Vor gut einer Woche wurde die Longlist zum Deutschen Buchpreis 2016 bekannt gegeben. Die 20 Bücher auf der Liste haben die Chance, am 17. Oktober 2016 den mit 25.000 Euro dotierten Preis zu erhalten. Am 20. September 2016 werden es nur noch sechs sein, denn dann wird die Shortlist bekannt gegeben.
Unser Textkritiker Malte Bremer hat mit allen 20 nominierten Titeln den »Buchhandelstest« gemacht und sich die jeweils ersten Seiten angeschaut: Taugt das was? Will man das weiterlesen? Spannend ? Oder langweiliges Gelaber?
Diesmal: Akos Doma, Gerhard Falkner, Ernst-Wilhelm Händler und Reinhard Kaiser-Mühlecker.
Akos Doma: Der Weg der Wünsche
Unverzüglich wird man bombardiert mit genauen Erklärungen der äußeren Umstände: Da drehen zwei Personen auf dem Sandsteinpfad (gibt’s da noch andere?) ihre Runden, und zwar – man fremdschämt sich geradezu – die Mutter der Sonne mit ihrer Tante …
Ja, Sie haben richtig gelesen: Das ist eindeutiger grammatischer Bezug!
Und dann wird man bombardiert mit ca. neun Namen und den dazu gehörigen verwandtschaftlichen Beziehungen: Soll man sich die etwa alle merken? Am besten schriftlich mit Hilfe eines Stammbaums? Und mit einer Skizze, wer wo an dem langen Tisch gesessen hat bei der Geburtstagsfeier des Jungen Misi, der sieben Jahre jünger ist als seine Schwester Bori? Und wer von der unübersichtlichen Gesellschaft was angezogen hat?
Keine Lust. Je nun: Wenn einer nichts zu erzählen hat …
Selbstverständlich schafft Misi beim Auspusten der sieben Geburtstagskerzen das nicht auf Anhieb, sondern braucht selbstverständlich drei Anläufe – so will es der Kitsch.
Nicht mal die erste Seite habe ich überstanden.
Akos Doma: Der Weg der Wünsche. Gebundene Ausgabe. 2016. Rowohlt Berlin. ISBN/EAN: 9783871348396. 19,00 € » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
Gerhard Falkner: Apollokalypse
Der Roman beginnt mit einem »klassischen Anfang« (laut Mitteilung des Ich-Erzählers), nämlich so: »Wenn man verliebt ist und gut gefickt hat, verdoppelt die Welt ihre Anstrengung, in Erscheinung zu treten.«
Das ist mir schleierhaft, sowohl was die Satzaussage anbelangt als auch die Einordnung »klassisch«.
Ich-Erzähler aber will nix, was er für klassisch hält, sondern was ganz anderes: Für seine Geschichte müssten wir Leserinnen und Leser nämlich von der allgemeinen Auffassung abrücken, dass wir entweder glücklich oder verloren seien, falls unser Leben in keiner vernünftigen Mitte sich abspiele:
Nach diesen Zeilen im Vorfeld (vulgo Prolog) muss ich mich von diesem Geschwafel lösen, denn ich bin für eine unvernünftige Mitte – folglich kann mir das Buch nichts mitteilen.
Dennoch habe ich mir den ersten Satz des eigentlichen Romans angeschaut: Da steht, dass es sein könnte, dass ein Mann einem Frühlingstag ins Auge geblickt hat, an den er sich später nicht mehr erinnert.
Hä? Vielleicht hat er ja auch in ein Brötchen gebissen, an das er sich später nicht mehr erinnert, könnte doch sein!
Nenene – das Vorfeld verspricht nichts Gutes, und der erste Satz auch nicht!
Gerhard Falkner: Apollokalypse: Roman: Roman. Nominiert für die Longlist des Deutschen Buchpreises 2016. Gebundene Ausgabe. 2016. Berlin Verlag. ISBN/EAN: 9783827013361. 21,99 € » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
Ernst-Wilhelm Händler: München
»Ein Gesellschaftsroman« heißt es. Und der beginnt mit einem Motto von Robert Musil vor Beginn des ersten Kapitels, das da heißt »Die Schatten der Eschen«.
Und das fängt gut an: Ein paar eigenwillige Wahrnehmungen, und man ist schon bei der Person, deren Namen man erst später bemerkt, und deren Eigenheiten dann deutlich werden, wenn sie eine Rolle spielen! Sprachlich elegant, nur ein »war nicht existent« irritierte, ein »existierte nicht« wäre da schöner gewesen.
Das macht Lust auf mehr!
Ernst-Wilhelm Händler: München: Gesellschaftsroman. Gebundene Ausgabe. 2016. S. FISCHER. ISBN/EAN: 9783103972078. 23,00 € » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
Reinhard Kaiser-Mühlecker: Fremde Seele, dunkler Wald
Auch hier ein Motto, diesmal von Turgenjew. Und gleich mitten ins Geschehen: Gespräche in einer Kneipe über die bösen Russen, das übliche Bestellen und Trinken und Reden. Dann ein äußerlicher Vergleich von zwei Brüdern, einem älteren und einem jüngeren. Dann was von einer jüngeren Schwester. Das schlurt so vor sich hin, macht mich nicht neugierig. Solln se ohne mich weiter labern.
Reinhard Kaiser-Mühlecker: Fremde Seele, dunkler Wald: Roman. Gebundene Ausgabe. 2016. S. FISCHER. ISBN/EAN: 9783100024282
Malte Bremer
Alle fünf Teile mit den 20 nominierten Büchern zum #dbp16 in der Übersicht »
Ich bin auch wieder beim Longlistenlesen, was diesmal durch den österreichischen Buchpreis, dessen Liste morgen bekannt gegeben wird, wahrscheinlich ein wenig aufwendiger wierden wird.
Vier (1, 2, 3, 4) Bücher habe ich schon gelesen.
So richtig hat mir wahrscheinlich keines noch gefallen, es ist aber ohnehin sehr schwer, beim Lesen ein Urteil abzugeben, weil man da ja immer denkt, daß das Buch, das man gerade liest, das beste ist und man erst wahrscheinlich nachher alles einschätzen kann!
So denke ich auch, daß man nach den ersten Sätzen nicht wirklich sagen kann, ob das Buch was taugt oder nicht und rate zum Lesen.
Ich habe mich einmal durch das Leseprobenheftchenhttps://literaturgefluester.wordpress.com/2013/08/25/die-longlist-leseproben/?preview=truedurchgelesen und nachher nicht den Eindruck gehabt, mich nicht auszukennen und den Preis auch berurteilen zu können.
Jetzt lese ich selbst, als nächstes den Akos Doma, auf das Buch der Anna Weidenholzer freue ich mich, das vom Gerald Falkner scheint, wie ich höre sehr schwer zu verstehen zu sein, wie ich auch hoffe, daß mein Kommentar jetzt verständlich ist!
Köstlich, vielen Dank!
Stimmt, köstlich, heureka!
Nu bin ich sauer – das ist unbefriedigend twittermäßg dünn. Der Abruptus kommt zu schnell.
Ich bestehe drauf: Zu jedem Beginn mindestens 20 Zeilen Kommentar!
Erwartungsvoll
VvE
Neulich in der Buchhandlung gewesen und die Titelbilder angeschaut. Festgestellt, dass das alles schlechte Romane sind! Juhuu, ich bin Literaturkritiker!!!
Als schlechten Roman würde ich keinen, den ich bis jetzt gelesen habe, beeichnen und auch der Roman des Akos Doma, den ich gerade beendet habe, finde ich sehr interessant.
Was ist eigentlich ein schlechter Roman? Das habe ich, glaube ich, bis heute noch nicht herausgefunden, beziehungsweise würde ich mich vor einer solchen Bezeichnung auch hüten!
Ja dann hüten Sie sich halt davor! Aber vorher googlen Sie noch die Begriffe „Ironie“ und „Sarkasmus“, falls Ihnen die nicht geläufig sein sollten. btw: Was Sie gerade lesen, interessiert niemanden.
Ja, mit der Ironie tue ich mir ein wenig schwer und was wem interessiert, kann man eigentlich nicht pauschal im Voraus wissen, liebe Grüße aus Wien!
Mit der Bewertung von Romanen (auch von Novellen oder Kurzgeschichten) halte ich es so:
In erster Linie interessiert mich die Schreib/Ausdrucksweise des Autors.
In zweiter Linie interessiert mich die Handlung.
Stimmt beides, ist es – für mich – gute Lektüre.
Was ich grundsätzlich nicht leiden kann: selbstverliebtes Geschwafel, bei dem man merkt, dass der Autor sich mächtig angestrengt hat, um gaaaanz tolle Formulierungen zu erfinden.
Das Schlimmste, was ich je gelesen habe, war ein Roman mit geschwärzten Stellen. Mit sehr vielen geschwärzten Stellen! Dahinter verbargen sich (vermutlich) Begriffe wie „ficken“ und so weiter … Ich habe das Buch geschenkt bekommen. Nachdem ich ein Viertel gelesen hatte, habe ich es in den Papiercontainer geschmissen.
Ich lese seit vielen Jahren kaum noch ein neu erschienenes Buch aus dem Bereich Belletristik. Diese Leseliste bestätigt mich in meinem (Vor-) Urteil: Es lohnt sich nicht.
Das Leben kann so schön und interessant sein, es ist unbegreiflich, dass niemand das in Worte fassen kann – oder erleben Autoren die Welt nicht, weil sie nur am Schreibtisch oder im Café hinterm Laptop sitzen?