Beim Literarischen Quartett gibt es ab sofort kein Saalpublikum mehr. Wie vier mittelmäßige Podcaster sitzen die vier Diskutierenden jetzt an einem unaufgeräumten Tisch unter einer Lampe und fallen sich gegenseitig ins Wort. Ist das das Ende des Fernsehformats?
Zwar fanden auch die ersten Sendungen des »alten« Quartetts mit Marcel Reich-Ranicki 1988 im Studio ohne Publikum statt, doch das Saalpublikum gehört dann doch zum Konzept, das seine Ursprünge in den Diskussionsrunden der Gruppe 47 hat. Nur während der Corona-Zeit fand die Literaturdiskussion wieder ohne Zuschauer statt. Mit der Sendung vom Dezember 2023 gibt es ab sofort generell kein Publikum mehr vor Ort. Stattdessen sitzt das Quartett jetzt um einen runden Tisch, darüber hängt eine Lampe. Es ist ein Set-Design wie seinerzeit bei Roche & Böhmermann. Fehlt nur noch, dass das Quartett demnächst aus ästhetischen Gründen in Schwarz-Weiß ausgestrahlt wird. Das publikumslose Quartett wird jedoch nicht im Studio aufgezeichnet, sondern weiterhin im Foyer des Berliner Ensembles. Der Live-Charakter ist verloren.
Philipp Tingler, Nele Pollatschek, Thea Dorn und Jagoda Marinić sind diesmal mit dabei. Autorinnen und Autoren sprechen über die Bücher anderer Autorinnen und Autoren. Der runde Tisch mit Wassergläsern und Karaffe, auf dem verstreut Bücher und Notizen liegen, wirkt unpassend unaufgeräumt. Man belagert sich auf engstem Raum im Lichtkegel.
Kein Publikum könnte eine Chance sein. Die Diskussionen könnten inniger und konzentrierter werden, da man sich nicht vor den Zuschauern in Szene setzen muss.
Beurteilt man das neue Set-Design jedoch nur nach dieser einen Folge, so ist die Abschaffung des Publikums das Ende vom Anfang des Formats »Literarisches Quartett«. Schon immer stellt sich die Frage, ob man bei dieser Sendung das Bild überhaupt benötigt. Seit geraumer Zeit ist das Quartett bereits als Audio-Podcast abrufbar. Viel verliert man dadurch nicht. Schon jetzt sitzt die Runde wie vier Podcaster um den Küchentisch.
Die Unangenehmste in der Runde war Nele Pollatschek, die den anderen zu oft schrill und bildungsangeberisch ins Wort fiel (»Ich hab’s auf Englisch gelesen und ich hab 10 Jahre Viktorianismus studiert …«). Hier fehlte eindeutig der disziplinierende Einfluss eines Publikums. Zu oft wurde durcheinandergeplappert wie bei Podcast-Buddies, denn man ist ja scheinbar unter sich.
Die Abschaffung des Saalpublikums spart ohne Frage Geld. Man gewinnt jedoch den Eindruck, dass die Änderung keine Reminiszenz an die Anfänge unter Reich-Ranicki ist, sondern ein erster Schritt, das Quartett irgendwann komplett in die Mediathek und ins Podcast-Format auszulagern. Wer muss so etwas noch auf dem Bildschirm ansehen?
Wolfgang Tischer
Link ins Web:
- Video: Das Literarische Quartett vom 01.12.2023 in der ZDF-Mediathek
- Audio: Das Literarische Quartett vom 15.09.2023 in der Deutschlandfunk Audiothek und als RSS-Feed
Die in der Sendung vom 01.12.2023 besprochenen und erwähnten Bücher:
- Zadie Smith; Tanja Handels (Übersetzung): Betrug: Roman. Gebundene Ausgabe. 2023. Kiepenheuer&Witsch. ISBN/EAN: 9783462005448. 26,00 € » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
- Durs Grünbein: Der Komet: Der Lebensweg einer einfachen Frau bis zum Untergang Dresdens. Gebundene Ausgabe. 2023. Suhrkamp Verlag. ISBN/EAN: 9783518430200. 25,00 € » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
- Benjamín Labatut; Thomas Brovot (Übersetzung): MANIAC: Roman. Gebundene Ausgabe. 2023. Suhrkamp Verlag. ISBN/EAN: 9783518431177. 26,00 € » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
- Tijan Sila: Radio Sarajevo. Gebundene Ausgabe. 2023. Hanser Berlin. ISBN/EAN: 9783446277267. 22,00 € » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
Ich kann in allem nur zustimmen. Nele Pollatschek fand ich als Kritikerin unerträglich, vielleicht ist ihr der Erfolg ihres letzten Romans etwas zu Kopf gestiegen. Da hätte Thea Dorn diszipliniert mehr eingreifen müssen, was sie schon bei Vea Kaiser unterlassen hat. Jagoda Marinic empfand ich aber als sehr kompetent, und normalerweise finde ich auch Philipp Tingler, der ja kongenial mit Nicola Steiner diskutiert, die ich im Literaturclub zunehmend mehr vermisse, in jeder Debatte über Literatur sehr belebend. Daß Literaturdiskussionen übrigens auch mit Publikum nicht funktionieren können, zeigen die aktuellen Literaturclub-Formate des SRF mit den neuen Moderatorinnen. Beim letzten bin ich sogar eingeschlafen. Ich fürchte, auch diese Sendung kann man einstellen.
Ich stimme Ihnen in allen Belangen zu!
Dieses nicht zuhören wollen, sondern sich selbst immer nur wiederholen warnunerträglicj. Wenn Frau Dorn weiterhin ihrer Moderatorinnenrolle nicht wahrnimmt, kann auch sie eingespart werden. Zuhören, Meinungen anderer zulassen … es fehlt nicht nur im politischen sondern eindeutig auch hier. Schade
“Die Abschaffung des Saalpublikums spart ohne Frage Geld.”
Spart das ZDF auch an den Räumlichkeiten?
Ich komme auf diesen Gedanken, weil der Bayerische Rundfunk ernsthaft seinen hochwertigen Studiobau mitten in München abreißen will, weil die Sanierung angeblich zu teuer ist. Man will an den Stadtrand umziehen und dort geringere Ansprüche an die Akustik stellen, in der Innenstadt soll ein Campus entstehen, der teils vermietet werden soll (d.h. Einnahmen generieren). Ist aber noch nicht alles fix entschieden.
Am meisten hat mich das ganze “Setting”, d.h. dieser runde Tisch mit dem Lichtkegel und die eng und aufrecht aneinander sitzenden Personen gestört. Wie bei einem (juristischen) Verhör.
Grauenvoll! Fühlte mich wie bei PRECHT !
[…] Früher vielbeachtet, scheinen heute die Sendungen nicht nur unter Ausschluss des Publikums vor Ort nur mehr sitzend unter einer Lampe am Tisch stattzufinden. Relevanz und Anspruch gehen […]