StartseiteLiterarisches LebenKeine Buchtipps mehr: WDR will Christine Westermann streichen

Keine Buchtipps mehr: WDR will Christine Westermann streichen

In der WDR-Sendung »Frau TV« vom 10. Juni 2021 stellte Christine Westermann den »Trennungsroman« von Anna Brüggemann vor. Nun trennt sich der Sender offenbar von Westermanns Buchtipps (Foto: Screenshot WDR)
In der WDR-Sendung »Frau TV« vom 10. Juni 2021 stellte Christine Westermann den »Trennungsroman« von Anna Brüggemann vor. Nun trennt sich der Sender offenbar von Westermanns Buchtipps (Foto: Screenshot WDR)

Wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, wird Christine Westermann künftig im WDR-Fernsehen keine Buchtipps mehr geben. Ihre 5-minütigen Buchvorstellungen werden abgesetzt. Eine Zuschauerbefragung habe ergeben, dass die Mehrheit der Teilnehmer:innen kein Interesse an Büchern habe.

Es sind nur fünf Sendeminuten innerhalb der Magazinsendung Frau TV des WDR, in denen Christine Westermann Buchtipps gibt. Nicht mehr als zwei bis drei Bücher stellt Westermann einmal im Monat vor. Dennoch förderten ihre Empfehlungen den Buchverkauf, machen auch unbekannte Titel und kleinere Verlage bekannt. Neben Elke Heidenreich und Denis Scheck sind es Zitate von Christine Westermann, die verkaufsfördernd auf den Buchumschlägen prangen.

»Gerade für kleinere Verlage«, schreibt Felix Stephan in der Süddeutschen Zeitung, »können solche Interventionen schon mal eine ganze Saison finanzieren.«

Es waren Buchtipps für die Zielgruppe. Nichts Hochliterarisches und gerne mit Gefühl. Als Vertreterin der durchschnittlichen Leserin war Christine Westermann auch in der Neuauflage des literarischen Quartetts besetzt. Obwohl dort die von ihr vorgestellten Titel meist durchfielen, hat Westermann einen großen Fankreis, und die Zuschauer:innen schätzen und lieben sie und ihre Buchtipps.

Doch diese Zuschauer:innen hat der WDR offenbar nicht gefragt. Die Süddeutsche Zeitung schreibt, dass die monatlichen Buchtipps im Fernsehen nach der Sommerpause abgesetzt werden. Seit 2005 gibt es diese Rubrik innerhalb der Fernsehsendung Frau TV. »Christine lebt ganz gut ohne uns«, moderierte Sabine Heinrich in der letzten Ausgabe vom 10. Juni 2021 die Buchtipps an. »Christine Westermann, unsere Bücherfrau ist im Urlaub.« Nun scheint sie aus diesem Urlaub nicht mehr zurückzukehren, und der WDR lebt ganz gut ohne Christine Westermann. Im Radio bleibe sie jedoch weiterhin aktiv, weiß die Süddeutsche Zeitung. Von Westermann selbst habe die Zeitung erfahren, dass ein »Monitoring« für die Absetzung ausschlaggebend gewesen sei. Eine Zuschauerbefragung, die Westermann jedoch nie selbst gesehen habe, habe ergeben, dass die Mehrheit der Teilnehmer:innen, kein Interesse an Büchern habe.

Diese Haltung des öffentlich rechtlichen Senders erstaunt, überrascht jedoch nicht. Obwohl man in den oberen Etagen der Sender immer wieder die Bedeutung von Kultur und Literatur betont, werden die entsprechenden Sendungen in der Praxis jedoch reduziert. In der euphemistischen Art der Senderverantwortlichen ist dann von »neuen Formaten« die Rede, von »dialogischen Formen« oder »Service-Charakter«. Buchvorstellungen landen als Buchtipps in anderen Sendungen. Mit solchen Worten stellte auch der NDR seine langjährige Sendung »Bücherjournal« ein und entwickelte als Teil des Austauschprogramms einen Bücherpodcast. Von »Umbauten« und »Programmreformen« ist die Rede, wenn Literatur- und Büchersendungen an den Rand geschoben werden oder in den Magazinsendungen mit Kochtipps zusammengerührt werden. Der Hessische Rundfunk und der SWR bauen ihre Kulturwellen um, die Abschaffung der literaturkritischen Sendung im WDR-Radio sorgte für Empörung bei Literaturkritiker:innen und insbesondere Insa Wilke setzte sich in einem offenen Brief erfolgreich für den Erhalt ein. Die Auseinandersetzung mit Büchern darf nicht auf Inhaltsangaben und wohlfühligen Floskeln beschränkt werden (»Ein berührendes Buch«).

Es ist die Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, alle Interessensbereiche abzudecken. Warum richtet man sich beim Buch nach einer angeblichen Mehrheitsmeinung? Mit diesem Argument könnte man auch die Börsenberichte streichen, die ebenfalls die wenigsten interessieren dürften.

Gerade gestern erst (8. Juli 2021) gab der Börsenverein des Deutschen Buchhandels bekannt, dass während der Pandemiezeit das Interesse an Büchern ungebrochen sei. Trotz Lockdown blieb der Gesamtumsatz der Buchbranche 2020 mit +0,1 Prozent stabil, da insbesondere die stationären Buchhandlungen ihren Online-Umsatz steigern konnte.

Es bleibt zu hoffen, dass die Westermann-Fans dem WDR ihre Meinung sagen. Die Meinung von Christine Westermann scheint eindeutig. Die Süddeutsche Zeitung zitiert sie mit den Worten: »Die Skala meiner Gefühle, nachdem ich es erfahren habe: erst Fassungslosigkeit, Zorn, Traurigkeit, Resignation. Jetzt Aufbruch.«

Sie werde dann eben ihre Buchtipps woanders machen. Ob sie damit die Radiowellen des WDR meint, ist zu bezweifeln.

Wolfgang Tischer

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11 Kommentare

  1. Schon immer war und ist das Fernsehen und die Literatur keine sehr harmonische Ehe. Literatur im Fernsehen fördert in jedem Fall den Buchmarkt, sollte zu besseren Sendezeiten kommen und erfüllt auch einen Bildungsauftrag für die öffentlich-rechtlichen Sender – unabhängig von Quote und Umfragen. Nur muss ich zugeben, dass ich als intensiver Leser nichts, gar nichts von diesen Sendungen im Fernsehen habe. Einen Denis Scheck ertrage ich kaum und das literarische Quartett war schon zu Zeiten von Reich-Ranicki eine unterirdische Veranstaltung. Fernsehen ist nicht das Medium für Literatur, aber für den Buchmarkt wichtig. Ein Unglück, das ich oft bedauere.

  2. Ich werde Frau Westermanns Buchtipps nicht vermissen, im Gegenteil. Nachdem ich einige von ihr empfohlenen Bücher gelesen hatte, war für mich klar: Frau Westermanns Lesegeschmack teile ich definitiv nicht. So erinnere ich mich mit Grausen an “Die Frau des Zeitreisenden”, von Frau Westermann euphorisch empfohlen.
    Aber auch die meisten anderen Büchern von “Buchexperten” empfohlenen Bücher sind nichts für mich. Warum Germanisten und Philosophen Bücher empfehlen, ist mir ohnehin ein Rätsel. Die Meinung von Thea Dorn beispielsweise versteht Lieschen Normalleserin vermutlich gar nicht, weil Frau Dorn sich stets so geschwollen ausdrückt. Und die von ihr selbst verfassten Bücher sind auch ein Graus für mich.
    Am meisten kann ich übrigens was mit den von Wolfgang Tischer empfohlenen Büchern anfangen. Erfreuliche Übereinstimmung bezüglich “guter” Literatur.

  3. Vielleicht sind die Buchtipps von Frau Westermann inhaltlich zu diskutieren, das kann ich nicht beurteilen, weil ich WDR Fernsehen selten sehe. Aber diese genannte Umfrage erscheint mir sehr fragwürdig, da ich als aktiver Mitgestalter des Buchmarkts einen ganz anderen Eindruck habe. Wenn diese Umfrage dann Frau Westermann gar nicht zur Verfügung gestellt wurde, hinterlässt das einen schalen Geschmack. Den kulturellen Auftrag des öffentlich-rechtlichen Fernsehens sehe ich hier konterkariert.

  4. Wie schon öfters angemerkt, halte ich die Verwendung des sog. Gendersterns oder das Setzen eines Doppelpunkts innerhalb eines Worts, um das Ansprechen welcher Vielfältigkeiten auch immer zu signalisieren nicht nur für unästhetisch, überflüssig und den Lesefluss (und auch VORLESE-Fluss!) störend; es ist schlicht falsches Deutsch. Umso mehr schmerzt es, dass dies auf einer Literaturseite geschieht…..ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie auf dieses Anschmeicheln an einen doch sehr zweifelhaften Zeitgeist in Zukunft verzichten könnten. Es verleidet sehr die Lust am Lesen. Grüße, Lucy

  5. Die Literatur kommt im Fernsehen sowieso schon zu kurz. Im Radio ist man da besser bedient. DLF Kultur, NDR 3 da kann masn sich informieren. Denke ich an unseren “Kultursender 3 sat” bekomme ich das Grausen, ständig Krimis, die gibt es schon auf mindestens 10 Sendern, jeden Abend. Ich wünschte, 3 sat brächte mehr Kultur ab 2.15 Uhr

  6. Ich finde es sehr bedauerlich, dass so wenig Kultur und wenn dann spät im Fernsehen gebracht wird. Krimis sind immer wichtiger und werden zur besten Zeit gesendet, wie auch Frau Hofmann schon schrieb. Kultursendungen wie Titel, Thesen, Temperamente , Cappriccio usw. kommen für Berufstätige viel zu spät. Auch das literarische Quartett kommt und kam so spät, dass einem die Augen dabei zufallen, obwohl es hoch interessant ist.
    Christine Westermanns Buchempfehlungen haben mir stets gut gefallen! Sehr schade, wenn sie nicht mehr gesendet wird.

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