Ein schöner Titel: »Wenn die Mondblumen blühen«. Die Blumenzeichnung auf dem Cover und die Schreibschrift wirken klassisch und zeitlos. »Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste im Jahr 1964 – die Wiederentdeckung eines wunderbaren Romans« lese ich im Klappentext. Damit war das Buch gekauft. Für einen Euro. Auf dem Flohmarkt.
Die Originalausgabe von Jetta Carletons Roman »Wenn die Mondblumen blühen« erschien 1962. Im Jahr 2009 wurde der Roman bei Kiepenheuer & Witsch in Deutschland wiederveröffentlicht. Eva Schönfeld hat ihn aus dem Amerikanischen übersetzt.
Somit habe ich 2022 den 2009 wiederentdeckten Roman aus dem Jahr 1962 in einer Bücherkiste wiederentdeckt. Die Wiederentdeckung einer Wiederentdeckung. Kurzer Check auf der Verlagswebsite: der Roman ist weiterhin lieferbar.
Die Autorin Jetta Carleton wurde 1913 in Missouri geboren. 1999 starb sie in Santa Fe. »Wenn die Mondblumen blühen« ist ihr Debüt – und ihr einziger Roman. Ein One-Hit-Wonder der Literatur. Wie heißt das bei Büchern? One-Bestseller-Wonder? »Wenn die Mondblumen blühen« erklomm in den 60er-Jahren die internationalen Bestsellerlisten, auch Platz 1 in Deutschland, und wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.
Die Handlung ist in der Heimat der Autorin angesiedelt, im ländlichen Missouri. Der Leser begleitet die Familie Soames über Jahrzehnte, beginnend in den 1950er-Jahren. Dies sind die Eltern Matthew und Callie Soames und ihr vier Töchter Jessica, Leonie, Mathy und Mary Jo.
Die Erzählperspektive ist besonders: Jedes Kapitel ist auktorial einem Familienmitglied gewidmet. Lediglich im ersten Kapitel »Familie« erzählt die jüngste Tochter Mary Jo aus der Ich-Perspektive. Die folgenden Kapitel tragen als Überschrift jeweils die Namen der anderen Familienmitglieder.
Der Leser erfährt zu Beginn, dass die längst erwachsenen Töchter in ihrer Lebensmitte jedes Jahr zur Farm ihrer Eltern und ihrer Kindheit zurückkehren.
In den anderen Kapiteln erfahren wir rückblickend etwas über die Kindheit und Jugend der Töchter. Diese Kapitel bilden eine Chronologie und fügen sich zu einem komplexen Puzzle zusammen.
Es geht um Liebes- und Lebensentscheidungen. Unverkennbar spielt die Geschichte in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg mitten in den Vereinigten Staaten auf einer Farm. Das Leben war hart und in vielem nicht vergleichbar mit der heutigen Zeit. Die Rolle der Frau war eine andere. Dennoch ist der Roman zeitlos, was seine Renaissance in Deutschland mit der Neuauflage beweist. Beste Voraussetzung für einen Klassiker -wenn der Roman nicht schon längst einer geworden ist.
Jetta Carleton schrieb einen Sehnsuchtsroman, wie sie selbst sagt:
»Cyril Connolly meint, alle Schriftsteller schreiben entweder aus Zorn oder aus Sehnsucht. Da ich nicht besonders zornig bin, schreibe ich aus Sehnsucht. Ich schrieb über all das, was ich liebe – die Heimat, die Geborgenheit in der Familie, und eine Zeit, die mir sicherer und unschuldiger scheinen will als die unsere.« (Jetta Carleton)
Laut Nachwort sei die Geschichte nicht autobiographisch. Aber geht das überhaupt? Carleton gibt zu, dass Vorbilder ihrer Romanfiguren Menschen waren, die sie kannte. Die Figuren hätten jedoch beim Schreiben ein Eigenleben entwickelt.
Das nimmt man ihr ab. Ihre Charaktere sind sorgfältig gezeichnet, glaubwürdig und vielschichtig.
In einem unaufgeregten Tempo erzählt Carleton detailreich und liebevoll, geschmückt mit schönen Natur- und Landschaftsbeschreibungen. Ihre Sprache ist poetisch und voller kreativer Vergleiche. Besonders die Stelle, an der die titelgebenden Mondblumen ihre Blüten öffnen.
Ich stelle bei der Recherche fest, dass »Wenn die Mondblumen blühen« gern mit Harper Lees »Wer die Nachtigall stört« verglichen wird – so bereits in einem Zitat auf der Buchrückseite. Mich erinnert Jetta Carletons Werk mehr an die Romane von Jane Austen: ebenfalls Familien- und Liebesgeschichten mit einer ordentlichen Prise Nostalgie (auch wenn Jane Austen ihre Romane im Jahrhundert davor schrieb und diese auf der anderen Seite des Atlantiks spielen).
Es ist ein Sehnsuchts- und Familienroman, den ich gerne gelesen habe – und vielleicht auch wieder lesen werde – was ich nur über wenige Bücher sage.
»Vielleicht erging es allen Menschen so – man sehnte sich zeitlebens nach irgendetwas und dachte immer, man würde es schon noch erreichen, und eines Tages merkte man plötzlich, dass man am Ende des Weges stand und dem Ersehnten keinen Schritt nähergekommen war.« (Jetta Carleton, »Wenn die Mondblumen blühen«)
So wartet der Roman in meinem Bücherregal auf eine weitere Wiederentdeckung.
Juliane Hartmann
Jetta Carleton; Eva Schönfeld (Übersetzung): Wenn die Mondblumen blühen. Gebundene Ausgabe. 2011. Kiepenheuer & Wtsch. ISBN/EAN: 9783462042696
Jetta Carleton; Eva Schönfeld (Übersetzung): Wenn die Mondblumen blühen: Roman. Kindle Ausgabe. 2011. eBook by Kiepenheuer&Witsch. 9,99 € » Herunterladen bei amazon.de Anzeige
Hallo, habe das Buch geschenkt bekommen und bin begeistert, liest sich sehr spannend und ist in der Darstellung der Charaktere überzeugend,