StartseiteBuchkritiken und TippsFaszination Murakami: »Die Stadt und ihre ungewisse Mauer«

Faszination Murakami: »Die Stadt und ihre ungewisse Mauer«

Die Stadt und ihre ungewisse Mauer von Haruki Murakami
Der Name des Autors um ein Vielfaches größer als der Titel: Murakami-Bestseller in einer Buchhandlung

Seit Jahren ist Juliane Hartmann Fan des japanischen Autors Haruki Murakami. Bei der Lektüre seines Romans »Die Stadt und ihre ungewisse Mauer« ist sie der Frage nachgegangen, was den japanischen Autor für viele Leser so besonders macht. Schließlich liebt ihn das Feuilleton, und er ist auf Platz 1 der Bestsellerliste.  Juliane Hartmann fällt viel zu dieser Frage ein.

Endlich, ein neuer Murakami! Nach sechs Jahren Veröffentlichungspause erschien pünktlich zum 75. Geburtstag des japanischen Autors am 12. Januar 2024 ein neuer Roman: »Die Stadt und ihre ungewisse Mauer« lautet der Titel des 640 Seiten starken Werkes.

Ich habe viele, aber nicht alle Bücher von Haruki Murakami gelesen. Nachdem sich die Rezensionen zu »Die Stadt und ihre ungewisse Mauer« vor Lob überschlagen, musste ich den neuen Murakami unbedingt lesen.

Das Cover ist pastellfarben – anders als die bunten Rücken der Murakami-Bücher in meinem Regal. Hinter dem untypischen Cover verbirgt sich jedoch ein typischer Murakami. Dem Fan oder treuen Leser mag der Anfang der Geschichte vertraut vorkommen: Ein 17-jähriger Ich-Erzähler verliebt sich in ein Mädchen. Die Geschichte der ersten großen Liebe zwischen zwei Teenagern erzählt Murakami anrührend. Eines Tages ist das Mädchen verschwunden. Das lässt den Protagonisten nie los und er macht sich auf die Suche. Dies führt ihn zeitweise in eine andere Welt.

Bücher von Haruki Murakami
Romane von Haruki Murakami

Der Leser begleitet den Protagonisten über Jahrzehnte seines Lebens. Auch wenn dieser oberflächlich ein normales Leben führt (er studiert, arbeitet in der Buchbranche, trifft Frauen), bleibt er zeitlebens einsam, auf der Suche nach seiner großen Liebe. Diese führt ihn in die titelgebende Stadt mit der ungewissen Mauer. In dieser Stadt ist manches ungewöhnlich, selbst Zeit und Raum sind anders definiert. Um hineinzukommen und die Mauer zu überwinden, muss man seinen eigenen Schatten ablegen.

Ich mag eigentlich keine Romane, die ins Phantastische gehen. Außer der Autor heißt Haruki Murakami – oder Stephen King mit dem Buch »Der Anschlag«. Mehr Ausnahmen gibt es bisher nicht. Der Übergang zwischen verschiedenen Welten ist bei King ein Zeittunnel in einem Diner, bei Murakami eine Bibliothek. Gekonnt springt Murakami zwischen der »realen« Welt und dem Surrealen hin und her und verwebt diese, sodass man sich automatisch fragt: Was ist nun die Wirklichkeit? Gibt es diese? Wo ist der Schatten und wo der restliche Körper? Wo das Bewusstsein, wo die Seele? Einladungen zum Philosophieren. Magischer Realismus par excellence.

Murakami hat eine eigene, unverkennbare Art zu schreiben. Auch eine persönliche. Wenn man seine Sachbücher »Wovon ich rede wenn ich vom Laufen rede« und »Von Beruf Schriftsteller« gelesen hat, dann meint man, den Autor ein bisschen zu kennen, was sich auch auf die Lektüre seiner Romane auswirkt.

Bücher von Haruki Murakami: Von Beruf Schriftsteller und Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede
persönliche Bücher von Murakami übers Schreiben und übers Laufen

Murakami erschafft unglaublich kreative Bilder, an denen man sich erfreuen kann. Welten, in die man beim Lesen versinken kann. Seine Sprache ist poetisch. Sie ist voll von schönen, unverbrauchten Vergleichen und liebevollen, ungewöhnlichen Charakterbeschreibungen. Übersetzerin Ursula Gräfe hat einen gelungenen deutschen Ton für den Roman gefunden. Leider kann ich dies nicht dadurch beurteilen, indem ich das japanische Original mit der deutschen Übersetzung vergleiche.

Im Nachwort von »Die Stadt und ihre ungewisse Mauer« verrät Murakami, dass der Roman aus einer Kurzgeschichte entstanden sei, die er vor Jahren geschrieben habe. Und dass er lange an seinem neuesten Werk gearbeitet habe.

Dieses ist aufwendig konstruiert. Den Romanaufbau kann man bewundern, genauso wie man ihm das Konstruierte vorwerfen kann. Mir gefällt der Fluss der Romans, die Bezüge und die Motive, die der wunderbar-fantastischen Geschichte einen soliden Rahmen geben.

In »Die Stadt und ihre ungewisse Mauer« steckt viel drin. Man könnte eingehend über das Werk philosophieren. Aber ehrlich gesagt: Ich werde viel vom Inhalt bald vergessen haben, keine konkrete Botschaft oder Idee behalten. Was ich mir merken werde: Wie sehr ich die Lektüre genossen habe. Murakami erzählt leise und zurückhaltend, dem Bild eines Japaners entsprechend. Der Grundton gleicht leichter, klassischer Klaviermusik.

Kürzlich erschien im literaturcafe.de ein Artikel zu Lesemotiven. »Die Stadt und ihre ungewisse Mauer« wurde als Beispiel für das Motiv »Entspannen« genannt. »Warum lese ich Murakami?«, frage ich mich. Ich schwanke zwischen den Motiven »Entspannen« und »Eintauchen«. Wir können uns letztendlich auf das Entspannen einigen. Man muss nicht jeder Idee, jedem Gedanken, jedem Bezug im Roman nachgehen. Man kann ihn auch »nur« oder vorwiegend zur Entspannung lesen und sich an der poetischen Sprache und einer neuen Murakami-Welt erfreuen.

Es bleibt eine weitere Frage: Wann erhält Haruki Murakami endlich den Literaturnobelpreis?

Juliane Hartmann

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1 Kommentar

  1. Alles von Murakami habe ich verschlungen, bin eingetaucht, abgetaucht, gestrudelt in dem Sog seiner Romane (bis auf “Die Ermordung des Commendatore” das fand ich fürchterlich langweilig) Ich liebe seine Sprache, die starken poetischen Bilder, die leisen Zwischentöne, die verstörenden Übergänge zwischen realen und surrealen Welten. Seine schrägen Charaktere. Oft habe ich danach von ihnen geträumt. Mister Aufziehvogel, unvergessen. Ich lese sonst auch keine phantastischen Romane. Für mich ist Murakami einer der ganz großen Erzähler. Literaturnobelpreis würdig, ganz klar genau wie TC. Boyle (der zweite, von dem ich alles gelesen habe und fast alles liebe).

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