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Sebastian Barry: Tage ohne Ende – Im Western was Neues

Sebastian Barry: Tage ohne Ende - Deutsch von Hans-Christian Oeser
Sebastian Barry: Tage ohne Ende – Deutsch von Hans-Christian Oeser

Der Western steht nicht unbedingt für hohe Literatur, man verortet ihn eher beim Groschenroman. »Tage ohne Ende« von Sebastian Barry ist zweifelsohne dem Genre zuzurechnen – und dennoch ein Werk mit lyrischer Wucht, brutalen Szenen und eine bewegende Freundschafts- und Liebesgeschichte zwischen zwei Männern.

Thomas McNulty ist der Ich-Erzähler, der uns in »Tage ohne Ende« seine Geschichte nahebringt. Deutlich minderjährig kommt er um 1850 von Irland nach Nordamerika, um wie so viele dem Hunger in der Heimat zu entfliehen. Rückblickend erzählt er dem Leser nicht allzu viel über die Zeit seiner Kindheit und die unmittelbar nach seiner Ankunft. Er will nicht zu geschwätzig erscheinen. Schon bald verdingt er sich für die Armee der Nordstaaten. Und schon auf der zweiten Seite berichtet Thomas vom Zusammentreffen mit John Cole. Die beiden Freunde bleiben einander verbunden, treten mehrfach in die Armee ein und wieder aus. Sie beteiligen sich an furchbaren Massakern an der indianischen Bevölkerung. Sie kämpfen im Bürgerkrieg gegen die Armee der Südstaaten und müssen feststellen, dass die kämpfenden Männer der Gegenseite nicht anders sind als sie. »Für Nigger rühr ich keinen Finger«, sagt hingegen ein Soldat der Nordstaaten. Man kämpft nicht für oder gegen etwas, schon gar nicht für die Rechte der Schwarzen, man kämpft, »weil einen der Major darum bittet« oder es befiehlt.

Als Tom und John jünger und noch nicht bei der Armee waren, arbeiteten sie als Tänzer. Jedoch nicht auf der Bühne oder gar im Ballett. Als Frauen verkleidet tanzten sie in einem Saloon mit Minenarbeitern, die dafür bezahlten. Später dann treten die beiden als Mann und Frau verkleidet in einer Bühnenshow auf.

Nach einem Massaker an einem Indianerstamm adoptieren die beiden ein Indianermädchen und betrachten sich als Eltern. Doch das ungewöhnliche Familienglück währt nur kurz, als der Indianerhäuptling das Mädchen im Austausch mit einer Geisel zurückverlangt. Der Plan der beiden Ex-Soldaten, sich als Tabakfarmer zur Ruhe zu setzten, scheint zu scheitern. Darüber hinaus erhebt das Militär Anklage gegen Tom.

Für die Lektüre des Buches empfiehlt der Steidl Verlag eine Playlist
Für die Lektüre des Buches empfiehlt der Steidl Verlag auf der Rückseite des Leseexemplars eine Playlist (siehe unten)

Sebastian Barry zeichnet ein düsteres Nordamerika mit eiskalten Wintern, in denen die Hundertschaften Soldaten bei meilenlangen Ritten nahezu auf ihren Pferden erfrieren und die Gluthitze des Sommers nicht viel besser ist. Als Leserin oder Leser stürzt man sich mit Thomas McNulty mit dem Bajonett in blutrünstige Gemetzel, um in einem lichten Moment festzustellen, dass es die Frauen und Kinder der Indianer waren, die man niedergestochen hat. All die Grausamkeiten werden in einer einfachen, nüchternen Sprache geschildert, die dennoch unglaublich poetisch ist und mit irritierenden Bildern arbeitet.

Der Übersetzer Hans Christian Oeser hat auch für die deutsche Fassung eine hervorragende Sprachmelodie gefunden. Auch hier sind es die Worte eines einfachen Mannes mit oftmals verkürzten Wörtern, die ebenfalls poetisch aufgeladen sind. Nie wirkt die deutsche Fassung bemüht oder aufgesetzt.

Coverdetail: Sebastian Barry: Tage ohne Ende - Deutsch von Hans-Christian Oeser
Coverdetail: Sebastian Barry: Tage ohne Ende – Deutsch von Hans-Christian Oeser

Sebastian Barry ist ein mehrfach preisgekrönter Autor und stand u. a. auf der Shortlist des Booker Literaturpreises. Barry ist Ire und tatsächlich ist »Tage ohne Ende« der Lebensbericht eines Iren in den USA, als diese noch nicht U waren. Thomas McNulty ist wahrlich kein Held, sondern ein Söldner, der fast 20 Jahre später in Frauenkleidern neben seinem geliebten John Cole sitzt. Ein wahrlich bewegtes Leben, dem man als Leserin und Leser gebannt folgt, da McNulty immer mittendrin ist, in all den schrecklichen Geschehnissen, und dennoch als Erzähler und Chronist in einer sachlichen Distanz bleibt, noch dazu mit einer beeindruckenden Sprache, die Sebastian Barry und die Hans-Christian Oeser gefunden haben. Ein Western, der alles andere und doch ein beeindruckender Western ist.

Wolfgang Tischer

Sebastian Barry; Hans-Christian Oeser (Übersetzung): Tage ohne Ende: Roman. Gebundene Ausgabe. 2018. Steidl Verlag. ISBN/EAN: 9783958295186
Sebastian Barry: Tage ohne Ende (Steidl Pocket): Roman. Taschenbuch. 2020. Steidl Verlag. ISBN/EAN: 9783958297272. 12,80 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
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Die vom Verlag empfohlende Playlist zum Roman »Tage ohne Ende«

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