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Das Literarische Quartett: Dank an Dorn

Thea Dorn im Literarischen Quartett (Foto: ZDF)
Thea Dorn im Literarischen Quartett (Foto: ZDF)

Plötzlich ist eine ältere Buchbesprechung vom September der am häufigsten aufgerufene Beitrag im literaturcafe.de. »Tage ohne Ende« von Sebastian Barry ist ein Meisterwerk, aber anscheinend hat es niemand bemerkt. Bis jetzt, denn jetzt kam das Literarische Quartett.

Die Leiden des Literaturkritikers

[no_toc]Ich muss zunächst von meinen Leiden erzählen, den Leiden des Literaturkritikers und Betreibers einer literarischen Website. Da gibt es diese Bestseller, die irgendwie alle gut finden und die ohne Frage gut sind. Zum Beispiel derzeit Dörte Hansens »Mittagsstunde« oder Robert Seethalers »Feld«. Bestseller lese ich nicht allzu oft. Machen ja andere schon. Doch wenn man dennoch mal eine Buchkritik über einen Bestseller schreibt – dann zählt der Beitrag immer zu den am häufigsten abgerufenen im literaturcafe.de. So wie Bestseller Bestseller bleiben, weil sich alle an den Listen orientieren, lesen offenbar die meisten Leute am liebsten Kritiken zu Büchern, über die ohnehin schon alle wohlwollend sprechen. Man könnte es sich daher einfach machen, wenn man nach Klicks giert und ausschließlich Bücher besprechen, die jeder kennt.

Sebatian Barry: Tage ohne Ende - Mehr Western geht doch
Sebastian Barry: Tage ohne Ende – Deutsch von Hans-Christian Oeser

Und dann gibt es solche Bücher wie »Tage ohne Ende«. Bereits im Juli oder August hatte mir der Steidl Verlag das Leseexemplar zugeschickt. Offenbar ein Western, aber eben beim literarischen Steidl Verlag erschienen. Ich habe das Buch mit Begeisterung gelesen. Wie darin der irische Autor Sebastian Barry über die »Eroberung« Amerikas schreibt, über das brutale Gemetzel an den Indianern und zwischen den Armeen der Nord- und Südstaaten, wie er die Lebensgeschichte zweier Männer beschreibt, bei der aus Freundschaft Liebe wird, das ist im höchsten Maße beeindruckend, erschreckend und berührend. Nicht minder beeindruckend ist, wie Hans-Christian Oeser die einfache dialektgefärbte Sprache des Originals ins Deutsche übertragen hat.

Nix passiert und keinen interessiert’s

In solchen Momenten ist man sprachlos und denkt, dass das das Buch ist, von dem alle demnächst reden werden. Und bevor das alle machen, schreibe ich eine Buchkritik, um dazu beizutragen, dass alle darüber reden werden.

Und was passiert? Nix.

Nicht mal der Verlag hat sich bei mir zurückgemeldet, als ich ihm den Beleglink schickte. [Nachtrag: Der Steidl Verlag hat sich nun sofort und sehr freundlich gemeldet. Irgendwie ist damals die Mail leider nicht angekommen.]

Und auch in den Feuilletons tauchte »Tage ohne Ende« nicht auf. Niemand schien das Buch zu interessieren, niemand schien dieses gewaltige Werk wahrzunehmen, das seitenzahlmäßig gar nicht so gewaltig ist.

Da packt einen wieder dieser Frust: Du schreibst über ein gutes Buch, über das alle sprechen, dass es gut ist, und jeder liest’s. Und dann entdeckst du ein Buch, das dich umhaut, dem du Aufmerksamkeit wünscht, das du lobst, von dem du sagst, dass man es lesen sollte, weil es einfach bewegend und mitreißend ist, du verwendest viel Zeit auf die Besprechung – und keinen interessiert‘s.

Doch dann plötzlich muss etwas passiert sein, da die Besprechung drei Monate später auf einmal an die Spitze der am häufigsten abgerufenen Beiträge des literaturcafe.de wandert. Was war los?

Ich hatte das Literarische Quartett an diesem Freitag versäumt. Ich hatte es nicht nur nicht gesehen, mir war gar nicht bewusst, dass es gesendet wurde. Kann passieren. Bis dann am Sonntag eine ältere Quartett-Besprechung ebenfalls in die Top-Beiträge wanderte. Ein eindeutiges Indiz auf die Ausstrahlung einer neuen Folge, da dies immer passiert, wenn eine Sendung ausgestrahlt wurde.

Da war mir plötzlich klar, »der Barry« musste im Literarischen Quartett besprochen worden sein. Die Sendung läuft spät, die Sendung hat kaum noch Einfluss auf die Bestsellerlisten, doch auf die Abrufzahlen des literaturcafe.de wirkt sie sich offenbar dennoch aus. Zumindest dann, wenn man offenbar nahezu der einzige ist, der zum Buch bereits eine Kritik geschrieben hat. (Nach dem Schreiben dieses Satzes warte ich förmlich auf die Flut der Kommentare mit Link und einem »Ich habe das Buch aber auch schon besprochen!«)

Das literaturcafe.de ist nicht das ZDF

Trotz relativer Bekanntheit ist das literaturcafe.de eben doch nicht das ZDF, FAZ oder ZEIT. Doch selbst dort versickern manche Literaturkritiken.

Sebastian Barry wurde vom Quartett gelobt, von allen Vieren der Runde. Als erster Gast war der Schauspieler Ulrich Matthes diesmal zum zweiten Mal dabei. Beim ersten Besuch diskutierte er lebhafter und eloquenter als die Stammbesetzung und konnte auch als Literaturkritiker überzeugen. Vielleicht fühlte er sich daher in seinem Stuhl diesmal etwas zu wohl, sodass er ein wenig zu sehr »Overacting« betrieb und sich gelegentlich zu sehr in der Rolle des Literaturkritikers gefiel.

Vielleicht lag es an Matthes‘ Auftreten – allein schon, dass man sich diesmal auch vor der Kamera ausgiebig duzte war neu –, dass das Quartett diesmal zu sehr in das Mein-Buch-gegen-dein-Buch-Gehabe verfiel und Gegenaussagen statt Gegenargumente in den Raum gerufen wurden, bisweilen etwas durcheinander, sodass selbst Weidermann theatralisch im Sessel herunterrutschte. Waren sich die Kritiker einig, wie beim Buch von Hilmar Klute und noch viel mehr bei Sebastian Barry, so war das nicht weiter störend, doch bei der Diskussion um die Werke von Marina Stepanova und Minna Rytisalo wurden nur vehement gegenteilige Empfindungen ins Foyer des Berliner Ensemble gestellt. Da stand nur Gut gegen Schlecht, und es fehlte der erörternde, abwägende literarische Diskurs, der einem als Zuhörer mehr Einblick gegeben hätte.

Auf das Buch mit dem feinen Titel »Was dann nachher so schön fliegt« von Hilmar Klute wurde man neugierig, doch irgendwie nervt es auch, dass Schriftsteller viel zu oft Schriftsteller zur Hauptfigur ihrer Romane machen und man den Eindruck gewinnt, dass allein das die Aufmerksamkeit der Kritiker garantiert.

Dem Vergessen des Buchmarktes entrissen

Interessant ist vorab immer wieder das Spiel, sich die Buchliste anzusehen und versuchen zu erraten, wer welchen Titel ausgewählt hat. Oftmals gelingt das nur bei Christine Westermann.

Den Barry hat Thea Dorn ausgesucht. Ich hätte das auch Matthes zugetraut. So bleibt mir hier am Schluss nur, Thea Dorn zu danken, dass sie »Tage ohne Ende« dem zu schnellen Vergessen des Buchmarktes entrissen hat und das Buch hoffentlich jetzt die Aufmerksamkeit bekommt, die das Werk, der Autor und nicht zuletzt der Übersetzer verdient haben. Hier können Sie die Besprechung vom September 2018 nachlesen.

Wolfgang Tischer

Link ins Web:

  • Das Literarische Quartett vom 07.12.2018 in der ZDF-Mediathek

Die in der Sendung vom 07.12.2018 besprochenen Bücher:

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5 Kommentare

  1. Das Buch von S. Barry “Tage ohne Ende” habe ich nicht gelesen, jedoch die Sendung im ZDF und den Beitrag von Thea Dorn über dieses Buch gesehen. Leider war ich weniger erfreut über das Thema und dieses Buch sondern eher geschockt. In der Sendung wurde erwähnt, dass beide schwule Männer in den Indianerkriegen schreckliche Gewalttaten verübten, dann jedoch ein Indianermädchen bei sich aufnahmen und man erleben kann, wie gut und zärtlich die beiden Männer plötzlich sein konnten. Des weiteren wurde erwähnt, dass die Männer die Gewalttaten gegen die Indianer nicht aus Spaß oder aus Ãœberzeugung – sondern nur auf Befehl hin ausübten. Diese Tatsachen haben mich entsetzt. Wie wäre es, wenn ein Autor ein Buch über 2 SS-Männer schreiben würde, die Grausamkeiten an Juden begehen – aber nicht aus Spaß sondern nur auf Befehl (dies hat man wirklich allzu oft gehört) und im Privatleben trotzdem sehr nett und zärtlich sein konnten. Dies wäre doch zu Recht unvorstellbar! Schon deshalb möchte ich dieses Buch niemals lesen. Außerdem ist es meine Meinung, dass im 19. Jhr. eine Ehe zwischen Schwulen in Nordamerika – selbst mit Tricks – völlig unwahrscheinlich ist. Hier werden wohl Helden erfunden, die a priori gut sind, nur weil sie schwul sind – und man nimmt die Grausamkeiten gegenüber Indianern hin (dieselben Grausamkeiten Juden gegenüber würde man nicht hinnehmen) und entschuldigt sie damit, dass sie ja befohlen waren.
    Nein, so ein Buch könnte ich niemals lesen – auch wenn es noch so gut geschrieben wäre.

      • Ihre Anmerkung ist fast etwas witzig, denn seit Kindheitstagen ist die Literatur eine meiner Hauptbeschäftigungen, habe in meinem Leben sehr sehr viel gelesen. Meine Anmerkung bezog sich nicht auf literarische Qualitäten, habe ja auch angemerkt, dies Buch nicht gelesen zu haben. Zu Indianern habe ich eine besondere Beziehung – auch seit Kindheitstagen. Habe bisher kaum die üblichen Western gesehen, die ich ebenfalls nicht ertragen kann. Was den Indianern angetan wurde, war mindestens in der Nähe eines Genozides. Man schlachtete Millionen Büffel ab, einzig und allein um den Indianern die Lebensgrundlage zu rauben. Das ist ein besonders perfider und subtiler Völkermord. Weisse, die nach Amerika gingen und den Indianern das Land wegnahmen, sind mir nun mal zuwider, ganz besonders solche, die auch noch selbst gewalttätig gegen Indianer wurden. Mir ist klar, dass nicht alle Indianer nur gut und edel waren wie auch unter den Weissen nicht nur böse und schlechte Menschen waren und manche ja aus Not kamen. Aber keiner war gezwungen, Indianer zu töten – und diese Leute, die dabei mittaten sind mir zuwider. Man muss nur die Indianer mit Juden und die Weissen mit Nazis vergleichen, dann versteht man es vielleicht. (Damit will ich diese historischen Fakten nicht gleichsetzen – aber dennoch: objektiv waren die Indianer nun einmal Opfer und die Weissen Täter) Frau Dorn spielte sich in der Sendung auch noch so als Gutmenschin auf – mit ihrer Auswahl hat sie gezeigt, dass auch ihr zur Schau gestelltes Gutmenschentum so einige Risse hat. – Ein ehemaliger Hamburger OB sagte neulich im Fernsehen, Nordamerika – bis zum heutigen Tag – ist sehr der Gewalt und den Waffen verbunden. Dies denke ich auch, es ist sehr deutlich. Deshalb habe ich auch große Distanz zu diesem Land. Das soll nicht heißen, dass ich viele Menschen von dort überaus bewundere und schätze (Chomsky, Snowden u. viele Künstler) Den Weg der Gewalt beschrieb ein anderer Roman, den ich schätze: “Der erste Sohn” von Ph. Meyer.

        • Na, dann nehme ich den ersten Satz zurück und behaupte das Gegenteil, umso nachdrücklicher komme ich auf den zweiten zurück. Sie sind bestimmt eine Gutmenschin, möglicherweise eine noch gütigere, als Thea Dorn, aber das mit der Literatur haben sie halt nicht verstanden. Ich und vermutlich auch die Dorn und der Autor teilen ihre Empathie für die Indianer, bloss sind wir nicht der Meinung, man müsse mit romantischen Verklärungen auf ihr Schicksal aufmerksam machen. “Im Westen nichts Neues” beschreibt auch Grausamkeiten und taugt gerade dadurch besonders als Antikriegsplädoyer.
          Voilà, und ich hätte auch einen Literaturtipp: Butchers Crossing von John Williams, wahrscheinlich der beste je geschriebene Western. Aber Achtung: es werden massenhaft Büffel geschlachtet…

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