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Letztes Literarisches Quartett mit Volker Weidermann: »Vorhang zu und alle Fragen offen«

Matthias Brandt, Christine Westermann (Die Hose! Die Hose!), Volker Weidermann, Thea Dorn (Foto: ZDF/Svea Pietschmann)
Matthias Brandt, Christine Westermann (Die Hose! Die Hose!), Volker Weidermann, Thea Dorn (Foto: ZDF/Svea Pietschmann)

Es war das letzte Literarische Quartett mit Volker Weidermann und Christine Westermann. Und es war das letzte Quartett für Redaktionsleiterin Luzia Braun. Vor dem Austausch der Besetzung vermischten sich Realität und Fiktion in nicht geklärter Weise.

Alle vier Bücher der Sendung vom 6. Dezember 2019 wurden positiv besprochen, wobei es dem Quartett auch in der letzten Sendung wieder einmal nicht gelang zu vermitteln, was die Bücher ausmacht, wie sie gebaut sind. Diesmal wurde nicht nur in üblicher Weise nacherzählt, man schwärmte sich gelegentlich Szenen vor, erwähnte Namen von Figuren und pflichtete sich bei.

Gerade die ersten drei Bücher schienen echte oder vermutete Anknüpfungen an das Leben der Autoren und ihrer Figuren zu haben, wobei die Runde nicht vermittelte, wie das das jeweilige Buch macht.

Bei John Burnsides »Über Liebe und Magie« suchte der Gast Matthias Brandt für Sekunden nach Worten, um dann zu verkünden, dass es »das tollte Buch ist, was ich in diesem Jahr gelesen habe«. Es habe ihn »aus den Latschen gehauen«. Burnside, so war es Brandts Ausführungen zu entnehmen, verknüpft das populäre Genre des autobiografischen Erzählens mit Abschweifungen philosophisch-nachdenklicher Art. Beim Zuhören stellt man sich eine Art Knausgård mit mehr Tiefgang vor. Fast schon ehrfürchtiges Beipflichten von Dorn und Weidermann, nur Christine Westermann kippte höchstens aus einem Latschen, und es sind diese seltenen Momente, in denen man den Eindruck hat, Westermann könnte näher an der unverstellten Realität sein. Erwähnt wurde, dass Burnside immer wieder für bestimmt Dinge seltene englische Wörter findet oder erfindet, ohne dass darauf eingegangen wurde, wie Übersetzer Bernhard Robben dies in der deutschen Version gelöst und umgesetzt hat.

Dann stellte Matthias Brandt »Marzahn, mon amour« von Katja Oskamp vor, was irritierte, denn hatte er nicht gerade schon John Burnside mitgebracht? Aber nein, eigentlich war dies der Titel von Volker Weidermann, der von Brandts Begeisterung überstrahlt wurde.

Nun erzählte Matthias Brandt von der Autorin Katja Oskamp, aber nie von der Erzählerin des Buches. Ist »Marzahn, mon amour« jetzt ein autobiografisches Stück? Offenbar heißt die Erzählerin auch Katja Oskamp, aber niemand in der Runde machte eine Unterscheidung. Das Buch sei einer Sammlung von Erzählungen über die Kundinnen und Kunden einer Fußpflegerin. Dokumentation? Fiktion? Auch hier fehlte jegliche Einordnung und Einstufung der Runde, womit wir es denn bei diesem Buch genau zu tun haben. Stattdessen begeisterte man sich über einzelne Episoden und Lebensgeschichten aus dem Buch, was der Außenstehenden oder dem Außenstehenden wenig brachte. Dann ging es über die unsinnige Frage, ob denn in diesem Buch Marzahn korrekt eingefangen sei oder nicht.

Ein Novum beim dritten Buch, das ebenfalls auf der Schnittstelle zwischen Fiktion und Realität angesiedelt ist und bei dem es die vier am allerwenigsten vermitteln konnten, wie das Buch denn handwerklich gebaut ist, außer dass es aus dem »Fan-tum« geboren sei und es aufgrund der fehlenden Distanz alles falsch machen würde, wäre es ein Sachbuch, so Weidermann. Aha. Aber wie macht es denn dann das Buch als Roman? Oder ist das Buch das gar nicht? Das alles blieb seltsam offen, und das Novum bestand darin, dass der Autor Thomas Pletzinger recht dominant vor den Vieren in der ersten Publikumsreihe saß. Leider ohne rote Hose, die diesmal jedoch Frau Westermann auf der Bühne trug. Ein letzter Gruß ans literaturcafe.de?

Das Buch »The Great Nowitzki« ist ein Porträt des Sportlers Dirk Nowitzki, den die meisten als Werbefigur einer Direktbank kennen. Das Buch sei berührend, sagte Westermann und verwendete dann überhöhende Hohlphrasen wie »Wunderkind von Würzburg« und »Jahrhundertathlet«. Kein Wort darüber, was das Buch denn nun literarisch taugt oder ausmacht.

Etwas abseits stand da der letzte Roman des Abends »Effi Briest«, den Thea Dorn aufgrund des Fontane-Jahres in die Runde brachte und den die meisten wahrscheinliche als Schullektüre lesen mussten. Wie ist das Wiederlesen heute? Was sagen uns das Werk und sein Autor heute? Immer noch gut und immer noch viel, war das Resümee der Runde, das ebenfalls erstaunlich flach blieb. Spätestens hier hätte man den Blick weiten können, um auf die Kritiker und Kritik an diesem Werk einzugehen. Stattdessen interpretierte man an der Figur der Effi Briest herum. Da war Jan Böhmermanns Interpretation vor über zwei Jahren weitaus aussagekräftiger:

»Det war’s!« Nach einer kurzen Runde mit Weihnachtsbuchempfehlungen verabschiedete sich Volker Weidermann in und aus seiner letzten Sendung, also der letzten von ihm geleiteten Viererrunde. Übernehmen wird sie im kommenden Jahr wahrscheinlich die »streitlustige, kluge« Thea Dorn. Das sagte Weidermann zwar nicht an diesem Abend, vermutete es jedoch neulich in einer Sendung des SWR. Bei der ebenfalls aus der Runde ausscheidenden Christine Westermann bedankte er sich »für vier Jahre Liebe zu den Büchern«.

Und ein weiterer Abschied wurde von Volker Weidermann verkündet: Luzia Braun geht in den Ruhestand. Sie war jahrelang die Redaktionsleiterin der Sendung und ist vielen als Moderatorin der Kultursendung Aspekte bekannt. 2011 zog sie sich – freiwillig, wie sie damals betonte – vor der Kamera zurück, um die Moderation jüngeren zu überlassen. Gleichzeitig kritisierte sie seinerzeit in einem Interview: »Ich finde es wirklich schade, dass es keine älteren Moderatorinnen gibt. Die Frauen verschwinden einfach von der Bildfläche und dürfen erst wieder auftauchen, wenn sie über 80 sind – dann als ›Zeitzeuginnen‹«. Luzia Braun trat damals also hinter die Kamera, während ihr ehemaliger Kollege Wolfgang Herles nach dem Aspekte-Abgang eine Literatursendung bekam – wahrscheinlich genauso freiwillig.

Bescheiden am Rand: Luzia Braun war die Redaktionsleiterin des Literarischen Quartetts (Foto: ZDF Screenshot)
Bescheiden am Rand: Luzia Braun war die Redaktionsleiterin des Literarischen Quartetts und verabschiedet sich nun in den Ruhestand (Foto: ZDF Screenshot)

Wie geht’s genau weiter mit dem Quartett? Wer sitzt künftig auf den Stühlen von Wester- und Weidermann? (Nachtrag vom 15.02.2020: Wie’s weitergeht, das lesen Sie hier.)

Gastgeber Weidermann verabschiedete sich nicht nur mit seiner üblichen Floskel »Kopf hoch!«, sondern wählte für seine letzte Sendung zudem das Brecht-Zitat, mit dem der Erfinder des Literarischen Quartetts Marcel Reich-Ranicki die Sendung stets beendet hatte:

»Wir sehn betroffen den Vorhang zu und alle Fragen offen.«

Wolfgang Tischer

Link ins Web:

  • Das Literarische Quartett vom 06.12.2019 in der ZDF-Mediathek

Die in der Sendung vom 06.12.2019 besprochenen Bücher:

  • John Burnside; Bernhard Robben (Übersetzung): Über Liebe und Magie – I Put a Spell on You (Das autobiografische Projekt, Band 3). Gebundene Ausgabe. 2019. Penguin Verlag. ISBN/EAN: 9783328600893. 19,00 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
  • Katja Oskamp: Marzahn, mon amour: Geschichten einer Fußpflegerin. Gebundene Ausgabe. 2019. Hanser Berlin. ISBN/EAN: 9783446264144. 16,00 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
  • Thomas Pletzinger; Tobias Zielony (Fotograf): The Great Nowitzki: Das außergewöhnliche Leben des großen deutschen Sportlers. Gebundene Ausgabe. 2019. Kiepenheuer&Witsch. ISBN/EAN: 9783462047325. 26,00 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
  • Theodor Fontane; : Effi Briest: Roman. Mit einem Essay von Nora Gomringer. Gebundene Ausgabe. 2019. Reclam, Philipp, jun. GmbH, Verlag. ISBN/EAN: 9783150111932

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1 Kommentar

  1. Also mir hat die Sendung sehr gefallen! Matthias Brandt machte mir Lust auf „seine“ Bücher. Es ging, so mein Eindruck, oft um Sprache. Textstellen und Szenen Anreißen finde ich super. Dass Weidermann Innstetten so 0,5-dimensional gelesen hat, hat mich überrascht.
    Toll, dass ich mich nicht mehr über Frau Westermann ärgern muss. Lustig, wie Weidermann Mühe hatte, nicht die Augen zu verdrehen, wenn sie dran war. Er war leider immer gelähmt von seiner kritiklosen Verehrung des wirklich unterhaltsamen Reich-Ranicki und hat für mich den Anzug des Anführers nie vollkommen ausfüllen können.

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