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Maltes Meinung: Die Longlist zum Deutschen Buchpreis 2017 (3/5)

Maltes Meinung: Die Longlist zum Deutschen Buchpreis 2017

Vor gut zwei Wochen wurde die Longlist zum Deutschen Buchpreis 2017 bekannt gegeben. Die 20 Bücher auf der Liste haben die Chance, am 9. Oktober 2017 den mit 25.000 Euro dotierten Preis zu erhalten. Am 12. September 2017 werden es nur noch sechs sein, denn dann wird die Shortlist bekannt gegeben.

Unser Textkritiker Malte Bremer hat wie im Vorjahr mit allen 20 nominierten Titeln den »Buchhandelstest« gemacht und sich die jeweils ersten Seiten angeschaut: Taugt das was? Will man das weiterlesen? Spannend? Oder langweiliges Gelaber?

In dieser Woche lesen Sie von Montag bis Freitag die Anmerkungen zu je vier Titeln.

Diesmal: Robert Prosser, Julia Wolf, Christine Wunnicke und Feridun Zaimoglu.

Robert Prosser: Phantome

Robert Prosser: Phantome

Das Sprayer-Ich beginnt mit seiner Checkliste: acht Spraydosen hat er in diversen Farben, zudem Handschuhe und das Bandana, also das Vermummtuch. Fein. Schwadroniert hier ein Umweltverunstalter über sein überaus spannendes Leben? Kann mich überhaupt interessieren, Was in einem solchen Aerosol-vernebelten Hirn vorgeht?

Eigentlich nicht. Wie auch immer: ICH klettert eine Versorgungsleiter hinunter zur U-Bahn, und wenn eine fährt, vibrieren Wände – Gähn: Wer jemals in einer U-Bahn-Station gestanden ist, kennt das doch. In den Versorgungsschächten riecht es nach Eisen und Moder – wenn überrascht das? Was ist das für eine dämliche Information, für wen auch immer?

Hoi: Sprayerling hat Prince of Persia gespielt und glaubt allen Ernstes, er ahme das jetzt nach – Stöhn! Dafür wird Sprayerling jetzt auch noch witzig und versichert dem ob des Unfugs verunsicherten Leser, dass die Prinzessin, die er zu retten gedenke, etliche Meter lang sei und tonnenschwer und unbedingt wolle, dass er ihr was Hübsches auf die Metallhaut male – er meint wohl spraye. Und da er immer auf der Hut sein muss wegen den Polizisten, sei er immer paranoid.

Das ist das erste wahre Wort in diesem substanzlosen Gefasel! Denn warum sprayt er in der Gegend rum? Das sei Widerstand, erklärt er einem herumstreunenden Mönch. Und nachdem er anfangs sorgfältig eine Checklist gemacht hat, muss dieser Widerstandskämpfer jetzt erneut checken, nämlich ob er genug Caps dabei habe, der Akku vom Handy voll ist und die Atemschutzmaske gut verstaut.

Tja: Wenn man es nicht checkt, muss das wohl so sein! Fazit: Unterirdisch!

Robert Prosser: Phantome: Roman. Gebundene Ausgabe. 2017. Ullstein fünf. ISBN/EAN: 9783961010097. 9,95 €  Â» Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel

Julia Wolf: Walter Nowak bleibt liegen

Julia Wolf: Walter Nowak bleibt liegen

»Ach Walter, hat sie gesagt und war schon zur Tür hinaus.« So beginnt dieser Roman, in dem der alte Mann Walter Novak sich erinnert. Und darauf hofft, dass Yvonne wiederkommt, schließlich waren sie noch nie länger als zwei Tage getrennt. Und er wirft mit Andeutungen um sich, das Yvonne es verstehen würde. Und Walter fragt sich, wo er anfangen soll. …

Wir Leser werden zu unfreiwilligen Zeugen seines inneren Monologes – Yvonne ist schließlich gegangen – und dieser Monolog ist eine Wucht: Halbsätze, Ellipsen, er lässt sich treiben, korrigiert sich, fällt sich ins Wort, kommentiert seine Gedanken, Erinnerungen, macht sich Mut: Das entwickelt eine grandiose Komik. Und Tragik.

»Ich habe ja alles, was ein Mann, ich habe ja alles gehabt. Irgendwann ist mal gut.« Und was diesen Romanbeginn angeht, erteile ich jetzt ebenfalls Walter Nowak das Wort: »Das ist ordentlich, das ist nicht von schlechten.« Aber das ist viel zu wenig: Diesem Roman wünsche ich Tausende von Lesern.

Chapeau, Julia Wolf!

Julia Wolf: Walter Nowak bleibt liegen: Roman. Ausgezeichnet mit dem Nicolas-Born-Debütpreis 2017. Gebundene Ausgabe. 2017. Frankfurter Verlagsanstalt. ISBN/EAN: 9783627002336. 21,00 €  Â» Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel

Christine Wunnicke: Katie

Christine Wunnicke: Katie

Wir geraten mitten in einen wunderlichen Dialog: Der Heraugeber der Chemical News stellt sich Professor Faraday vor (Richtig: Es ist der mit dem Käfig und vielen anderen Entdeckungen & Entwicklungen), und zwar zum wiederholten Mal. So beginnt dieser herrliche Roman: »Herausgeber der Chemical News«, wiederholte Crookes, »Crookes. Wiliam Crookes. Crookes.«

Professor Farday in seinem Rollstuhl verzieht keine Miene, scheint ganz bei sich zu sein und nichts wahrzunehmen, während Crookes immer verzweifelter wird und Faraday mit seinen Forschungsergebnissen konfrontiert, immer eindringlicher und penetranter …

Auch wenn ich von diesen Forschungen wenig verstehe – brauche ich auch nicht –: Crookes verzweifelten und offensichtlich sinnlosen Versuche, Faradays Interesse zu wecken, sind einfach nur grandios dargestellt. So stellt er Faraday eine ganz konkrete Frage zu einem missglückten Experiment: »Ihnen ist es gelungen, nicht wahr?« Aber keine Reaktion, und Crookes redet endlos weiter.

Erst als er Faraday verlässt, antwortet dieser: »nein, nicht gelungen«.

Noch nie habe ich einen so missglückten Dialog gelesen: Ein Musterbeispiel für das berüchtigte Gegen-die-Wand-Reden!

Aber wer ist Katie? Faradays Frau hieß doch Sarah?

Christine Wunnicke: Katie: Roman. Gebundene Ausgabe. 2017. Berenberg Verlag GmbH. ISBN/EAN: 9783946334132. 22,00 €  Â» Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel

Feridun Zaimoglu: Evangelio

Feridun Zaimoglu: Evangelio

Zu Feridun Zaimoglus »Evangelio« hat Wolfgang Tischer alles Entscheidende gesagt. Dem ist nichts hinzuzufügen!

Feridun Zaimoglu: Evangelio: Ein Luther-Roman. Gebundene Ausgabe. 2017. Kiepenheuer&Witsch. ISBN/EAN: 9783462050103. 11,99 €  Â» Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel

Malte Bremer

Lesen Sie in Teil 4 Maltes Meinung zu den nominierten Büchern von Gerhard Falkner, Thomas Lehr, Robert Menasse und Marion Poschmann »

Alle fünf Teile mit den 20 nominierten Büchern zum #dbp17 in der Übersicht »

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