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Absage der Leipziger Buchmesse: Alle sind schuld und jeder gegen jeden

Im März 2021 bleiben die Messehallen leer: Die Leipziger Buchmesse 2021 wird in den Mai verschoben
Zum dritten Mal bleiben in Leipzig die Hallen der Buchmesse leer (Foto: Tischer)

Vor einem Jahr wurde die erneute Absage der Leipziger Buchmesse mit Blick auf die Corona-Zahlen mit Bedauern hingenommen. Doch diesmal, im Jahre 2022, ist alles anders. Schuldzuweisungen überall: Konzernverlage gegen unabhängige Verlage, Ost gegen West, Kultur gegen Kommerz und die schlimmste aller Fragen: Braucht man die Leipziger Buchmesse überhaupt noch?

Die Möglichkeit einer Messe

Genau sieben Tage lang bestand in diesem Jahr die Möglichkeit einer Buchmesse in Leipzig. Am 2. Februar 2022 wurde sie politisch vom Land Sachsen auf Basis der neuen Corona-Schutzverordnung erlaubt. Am 9. Februar 2022 wurde die Messe dann vom Veranstalter abgesagt. Ein Artikel im Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel spekulierte bereits zwei Tage zuvor, dass die Messe nicht stattfinden werde.

Damit fällt die Leipziger Buchmesse bereits im dritten Jahr aufgrund der Corona-Pandemie aus. Aber ist wirklich erneut die Pandemie schuld?

In den beiden letzten Jahren hat man das mit tiefer Traurigkeit noch so hingenommen. 2020 gab es vor dem geplanten Messe-Termin die ersten Corona-Fälle in Deutschland und eine tiefe Unsicherheit. 2021 hatte man den traditionellen Messetermin von März in den Mai verschoben, doch auch das nützte nichts. Als die ersten Impfungen anliefen, verkündete man im letzten Jahr bereits im Januar, dass auch der Mai-Termin nicht zu halten sei.

Sind die Konzernverlage schuld?

Doch die Corona-Pandemie scheint in diesem Jahr nicht der Grund für die Absage zu sein. 2022 sind an der Absage der Messe nicht die Viren schuld, sondern die großen Konzernverlage. Oder etwa nicht?

Bereits vor der politischen Zusage am 2. Februar 2022 betonten die Messe-Veranstalter, dass sich die Verlage weiterhin klar für die Messe ausgesprochen hätten.

Doch wie bereits in unserem vorherigen Artikel zu lesen, waren das bei einigen großen Verlagskonzernen nur Lippenbekenntnisse. Jetzt, wo man hätte Haltung zeigen können, kniffen die Großen. Zunächst sagte Penguin Random House ab (Penguin, Heyne, DVA, Goldmann …), dann Bonnier (Carlsen, Ullstein, Piper …), dann die Holtzbrinck-Verlage (Rowohlt, KiWi, Droemer, S. Fischer …). Ohne diese Verlage sei die Messe nicht mehr tragfähig und attraktiv. Die »erwartete Qualität und inhaltliche Breite einer solchen großen Publikumsmesse« sei nicht mehr gewährleistet, schrieb die Buchmesse in ihrer Mitteilung.

Die Konzernverlage sind also schuld, dass die Messe scheiterte. Zumindest sehen es so einige Autorinnen und Autoren (u. a. Anke Stelling, Isabel Bogdan, Bov Bjerg und Julia Franck), die einen offenen Brief an den Börsenverein und die drei Konzerne verfassten. »Wir sind wütend, traurig, fassungslos. Die Leipziger Buchmesse wurde von den großen westdeutschen Verlagen zur Absage gezwungen«, heißt es da gleich am Anfang.

Sind die westdeutschen Verlage schuld?

Und plötzlich ging es auch wieder um West gegen Ost. Bereits die Leipziger Zeitung warf Torsten Casimir vor, dass »der Frankfurter« die dortige Messe im Oktober noch gelobt habe, während er die Leipziger Messe, die unter den gleichen Rahmenbedingungen stattgefunden hätte, »medial beerdigt« habe.

Mit den Vorwürfen in einem Interview auf 3sat konfrontiert, betonte Casimir, dass alles im Artikel recherchiert gewesen sei.

Gleichzeitig wies Casimir auf die absurden politischen Rahmenbedingungen hin: Einerseits sollen Unternehmen ihren Mitarbeitern eine Arbeit im Home-Office ermöglichen, während sie nun angehalten werden, die Mitarbeiter auf eine Publikumsmesse zu schicken.

Denn die unklare Pandemielage war die Begründung der Konzerne für ihre Absage: »Die Rekord-Infektionszahlen in der Corona-Infektionswelle machen eine verlässliche Planung und Durchführung unserer aufwendigen Messestände und Messeaktivitäten unmöglich, so dass wir unsere Beteiligung absagen mussten«, schreibt Holtzbrinck-CEO Alexander Lorbeer. Seine Floskel »Wir nehmen an der Leipziger Buchmesse im kommenden Jahr 2023 selbstverständlich teil, mit Begeisterung und aus Überzeugung.« ist aber wohl genauso substanzlos wie die einstige Zusage für 2022. Auch Alexander Lorbeer weiß schließlich nicht, was im kommenden Jahr sein wird.

Wie relevant ist die Buchmesse?

Allerdings hatten auch kleinere Verlage ihre Messe-Teilnahme bereits im Januar abgesagt. Die Verlage der Kurt Wolff Stiftung sprachen sich hingegen klar für die Messe aus. Noch am Tag vor der Absage bekräftigte man dies: »Die Leipziger Buchmesse ist von zentraler Bedeutung für die vielfältige deutsche Buch- und Verlagswelt. Als Publikumsmesse sorgt sie seit Jahren für eine breite Sichtbarkeit besonders der unabhängigen Verlagsprogramme, für einen lebendigen Austausch von Verlegerinnen und Verlegern, Autorinnen und Autoren mit Leserinnen und Lesern. Sie ist daher unverzichtbar für unsere Branche.«

Und auch das Bündnis #verlagegegenrechts schreibt: »Die Leipziger Buchmesse ist die Begegnungsstätte für Lesepublikum, Autor*innen und Büchermachende. Nur hier erfahren kühne, engagierte, nichtetablierte Autor*innen und Verlage so viel Sichtbarkeit und Interesse. Nur hier wird durch die Vielzahl der Veranstaltungen bei »Leipzig liest« im gesamten Stadtgebiet die Relevanz von Büchern für die Gesellschaft, unabhängig von Verlagsgröße und Bestsellerlisten, explizit zelebriert.«

Das Bündnis bedauert, dass an einigen Stellen sogar die Frage aufkommt, ob es die Messe überhaupt noch brauche. Stattdessen fordert man eine Messe, die von den Entscheidungen der Konzernverlage unabhängig sein müsste.

Fehlende Alternativen?

Doch die Frage, ob man die Buchmesse in Leipzig, ja, ob man Buchmessen überhaupt noch brauche und ob sie noch zeitgemäß seien, wird längst gestellt. Obwohl immer wieder betont wird, dass kein Bildschirm die persönliche Begegnung ersetzen könne.

Die Absage bedauert auch Literaturkritikerin Mara Delius, allerdings wunderte sie sich wie so viele, warum keine alternativen Konzepte erarbeitet wurden. Am Schluss ihres Beitrags in der Welt lässt sie offen, welche Relevanz die Messe 2023 überhaupt noch haben werde. »Schafft sich eine Branche gerade selbst ab?«, fragt Delius.

Tatsächlich hatte die Messe eine Terminverschiebung wie im letzten Jahr für dieses Jahr kategorisch ausgeschlossen und auch digitale Formate, wie im letzten Jahr die Leipziger Autorenrunde, waren nicht geplant.

Es wird also in den kommenden Tagen und spätestens wieder mit Planung der Messe 2023 weiter gestritten und diskutiert werden.

Das Netzwerk der Literaturhäuser macht auf einen Umstand aufmerksam, auf den das literaturcafe.de bereits im letzten Jahr hingewiesen hatte: Mit der Absage der Leipziger Buchmesse verliert das Medium Buch ein wichtiges Schaufenster.

Wieder einmal verschwindet das Buch ein kleines Stück mehr aus der Öffentlichkeit.

Wolfgang Tischer

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6 Kommentare

  1. Ganz schlimm! Es geht auch ein Stück kulturelle Tradition aus den neuen Bundesländern verloren. Ein ganz großer Schaden für unser Selbstwertgefühl. Die Leipziger Buchmesse war eine wichtige Institution für den Literaturbetrieb in der ehemaligen DDR und konnte sich doch gut etablieren in der Bundesrepublik. Haben wir gedacht. Das war wohl ein Irrtum.

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