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Amanda Gorman übersetzt: Vom amerikanischen Wir zum deutschen Nominalstil

Zweisprachige Ausgabe: Amanda Gorman: The Hill We Climb - Den Hügel hinauf
Zweisprachige Ausgabe: Amanda Gorman: The Hill We Climb – Den Hügel hinauf

Das letzte Mal hat es hierzulande wahrscheinlich 2012 ein Gedicht in die Nachrichten geschafft*. 2021 ist es die Lyrik einer 22-Jährigen, der dies gelang: Amanda Gorman mit »The Hill We Climb«. Gleichzeitig wurde die Frage gestellt, wer sie übersetzen darf. Ist es da seltsam oder konsequent, dass die deutsche Version misslungen ist?

In der ausgelutschten Sprichwortphilosophie ist das nur logisch: Viele Köche verderben den Brei – und drei Übersetzerinnen das Gedicht.

Amanda Gorman rezitiert ihr Gedicht »The Hill We Climb« bei der Amtseinführung des US-Präsidenten Jo Biden (Screenshot: YouTube)
Amanda Gorman rezitiert ihr Gedicht »The Hill We Climb« bei der Amtseinführung des US-Präsidenten Jo Biden (Screenshot: YouTube)

Das Gedicht »The Hill We Climb« wurde von seiner Autorin Amanda Gorman zur Amtseinführung von Joe Biden vorgetragen (siehe Bericht). Es war die perfekte Mischung aus Pathos und Progressivität. Es knüpfte an die Vergangenheit des Landes an und versprühte dennoch jungen Geist. Das »Skinny Black Girl« wie Gorman ihr lyrisches Ich bezeichnet, ihr gelber Mantel, das rote Haarband, hier wurde auch optisch Ikonisches geschaffen. Kein Wunder, dass die ikonenhafte Zeichnung des ikonenhaften Auftritts das Cover der deutschen Ausgabe prägt. Der amerikanische Originaltitel ist groß aufgedruckt, die deutsche Übertragung klein. Aus »The Hill We Climb« wurde das »Wir« entnommen und ein unpersönliches »Den Hügel hinauf«.

»Die hoch aufgeladene, sehr amerikanische Symbolik des Titels lässt sich kaum übertragen«, schreiben die drei Übersetzerinnen. Allein der Titel benötigt zur Erläuterung eine ganze Buchseite, denn es geht um »the Hill«, den Sitz des Capitols, der in seiner Bezeichnung nichts Geringeres ist als ein Bibelbezug. Zudem spielt Gorman damit auch an eine unrühmliche Hügelerklimmung an, als am 6. Januar 2021 ein wütender Mob das Capitol stürmte. Und es gibt noch weitere Bezüge.

Warum aber wurde dann im deutschen Titel nichts vom bisweilen anstrengenden »climb« (ersteigen, erklimmen, klettern, …) übernommen und vor allen Dingen das »Wir« entfernt? Um ein Komma zu vermeiden?

Bereits die Rezitation des Originals musste man mehrfach hören oder gar lesen, um nur einen Teil der Anspielungen und Sprachspiele zu verstehen. Es ist klar, dass sich dieses Werk nicht einfach »übersetzen« lässt, so wie die Übertragung von Lyrik immer nur ein Versuch bleiben kann. Bleibt man am Inhalt, überträgt man die Rhythmik, simuliert man die Reime?

Als in den Niederlanden Marieke Lucas Rijneveld mit wenig Übersetzungserfahrung das Gedicht übertragen sollte, hagelte es Kritik. Doch nicht an der mangelnden Erfahrung, sondern an der anderen Hautfarbe. Es wurde von einigen bezweifelt, ob Rijneveld das Lebensgefühl der US-amerikanischen Autorin übertragen könne. Auch der 60-jährige Übersetzer ins Katalanische hatte da das falsche Profil.

Beim Verlag »Hoffmann und Campe« setzte man daher gleich drei Übersetzerinnen an den Text. Nur eine davon, Uda Strätling, macht dies »seit gut zwanzig Jahren« beruflich. Die Schwerpunkte der Arbeit der Politikwissenschaftlerin Hadija Haruna-Oelker »sind Jugend, Migrations- und Rassismusforschung«, die Politikwissenschaftlerin Kübra Gümüşay hat in Hamburg und London studiert und in Oxford gelebt.

Den kurzen Biografien im Buch ist ebenfalls wenig Lebensgefühl einer Schwarzen Amerikanerin zu entnehmen. Doch die Anmerkungen im dünnen Bändchen zeigen, dass die Übersetzerinnen viele Anspielungen Gormans recherchiert haben, und wahrscheinlich wäre ein kommentierter Originaltext dem Ganzen weitaus gerechter geworden. Aber man wollte wohl vonseiten des Verlags eine Übersetzung und nicht – was ebenfalls eine schöne Möglichkeit gewesen wäre – drei Versuche von drei Übersetzerinnen abdrucken.

Bei der Frage, ob Weiße die Texte von Schwarzen übersetzen dürfen, die gerne dahingehend erweitert wird, ob Männer Texte von Frauen übersetzen dürfen etc. etc., wird viel von »Identität« und »Lebensgefühl« gesprochen.

Gormans Gedicht ist voll vom »Wir«, vom »Ich«, das zudem lyrisch zu verstehen ist. In der deutschen Dreierübertragung wird es bisweilen zum Nominalstil, zur Beamtensprache, zum Unpersönlichen. Vielleicht mag jemand an dieser Stelle ironisch einwenden: Ein perfekteres Deutsch gibt es schließlich nicht!

Es ist verdammt schwer, einen Satz zu übertragen wie:

»That even as wie tired, we tried.«

Das Spiel mit dem Buchstabendreher klappt halt nicht. Aber deswegen im Deutschen ein »wir« streichen und zum unpersönlichen Nominalstil wechseln?

»Bei aller Ermüdung, wir haben uns bemüht.«

Wäre dies ein deutsches Originalgedicht, würde man im Anhang wahrscheinlich lesen können, dass »bemühen« eine Anspielung an die Zeugnissprache deutscher Arbeitgeber ist.

Aus »we are far from polished« wird »es läuft längst nicht so prächtig«. Aus »Somehow, we do it« wird »Irgendwie geht’s«. Was hat das Wir zum Es gemacht?

Sagen wir es also zusammenfassend einmal so: Der Verlag und die drei Übersetzerinnen haben sich redlich bemüht. Wir danken für die Arbeit und wünschen für die Zukunft weiterhin viel Erfolg.

Wolfgang Tischer

Amanda Gorman; Marion Kraft (Übersetzung); Daniela Seel (Übersetzung): Was wir mit uns tragen – Call Us What We Carry: Zweisprachige Ausgabe: mit The Hill We Climb – Den Hügel hinauf. Gebundene Ausgabe. 2022. HOFFMANN UND CAMPE VERLAG GmbH. ISBN/EAN: 9783455011722. 28,00 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
Amanda Gorman; Kübra Gümüsay (Übersetzung); Hadija Haruna-Oelker (Übersetzung); Uda Strätling (Übersetzung): The Hill We Climb – Den Hügel hinauf: Zweisprachige Ausgabe. Kindle Ausgabe. 2021. HOFFMANN UND CAMPE VERLAG GmbH. 8,99 €  » Herunterladen bei amazon.de Anzeige

* Es wurde angemerkt, dass es 2017 noch ein weiteres Gedichte in die Nachrichten geschafft hat: »Ciudad« von Eugen Gomringer.

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12 Kommentare

  1. „Als in den Niederlanden eine junge weiße Autorin“ trifft es nicht so ganz, da es sich bei
    Marieke Lucas Rijneveld um eine binäre Person handelt – wie man das schriftlich darstellt:
    junge*r weiße*r Autor*in ? Was zeigt, dass weiterhin nicht nur Gedichtübersetzungen schwierg sind, sondern auch die schriftliche Darstellung einer solchen Identität.

  2. zu der Übersetzung des Gedichtes von A. G. …ein Trio kann m. E. nicht gemeinsam übersetzen, es sei denn alle drei sind Übersetzer/innen, egal welcher Hautfarbe. Eine mindestens ! aber sollte dabei sein, die der Kultur und Hautfarbe mit den Erfahrungen dazu, angehört und Übersetzerin ist oder Schriftstellerin. Wo sind sie? Wie wurde „gesucht“?

    Ganz zu Anfang hat es bereits 2 Übersetzungen gegeben. Diese sind wohl unter den Tisch gefallen? Beide waren gut, und wer etwas besser Englisch kann und ein Sprachgefühl hat, konnte die feinen Unterschiede in den Übersetzungen verstehen und für sich als besser oder weniger gut bewerten.

    Es grüßt S van de Sandt

  3. Ich habe die Debatte um die Übersetzung von Amanda Gormans Gedicht mit großem Interesse verfolgt. Ich fühlte mich insofern etwas betroffen, da ich vor einiger Zeit das Buch eines Menschenrechtsaktivisten aus Südafrika übersetzt habe. Er hatte zur Zeit der Apartheid in vielen Widerstandsgruppen gearbeitet oder sie selbst organisiert, teilweise auch an der Seite von Bischof Tutu; davon handelt das Buch. Er ist eine Person of Colour (wie man heute wohl sagt), ich bin eine „weiße“ Frau und habe die Apartheid nicht selbst erlebt. Den Autor hatte ich über die Arbeit in NGOs kennengelernt. Natürlich musste ich bei der Übersetzung viel recherchieren und mir zuvor unbekanntes Wissen aneignen, aber das ist das tägliche Brot vieler ÜbersetzerInnen, und ich glaube auch (wie inzwischen in vielen Kommentaren zu lesen ist), dass Übersetzen immer ein Schritt in eine unbekannte Welt ist, die man versucht in die eigene Sprache zu übertragen.
    Nun zu der Übersetzung von Gormans Gedicht. Ich weiß, wie schwierig es ist, Lyrik zu übersetzen, aber aus Neugier habe ich dann selbst versucht, das Gedicht zu übersetzen. Nun war ich sehr gespannt auf die veröffentlichte Übersetzung von Uda Strätling, Hadija Haruna-Oelker und Kübra Gümüşay.
    Ein Stück weit gebe ich Wolfgang Tischer recht, die Kraft des Originals ist tatsächlich etwas in der eher unpersönlichen Sprache untergegangen, und ein paar Formulierungen stören mich auch. Aber am Ende kann man natürlich gut kritisieren. Die einzige absolut „gute“ Übersetzung gibt es wohl nicht. Ich zolle den Übersetzerinnen auf jeden Fall meinen Respekt!
    Jedoch kann ich auch nicht erkennen, was der unterschiedliche Hintergrund, bzw. das Spezialwissen der beiden „Diversitätsexpertinnen“ zum Gelingen der Übersetzung beigetragen hätte. Anspielungen und vielschichtige Konnotationen einzubeziehen (wenn nötig, tatsächlich in einem Anhang zu erläutern) gehört zum Handwerk von ÜbersetzerInnen.
    Der andere Aspekt, der bei der ganzen Debatte eigentlich wichtig war, dass im Literaturbetrieb überhaupt Personen mit vielfältigerem Hintergrund („Diversität“) mehr erscheinen sollten, sollte m. E. tatsächlich mehr berücksichtigt werden. Allerdings darf er wirklich nicht zu einer Identitätsfrage werden, also nur Schwarze dürfen Schwarze übersetzen, Frauen nur Frauen etc. Man würde damit die Kunst und Leistung der einzelnen Autorinnen und Autoren (und ÜbersetzerInnen ) verengen und letztlich eine ganz fatale andere Diskriminierung fördern.
    Christina S.

    • Sie wissen wovon Sie reden und beschreiben die Arbeit eines Übersetzers/in sehr genau. Übersetzer haben normalerweise die Fähigkeit, sich in andere Menschen/Situationen etc hineinzuversetzen.
      Ich interessiere mich immer auch für die Vita des Übersetzers/der Übersetzerin und achte auf die Wortwahl.
      Wie heißt das Buch, das Sie übersetzt haben?
      Grüße

    • Sehr informativer Beitrag. Was ich an der ganzen Diskussion um Gormans Gedicht positiv finde, ist, dass endlich einmal Übersetzer ins Rampenlicht gerückt werden, wenn auch hier nur wegen dieses stumpfsinnigen Identitätsgequatsches. Wenn Hautfarbe und Gender erfüllt sind, wird man demnächst auch noch verlangen, dass Übersetzer*innen auch noch eine gleiche Anzahl von (Fehl-)geburten, chirurgischen Eingriffen, Ehen/Scheidungen haben müssen? Dürfen Romane von Säufern nur noch von Alhoholikern … ? Noch dazu werden diese Forderungen von Leuten gestellt, die eigentlich überhaupt kein Mitspracherecht haben. Werden die Autoren eigentlich selber gefragt, wen sie bevorzugen würden?
      Ich fand schon immer Übersetzungen enorm wichtig und habe viele Bücher wegen ihrer mittelmäßigen Umdeutungsqualität lieber im Original gelesen, wenn mir die Sprache wenigstens einigermaßen geläufig ist. Von Gormans Gedicht würde ich mir eine kommentierte Originalausgabe kaufen. Diese Drei-Köchinnen-Übertragung bestimmt nicht.

  4. Marieluise, da bin ich ähnlicher Meinung, ich habe nicht verstanden, wie man diese Übersetzung verlegen kann. Es gab ja schon zwei gute.
    Ein Übersetzer sollte sich immer in eine Situation/Person hineindenken und -fühlen können. Ansonsten wird es schwer. Und natürlich wird er/sie immer im Umfeld (kulturell recherchieren, nachfragen etc.). Es wird manchmal zu viel diskutiert und in Frage gestellt. Dennoch ist ein in Frage stellen ja grundsätzlich okay und notwendig…immer dasselbe…aber! so schreitet eine Gesellschaft voran…Übersetzen ist schon faszinierend…
    Viele Grüße
    Sabine

  5. Ganz nebenbei möchte ich mal eine der genialsten Übersetzungen erwähnen, die ich kenne: Max Knight (in den USA angenommener Name von Max E. Kühnel) hat Christian Morgensterns Gedichte derart brillant übertragen, dass ich manchmal nicht weiß, welche Version ich besser finden soll. Unbedingt lesenswert!

  6. Liebe Christina Stiefel, mich würde ihre Übersetzung von „The Hill We Climb“ sehr interessieren.
    Auch ich war von der „offiziellen“ Übersetzung in weiten Teilen enttäuscht und habe es selbst versucht. Könnten wir uns austauschen? Hier ist mein Anfang:
    Nach oben, zum Licht
    …..
    Bei Anbruch des Tages fragen wir uns:
    Wo ist das Licht, das die ewige Finsternis bricht?
    Unser Verlust wiegt so schwer,
    Ist so tief wie das Meer.
    Wir waren ganz unten, wurden erniedrigt.
    Wir begriffen, dass Begriffe wie Ruhe und Frieden,
    Wie Recht und Gerechtigkeit
    Sich oft nicht entsprechen in Wirklichkeit.
    Und doch: Irgendwie lichtet der Nebel sich uns.
    Ganz gleich wie: Wir schaffen’s. Wir tun’s.
    Irgendwie gewahrten wir – wenn auch befremdet –
    Eine Nation, nicht gespalte, sondern nur unvollendet.
    Wir, die Nachkommen eines Landes und einer Zeit,
    In der ein Schwarzes Mädchen, unscheinbar, klein,
    it sklavischer Vergangenheit,
    Nur von der Mutter betreut,
    Davon träumen kann, Präsidentin zu werden,
    Um dann tatsächlich vor einem Präsidenten zu reden.

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