Kaspar Hausers Interpreten Spätestens in den Beiträgen der Herausgeber wird der Fall wieder von der Interpretation eingeholt. Johannes Mayer skizziert in einem Hintergrundbericht die Entstehung und Überlieferung der Aufzeichnungen. Die Echtheit des Konvoluts steht ganz außer Frage. Als der Rechtshistoriker Gustav Radbruch in den dreißiger Jahren seine Feuerbach-Biographie schrieb, besuchte er die Nachfahren des Juristen in Lindau am Bodensee. Dort sah er eine für Feuerbach angefertigte Abschrift von Daumers Notizen, die er an Hermann Pies vermittelte. Dessen maschinenschriftliche Kopie wiederum gelangte schließlich mit Pies Nachlass in Mayers Besitz. Ein einleitender Kommentar zum Briefwechsel zwischen Radbruch und Pies deutet an, welches Anliegen sich für Mayer mit der historiographischen Förderung der Prinzentheorie verbindet. Der Briefwechsel zeige »das Interesse an Sinn und Bedeutung von Geschichte«. »Vom Ursprung her«, so Mayer, »verlangt die eine Ebene dieser Geschichte zwingender als anderswo ein Pro oder Kontra; letztlich eine Positionsbestimmung, die nach historischen Kategorien eigentlich nicht zu erbringen ist«. Hinter dieser blumigen Formulierung verbirgt sich die radikalste aller Hauser-Deutungen, entwickelt von Rudolf Steiner und seinen anthroposophischen Jüngern. Danach gilt Kaspar Hauser als Träger des »Christus-Impulses«, als eine Art Messias des 19. Jahrhunderts, der von »Widersachermächten« an seinem segensreichen Wirken gehindert wurde. Daher die Dringlichkeit der Entscheidung für oder gegen den Heiland Kaspar Hauser! Welche Bedeutung aus dieser Perspektive Kaspar Hauser im »Geisteskampf der Gegenwart« haben soll, darüber informiert Peter Tradowsky. Er sieht im Spiegel-Artikel zur DNS-Analyse der im Ton aufschneiderisch, in der Substanz eher dünn war nicht den Lösungsversuch eines historischen Rätsels, sondern »die Züge des Wirkens des Antichrist«. In den Angriffen auf Hauser zeige sich ein »antichristliche[r] Einschlag«, durch den »der Menschheit einer ihrer Helfer, Mahner und Tröster, der spirituell anwesend ist, genommen werden soll«. | |