons wunderbarer Reise von der Traumstadt Vineta vor und versetzt mich minutenlang in meine Kindheit.

Danach zur After-Event-Party ins Schokoladenmuseum direkt am Rhein wo bestenfalls alle Akteure des Tages auftauchen. Zumindest die, die ihre Wertmarken in Speis und Trank umsetzen möchten. Von 20 bis 2 Uhr kann man nämlich nur mit Wertmarken (1 Euro/Stück) bezahlen. Warum? Sie sind den gastierenden AutorInnen vorab überreicht worden und dienen als Garant dafür, dass diese auch wirklich abends ins Schokomuseum kommen. Wie clever.

Einerseits ist es interessant, die Herren und Damen Wichigst der lit.COLOGNE mit persönlichen Augen zu sehen, andererseits erschütternd, wie der oberflächliche Smalltalk-Kontakt von statten geht.

Um Mitternacht habe ich die Nase voll. Da weiß ich, wo ich nicht dazugehöre, habe genug Bussi-Bussi-Geplänkel zwischen Cordula Startmann, Roger Willemsen, Götz Alzmann, Daniel Hope, Charlotte Roche und Konsorten gesehen. Meine lit.algarve wird anders. Zumindest für mich. Denn da gehöre ich zur Bussi-Bussi-Fraktion und überlasse die Aussen-vor-Position anderen.

Sonntag, 14 März 2010

Auf Miriam Meckel bin ich neugierig. Sie tritt im überfüllten alten Wartesaal mit Hartmut Rosa auf. Brilliante Moderation von Ferdos Forudastan. Es soll ein Abend der Erkenntnisse für mich werden, denn die von Burnout geplagten Superkarriereopfer stellen ihre Bücher Brief an mein Leben (Meckel) und Rasender Stillstand (Rosa) vor und machen mir bewusst, wie gut es mir geht, wie privilegiert ich an der Algarve lebe.

Montag, 15 März 2010

Sendesaal des WDR. Nanu – was ist das denn? Zum ersten Mal eine lit.COLOGNE Veranstaltung, die nicht restlos überfüllt ist. Noch dazu wo der Eintritt frei ist. Ich staune. Unter dem Titel »Verlangt eingesandt« bat die lit. COLOGNE nicht professionelle Schreiber ihre Werke einzusenden. Schubladenschreiber also. Is das nicht interessant genug? Sind die meisten lit.COLOGNE Besucher reine Promijäger?

Diese Aktion ist offenbar ein Novum an dem sich über 500 Schublandenschreiber beteiligt haben.

Klaus Stern, Dokumentarfilmer und Grimme-Preisträger moderiert und erklärt, warum ihm die hier vorgestellten Beiträge so besonders gefallen haben.

Klara Fischer (21) hat über ein Hospiz geschrieben. Scharf beobachtet tischt sie ein Thema auf, mit dem sich viele nicht befassen wollen.

Vor dem nächsten Beitrag schleiche ich mich raus, denn die Philharmonie wartet mit einer seit langem ausverkauften Gala moderiert von Roger Willemsen.

Welch Genuss, seiner Wohlformuliertheit lauschen zu dürfen. Endlich ein Moderator, der nicht ein einziges Mal das enervierende »sozusagen« von sich gibt, denn er weiß immer was er sagen will und bringt es auf den Punkt, führt geschickt von einem Programmpunkt zum nächsten und stellt unter dem Sammelbegriff transzendentale Obdachlosigkeit Reiseschriftsteller vor – von Bruce Chatwin über Annemarie Schwarzenbach bis zu seinem Steckenpferd William Lithgow, die perfekt von Maria Schrader, Matthias Brandt, Raoul Schrott, u.a. gelesen werden.

Dazwischen sorgen Frank Chasteniers Ensemble mit Klimperjazz und Daniel Hope mit gewagten Stücken für musikalische Abwechslung.

In der Pause sammle ich mit Genuss Gesprächsfetzen wie:

  • ich muss diese schrecklichen Bücher nicht alle lesen.
  • er macht Fehler, jede Menge Fehler! (Wer?)

und kann kaum glauben, dass viele Leute einfach gehen. Im zweiten Teil immer mehr.

Was ist schief gegangen?

  • Reiseliteratur! Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich gar nicht gekommen, wettert eine enttäuschte Besucherin.
  • Wenn man Roger Willemsen und Daniel Hope zwei Tage zuvor an diesem göttlichen Barockabend erlebt hat, lässt sich das mit mediokrem Jazz und Carolin Ehmke, so nett sie auch ist, nicht toppen, erklärt eine andere.

Aber der Großteil geht, weil die Uhr auf 22.50 h gerückt ist, und da gehen nun mal zig Philharmoniebesucher, weil sie sonst den letzten Zug nach JWD nicht bekommen. So ist das in Köln, und da spielt es keine Rolle, wer auftritt, wie gut es ist und wieviel man für die Karte bezahlt hat, erklärt mir ein Türsteher. Und der muss es wissen.

Dienstag, 16. März 2010

Mein letzter Tag. Einerseits schade, andererseits gut so. Man soll gehen, wenn es am schönsten ist.

Am Literaturschiff ist um 17 Uhr die Warteschlange 400 Meter lang. Ich komme, um mir Angela Spizig, ihres Zeichens grüne Bürgermeisterin der Stadt Köln anzuhören, die um 18 Uhr moderiert. Weder von der Vorleserin Daniela Hofmann noch von der Autorin Diana Gabaldon (mit Betonung auf dón!) hatte ich bis dato gehört. Ganz im Gegensatz zu Tausenden von Töchtern-Müttern-Großmüttern, für die Diana den Stellenwert von J.K. Rowling hat, denn sie verschlingen die bisher 8 Bände (jeder ca. 1.400 Seiten stark!) der unendlichen Zeitreisen von Claire und Jamie wie eine Droge und wünschen inbrünstig, es hörte nie auf.

Um 21 Uhr geht es weiter mit Wolf Haas – diesem singulären österreichischen Krimiautor, der das lit.COLOGNE Format sprengt. Er hat und braucht keinen Moderator an seiner Seite. Er ist begnadeter Alleinunterhalter und mehr als sein Geld wert. In über zwei Stunden liest er auf unnachahmliche Weise, kriecht dabei förmlich ins Mikrofon und treibt bereits im zweiten Satz seinen Hörern die Lachtränen ins Gesicht.

Mein letzter Besuch im Schokoladenmuseum. Alle alle sind sie da: Roger Willemsen, Senta Berger, Dieter Moor, Matthias Brandt, Ulrich Matthes, Cordula Stratmann, Wolf Haas, – nur Henning Mankell fehlt. Wie schade!

Summasummarum: Der Facettenreichtum der lit.COLOGNE beeindruckt, die Tatsache, dass Menschen, die im täglichen Leben nicht unbedingt ein Buch zur Hand nehmen, geduldig Schlange stehe um sich stundenlang etwas erzählen und vorlesen zu lassen lässt hoffen, dass Robert Gernhardt noch lange Recht behält mit seine Prognose:

Ums Buch ist mir nicht bange
das Buch gibt es noch lange!

Barbara Fellgiebel

Barbara Fellgiebel lebt in Portugal an der Algarve. Vom 16.-19.9.2010 veranstaltet Sie dort das 1. internationalen Literaturfestival an der Algarve. Weitere Infos unter www.alfacultura.com

Im Café: »Heimat ist das, was gesprochen wird.« – Barbara Fellgiebels Betrachtungen zur Frankfurter Buchmesse 2009
Im Café: »Nur wer anwesend ist, kann gewinnen« – Barbara Fellgiebels Betrachtungen zur Frankfurter Buchmesse 2008
Im Café: »Wo können die Leute das nur alles hinessen?« – Barbara Fellgiebels Betrachtungen zur Frankfurter Buchmesse 2006
Im Café: »Ein Fest der leisen Höhepunkte« – Barbara Fellgiebels Betrachtungen zur Frankfurter Buchmesse 2005
Im Café: »Autoren sind wie Tiere im Freigehege« – Barbara Fellgiebels Betrachtungen zur Frankfurter Buchmesse 2004

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