Einleitung des Herausgebers
ZUR VORGESCHICHTE DER KASPAR-HAUSER-REZEPTION
Berthold Weckmann
»Natur-Geschichten: Kaspar Hauser und die wilden Kinder«
Weckmann bewegt sich in seiner Studie zu Kaspar Hauser und den »Wilden Kindern«, vertreten durch Peter von Hameln, auf der Grenzlinie von historischer Anthropologie und Literaturwissenschaft. Die Suche nach dem Ursprung und deren Verquickung mit der Sehnsucht nach Ursprünglichkeit benennt er als Zentrum der Findlingsgeschichten.
KONSTELLATIONEN UND THEMENKOMPLEXE
Gerd Gemünden
»Kaspar Hauser und das Rätsel der Hermeneutik«
Gemünden kann Kaspar Hausers Schweigen, Sprechen und Schreiben für eine Kritik der zeitgenössischen Hermeneutik Schleiermachers fruchtbar machen und zeigt, wie sich die Hermeneutik im Prozess der Dechiffrierung des enigmatischen Findlings ihr Rätsel selber schafft.
Naomi Ritter
»Auf der Suche nach dem heiligen Narren: Kaspar Hauser und Pierrot«
Ritter untersucht Parallelen und Konvergenzen zwischen Kaspar Hauser als clownesker Figur und Pierrot in der europäischen Literatur und Kunst. Dabei erweist sich der Zwist von Natur und Kultur als eines der Hauptmomente in der Ausgestaltung beider Figuren.
Ulrich Struve
»Der Findling als Heiland: Zur Mythopoetik in der Kaspar-Hauser-Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts«
An Texten von Jakob Wassermann, Georg Trakl, Klaus Mann, Peter Handke und Emma Krell-Werth analysiert der Aufsatz die Verwandlungen zentraler mythischer Motive der Kaspar-Hauser-Literatur. Aus den deutlich divergierenden Ansatzpunkten der Autoren kristallisiert sich als gemeinsames Moment die mythopoetische Überhöhung Kaspar Hausers als Messias heraus.
Roman Graf
»Alles ist verdächtig: Zum Thema Homosexualität in den Bearbeitungen der Kaspar-Hauser-Legende von Jakob Wassermann, Klaus Mann und Werner Herzog«
Unter Bezugnahme auf theoretische Ansätze der angelsächsischen Gay Studies untersucht Graf in seinem Beitrag einen bislang tabuisierten Themenkomplex: die Frage der Homosexualität, Homosozialität und Homophobie in der Kaspar-Hauser-Literatur.
EINZELTEXTE UND AUTOREN
Eva Geulen
»Adalbert Stifters Kinder-Kunst: Drei Fallstudien«
Geulen beschäftigt sich mit Adalbert Stifters Kaspar-Hauser-Rezeption. Sie kann aufzeigen, wie Goethes Kunst-Figur Mignon und die historische Figur Kaspar Hauser in Stifters sprachbehinderten Kindern rezipiert werden, besonders eindringlich in dem Mädchen aus Turmalin (1853).
Bettina Brandt
»Meret Oppenheims Inkognito: (De)Maskierung und Reflexion in Oppenheims Filmskript Kaspar Hauser oder Die Goldene Freiheit«
Für das Werk der Schweizer Künstlerin und Schriftstellerin Meret Oppenheim hat Kaspar Hauser als verborgene Leitfigur zu gelten. Brandt untersucht, wie sich Oppenheim von ihren surrealistischen Anfängen und deren Fremdbestimmungen freischreibt und in der Hauser-Figur einen neuartigen Lebensentwurf stellvertretend erprobt.
Sabine Groß
»Fremdheit und Verfremdung in Werner Herzogs Jeder für sich und Gott gegen alle«
Der Beitrag zeigt auf der Basis von kognitiver Psychologie und russischem Formalismus, wie die Anders- und Fremdartigkeit der Kaspar-Hauser-Figur in Herzogs Film für die Zuschauer zu einer produktiven Verfremdung wird. Zugleich führt Herzogs Konzentration auf Kaspars kognitive Entwicklung in immer neuen Variationen die unabdingbare Notwendigkeit kognitiver Schemata vor Augen.
Peter Höyng
»Dramatische Geschichtsmetaphysik: Kaspar Hauser aus anthroposophischer Sicht«
Höyng bietet eine Lektüre von Carlo Pietzners Kaspar-Hauser-Drama ...und aus der Nacht: das Kind (1975/1983), das moderne Dramentechniken mit anthroposophischen Inhalten verbindet. Anschließend stellt er die anthroposophische Theoriebildung zu Kaspar Hauser vor und fragt, unter Verwendung von Foucaults Diskursbegriff, warum sich Germanistik und Anthroposophie konsequent gegenseitig ignorieren.
Joshua Kendall
»Psychische Zersplitterung in der postmodernen Polis: Kaspar Hauser in Paul Austers New York Trilogy«
Kendall verfolgt das Schicksal der Hauser-Figuren in Austers Trilogie, vor allem in Stadt aus Glas (1985). Kaspar Hauser, alias Peter Stillman jun., dessen Vater ihn gefangen hält, um eine paradiesisch reine Sprache zu rekreieren, wird zum Symbol allgemeiner (Selbst)Isolation am Rande des Wahnsinns. Dabei besteht Kendall auf einer Interpretation, die das durch brutale Kindesmisshandlung verursachte Leiden ernst nimmt.
Abbildungsverzeichnis
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