StartseiteLiterarisches LebenDas Literarische Quartett vom Dezember 2024: Charly Hübner als Ijoma Mangold

Das Literarische Quartett vom Dezember 2024: Charly Hübner als Ijoma Mangold

Die echte Quartett-Besetzung vom 6. Dezember 2024 (von links): Eva Menasse, Ijoma Mangold, Thea Dorn und Juli Zeh (Foto: ZDF/Claudius Pflug)
Die echte Quartett-Besetzung vom 6. Dezember 2024 (von links): Eva Menasse, Ijoma Mangold, Thea Dorn und Juli Zeh (Foto: ZDF/Claudius Pflug)

Die Diskussion im Literarischen Quartett vom Dezember 2024 war diesmal so aalglatt austauschbar, dass wir uns einfach selbst einen neuen Dialog schreiben lassen. Mit Martina Gedeck als Thea Dorn, Nina Hoss als Eva Menasse, Sandra Hüller als Juli Zeh und Charly Hübner als Ijoma Mangold.

Aalglatte Diskussionen über Bücher

Seit fast 10 Jahren schreibe ich hier über das Literarische Quartett im ZDF. Ich habe es nicht genau nachgezählt, aber es dürften mittlerweile über 50 Kritiken seit der Neuauflage dieser Fernsehsendung im Oktober 2015 sein. Nur eine Sendung habe ich nicht besprochen. Wahrscheinlich habe ich in dieser Zeit ein gutes Buch gelesen und sie einfach verpasst.

Über das Literarische Quartett zu schreiben, ist nicht immer einfach, denn es soll keine Nacherzählung der Diskussion sein. Ich stelle mir daher meist eine kleine Schreibaufgabe, die den Text auf irgendeine Weise besonders und originell machen soll, auch wenn das eine Sendung oft nicht hergibt.

Auch die Sendung vom Nikolaustag 2024 ist eine Herausforderung. Es war wieder eine dieser glatten, konturlosen Diskussionen, die sich spannend und intellektuell gab, im Grunde aber langweilig, vorhersehbar und brunslangweilig war.

Alles so steril

Im Grunde genommen wirkte die Sendung wie ihre eigene Simulation durch eine KI, worauf ich später noch einmal zurückkommen werde. Juli Zeh, die auch in der ersten Sendung am 2. Oktober 2015 mit dabei war, saß wieder in der Runde. Und auch Quarett-Routinier Ijoma Mangold, der fest zum Ensemble des Quartett-Klons in der SWR-Sendung lesenswert gehörte, die zum Jahresende eingestellt wird. Diesmal hatte er quasi literarische Diskussionsasyl im ZDF bekommen. Ebenfalls dabei: Eva Menasse. Kleine Info am Rande aus dem Karussell der Immergleichen: Quartett-Leiterin Thea Dorn hat vor kurzem Eva Menasse als Sprecherin des PEN-Berlin abgelöst. Man kennt sich, man siezt sich dennoch unter der Lampe des Quartetts, man weiß sich gepflegt über Bücher auszudrücken – und dennoch, oder gerade deshalb, wirkt alles so leb- und lieblos steril.

Wirklich bemerkenswert seit einigen Ausgaben ist der Einstieg in die Sendung. Ein klassischer Vorspann wird auch in Fernsehsendungen immer mehr vermieden, damit das Publikum nicht wegschaltet. Dennoch hielt sich der Vorspann aus der ersten Sendung von 2015 unverändert recht lange. Irgendwann kam dann ein sogenanntes Cold Open dazu, also ein direkter Einstieg ins Thema vor dem Vorspann. Die Teilnehmer der Runde erzählten kurz etwas über »ihr« Buch. Unlängst verschwand dann der Vorspann, es blieb nur eine kurze Motivreferenz stehen, die in der Sendung darauf vollständig verschwand. Dann übernahm Thea Dorn das Cold Open allein, was so wahrscheinlich schneller produziert werden kann.

TV-Sendung mit Podcast-Dramaturgie

In dieser Ausgabe vom Dezember 2024 wurde der Einstieg nochmals geändert und der Dramaturgie eines Podcasts angepasst. Das ist in gewisser Weise konsequent, denn die Sendung ist seit geraumer Zeit auch als Podcast zu hören. Mit der Abschaffung des Publikums wirkte auch die Aufnahmesituation wie ein Podcast. Jetzt folgt auch die Dramaturgie des Einstiegs dem eines Podcasts: zunächst folgt ein Zusammenschnitt aus plakativen oder interessanten Sätzen aus der kommenden Diskussion, dann ein kurzer Trenner und rein ins Gespräch. Mal sehen, ob in der nächsten Folge dieser Einstieg bleibt oder ob nochmals daran geschraubt wird.

In der letzten Besprechung habe ich mir den Spaß erlaubt, die Sendung durch eine KI zusammenfassen zu lassen. Hierzu habe ich eine Transkription verwendet, da eine KI wie ChatGPT die Inhalte nicht kennt.

Ich habe mich darüber gefreut, dass jemand, der offenbar weder des Stil des literaturcafe.de noch das Spiel mit den Quartett-Kritiken kennt, sehr erbost kommentierte: »Eine Literaturseite lässt sich ihren Bericht von der KI schreiben … du kriegst die Tür nicht mehr zu. Wollt ihr euch alle selbst ersetzen lassen? Seid ihr eigentlich noch zu retten?« Ein Kommentar, der sehr gut zeigt, wie selektive Erregungskultur fern von Kontext und Bezug funktioniert.

Tatsächlich war die von mir erstellte KI-Kritik aus einem anderen Grund höchst bedenklich: Im Prompt, der Anweisung an die KI habe ich den Tenor der Kritik vorgegeben. Ich wollte eine nicht sonderlich positive Kritik und habe sie bekommen. Hätte ich die KI um eine wohlwollende Kritik gebeten, hätte ich auch diese bekommen.

Oben habe ich geschrieben, dass die Diskussion der Sendung vom Dezember 2024 beliebig wirkte, was mich nochmals dazu veranlasst hat, die KI zu nutzen.

Wir lassen uns ein Literarisches Quartett schreiben

Das fiktive und KI-generierte Quartett (Quelle: DALL-E)
Das fiktive und KI-generierte Quartett (Quelle: DALL-E)

Müsste sich die KI die Diskussion komplett ausdenken, welche Dialoge würde sie wohl für die vier schreiben? Und da es ein erfundenes Schauspiel ist, mache ich mir den Spaß und lasse die KI auch gleich geeignete Schauspieler vorschlagen. Also tippe ich als Prompt in ChatGPT:

Du bist Drehbuchautor und wirst beauftragt, einen Dialog für eine fiktive Fernsehsendung zu schreiben, die sich »Das literarische Quartett« nennt. Die Sendung wird moderiert von der Autorin Thea Dorn. Zusammen mit Eva Menasse, Juli Zeh und Ijoma Mangold diskutiert Dorn über den neuen Roman von Joachim Meyerhoff. Schreibe den Dialog bzw. die Diskussion über dieses Buch. Nenne außerdem die vier Schauspieler, die die genannten vier Diskutanten spielen sollen.

Hier die Antwort von ChatGPT:

Hier ist ein Entwurf für den Dialog. Für die Schauspieler habe ich Namen vorgeschlagen, die gut in die Rollen der jeweiligen Diskutanten passen könnten. Die Diskussion dreht sich um ein fiktives neues Buch von Joachim Meyerhoff mit dem Titel „Das Haus der lachenden Tränen“.

Besetzung:

    • Thea Dorn – gespielt von Martina Gedeck
    • Eva Menasse – gespielt von Nina Hoss
    • Juli Zeh – gespielt von Sandra Hüller
    • Ijoma Mangold – gespielt von Charly Hübner

Dialog:

Thea Dorn:
Guten Abend und herzlich willkommen zu Das Literarische Quartett! Heute sprechen wir über „Das Haus der lachenden Tränen“ von Joachim Meyerhoff. Ein Roman, der wie gewohnt autobiografisch inspiriert ist, aber diesmal mit einem dunkleren, melancholischeren Unterton daherkommt. Eva, wie hat dir das Buch gefallen?

Eva Menasse:
Ich muss sagen, ich bin beeindruckt, wie Meyerhoff es schafft, Tragik und Komik in Einklang zu bringen. Gerade die Passagen über den Verlust seiner Mutter und die surreale Absurdität der Beerdigungsszene haben mich gleichzeitig zum Lachen und zum Weinen gebracht. Aber, und das ist mein Kritikpunkt, er bleibt oft an der Oberfläche. Es gibt Stellen, da hätte ich mir mehr Tiefe gewünscht.

Juli Zeh:
Genau das sehe ich anders, Eva. Ich finde, Meyerhoff arbeitet bewusst mit der Oberfläche – er lässt die Leser spüren, dass darunter ein Abgrund lauert, ohne ihn explizit zu benennen. Das macht den Reiz aus. Die Szene, in der der Protagonist einen Lachkrampf bekommt, während er über den Tod seiner Mutter spricht, ist für mich gerade deshalb so stark. Es ist kein klassischer Trauerroman, sondern ein Tanz auf dem Vulkan der Emotionen.

Ijoma Mangold:
Ich bin bei Juli. Dieser schmale Grat zwischen Humor und Schmerz – das ist Meyerhoff at his best. Und die Sprache! Wie er banale Alltagsszenen poetisiert, ohne kitschig zu werden. Aber ich muss auch sagen, dass ich manchmal das Gefühl hatte, er spielt zu sehr auf Nummer sicher. Es ist ein typischer Meyerhoff-Roman, ja, aber überrascht er uns wirklich noch?

Thea Dorn:
Interessant, dass du das ansprichst, Ijoma. Ich habe mich auch gefragt: Ist Meyerhoff dabei, sich zu wiederholen? Natürlich, seine Fans lieben ihn für diesen Stil – die Kombination aus Familiendrama und Slapstick. Aber ich hatte an manchen Stellen das Gefühl, er hat diese Themen schon besser erzählt.

Eva Menasse:
Ich stimme zu, dass die Themen vertraut wirken, aber genau das könnte ja auch Methode sein. Meyerhoff kreist um seine Biografie wie ein Regisseur, der sein Lieblingsstück immer wieder neu inszeniert. Für mich ist das fast wie ein literarisches Gesamtkunstwerk.

Juli Zeh:
Und genau das ist mein Problem. Meyerhoff bleibt im Meyerhoff-Kosmos gefangen. Wo bleibt die literarische Weiterentwicklung? Ich hätte mir gewünscht, dass er diese Melancholie noch radikaler auslotet, statt sie ständig mit Witzen abzufedern.

Ijoma Mangold:
Radikalität ist nicht Meyerhoffs Sache. Und vielleicht müssen wir ihn einfach als das nehmen, was er ist: ein brillanter Geschichtenerzähler, kein Revolutionär der Literatur.

Thea Dorn:
Ein schöner Gedanke, Ijoma. Und ein guter Schlusspunkt, denke ich. Wir sind gespannt, was Sie, liebe Zuschauer, von „Das Haus der lachenden Tränen“ halten. Schreiben Sie uns Ihre Meinung. Das war Das Literarische Quartett für heute. Vielen Dank an Eva Menasse, Juli Zeh und Ijoma Mangold – und natürlich an Sie, liebe Zuschauer. Auf Wiedersehen!

Ich habe über diesen fiktiven Dialog geschmunzelt. Er war nicht schlechter als die echte Diskussion, aber wesentlich unterhaltsamer mit dem Wissen, dass alles erfunden ist aber dennoch wichtig und fundiert klingt, wie im »echten« Quartett.

Es wäre jedoch eine Phrase und Plattitüde, würde dieser Text mit der Feststellung enden, dass die Diskussion im Quartett demnächst auch die KI führen könnte. Das würde ich nie behaupten.

Wolfgang Tischer

Die KI-Diskussion zum Anhören:

Link ins Web:

Die in der Sendung vom 06.12.2024 besprochenen und erwähnten Bücher:

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4 Kommentare

  1. Diesmal kann ich der o.g. Kritik leider nicht zustimmen. Bei den letzten Sendungen habe ich mich zwar auch tödlich gelangweilt, vor allem weil alle sich ins Wort gefallen waren. Aber diese Quartettrunde hat mir ausnehmend gut gefallen. Es herrschte doch eine gewisse Disziplin, jeden ausreden zu lassen und mit unterschiedlichen Meinungen zu einem Buch fair umzugehen. In einigen der letzten Sendungen hat mich manchmal die Arroganz der ein oder anderen Kritikerin gestört. Die Bücher waren gut ausgewählt und auch Thea Dorn ist ihrer Aufgabe als Diskussionsleiterin diesmal gerecht geworden. Nichts für ungut!

  2. Schade, was aus dem Literarischen Quartett geworden ist. Viel Oberfläche, wenig Substanzielles.
    Und, mal ehrlich, man erkennt manche Protagonistinnen gar nicht wieder. Juli Zeh seht irgendwie… so anders aus.

  3. Ein wunderbar kreativer Kommentar zu der glanzlosen Sendung. Oder anders ausgedrückt, hätten wir nicht das Literarische Quartett in der besagten Qualität, müssten wir auf derart kunst-voll erstellte und pointierte Kommentare verzichten. 🙂

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