»In den ersten fünf Minuten ging es darum, warum Lesen anstrengend und doof ist.« Diesen Satz, sagt Moderatorin Sophie Passmann, würden verkrustete Feuilletonisten über die neue Literatursendung schreiben. Willkommen auf der ironischen Metaebene. Schade, dass die Sendung ebenfalls verkrustet in einer Sitzgruppe endete.
Altbekanntes statt Innovatives
Bücher scheinen aus dem Fernsehen zu verschwinden. Da freut man sich über eine neue Literatursendung, die fast oder bald im Fernsehen läuft. Drei Folgen von »Studio Orange« mit Sophie Passmann wurden bereits produziert. Die erste davon ist nun in der ARD-Mediathek und im neuen digitalen Online-Kanal ardkultur.de zu sehen. Irgendwann sollen die vom RBB produzierten Folgen auch im linearen Fernsehen gezeigt werden. Irgendein spätnächtlicher Sendeplatz wird sich dafür schon finden lassen.
Eine neue Literatursendung! In einem Spartenkanal! Man erhofft sich Neues und Innovatives, doch leider sieht man wieder Altbekanntes. Denis-Scheck-artig bewegt sich Sophie Passmann zunächst in die Kamera redend auf ihre beiden Gesprächspartner zu, um dann wie Thea Dorn die beiden in Sesseln zu Büchern befragen. Nichts Neues. Im Gespräch selbst geht es dann um das aktuelle Buch der Gäste und um Bücher, die die beiden in ihrem Leben bewegt haben.
Selbst in der Pressemitteilung zur Sendung gibt man sich keine Mühe und verwendet für die ironisch gebrochenen literarischen Plänkeleien die klickbait-erprobte Wendung, dass einer der Gäste immer etwas »verrät« (»Der Schauspieler Dimitrij Schaad verrät, was im Corona-Lockdown passierte, als er seine Playstation durchgespielt und seine Minibar leergetrunken hatte.« Auflösung: Er hat Drehbücher geschrieben.).
Man wolle, sagt Passmann, »so über Bücher reden, als wären wir normale Leute.« Aber die drei sind es eben nicht und daher reden sie über Bücher, wie die im Feuilleton über Bücher schreiben.
Bei Autorin Helene Hegemann wird dann doch gleich wieder ein Gespräch im alten Papiermedium Süddeutsche Zeitung referenziert. Hegemann, so Passmann, würde ja wohl nie wieder ein Buch herausbringen können, ohne dass man denke: »Ah, die Literaturskandalmaus!« Solchermaßen metaebenenmäßig eingeleitet, spricht Passmann dann ebenfalls über den Literaturskandal des Jahres 2010, der Hegemann seinerzeit ins Gespräch brachte. Hegemann selbst glaubt, das gehe in fünf bis sechs Jahren weg. Doch davor stellt Passmann erst mal ihre Fragen.
Literarische Fake News
Das Interessante am Folgenden ist, wie falsch und verdreht der damalige Skandal von Passmann durch die heutige vorurteilsbeladene woke Brille gesehen wird, in dem das Feuilleton natürlich frauenfeindlich, herablassend und gemein zu sein habe. Gemein, so waren laut Passmann die Besprechungen des Romans »Axolotl Roadkill« der damals 17-jährigen Helene Hegemann.
In Wirklichkeit waren seinerzeit die Besprechungen euphorisch und positiv und Hegemann der Liebling (die Lieblingin?) des Feuilletons. Dummerweise war es ein Blogger, der bemerkte, dass Hegemann Passagen ihres Romans aus einem anderen Roman abgeschrieben hatte. Es war also Hegemanns eigene Naivität oder Dummheit, die einen Plagiatsskandal auslöste. Und mehr noch: das Feuilleton, das ansonsten zähnefletschend über alle Urheberrechtsverletzungen herfällt, stand zunächst weiterhin hinter Hegemann und redete den Skandal klein, wie hier im literaturcafe.de nachzulesen ist.
Kein Wort davon im »Studio Orange«. Hier wurde der Vorfall so dargestellt, als sei Hegemann unverschuldet in die Kritik geraten und eine junge Frau habe sich »Jeanne-d’Arc-mäßig« gegen die alten Männer in den Feuilletons gewehrt. So geht Framing, so funktionieren Fake News.
An dieser Stelle sei durchaus nicht verschwiegen, dass Hegemann wegen ihres Abschreibens durchaus von einigen Medien später hart angegangen wurde.
Meta! Meta! Meta!
Sodann zeigt sich Sophie Passmann erstaunt, dass Volker Weidermann seinerzeit scheinbar genervt gewesen sei, dass er fürs Literarische Quartett immer so viele Seiten lesen müsse, um dann – natürlich mit ironischer Brechung – davon genervt zu sein, dass beide Gäste für die Sendung Roberto Bolaños 1.200-Seiten-Roman »2666« vorgeschlagen haben.
Hegemann, die sagt, dass Bolaños Roman sehr viel mit der Harry-Potter-Geschichte gemeinsam habe, wird von Passmann gebeten, die Handlung mit Harry-Potter-Figuren von Lego darzustellen, was in der Sendung dann aber gar nicht passiert. Natürlich lässt Metaebenenliebhaberin Passmann nicht unerwähnt, dass das mit den Plastikfiguren keine gute Idee gewesen sei, weil dies bereits Harald Schmidt gemacht habe.
Wobei: Vielleicht hat Hegemann es ja im »Studio Orange« erklärt. Denn die Schnitte in der Folge sind sehr plump und offensichtlich gesetzt, und es ist zu vermuten, dass das Gespräch ausführlicher war als die 32 Minuten, die daraus gemacht wurden. Warum eigentlich? Es wäre doch der Vorteil des Online-Formats und der Mediathek, dass die Folge nicht in ein Senderaster passen muss und ungeschnitten so lange dauern könnte, wie sie dauerte.
Als dann über Junot Díaz‘ Roman »Das kurze wundersame Leben des Oscar Wao« geredet wurde, war in der Art der Diskussion kein Unterschied zum Literarischen Quartett zu erkennen.
Und auch in einer anderen Unsitte war die Sendung ähnlich stoffelig wie das Literarische Quartett: Die Übersetzerinnen und Übersetzer der Werke wurden nicht genannt (»2666« wurde von Christian Hansen übertragen, der »Oscar Wao« von Eva Kemper).
Fazit: Warum können es die Sender nicht?
Ironische Brechungen und Metaebenen machen keine neue hippe Literatursendung. Tatsächlich kam die Sendung konservativ daher wie ein deutsches Feuilleton.
Warum geling es den Sendern nicht, wirkliche neue Literaturformate zu erfinden? Warum nicht wirklich mal »normale« Leute über Literatur reden lassen? Warum nicht mal zusammen mit tik-tokenden Menschen die Faszination des Kanals für Bücher ergründen? Sehr gerne auch mit einer Kritikerin, die zusätzlich erläutert, welches Interesse der chinesische Staat daran hat.
Warum endet Literatur im Fernsehen immer in der Sitzgruppe?
Wolfgang Tischer
Link ins Web:
Lieber Wolfgang Tischer, genau dieselbe Frage habe ich mir auch schon gestellt: Warum nicht mal „normale“ Menschen über Bücher reden lassen. Menschen, die gern und viel lesen, sich aber nicht für literarische Überflieger halten. Ich kaufe mir übrigens schon lange keine Bücher mehr, die von den selbsternannten Literaturpäpsten empfohlen werden. Erfahrungsgemäß landen die bei mir ziemlich schnell im Papierkorb bzw. im örtlichen Büchertauschkasten …
[…] Tatsächlich lässt sich an der ersten Folge einiges kritisieren. Die interessanten Gäste Helene Hegemann und Dimitrij Schaad kommen zu selten und zu kurz zu Wort und scheinen eher Passmann zu moderieren als umgekehrt. Der Sound im Kraftwerk Berlin-Mitte ist hallig. Manche Schnitte wirken grob. Anstatt über Hegemanns eindrucksvolle aktuelle Geschichtensammlung „Schlachtensee“ zu sprechen, wärmt Passmann lieber den über zehn Jahre alten Skandal um „Axolotl Roadkill“ auf und stellt ihn ziemlich einseitig dar. […]
Warum endet Literatur im Fernsehen immer in der Sitzgruppe?
sorry, Antwort ganz einfach : Es kostet die Sender Geld was sinnvolles, interessantes, ja gar spannendes zu machen…..sozusagen “ Leben “ rein bringen und nicht einfach schulterzuckend bei “ irgendwas“ zu bleiben….
Die jeweiligen Protagonisten können meines Erachtens nichts dafür dass sie auf die Sessel gezwungen sind….
In russischen Wäldern begegnen Spaziergänger bisweilen leibhaftigen Bären. Das beeindruckt sie bleibend. Und die Frage, wie sie einem Bären beim nächsten Mal entgegentreten können, bleibt allgegenwärtig und unlösbar. Das ist existentiell. Die Behandlung der Literatur in der Gegenwart ist es nicht, bestenfalls eine Wiederauflage des Sturm und Drang im Wasserglas. Existentiell ist das nicht, wer kann schon lesen? Lesen können ist die Frage nach der Substanz beschriebener Blätter, nicht die Frage des schreiben Könnens, und Literatursendungen sind stets von Lesern, wenn mithin auch von Lesern eigener Texte beseelt, falls sie es sind. Sendeformate der modernen Medien sind eigene performative Setzungen, die oft, mit Absicht oder nicht, neben jeden Sinn des geschriebenen Wortes gesetzt sind, um als eigenständige Leistung nicht hinter ihr Produkt zurücktreten zu müssen. Auseinandersetzung über Literatur sollte schriftlich stattfinden. Wer dann vor der Abgabe an ein Publikum sein Schreiben ohne Selbstzweifel überwunden hat, wird dem Anspruch der Literatur an ihre Leser gerecht.
Hallo, ich habe mir gerade die neue Sendung angesehen. Ich finde die Idee toll und auch sehr angebracht, eine Diskussion unakademisch bzw. mit ganz normalen Leuten durchzuführen. Etwas Neues! In der Tat! Anspruchsvolle, feuilletonistisch gestylte und konkurrierende gespreizte Gespräche waren ja an der Tagesordnung.
Nur: Leider kam diese Sendung nicht „normal“, sondern „ober-über-wissend“ bis „studentisch-intellektuell-elitär“ daher. Und das lag besonders an der seltsamen Auswahl der mir etwas seltsam erscheinenden Bücher. Wie soll man z.B. über „2666“ mit unübersehbar mehr als 1000 Seiten normal reden bzw. geschweige denn normal zuhören?
Mit normalem Gruß
elke funke
Hi, irgendwie – oder eher doch kein Zufall.. ? Hab ich die zitierten Sendungen „verpasst“. Es mag daran liegen, dass ich die Passmann von Anfang an nie mochte. Da hatte sie noch nicht mal ihr inzwischen zum dummen Geflügelten Wort „avanciertes“ – na, Ihr wißt schon, hab ich auch nicht gelesen, der komische alte weiße Mann, den nun auch keine Frau werden möchte – ich fand diese Frau – es begann mit ihrem grobschlächtigen Tweet vor ein paar Jahren gegen die Sternensinger – „seien auch bloß Bettler“ oder so ähnlich.. die ja bekanntlich für einen guten Zweck.. jedenfalls reagierte ich, damals noch auf nem account bei Twitter entsprechend. Was für ein liebloser, häßlicher, grässlicher Tweet das doch sei. Gab wohl auch hohe Klick-Zahlen „für mich“. Bis dato hatte ich die Passmann eigentlich gar nicht wahrgenommen. Ab dem Zeitpunkt aber dafür mehr – meist versuchte ich, Auftritte mit ihr zu meiden, nicht immer vermeidbar.. dann auch ein gewisses „berufliches Interesse“ – wer tritt da eigentlich auf.. ? Und leider hat sich mein Eindruck vertieft – eine selbstverliebte Person, grob, unkultiviert – und wieso sollte ausgerechnet „sie“ Ahnung von „Literatur“ haben und „auftreten“. Als ich erstmals davon las dachte ich, naja, der arme RBB .. sinkt immer tiefer.. was solls. Warum die Deutschen seit dem früheren Literarischen Quartett – MRR und Partner..ZDF, und nach „Bücher-Bücher“ – einst hr – Fernsehen zu späterer Stunde, keine „Literatur“ mehr können, liegt vielleicht … erinnern wir uns… die berühmtesten Schriftstellerinnen und Schriftsteller lebten, als es noch kein Fernsehen gab.. – hier ein smiley… Den Kritiken schließe ich mich übrigens „voll-umfänglich“ – lach! an. Warum immer Sitzgruppe.. !