Logo Buchmesse 2001Das war's: Die besten Berichte und unsere Gästegalerie!
Unsere Beobachtungen von der 53. Frankfurter Buchmesse (10.10.-15.10.2001) - Für einen Text gab es unsere Literatur-Café Tasse
 
Gästegalerie
Ilona Renz
Nicht mehr alle Tassen im Schrank
FreedomMan
Die wundersame Limerick-Heilung
Gudrun Kropp
Ins Netz gegangen
Martina Kirstein
Das Gespräch
Henriette Jorjan
LitCaTa
Papa Schorschi
Literatur-Café auf der Frankfurter Buchmesse
Vladimir Alexeev
Der Ausweg
Reinhold Nisch
tasse und literatur
Anna-Lena Schlüter
Die Dichterin
Berserker
Müde
Netty
Im Büro
Susi Bührer
Wo ist das?
Andrea Sandow
Pause
rain
Literatur-Café

Anton J. Ahorn
Der Ruf des Literatur-Cafés

Als ich in den Zug am Nürnberger Bahnhof einstieg, fieberte ich leicht meinem ersten Besuch zur Frankfurter Buchmesse entgegen. Ich war froh, dass mein Abteil leer war, denn ich hatte keine Lust, mit irgendjemand zu reden. Ich schlug die Frankfurter Allgemeine Zeitung auf, aber ich konnte mich auf Lesen nicht konzentrieren. Stattdessen nahm ich mein Manuskript aus der Tasche. Ich las es jedoch nicht, denn ich habe es so oft überarbeitet und Korrektur gelesen, dass ich es auswendig kannte. Ich umarmte das Manuskript an meiner Brust, schloss die Augen, atmete tief ein und fühlte, wie sich mir die Brust mit Hoffnung füllte. Vielleicht gelingt es mir, auf der Buchmesse einen Verleger oder Lektor anzusprechen, ihn/sie auf mein Manuskript aufmerksam zu machen, überzeugen, ja warum nicht begeistern. Der Funke muss überspringen, und im persönlichen Kontakt ist jemand am leichtesten zu begeistern. Ich hatte es satt von schriftlichen Absagen mit nichts sagenden Texten. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir aufgrund der Vielzahl der eingehenden Manuskripte nicht jede Absage einzeln begründen können.  Sie hätten es schon begründen können, wenn sie es gelesen hätten. Zum Lesen kann ich sie nicht zwingen, aber zum Zuhören schon. Nein, ich werde niemanden belästigen, sondern nur mit meinen Emotionen überschütten. Wenn sie merken, wie viel Energie ich in mein Werk hineingesteckt habe und welche weltbewegende Idee im Hintergrund steckt, werden sie gar nicht in der Lage sein, sich der Geschichte zu entziehen. Dachte ich.

Als der Zug am Bahnhof in Würzburg hielt, stiegen viele neue Passagiere ein. Zwei Frauen mittleren Alters stürmten in das Abteil hinein und nahmen Platz, ohne ihr Gespräch zu unterbrechen. Ich steckte schnell das Manuskript in die Tasche und breitete wieder die FAZ aus. Die Frauen sprachen über die Buchmesse, und ich spitzte die Ohren. Es stellte sich heraus, dass die beiden Frauen nicht nur regelmäßig die Buchmesse besuchten, sondern auch beruflich in der Verlagbranche tätig waren. Ich hoffte, mir einige Tipps zu holen, aber stattdessen musste ich zuhören, wie sich die Frauen über die Messebesucher, Kritiker, Journalisten und Autoren lustig machten. Insbesondere nahmen sie die Autoren aufs Korn, die ihre Manuskripte den Lektoren persönlich einreichen wollten. Wenn sie nur wüssten, wie sie komisch aussähen, diese Möchtegern-Autoren mit ihren dicken Taschen und großen Augen, Verzweiflung im Gesicht geschrieben. Die Frauen lachten höhnisch. Verstehen sie denn nicht, dass sich kein Lektor ohne Terminabsprache auf ein Gespräch mit unbekannten Autoren einlassen würde? Verstehen sie nicht, dass die Messe ein Medienereignis ist, wo große Geschäfte abgeschlossen werden und wo kein Verleger Zeit für Kleinkram hat? Verstehen diese lästigen Versager nicht, dass alle ihre Tricks, die Aufmerksamkeit an sich zu ziehen, schon x-Mal gesehen wurden, dass alle ihre Versuche zum Scheitern verurteilt seien? Und falls ihre Manuskripte zufällig von jungen, unbedarften Hostessen angenommen werden, sollten sie sich keine Illusionen machen, dass sie von irgendjemand gelesen werden. Die Manuskripte werden einfach als Altpapier entsorgt. Oder sollten die Lektoren mit Koffern voller ungelesener Manuskripte nach Hause fahren?

Das Gelächter der Frauen schallte mir in den Ohren, als ich auf den Flur hinausging. Ich öffnete das Fenster und steckte den Kopf aus dem Fenster. Der Wind kühlte mir den Kopf, aber für meinen Magen gab es kein Beruhigungsmittel. Der Zug fuhr langsam in den Frankfurter Bahnhof ein. Ich überlegte, ob ich mit dem nächsten Zug nach Hause fahren sollte, aber, als der Zug hielt, ließ ich mich mit der Menschenmenge treiben. Es sah aus, als ob alle Passagiere in Richtung Buchmesse gingen. Wie ferngesteuert folgte ich der Menschenmenge, stieg in die U-Bahn ein und, plötzlich, stand ich vor dem Messeeingang.

Eine ungeheure Menschenmenge wogte durch die Pforten des Tempels der geschriebenen Worte. Drinnen war es noch schlimmer. Die Menschenlawine rollte entlang des unendlichen langen Flures und mündete in einer Riesenhalle. Dies war nur eine Halle von vielen auf dem Messegelände, aber ich war schon vom ersten Eindruck niedergeschlagen. Ich verlor mich gleich im Labyrinth der aufeinander gereihten Stände und bummelte ziellos zwischen den unendlichen Buchregalen. Wer hatte das alles geschrieben? Und wer sollte das alles lesen? Die Masse der Besucher wälzte sich zwischen den Ständen ohne Interesse, mit matten Augen und müden Beinen. Einige nahmen die Bücher von Regalen und blättern sie durch, aber die meisten suchten nur einen freien Sitzplatz, um endlich die Beine ausstrecken zu dürfen. Zugegeben war es auch schwierig, sich aufs Lesen zu konzentrieren, denn ständig stolperte einem jemand über die Beine.

Welche Stände ich besuchte, weiß ich nicht. Welche Bücher ich in die Hand nahm, kann ich mich nicht erinnern. Alles verschwamm in einem dicken, grauen Nebel; ein bleischwerer Mantel legte sich auf meine Schultern. Der Tragegurt meiner Tasche schnitt sich mir in die Schulter ein, mein Manuskript war immer schwerer. Weder bot ich das Manuskript jemanden an, noch sprach ich einen Lektoren an. Ich hatte keine Kraft nicht einmal die Kaffeeverkäuferin anzulächeln, geschweige denn einen Verleger zu überzeugen, dass mein Werk die Welt erschüttern würde. Falls es je veröffentlicht würde.

Entrüstet schmiss ich das Manuskript in einen Mülleimer. Für einen Augenblick fühlte ich ein schlechtes Gewissen, denn der Abfall war unsortiert. Mein Manuskript lag inmitten der Cola-Dosen, McDonalds-Tüten und Sandwich-Reste. Resigniert stellte ich fest, dass sich mein Manuskript nicht einmal als Altpapier nützlich machen würde. In dem Augenblick hörte ich einen Ruf. Der trompetenhafte Ruf klang sehr weit entfernt, wie etwas, das in der Zukunft lag und in mir den Wunsch weckte, dort hinzukommen. Ich blickte in die Richtung, aus der der des Muschelhorns Ruf kam, als hörte ich ein Signal aus einer anderen Welt, und blieb, mitten im Lärm der Messe, kurz stehen.

Magnetisch angezogen folgte ich dem Ruf und gelang zum berühmt-berüchtigten Literatur-Café. Im gemütlichen, jedoch virtuellen Raum drängte sich eine Menge Zuschauer und lauschte aufmerksam einer schlanken, zierlichen Frau, mit langen, dunklen Haaren, dunklen Augen und sinnlichen Lippen, die aus ihrem Buch vorlas. Ich weiß es nicht, woran es lag, an ihrer Stimme, ihrem Lächeln oder ihren Augen, aber es war etwas an ihr, was eine Saite zum Klingen bringt. Ich fragte leise eine Nachbarin, wer das sei. Zoe, huschte die Frau leise den Namen. Zoe! Der Name klang kurz wie Kuss, leicht wie Schmetterling, zärtlich wie Blütenstaub. Als Zoe fertig mit dem Lesen war, hob sie den Kopf und blickte mit ihren großen Rehaugen in meine Richtung. Ich fühlte mich, als ob ich alleine mit ihr im Saal, nein, auf der ganzen Welt war. Magnetisch angezogen, machte ich einen zaghaften Schritt in ihrer Richtung. In dem Augenblick wurde ich auf die Seite abgeschoben. Meine Nachbarin lief in großen Schritten auf Zoe zu und warf sie sich in ihre Arme. Dann küssten sie sich. Kurz, leicht, zärtlich. Als ob sie ganz alleine im Saal, nein, auf der ganzen Welt waren.

Noch längst nach dem ich das Literatur Café verlassen hatte, klang mir der Ruf des Muschelhorns in den Ohren. Allerdings hörte es sich wie ein Signal aus einer anderen Welt an, der Welt, die mir für immer verschlossen bleiben wird.

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