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Amanda Gorman dichtet für den US-Präsidenten: »Wir haben gelernt, dass Ruhe nicht immer Frieden bedeutet«

Amanda Gorman rezitiert ihr Gedicht »The Hill We Climb« bei der Amtseinführung des US-Präsidenten Jo Biden (Screenshot: YouTube)
Amanda Gorman rezitiert ihr Gedicht »The Hill We Climb« bei der Amtseinführung des US-Präsidenten Jo Biden (Screenshot: YouTube)

Lady Gaga sang die Nationalhymne bei der Amtseinführungszeremonie des 46. US-Präsidenten Joseph Robinette Biden. Doch auch die gesprochene Lyrik war vertreten: die 22-jährige Amanda Gorman trug bei der Veranstaltung vor dem Kapitol ein Gedicht vor. In einem CNN-Interview erläuterte sie die Entstehung des Werkes.

In Ihrem Werk »The Hill We Climb« (In etwa: »Der Hügel, den wir erklimmen«) nahm Amanda Gorman lyrisch und mit vielen Sprachspielereien das auf, was Biden in seiner ersten Rede als US-Präsident betonte. Die Menschen müssten wieder Hoffnung schöpfen und gemeinsam für eine stärkere Demokratie kämpfen. Vieles wurde beschädigt, was wieder aufgebaut werden muss.

Natürlich war der Inhalt staatstragend. Doch ein klein wenig blinkte auch ein Slamer-Ton durch, wenn Gorman reimte und mit der Sprache spielte (»In the norms and notions of what just is isn’t always justice«).

In einigen Medienberichten wurde Gorman fälschlicherweise als die offizielle Staatsdichterin der USA (»Poet Laureate«) bezeichnet. Dies mag daran liegen, dass diese Falschinformation bis gestern noch in der englischen Wikipedia nachzulesen war.

Das Amt des »Poet Laureate« hat jedoch aktuell Joy Harjo inne. Es wird jährlich von der Kongressbibliothek vergeben und durch ein Gremium bestimmt. »Poet Laureate« bedeutet »lorbeergekrönter Dichter« und insbesondere in Großbritannien, Kanada und den USA leistet man sich in Anlehnung an antike Traditionen das Amt des Staatsdichters, der oder die zu nationalen Ereignissen seine Werke vorträgt. So war Literaturpreisträgerin Luise Glück die »Poet Laureate«, als Barack Obama Präsident war.

Seit 2017 wird darüber hinaus ein jährlicher Wettbewerb zum »National Youth Poet Laureate« durchgeführt, dessen erste Gewinnerin Amanda Gorman war. Auch dieser Wettbewerb wird u. a. von der Kongressbibliothek initiiert.

Das Komitee für die Amtseinführung des US-Präsidenten hat Amanda Gorman als eine der vor dem Kapitol auftretenden Künstlerinnen und Sprechern benannt.

Gorman stammt aus Los Angeles und hat einen »Cum laude«-Abschluss in Soziologie an der Universität von Harvard. Darüber hinaus setzt sie sich als Aktivistin u. a. mit den Themen Unterdrückung, Feminismus und Rassismus auseinander.

Hier können Sie das Gedicht »The Hill We Climb« im Wortlaut nachlesen

Nachtrag: Amanda Gorman erläutert die Entstehung ihres Gedichtes

In einem Interview mit CNN (hier der Link zum Video) erläutert Amanda Gorman die Entstehung ihres Gedichtes. Seit Ende Dezember arbeitete sie daran, nachdem sie erfahren habe, dass sie bei der Feier sprechen sollte.  Sie habe viel in anderen Quellen recherchiert, sei dort eingetaucht und habe nachgelesen, wie andere zu einer Nation sprachen, die sehr gespalten war.

Amanda Gorman im Gespräch mit CNN-Journalist Anderson Cooper (Foto/Screenshot: CNN)
Amanda Gorman im Gespräch mit CNN-Journalist Anderson Cooper (Foto/Screenshot: CNN)

Und dann kam der 6. Januar 2020, als ein wütender Mob, angestachelt durch eine Rede Donald Trumps, das Kapitol erstürmte. Das ganze habe sie nicht überrascht, da die Zeichen und Symptome abzusehen waren. Es habe Gorman jedoch darin bestärkt, dass es in ihrem Gedicht um eine Botschaft der Hoffnung und Heilung gehen müsse. Es sei das Gedicht, das sie schreiben musste und das das Land hören sollte.

Insbesondere der Satz in ihrem Gedicht »We’ve seen a forest that would shatter our nation rather than share it« sei durch ein Twitter-Meme beeinflusst, das nach den Bildern von der Erstürmung die Runde machte. Auch Referenzen zum Musical »Hamilton« seien enthalten.

In letzter Zeit wurde die Macht der Worte missbraucht, so Gorman. Sie versuchte, diese Macht zurückzuerobern, um die Worte wieder zu reinigen. Hoffnung sei nicht das, was wir von anderen verlangen sollten, sondern von uns selbst fordern müssen.

Wie auch Präsident Jo Biden, so habe Amanda Gorman in ihrer Kindheit gestottert, und das Schreiben habe ihr darüber hinweggeholfen. Gorman erzählt, sie habe nicht nur gestottert, sondern war überhaupt nicht dazu in der Lage, bestimmte Buchstaben wie das R auszusprechen. Das sei natürlich schwer, wenn man in einem Gedicht das Wort »rise« (sich erheben) fünfmal aussprechen müsse. Je öfter sie Gedichte laut las, desto besser überwand sie ihre Schwierigkeiten. Auch der Hamilton-Song »Aaron Burr, Sir«, vollgepackt mit r, habe ihr geholfen.

Amanda Gorman habe ein Mantra, das sie vor jedem Auftritt mit geschlossenen Augen zitiere: »Ich bin die Tochter schwarzer Schriftsteller. Wir sind die Nachfahren von Freiheitskämpfern, die ihre Ketten gesprengt haben und die Welt veränderten.«

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4 Kommentare

  1. 1) Siehe oben: Amanda Gormans „Gedicht“ als „Werk“ zu bezeichnen ist 2mal falsch. Es ist nicht einmal lyrische Prosa, denn da fehlt zumindest der Rhythmus, die Schwingung, die Assoziation im Zusammenhang. Es ist bestenfalls ein Essay, so kommt es jedenfalls in einer wahrscheinlich nicht preisverdächtigen Übersetzung rüber. Von Werk ist schon gar nicht zu reden. Ein Werk ist eher eine viel umfangreichere Sammlung von Texten oder ein Roman von mehreren hundert Seiten. Da sollte man in einer Literaturgazette mit den Begriffen vorsichtig sein.
    2)Daneben ist Gorman, wurscht ob schwarz, gelb, weiß oder rot nicht frei von Kitsch. Aber für eine 22jährige absolut nicht schlecht. Ob der frühe Ruhm gut ist? lg Oswald Scholler

    • Lieber Herr Scholler,
      mit Werk ist hier nicht »Lebenswerk« gemeint, sondern im Sinne von »persönliche geistige Schöpfung«. Tatsächlich halte ich das Gedicht für nicht übersetzbar und Übersetzungen können nur schlechter ausfallen als das Original, da Gorman viele sprachspielerische Mittel und Bilder einsetzt, die so nur im Englischen funktionieren (wie z. B. die Mehrdeutigkeit von arms als Waffen und Arme). Das Gedicht ist voller Schwingungen und Assoziationen, sodass ich nur empfehlen kann, es noch einmal zu hören, wenn Sie sie nicht erkannt haben. Allein wie Gorman in ihrem Gedicht Reime einsetzt, ist sehr gekonnt. Lassen Sie sich nicht durch die Aufbereitung der verlinkten Transkription täuschen. Viele Grüße Wolfgang Tischer

  2. Das Gedicht von Frau Gorman muss man schon zweimal hören und im Original lesen, v.a. wenn man kein Muttersprachler ist, aber dann kann man auch mit mittleren Sprachkenntnissen erkennen, wie lyrisch und auch wie passend dieses Gedicht ist – gerade für seinen Anlass. Lyrisch sind die vielen End- aber vor allem Binnenreime, das Sprachspiel und die intensive symbolische Sprachgestaltung, die das ganze Gedicht vom Titel bis zum Ende durchzieht. Besonders gelungen ist dabei die konsequenteEinhaltung einfacher und für alle verständlicher Bilder und die intensive rhetorische Gewalt, die mit Hilfe von Wiederholungen, Steigerungen und lautlichen Assoziationen und Alliterationen erreicht wird.
    Ein Gedicht, das mit seinen schlichten Mitteln und Formen die Massen erreicht, das offen alle wesentlichen Probleme des Moments anspricht, dennoch viel Pathos hat – vor allem durch den jugendlich drängenden Vortrag – und damit für eine Inauguration geeignet ist. Dass überhaupt ein Lyrikvortrag für die Festlichkeit stattfand, finde ich ganz toll. Zu häufiger Nachahmung in Deutschland empfohlen!

  3. Da kann ich Frau Spiritini und Herrn Tischer nur zustimmen.

    Allein die Zeile „of what just is, isn’t always just-ice“ verweist auf auf den Sprachwitz und die Tiefe zugleich. Um mal mit Ironie vorzugehen, hier die Übersetzung von Google: „von dem, was gerade ist, ist nicht immer nur Eis.“ Hier merkt man schon sehr deutlich, ohne allzu große Sprachkenntnisse, dass Übersetzung über die reine Sprachassistenz hinausgeht.
    Und hundertprozentig! Zu häufiger Nachahmung in Deutschland empfohlen. Dank dafür.
    Beste Grüße

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