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Maltes Meinung: Die Longlist zum Deutschen Buchpreis 2017 (4/5)

Maltes Meinung: Die Longlist zum Deutschen Buchpreis 2017

Vor gut zwei Wochen wurde die Longlist zum Deutschen Buchpreis 2017 bekannt gegeben. Die 20 Bücher auf der Liste haben die Chance, am 9. Oktober 2017 den mit 25.000 Euro dotierten Preis zu erhalten. Am 12. September 2017 werden es nur noch sechs sein, denn dann wird die Shortlist bekannt gegeben.

Unser Textkritiker Malte Bremer hat wie im Vorjahr mit allen 20 nominierten Titeln den »Buchhandelstest« gemacht und sich die jeweils ersten Seiten angeschaut: Taugt das was? Will man das weiterlesen? Spannend? Oder langweiliges Gelaber?

In dieser Woche lesen Sie von Montag bis Freitag die Anmerkungen zu je vier Titeln.

Diesmal: Gerhard Falkner, Thomas Lehr, Robert Menasse und Marion Poschmann.

Gerhard Falkner: Romeo oder Julia

Gerhard Falkner: Romeo oder Julia

Da stolpere ich bereits in der zweiten Zeile, und zwar stolpere ich über die Kombination »ungewöhnlich seltsamer Zufall«: Ist ungewöhnlich nicht seltsam genug? Oder seltsam nicht auch ungewöhnlich, sonst wäre es ja nicht seltsam? Dass die herbeigerufenen Polizisten da misstrauisch wurden, kann ich gut verstehen! Aber dass der entspannt auf der Couch lümmelnde Polizist seine Beine auf den dazugehörigen Tisch gelegt und die Hände hinter seinem Kopf verschränkt hatte bedeuten soll, dass er sich mit seinem ganzen Körper der Aussage des Protagonisten entgegen stemmte, kann ich nicht nachvollziehen:

Da interpretiert der Protagonist wohl allerlei fehl.

Je nun, den Grund für diesen seltsam ungewöhnlich üblichen verkorksten Beginn kennt der Protagonist und tut ihn uns kund und zu wissen: Bestimmte Dinge ereignen sich ständig und oft sogar im allergrößten Maßstab trotz ihrer Unwahrscheinlichkeit – auch hier also grober inhaltlicher Unfug: Ist denn ständig nicht bereits der allergrößte Maßstab, zumindest ständiger als oft? Und was wäre dann am ständigsten? Am öftesten?

Gerhard Falkner: Romeo oder Julia: Roman: Roman. Nominiert für die Shortlist des Deutschen Buchpreises 2017. Gebundene Ausgabe. 2017. Berlin Verlag. ISBN/EAN: 9783827013583. 6,50 €  Â» Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel

Thomas Lehr: Schlafende Sonne

Thomas Lehr: Schlafende Sonne

Wenn ein Pendel zwischen tiefstem Dunkel und strahlender Helligkeit schwingt, dann ist mit dem Pendel was oberfaul, denn es kennt zwar das tiefste Dunkel, vermeidet aber die strahlendste Helligkeit, indem es vorher abbremst …

Und sonst? Da steuert Milena Jonas’ Cunnilingus mit »bleib, verschwinde, bleib« und man erfährt z. B., dass Milena einen Unfall gehabt hat, eine Ausstellung machen will, die an die Surrealismus-Experimente von Jonas’ allseits bewunderter Frau denken lasse, die Milena ja offenbar ist (oder doch nicht?) und allerlei anderem Firlefanz wie dem Maunder-Minimum und einer kollegial tuenden Mail, einem nicht gemalten Bild als Eisprinzessin und dem kulturwissenschaftlichen Stümper Rudolf, der als philosophischer Narr im Zahlenraum wütet, dazu Einzelmatratzen, ein schwarzer Entführer mit Kendo-Maske nebst dem prinzipiell Chaotischen und den warmen Schollen der Granula plus einer Ehe-Eiszeit sowie einem Öko-PC aus purem Eiskristall, einer dreidimensionalen Wucht der Mauern und Straßen und einem ins Leere rollenden Jonas im Hyper-Raum der Träume und all das und noch viel mehr geschlagene vier Druckseiten lang ohne auch nur einen Absatz oder Abschnitt, dafür aber mit 40 Sätzen bzw. Satzgefügen. Das rauscht an mir vorbei, ohne Spuren zu hinterlassen.

Thomas Lehr: Schlafende Sonne: Roman. Gebundene Ausgabe. 2017. Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG. ISBN/EAN: 9783446256477. 28,00 €  Â» Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel

Robert Menasse: Die Hauptstadt

Robert Menasse: Die Hauptstadt

Diese Hauptstadt ist Brüssel – und durch diese Stadt führt uns: Ein Schwein! Als erster bemerkt es David de Vriend, der gerade umzieht und noch ein letztes Mal durch das Fenster hinunter blickt auf den Platz vor dem Haus, während die Männer von der Entrümpelungsfirma alles wegschaffen, was nicht niet- und nagelfest ist, inklusive der Nägel und Nieten. David sieht, dass das Schwein beinahe vor ein Taxi gerät.

Perspektivwechsel: Kai-Uwe Frigge wird nach vorne geworfen, als der Taxifahrer eine Vollbremsung hinlegt wegen des Schweins. Kai Uwe hat Angst, zu spät zu kommen: Wohin? Das wird (noch?) nicht mitgeteilt.

Es folgen weitere Perspektivwechsel: Ein Frau sieht, wie das Schwein ausrutscht, jemand, der fluchtartig ein Hotel verlässt und sich dabei eine Kapuze überzieht, muss an ihm vorbei, einer schaut aus dem Fenster und sieht das Schwein und den Kapuzenmenschen usw. usf.

Wie das wohl weitergeht? Werden hier Personen namentlich vorgestellt, die irgendwie miteinander zu tun haben oder noch zu tun haben werden – abgesehen davon, dass alle auf ihre Weise auf das Schwein reagieren?

Das ist überaus flott geschrieben, weckt meine Neugier.

Und so soll es doch sein! Wie schon Reich-Ranicki festgestellt hat, ist es das Gleiche beim Lesen wie beim Essen: Beim ersten Bissen merkt man, ob das versalzen ist!

Robert Menasses Roman Hauptstadt ist höchst genießbar!

Robert Menasse: Die Hauptstadt: Roman. Gebundene Ausgabe. 2017. Suhrkamp Verlag. ISBN/EAN: 9783518427583. 23,70 €  Â» Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel

Marion Poschmann: Die Kieferninseln

Marion Poschmann: Die Kieferninseln

»Er hatte geträumt, daß seine Frau ihn betrog. Gilbert Silvester erwachte und war außer sich«. Was ein Schmarrn! Wieso weckt er sie nicht und erzählt ihr lachend von diesem Blödsinn? Und andererseits wie bösartig ist seine Frau Mathilda: Ihre schwarzen Haare breiteten sich aus wie die »Tentakel einer bösartigen, in Pech getauchten Meduse« …

Nichts stimmt da, gar nichts! Medusa hatte keine Tentakeln (schließlich war sie keine Krakin) und war auch nie in Pech getaucht worden! Ihre Merkmale waren Schlangenhaare, Schweinshauer, Schuppenpanzer, bronzene Arme, glühende Augen und eine heraushängende Zunge – und wer sie anschaute, wurde versteinert. Und bösartig war nicht sie, bösartig war die eifersüchtige Pallas Athene, weil sie der überaus schönen Medusa ein Stelldichein mit Poseidon übel nahm und sie deswegen in ein Ungeheuer verwandelte.

Zurück zu diesem Kitschbuch: Der kleinkarierte Gilbert Silvester konnte den Traum nicht vergessen, der war im Laufe des Tages im Gegenteil überzeugender geworden, und als er nach der Arbeit in das Haus der Medusa trat, ließ er theatralisch die Aktentasche fallen — pardon: Wie lässt man etwas theatralisch fallen? Langsam, damit es auch in der letzten Reihe jeder sieht? Und wie schafft man es, dass etwas langsam fällt? Fallschirm?

Es gibt nur eine Möglichkeit, etwas fallen zu lassen: Man lässt es einfach los. Eine ganz andere Möglichkeit ist, etwas auf den Boden zu werfen, schleudern, donnern, pfeffern oder oder oder …

Wo waren wir? Ach ja: »Gilbert stellte seine Frau zur Rede. Sie stritt alles ab. Das bewies nur, wie sehr sein Verdacht begründet war.« Das ist der übliche Kitsch jeder Schmonzette. Ebenso, dass er dann beleidigt Hals über Kopf Haus & Frau verlässt …

Fazit: Gründlich versalzen! Da hilft es auch nicht, trotzig aus einem dass ein daß zu machen.

PS: Der Klappentext unterstellt der Autorin »feinen Humor« – aber ich finde nur derbe Witze.

Marion Poschmann: Die Kieferninseln: Roman. Gebundene Ausgabe. 2017. Suhrkamp Verlag. ISBN/EAN: 9783518427606. 20,00 €  Â» Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel

Malte Bremer

Lesen Sie in Teil 5 Maltes Meinung zu den nominierten Büchern von Sven Regener, Sasha Marianna Salzmann, Ingo Schulze und Michael Wildenhain »

Alle fünf Teile mit den 20 nominierten Büchern zum #dbp17 in der Übersicht »

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