Ruth Shaws Lebensgeschichte ist unglaublich. Sie hat diese in einem Buch veröffentlicht. Doch das Ergebnis mit dem Titel »Der Buchladen am Ende der Welt« ist leider ein getrübtes Lesevergnügen. Sie hätte es besser machen können.
In »Der Buchladen am Ende der Welt« erzählt Ruth Shaw aus ihrem abenteuerlichen Leben und Geschichten aus ihrer kleinen Buchhandlung in Neuseeland. Das klingt vielversprechend. Geschichten über Bücher und Buchhandlungen kommen bei begeisterten Lesern immer gut an. Das liegt in der Natur der Sache. Wer Bücher liebt, liebt meist auch ungewöhnliche Buchhandlungen.
Die heute über 80-jährige Neuseeländerin eröffnete mit 70 Jahren einen Buchladen. Quasi als Hobby in der Rente. Auf der Website des Verlages sowie im Innenteil des Buches findet man Bilder des »Wee Bookshops« mitten im Grünen im Süden Neuseelands. Besser gesagt der Bookshops – denn mittlerweile sind es mehrere Buchläden, sie erweiterte das reguläre Lädchen um eines für Kinder und einen Außenbereich mit Büchern, für die sich vor allem Männer interessieren.

Kurze Anekdoten aus den Bookshops bilden einen Teil von »Der Buchladen am Ende der Welt«. Diese wechseln sich ab mit Geschichten aus dem bewegten Leben von Ruth Shaw.
»Wie viel Geschichte passt in ein Leben?«, fragt man sich bei der Lektüre. Es ist unglaublich, was diese Frau alles mitgemacht und gemacht hat. Sie durchlebte viele Schicksalsschläge. Immer wieder brach sie alles ab und fing ganz neu an, rebellisch, ruhe- und rastlos. Erst im fortgeschrittenen Alter traf Ruth Shaw ihre Jugendliebe Lance wieder. Sie heiratete ihn (nach einer gescheiterten Verlobung in sehr jungen Jahren), wurde sesshaft und betreibt nun mit seiner Hilfe ihre Wee Bookshops.
Ruth Shaw arbeitete in ihrem langen Leben als Köchin für einen Erzbischof, Schweinezüchterin, private Krankenschwester, Streetworkerin und Skipperin – um nur ein paar ihrer Jobs zu nennen. Sie segelte zudem jahrelang über den Pazifik. Ihre Geschichte ist es wert, erzählt zu werden. Ruths Botschaft, die sie vorlebt: »Egal was passiert, gib nie auf. Gehe deinen Weg.« Und das zu einer Zeit, in der dies für Frauen alles andere als selbstverständlich war.

Das mag nach einer spannenden Lektüre klingen.
Leider liest sich das Buch holprig und sperrig.
Dies liegt einerseits an den Buchladen-Anekdoten, die sich mit Kapiteln aus dem Leben der Autorin abwechseln. Die Auswahl wirkt teilweise beliebig und unterbricht den Lesefluss, anstatt für Abwechslung und Spannung zu sorgen.
Eine der Anekdoten, die auf die Passage vom Tod ihres Kindes folgt, wirkt fehl am Platz. Allgemein hätte den Kapiteln mehr Tiefe gut getan. Mehr Raum, um das ganze Schicksal und die vielen Veränderungen im Leben der Autorin zu verarbeiten. Anders gesagt: Mehr »Show, don’t tell«.
Kann das Holpern beim Lesen auch an der deutschen Übersetzung liegen? In einigen Rezensionen auf Bewertungsportalen wird dies gemutmaßt. Sehen wir uns den ersten Satz des Buches im Original an:
»On the corner of Hillside Road and Home Street, opposite Lake Manapouri, sit Two Wee Bookshops, painted in a medley of bright colours and surrounded by plants, curiosities and the odd bookshop pet or two.«
Die deutsche Übersetzung von Anja Samstag lautet:
»Unweit des Lake Manapouri, an der Ecke Hillside Road und Home Street, stehen zwei kunterbunt bemalte winzig kleine Buchläden, umgeben von Pflanzen, allerlei Krimskrams und dem ein oder anderen Haustier, das hier wohnt.«
Im Englischen sitzen die Buchläden, was etwas kreativer klingt, im Deutschen stehen sie. Aus dem »Wee« im Eigennamen wurde in der Übersetzung ein »winzig klein«. »Curiosities« wurde zu »allerlei Krimskrams«. Das Englische klingt – wie so oft – intuitiv schöner und flüssiger. Jedoch liegt das an der Sprache allgemein und nicht an der Übersetzung, an der man auf den ersten Blick nichts bemängeln kann. Vielmehr wird ein Problem des Buches gleich im ersten Satz offensichtlich: Die genauen Beschreibungen. Welchen Leser am hiesigen Ende der Welt interessiert die Straßenecke? Die kann man auch googeln. Die Details sollen Authentizität vermitteln, verwirren und langweilen aber.
Ein weiteres Beispiel: »Als ich 1969 zur Crew stieg, war die Curry Sark ein Einmaster mit Marconi-Takelung und einem 44-PS-Motor von Fordson. Sie führte elf Segel, darunter drei Sturmsegel aus Leinen. Der Spinnaker war 186 Quadratmeter groß und Gennaker 116 Quadratmeter. Die Cutty Sark war 1953 an Bill Bradly verkauft worden. Er nahm mit ihr an der Whangarei-Nouméa- und an der Sydney-Hobart-Regatta teil.«
Wie bitte? Solche Stellen kommen zu oft vor, als dass man locker darüber hinweglesen könnte.
Das Buch ist voll von Ortsbeschreibungen, Eigennamen, Fachbegriffen und überflüssigen Details. Das liefert Nicht-Ortsansässigen oder Laien keinen Mehrwert.
An dieser Stelle könnte man sich fragen, was im Lektorat los war? Hat man aus wirtschaftlichen Gründen über die Schwachstellen hinweggesehen? Wohl wissend, dass sich ein Buch mit dem Titel »Der Buchladen am Ende der Welt – Eine wahre Geschichte über ein abenteuerliches Leben und die Liebe zum Lesen« mit einem hübschen Cover sowieso verkauft? Wäre es ohne die Details zu dünn geworden?
Schade. Man hätte Besseres aus der Geschichte von Ruth Shaw machen können.
Juliane Hartmann
Ruth Shaw; Anja Samstag (Übersetzung): Der Buchladen am Ende der Welt: Eine wahre Geschichte über ein abenteuerliches Leben und die Liebe zum Lesen (DUMONT Welt – Menschen – Reisen). Taschenbuch. 2024. DUMONT Reise ein Imprint von MAIRDUMONT. ISBN/EAN: 9783616032351. 17,95 € » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
Ruth Shaw; Anja Samstag (Übersetzung): Der Buchladen am Ende der Welt: Eine wahre Geschichte über ein abenteuerliches Leben und die Liebe zum Lesen (DUMONT Welt – Menschen – Reisen E-Book). Kindle Ausgabe. 2023. DUMONT Reise ein Imprint von MAIRDUMONT. 15,99 € » Herunterladen bei amazon.de Anzeige
Das ist wirklich die traurigste Kritik die ich zu einem Leben lesen durfte. Sie solle mehr Tiefgang zeigen und vermutlich ihre Wunden noch anders aufreissen und präsentieren? Bei einer frei erfundenen Geschichte kann man darüber sprechen aber bei realen Traumatas einer echten Person, doch sehr fragwürdig.
Hier wird von kein Mehrwert für nicht ortsansässige gesprochen aber man darf sich auch fragen, für wenn das Buch geschrieben wurde. Ich würde vermuten weniger für andere als viel mehr für sich selbst und ein wenig der Gemeinschaft um sie herum. Für mich persönlich liefert dies sogar ausgesprochen viel Mehrwert da ich vielleicht nie wieder zurückkehren werde aber ein Teil meines Herzes genau dort zu Hause ist. Das ist sicherlich nicht begreifbar für Nicht- Kiwis oder für nur mal im Urlaub da gewesene aber Mehrwert muss auch nicht immer für die breite Masse zugänglich sein sondern darf auch mal für wenige da sein dürfen.
Ich denke man muss sich eben bewusst machen das dies keine Meisterleistung und auch nie ein Buch sein wird was über die Jahrhunderte verweilt aber dies eben auch kein einfacher Roman ist sondern das Leben eines Menschen.
Danke Nat für deinen Kommentar.
Beim Lesen der Kritik hatte ich ähnliche Gedanken.
Nach einer Empfehlung unserer Tochter, haben wir im November 2024 bei einer Reise, diesen besonderen Buchladen, nicht gesucht, sondern entdeckt. Wir waren sofort sehr angetan und wir haben Ruth sofort ins Herz geschlossen. Beim anschließenden Lesen ihres Werkes war ich immerzu sehr ergriffen. Sie schrieb dieses Buch für sich und für Menschen die es lesen und ihren Weg mitgehen möchten. Hochachtung! Danke Ruth fürs Teilen.
Warum muss nur immer alles so zerredet werden?
Ich empfand die Episoden aus dem Buchladen als Atempausen und genoß sie sehr. Zeigten sie doch, dass trotz allem alles gut ausgeht. Die konkreten Erwähnungen machten alles greifbar, einordbar. Die Namen vieler Personen, deren Wege sie kreuzte, sind nicht unbekannt. Tragen dazu bei, wie krass ihr Leben wirkt. Ich hab das Buch als Horbach gehört und bin schwer beeindruckt.
‘An dieser Stelle könnte man sich fragen, was im Lektorat los war? Hat man aus wirtschaftlichen Gründen über die Schwachstellen hinweggesehen? Wohl wissend, dass sich ein Buch mit dem Titel »Der Buchladen am Ende der Welt – Eine wahre Geschichte über ein abenteuerliches Leben und die Liebe zum Lesen« mit einem hübschen Cover sowieso verkauft? Wäre es ohne die Details zu dünn geworden?’
Das Lektorat des deutschen Verlags hat damit ueberhaupt nichts zu tun – wenn man Buchrechte aus dem Ausland einkauft, kann man nicht einfach Teile, die einem nicht passen, weglassen – das ist vertraglich so geregelt. Das Buch wurde in Neuseeland und fuer ein neuseelaendisches Lesepublikum geschrieben, lektoriert und veroeffentlicht.
Als Kritikerin kann man natuerlich den Inhalt bemaengeln, aber ein bisschen Ahnung wie das so geht mit Uebersetungslizenzen sollte man schon haben bevor man dem Uebersetzungsverlag die Kompetenzen abspricht.
Gruss aus den Antipoden!
Das Lektorat der deutschsprachigen Version hat in diesem Fall mit Cover und Titel nichts zu tun. Das Lektorat des deutschen Verlags prüft in der Regel nur die inhaltliche und sprachliche Qualität der Übersetzung. Hierzu gibt es entsprechende Anmerkungen, was die Übersetzung betrifft. In diesem Fall sind jedoch – was nicht unbedingt üblich ist – der Titel (»The Bookseller at the End of the World«) und Cover identisch mit der englischen Ausgabe. Die Kritik an diesen Dingen ist daher universell. Und glauben Sie uns: auch in Neuseeland gibt es Lektorate, die Überflüssiges und Umständliches hätten Streichen können 😉
Okay, aber wenn die Kritik davon spricht, dass genaue Strasseneckenbeschreibungen am “hiesigen Ende der Welt” niemanden interessieren, und ob da vielleicht das Lektorat Schuld daran traegt, frage ich mich dann doch, inwiefern damit nicht das deutsche Lektorat gemeint ist. Fuer den neuseelaendischen Leser sind solche genauen Beschreibungen schon von Bedeutung. Die wissen naemlich, dass es in Manapouri nebst den zwei genannten Strassen nicht mehr viel anderes gibt. Man ist dann sogleich am aeussersten Ende der Welt angekommen.
Anyway, Ruth kuemmert es nicht. Sie sitzt mit ihrem Mann im Garten und schaut in den Sonnenuntergang, solange sie nicht damit beschaeftigt ist, ganze Busladungen von Touristen willkommen zu heissen und ihr Buch zu signieren. Aus Deutschland kommen offenbar ganz besonders viele vorbei.