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Henry David Thoreau: Wer war der Walden-Autor wirklich?

Zwei Jahre lebte Henry David Thoreau in einer selbst gebauten Hütte im Wald. Er wollte herausfinden, was man wirklich zum Leben braucht, und schrieb über diese Zeit das Buch »Walden«. Oft wird aus dem Klassiker zitiert, doch die wenigsten dürften ihn ganz gelesen haben. Vieles erscheint merkwürdig und widersprüchlich bei Henry David Thoreau. Wer war er wirklich?

Was man zum Leben braucht

Henry David Thoreau war 28 Jahre alt, als er am 4. Juli des Jahres 1845 eine selbst gebaute Holzhütte am Walden-See (»Walden Pond«) in Massachusetts bezog. Der Ort am Ufer des Sees war weniger einsam, als es viele vermuten. Die Straße in das nahe gelegene Städtchen Concord war nur wenige hundert Meter entfernt, ebenso die Bahnlinie nach Boston. Mehrmals in der Woche besuchte Thoreau den Ort Concord, der etwas mehr als 2.000 Einwohner hatte. Aber auch in seiner kleinen Hütte hatte er oft Besuch. Er war zudem regelmäßig bei Freunden zum Essen eingeladen und am Sonntag brachten ihm seine Mutter und seine Schwester ein Fresspaket vorbei, weil sie befürchteten, dass ihr Henry dort am See verhungern könnte.

Henry David Thoreau. Kreidezeichnung von Samuel Worcester Rowse aus dem Jahre 1854. Thoreau wäre demnach 37 Jahre alt. (Foto: Wikipedia/Public Domain)
Henry David Thoreau. Kreidezeichnung von Samuel Worcester Rowse aus dem Jahre 1854. Thoreau wäre demnach 37 Jahre alt. (Klick zum Vergrößern/Foto: Wikipedia/Public Domain)

Doch Thoreau baute auch Bohnen und anderes Gemüse an, jagte, fischte und kochte für seine Besucher Maispudding. Wie er in »Walden« scheibt, war Letzterer für die meisten Besucher jedoch eher ein Grund, den Besuch zu beenden.

Thoreau wollte in seiner Hütte am See herausfinden, was man wirklich zum Leben braucht. Seine Erkenntnis: nicht viel. Je weniger man besitze, desto glücklicher sei man. Unnötiger Besitz erzeuge zudem Neid und sei der Anfang allen Übels. »Mit überflüssigem Reichtum kann man nur Überflüssiges kaufen«, so Thoreau im letzten Kapitel seines Buches. »Es bedarf nicht des Geldes, wenn man sich Nahrung für die Seele kaufen will.«

Zitatgeber für Kalendersprüche

Worte, die niemandem weh tun, die man gut finden muss, ein Zitatfundus für Kalender und Lebenshilfebücher. Was Thoreau in »Walden« beschreibt, findet sich auch heute in vielen Ratgeberbücher für ein glückliches Leben: Minimalismus, »Simplify your Life«, die Rückkehr zur Natur. Tiny Houses sind heute cool, Thoreau lebte schon vor fast 200 Jahren in einem solchen: Bett, drei Stühle, Stehpult, Schrank und offener Kamin.

Nachbau von Thoreaus Hütte im Wald. Das Original steht nicht mehr. (Foto: Wikipedia/CC BY-SA 2.0)
Nachbau von Thoreaus Hütte im Wald. Das Original steht nicht mehr. (Klick zum Vergrößern/Foto: Wikipedia/CC BY-SA 2.0)

Nach »Walden« ist eine aktuelle Zeitschrift aus dem Hause Gruner + Jahr benannt, die sich »Mikroabenteuern« widmet: mal durch einen Fluss schwimmen, mal draußen übernachten.

Thoreaus »Walden« wurde Weltliteratur, zum Klassiker der Aussteigerliteratur, zum Ratgeber für das ursprüngliche und natürliche Leben. Mahatma Gandhi und Martin Luther King sollen sich auf Thoreau bezogen haben.

Und das trotz Mamas Fresspaket?

Musik und Kaffee sind der Untergang des Abendlandes

Der Text und seine ersten deutschen Übersetzungen sind heute gemeinfrei. Jeder kann sie veröffentlichen. Man findet unzählige Ausgaben und auch neuere Übersetzungen in vielen renommierten Verlagen von Diogenes bis Manesse.

Titelbild der ersten »Walden«-Ausgabe von 1854. Die Zeichnung der Hütte stammt von Thoreaus Schwester Sophia. (Klick zum Vergrößern/Foto: Wikipedia/Public Domain)
Titelbild der ersten »Walden«-Ausgabe von 1854. Die Zeichnung der Hütte stammt von Thoreaus Schwester Sophia. (Klick zum Vergrößern/Foto: Wikipedia/Public Domain)

Merkwürdigerweise findet man »Walden« aber auch im Programm rechter Verlage. Und schauen wir ins Buch, finden wir Sätze wie: »Die einzigen Personen, die mich je in meinem Leben belästigten, repräsentierten den Staat.« und »Den Knaben, der nie eine Flinte abknallen durfte, kann man nur bedauern. Er wurde dadurch nicht humaner, nein, seine Erziehung wurde arg vernachlässigt.«

Wird Thoreau in anderer Lesart zum »Prepper«, der sich am See selbst versorgt, Misstrauen gegen die gewählte Regierung hegt und den Umgang mit der Waffe lobt?

Thoreau isst Fisch und Fleisch, doch wiederum scheint der Vegetarismus für ihn die höhere Stufe der Menschheitsentwicklung zu sein: »Ich bezweifle nicht, dass in der allmählichen Weiterentwicklung der Menschheit auch der Zeitpunkt kommen wird, wo Tiere nicht mehr verzehrt werden.«

An anderer Stelle verdammt er sogar Tee und Kaffee und schreibt über die beiden Getränke: »O, wie tief falle ich, wenn sie mich zu locken vermögen! Selbst Musik kann berauschend wirken. Solch scheinbar kleine Ursachen zerstörten Griechenland und Rom, sie werden auch England und Amerika zerstören.«

Musik und Kaffee sind der Untergang des Abendlandes? Thoreau eine freudlose puritane Spaßbremse?

Und warum lebte er dort am Walden-See nur zwei Jahre, wo es in der Natur doch so großartig war?

»Der Anlass, der mich in die Wälder führte, war ebenso triftig wie der, welcher mich zum Fortgehen bewog. Vielleicht glaubte ich, dass ich noch verschiedene Leben zu leben habe und auf dieses keine Zeit mehr verwenden dürfe.«

Die Leben nach »Walden«, das waren die Leben als Landvermesser, als Bleistift-Fabrikant – und als Autor und Vortragsreisender.

Landvermesser, Unternehmer und Autor

Moment? Später wurde Thoreau ein durchaus erfolgreicher Unternehmer, gegen die er in »Walden« wetterte? Ja. Nach dem Tode seines Vaters übernahm er pflichtbewusst zeitweilig dessen Bleistiftmanufaktur. Er erfand Verfahren und Techniken, die die Herstellung und Qualität der Schreibgeräte verbesserten. Handwerklich hatte Thoreau einiges auf dem Kasten. Was er machte, machte er mit hoher Perfektion, egal ob Bleistifte, Kanu-, Garten- oder Hüttenbau. Obwohl er in Harvard studiert hatte und in der Zeit vor seinem Hütten-Abenteuer als Lehrer arbeitete, jobbte er gelegentlich auch als Anstreicher und Handlanger, um sich das wenige Geld zu verdienen, das er benötigte.

Das Foto aus dem Jahre 1856 zeigt Henry David Thoreau im Alter von 39 Jahren (Klick zum Vergrößern/Foto: Wikipedia/Public Domain)
Das Foto aus dem Jahre 1856 zeigt Henry David Thoreau im Alter von 39 Jahren (Klick zum Vergrößern/Foto: Wikipedia/Public Domain)

Als Lehrer weigerte sich Thoreau, gegen seine Schüler die Prügelstrafe einzusetzen. Später war er Mitglied der »Underground Railroad«, einem Netzwerk, das entflohnen Sklaven half, meist nach Kanada zu entkommen. Denn man muss sich bewusst machen: Im Amerika, in dem Thoreau lebte, existierte noch die Sklaverei. Es wurde Krieg gegen Mexiko geführt, und Thoreau weigerte sich, solch einer Regierung Steuern zu zahlen. Das brachte ihn zumindest für eine Nacht ins Gefängnis. Ein Ort, den er in einer anderen Schrift sehr glorifizierte, als einen Ort des Widerstands, an dem sich alle rechtschaffenen Menschen befinden sollten.

Mit diesem Werbeflugblatt war Thoreau für seine Dienste als Landvermesser (Klick zum Vergrößern/Foto: Public Domain)
Mit diesem Werbeflugblatt warb Thoreau für seine Dienste als Landvermesser (Klick zum Vergrößern/Foto: Public Domain)

Thoreau verhalf Sklaven zur Flucht, verrannte sich aber nach Meinung vieler Zeitgenossen, indem er sich für John Brown einsetzte. Brown war ein Farmer und Gegner der Sklaverei. Jedoch schreckte Brown nicht vor brutalen Morden und Massakern zurück. Brown wurde schließlich zum Tode verurteilt.

Triebfeder Transzendentalismus

Wer Thoreau, der im Übrigen nur 44 Jahre alt wurde und an Tuberkulose starb, verstehen will und seine scheinbar widersprüchlichen und ins Extreme neigenden Handlungen, seine Liebe zur Natur, sein Einzelgängertum und seine Begeisterung für den Diskurs und sein intellektuelles Besserwissertum (bisweilen waren selbst seine Freunde von seinen Predigten genervt), muss sich mit dem Transzendentalismus beschäftigen. Es war die Denkrichtung, die ihn prägte.

Die Stadt Concord war zu Thoreaus Zeit auch eine Künstlerkolonie, in der sich viele Transzendentalisten niederließen. Einige der Namen kennt man auch hierzulande: Ralf Waldo Emerson, Nathaniel Hawthorne, Amos Bronson Alcott, Margaret Fuller.

Der charismatische Emerson war Thoreaus Mentor und Freund. Thoreau arbeitete zeitweise als dessen Hausverwalter und Hausmeister (inklusive Kinderbetreuung und Gartenpflege), wenn sich der Salonlöwe Emerson auf Vortragsreisen befand. Später kühlte sich ihr Verhältnis ab. Thoreau nervte, und umgekehrt nervte es Thoreau, dass er immer wieder mit Emerson verglichen wurde. Emerson gehörte im Übrigen das Land, auf dem Thoreau seine Hütte baute.

Selbst eine Zeitschrift ist heutzutage nach Thoreaus-Bestseller benannt. Sie widmet sich u. a. sogenannten Mikroabenteuern.
Selbst eine Zeitschrift ist heutzutage nach Thoreaus-Bestseller benannt. Sie widmet sich u. a. sogenannten Mikroabenteuern.

Der Reformpädagoge und Transzendentalist Alcott wurde zu einem der innigsten Freunde Thoreaus. Ihm widmete er im »Walden« eine glühende, schwülstige Lobeshymne (»Sein großmütiger Geist ladet sie alle zu Gaste: Kinder, Bettler, Geistigarme und Gelehrte. Er bewirtet die Gedanken aller, und entläßt sie meistens noch mit erweitertem Blick und verbessertem Geschmack.«).

Was ist der »Transzendentalismus«, der in Concord eine beliebte Geisteshaltung der Intellektuellen war? Eine Sekte? Eine Glaubensrichtung? Eine Philosophie? Eine Denkrichtung?

Irgendwie von allem etwas, wobei man das Göttliche eher in der Natur und in sich und seinem Handeln findet. Hier wurden christliche mit vornehmlich indischen Glaubenslehren vermengt, dazu die Geisteshaltung der Romantik, etwas Mystizismus, Esoterik und die Philosophie von Kant, Schelling und Rousseau. Und immer wieder die Natur, in der und von der man vieles lernen kann.

Aus dieser Mischung entwickelten sich erste Ansätze des Natur- und Tierschutzes, aber auch die Frauenbewegung hat hier ihren Kern. Zudem bekannte man sich zum Abolitionismus, also zur Abschaffung der Sklaverei.

Das meiste von dieser Denk- und Geisteshaltung findet sich in »Walden« wieder. Thoreau zitiert oft indische Weisheiten und Philosophen, preist aber auch die Werke und Autoren des klassischen Altertums wie Homer, den man nur dann wirklich verstehen kann, wenn man ihn im griechischen Original liest. Und da ist sie wieder, die intellektuelle Überheblichkeit (und Besserwisserei), die in und an »Walden« bisweilen nervt.

Das Buch »Walden« wurde erst neun Jahre nach dem Hüttenbezug im Wald veröffentlicht. Thoreau hat es aus Tagebucheinträgen kompiliert und mit späteren Gedanken verknüpft.

Reiserouten und Autorenprobleme

Thoreau reiste viel mit Kanu und zu Fuß, war nie in Europa, doch ihm genügte die nähere Umgebung wie Cape Cod. Er reiste auch nach Maine und nach Kanada.

Und er reiste in die umliegenden Städte und bis Boston und New York, um Vorträge und Lesungen über seine Reisen und Naturbeobachtungen zu halten, später auch über »Walden«.

Thoreau musste sich mit den Problemen vieler Schriftsteller herumplagen: Veröffentlichungsmöglichkeiten suchen, abgelehnt werden, nicht abgesprochene Eingriffe oder Streichungen im Text, ausbleibende Honorare …

Thoreaus Texte hatten Witz und Ironie, was auch dem »Walden« anzumerken ist, jedoch wurden seine Texte oftmals wegen der »Predigten« zurückgewiesen, wenn ihnen der rote Faden fehlte, wenn eine gelungene Naturbeobachtung in moralische Exkurse oder Gleichnisse ausartete. Auch die finden sich in »Walden«.

Henry David Thoreau war kein einfacher Zeitgenosse. Denn auch das hört man aus »Walden« heraus, dass er sich am liebsten mit denen zusammensetzte, die seiner Meinung waren oder die sich seine Meinung gerne anhörten. Von den einfachen Menschen und den einfach lebenden, die nichts aus ihrem Leben machten, hielt er nicht viel. Als er – in der Zeit vor »Walden« – als Hauslehrer in New York lebte, hielt er es dort und unter den dortigen Menschenmassen nicht lange aus und kehrte ins beschauliche Concord zurück.

Frank Schäfers lesenserte Thoreau-Biografie: Henry David Thoreau: Waldgänger und Rebell, erschienen im Suhrkamp Verlag.
Frank Schäfers lesenswerte Thoreau-Biografie: Henry David Thoreau: Waldgänger und Rebell, erschienen im Suhrkamp Verlag.

Wer sich näher mit dem Leben von Henry David Thoreau beschäftigen will, dem sei die vorzügliche Thoreau-Biografie von Frank Schäfer empfohlen, die 2017 zum 200. Geburtstag im Suhrkamp Verlag erschienen ist. Schäfer zeichnet die Ambivalenz von Thoreaus Leben gut nach und ist weder Verehrer noch scharfer Kritiker Thoreaus.

Interessant ist  das, was nicht in »Walden« steht

Interessant ist auch das, was nicht in »Walden« steht. »Walden« ist nun mal ein Ego-Buch. Große und kleine Entwürfe für ein gemeinsames Miteinander tauchen dort so gut wie nicht auf. Obwohl Thoreau Abolitionist war, kommt Sklaverei nur am Rande vor. Thoreau erwähnt, dass er einem Sklaven bei der Flucht geholfen hat, mockiert sich aber auch darüber, dass flüchtende Sklaven mit »plumpen Manieren« vor seiner Hütte stehen und Hilfe erwarten. Für ein missratenes Bild benutzt er die Sklaverei: »Es ist hart einem südlichen, härter einem nördlichen Sklavenaufseher zu unterstehen. Am schlimmsten aber ist es um den bestellt, der sein eigener Sklaventreiber ist.«

Obwohl Thoreau Lehrer war und sich weigerte, die Prügelstrafe einzusetzen, kommt das Thema Erziehung, Familie, Liebe und Lebensgemeinschaft ebenfalls nicht vor. War Thoreau schwul? Auch diese These wird immer wieder vertreten. Frank Schäfer geht ihr in seinem Buch ebenfalls nach, lässt die Antwort jedoch offen, da es weder eindeutige Belege dafür noch dagegen gebe.

Thoreau bleibt widersprüchlich, besonders dann, wenn wir ihn oder seine Texte in Ausschnitten wahrnehmen, uns das herausziehen, was uns passt.

So bleibt die Erkenntnis, dass die Person Henry David Thoreau nicht einfach zu greifen und zu erklären ist und »Walden« weitaus vielschichtiger ist, als es die windelweichen Kalendersprüche vermuten lassen, die aus dem Werk extrahiert werden. »Walden« kann man in der über 14-stündigen Lesung im literaturcafe.de nachhören, wenn man möchte.

Thoreau blieb sich jedoch zeit seines kurzen Lebens treu, war Idealist, auch wenn er mit seine Haltung und moralischen Konsequenz oftmals aneckte oder übers Ziel hinausschoss.

Wolfgang Tischer

Link ins Web:

Buchtipp:

Frank Schäfer: Henry David Thoreau: Waldgänger und Rebell. Eine Biographie (suhrkamp taschenbuch). Broschiert. 2017. Suhrkamp Verlag. ISBN/EAN: 9783518467695. 16,95 €  Â» Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel

9 Kommentare

  1. Gut, dass er Zeitlebens keine Jünger um sich scharte, sonst wäre er bereits jetzt schon ein Religionsstifter.
    Mal schauen, vielleicht sollte ich eine Religion um seine “Bibel” gründen. Bestimmt lässt sich da eine Menge Geld heraus ziehen, denn wer sowohl bei Linken als auch bei Rechten anklang findet, der muss gut verkäuflich sein – Quod erat demonstrandum.

  2. Vielen Dank für diese biografische Zusammenfassung! Das macht mir im Nachhinein manches noch viel verständlicher, obwohl ich schon versucht hatte, im Internet einiges über die Hintergründe zu erfahren. Eines verstehe ich aber immer noch nicht: viele Passagen im Buch sind ja wirklich nicht einfach zu verstehen, wie kann es da sein, dass in Wikipedia dieser Satz zu finden ist: “In vormarxistischer Zeit war es in vielen Arbeiterhaushalten zu finden.”?

    • Liebe Frau Pfisterer,
      in der Tat würde mich auch die Quelle dieser seltsamen Behauptung in der Wikipedia interessieren. Und was genau soll die »vormarxistische Zeit« Zeit sein und wo fand man das Buch in den »Arbeiterhaushalten«? Seltsam. »Walden« ist ein sehr intellektuelles Buch mit seinen vielen Anspielungen z. B. auf die griechische Mythologie. Zudem erhebt sich Thoreau ziemlich über die arbeitende Bevölkerung und zeigt an einem Beispiel, dass die arbeitende Bevölkerung kein großes Interesse hat, ihre Lage zu verbessern. »Walden« ist alles andere als eine »Arbeiterbibel«, weder vor noch für den Marxismus geeignet. Zwar wettert Thoreau gegen die (Großgrund-)Besitzer und beklagt die Entfremdung von der Arbeit, doch sein Weg ist nicht die Revolution, sondern eher Isolation und Einsamkeit und die Suche nach dem Göttlichen in den Dingen. »Walden« ist auch hier sehr ambivalent. Es gibt eine auch heute noch im Anaconda-Verlag verkaufte Übersetzung des Walden aus dem Jahre 1949, im damaligen Aufbau Verlag der DDR erschienen. Dies Ausgabe ist stark gekürzt, und es fehlen die Passagen zum Individualismus und zum Göttlichen in den Dingen.
      Herzlichen Grüße
      Wolfgang Tischer, literaturcafe.de

      • “sein Weg ist nicht die Revolution, sondern eher Isolation und Einsamkeit”
        Da möchte ich aufgrund seines phänomenalen Essays “Civil Disobedience” widersprechen. Sein Weg war friedliche Revolution via Ungehorsam – wie du selbst sagst war er nie wirklich isoliert oder einsam.

  3. »Den Knaben, der nie eine Flinte abknallen durfte, kann man nur bedauern. Er wurde dadurch nicht humaner, nein, seine Erziehung wurde arg vernachlässigt.«
    Diese und die nachfolgenden Zitate scheinen mir sehr aus dem Zusammenhang gerissen. Im Kontext sieht man, dass sie sowohl beim Thema Waffen als auch beim Thema Ernährung Wendepunkte (“pivots”) im Text darstellen, und er diese zugegeben sehr extremen Aussagen selbst relativiert, wobei am Ende eher Gewaltlosigkeit (wie auch in “Civil Disobedience”) und Vegetarismus als Ideale stehen – wobei er selbst auch zugibt, dass er diesen Idealen nicht gerecht wird und seine eigene triebhafte Natur erkennt.

    “Von den einfachen Menschen und den einfach lebenden, die nichts aus ihrem Leben machten, hielt er nicht viel.”
    Da verstehe ich seine Beschreibung des Holzhackers im Abschnitt “Besuch” aber anders – er scheint geradezu fasiniert zu sein. Und auch an John Field kritisiert er eher, dass er (natürlich auch geprägt von der Gesellschaft, was heute durch weitere Entfremdung von der Natur noch viel prävalenter ist) über seinen Mitteln lebt und daher sein Leben unnötig stressig ist – also dass er eben NICHT einfach lebt – während er immer wieder Naturvölker positiv beschreibt.

    Trotz alledem fand ich diese kritische Analyse durchaus hilfreich.

  4. Das Buch “Walden” kaufte ich auf einem Flohmarkt. Damals hatte ich noch kein Internet und
    von einer Wikipedia wusste ich auch noch nichts. Deshalb war mir die Bedeutung des Schriftstellers nicht bekannt. Da ich selbst oft geträumt habe in der Natur zu leben, habe ich Thoreau´s Buch von erster Seite bis zur letzter Seite verschlungen und die schönen Stellen mit den märchenhaften Begegnungen mit den Tieren immer wieder nachgelesen. Sein Minimalismus
    hat mich angeregt, dass ich darüber nachdachte, wass ich an Büchern und Dingen entbehren kann, und wie ich mit noch weniger auskommen konnte. Gleichzeitig fing ich mit Yogaübungen an und war bestrebt vom Unwesentlichen zum Wesentlichen im Leben zu kommen. In dieser Zeit ging ich jeden Tag in den Wald.

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