»Schreibe eine Geschichte zum Thema ›Gebrochene Vorsätze‹ mit maximal 2024 Zeichen.« So lautete vor der Winterpause die Schreibaufgabe im Schreibzeug-Podcast. Endlich ist die Pause vorbei und Diana Hillebrand und Wolfgang Tischer präsentieren in der aktuellen Podcast-Folge die vier besten Texte. Hier können sie nachgelesen werden.
Alle Geschichten werden zudem in der 58. Ausgabe des Schreibzeug-Podcasts vorgelesen. In dieser Folge nach der Winterpause, blicken Diana Hillebrand und Wolfgang Tischer auf die exakt 100 Einsendungen, und sie begründen ihre Auswahl der vier besten Texte. Die Gewinnerinnen und Gewinner werden zudem in den nächsten Tagen persönlich von den beiden Podcastern benachrichtigt.
Viel Spaß beim Anhören und beim Nachlesen!
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Jetzt aber zu den Gewinnertexten. Wichtig: Die Reihenfolge stellt keine Platzierung dar. Über die Zahlen unten könnt ihr zwischen den Beiträgen blättern.
Mutter einundneunzig
von Peggy Leiverkus
Mutter einundneunzig war ein Aas. Sie saß unter dem Rohr, wo kein Mensch rankam.
Missmutig zupfte er seinen Overall zurecht und ging in die Hocke. Mit dem Winkelvorsatz könnte es klappen, ohne dass er sich den Hals verdrehte. Er fischte das Teil aus seinem Werkzeugkoffer und montierte es am Bohrer – aufdrehen, reinstecken, zudrehen.
Eine Berührung ließ ihn zusammenzucken. Es war Dédi.
»Dachte, du hast Neujahr frei«, schrie er.
»Drüben starten sie gleich den Testlauf, was denkst du.«
Er schaute auf die Uhr und fluchte. Das Sperrsystem lief noch nicht, da war Weiterarbeit am Rohr tabu.
»Ich muss um zwei in der Kirche sein. Bin fast durch.«
»Nicht, dass du strahlender als Jesus da aufschlägst«, brüllte Dédi und verschwand.
Wenn er auf das Sperrsystem wartete, kam er bis vier nicht raus. Er lauschte dem Dröhnen der Turbinen und fasste den Entschluss. Schnell jetzt.
Die Mutter ließ ihm keine Wahl, er musste unter das Rohr kriechen. Es war warm und rauschte – also war der Reaktor schon angelaufen. Er begann zu schwitzen.
Da! Er fühlte die Mutter neben dem Ventil. Sie war kochend heiß. Rasch zog er seine Hand zurück, nahm die Maske ab, lutschte an Daumen und Zeigefinger. Setze den Bohrer wieder an. Irgendwas klemmte. Der Winkelvorsatz hatte sich verkeilt. Weil hier einfach kein Platz war! Er hantierte herum, versuchte den Vorsatz rauszudrehen – und lockerte dabei versehentlich die Mutter. Sein Herz raste. Er musste den Winkel ändern. Keuchend stemmte er seinen Körper gegen den Bohrer, bis der Vorsatz sich unter der Spannung zu biegen begann – und brach. Heißer Dampf traf ihn im Gesicht, ließ ihn brüllen. Sein Kopf knallte gegen das Rohr, der Notschalter –
Jemand hielt seine Hand. Er konnte nichts sehen.
»Die Sanitäter sind gleich da«, hörte er Dédi sagen.
Die Turbinen schwiegen.
»Das mit deinem – Gesicht – wird schon wieder.«
Er hielt den gebrochenen Vorsatz fest umklammert. Ein Hustenanfall verteilte rote Tröpfchen auf seinem Overall.
Er spürte Dédis Blick. Natürlich wusste er es. Sie wussten es beide.
© by Peggy Leiverkus. Unerlaubte Vervielfältigung oder Weitergabe – gleich welcher Art – nicht gestattet.
Liebe Diana, lieber Wolfgang,
erstmal vielen Dank für die viele Arbeit, die ihr euch macht mit dem Podcast und den Schreibwettbewerben. Ich bin vielleicht etwas spät dran, wollte aber einen Punkt zum Wettbewerb “Gebrochene Vorsätze” anbringen, der mir jetzt erst klarer wird. Hier höre ich Wolfgangs leicht genervte Stimme zwischen meinen Zeilen: eine neue Episode “Kritisier den Kritiker?” Ja und nein. Ihr seid die Jury, d.h. ihr habt die Erfahrung und kennt vor allem alle Texte. Mir fehlt aber eine Dimension in euren Besprechungen. Gibt es nicht auch, und gerade auch in eher banalen Themen, eine Suche nach Bedeutung im Themenbegriff? Und damit meine ich nicht die Begriffserläuterungen in Wikipedia (es gibt, denke ich, auch eine Stereotypie der Originalität. Ihr sucht ein “Spektrum”? Echt jetzt?). Ich grabe hier: Was genau ist ein Vorsatz? Warum fasst ein Mensch einen Vorsatz? Und warum bricht er / sie ihn? Was ist der Wert eines Vorsatzes? Müssen Geschichten nicht eine Relevanz haben, einen Bezug zur gesellschaftlichen Situation? Das geht über reine Bildersprache und überraschende Wendungen / Pointen hinaus. Wieder höre ich da Wolfgangs Stimme: hatte deine Geschichte doch auch nicht! Ja und nein. Ich schreibe euch auch nicht, um eurer Entscheidung nachzukarten. Ich schreibe euch, weil ich mich gerade verstärkt an dem Begriff Relevanz reibe. Vielleicht ist das ja auch ein Thema für den Podcast?
Erst mal ganz liebe Grüße, nichts für Ungut und gutes Gelingen in Leipzig.
Michael Fiedler