Erinnern = Leben / Jüdisches Leben in Deutschland / von Ulrich Struve

Von Zuhause wird nichts erzählt
Aus derselben Zeit, doch aus gänzlich anderer Perspektive berichtet Laura Waco in Von Zuhause wird nichts erzählt. Ihre »jüdische Geschichte aus Deutschland« ist eine gelungene Mischung aus Autobiografie, Tagebuch und Roman mit einem ganz eigenen Ton. Waco, 1947 in Freising bei München geboren, erzählt als die Tochter zweier polnischer KZ-Überlebender. Sie erzählt in der einfachen, klaren Sprache des Kindes, das sie einst war, und doch mit der Einsicht der Erwachsenen, die nicht klüger sein will als das Kind zum jeweiligen Zeitpunkt des Berichts. Im Verlauf des Buches wird die Erzählstimme erwachsen. Diesen Kunstgriff konsequent durchgehalten zu haben, macht den Text künstlerisch überzeugend.
     Dabei spielt die Erzählerin bewusst mit merkwürdigen Worten aus dem Jiddischen, Bayerischen und Polnischen. So ist der Erzählung ein Moment der Fremdheit eigen, noch bevor die bedrückendsten Wörter dieser Kindheit überhaupt zur Sprache kommen, Wörter wie Lager, Auswanderung, KZ. Einerseits breitet Waco vor unseren Augen ein vor Lebenslust strotzendes Panorama der 50er und 60er-Jahre aus, eine Art Liebeserklärung an Deutschland mit Pepita und Kintop. Andererseits dringt der Terror der Lager immer wieder in die Unbeschwertheit des Kinderalltags ein. Ein Schulausflug nach Dachau, wo der Vater interniert war, gewinnt bittere, verzweifelte Prägnanz; ein Referat über den Holocaust wird vom geliebten Lehrer, der, so stellt sich heraus, noch immer gern die »schönen« alten HJ-Lieder singt, abgebügelt und verharmlost, weil die Deutschen im Krieg ja auch viel leiden mussten.
     Als ein junger Deutscher die Tochter vorm Ertrinken in der Isar rettet, bricht für den Vater eine Welt zusammen: »Belohnen hab ich ihn noch müssen. Einen Deutschen, was rettet mein Kind. ... So eine Schande«, schreit der Vater und lässt es an Ohrfeigen nicht mangeln. Überhaupt rutscht ihm ständig die Hand aus, oder der Teppichklopfer. Es ist müßig zu spekulieren, ob dieser Mann ohne die im Lager erfahrene Gewalt ein liebevoller und zärtlicher Vater geworden wäre. Immer wieder scheint im Text durch, wie erlittene Hilflosigkeit und Gewalt an die nächste Generation weitergegeben werden.
     »Meine Eltern waren die direkten Opfer. Und wir waren die indirekten«, so bringt es Waco in einem Interview auf den Punkt. Dass sie imstande ist, die Dämonen der eigenen Kindheit durch Schreiben zur Ruhe zu legen, verdankt Waco dem weiteren Lebensweg, der Auswanderung nach Kanada und der so gewonnenen Distanz, die eine klarere Sicht der Eltern ermöglicht, aber auch dem als heilsam erlebten Eingebundensein in die Generationenfolge. »Und ich habe zwei Töchter«, schließt sie den Epilog ihres Buches. »Die haben mir das Lieben beigebracht«.

Laura Waco, Von Zuhause wird nichts erzählt. München: P. Kirchheim 1996, 281 Seiten, gebunden, ISBN 3-87410-073-1, 39,80 DM.


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