Erinnern = Leben / Jüdisches Leben in Deutschland / von Ulrich Struve

Nirgendwo in Afrika
Irgendwo in Deutschland

Die Rückkehr einer jugendlichen Exilantin und ihrer Familie beschreibt Stefanie Zweig in ihrem autobiografischen Roman Irgendwo in Deutschland. Sie schließt damit an den vor drei Jahren veröffentlichten Roman Nirgendwo in Afrika an. Dort wird der erzwungene, doch lebensgeschichtlich zentrale Aufenthalt auf einer Farm in Ol' Joro Orok in Kenia geschildert. Liebevoll malt Zweig aus, welchen Zauber die afrikanische Natur und die Menschen vor allem auf Regina, das Alter Ego der Autorin, ausüben, wie Owuor, der Hausboy und Freund, die junge Memsahib lehrt, welche Worte »die Ohren streicheln« und gut für das Herz sind. Von Owuor lernt sie auch, dass man sich in Geschichten und Gedichten für's Leben einrichten kann. Nun, in Irgendwo in Deutschland, zeichnet Stefanie Zweig in klarer, bildkräftiger Prosa nach, wie Walter Redlich, Jettel, Regina und Max 1947 einen Neuanfang im zerstörten Nachkriegsdeutschland wagen.
     Hunger und Entbehrungen, Wohnungsnot und die urplötzliche Konversion vieler Deutscher zu Judenfreunden sind an der Tagesordnung. Bald stellt sich eine gewisse alltägliche Normalität ein und das Wirtschaftswunder kommt in Fahrt. Zwischen den Erinnerungen und der Sehnsucht des Vaters nach dem längst verlorenen, kräftig idealisierten Oberschlesien, der von Hitler geraubten Heimat, und der mitunter prekären Gemütslage des zurückgekehrten jüdischen Exilanten, lernt die Tocher ihren eigenen Weg gehen. Quasi nebenbei gewährt die Autorin dem heutigen Leser Einblick in ein wichtiges Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte.
     Dabei ist Irgendwo in Deutschland auch eine von großer Zartheit getragene Liebesgeschichte zwischen Vater und Tochter, deren Zuneigung durch ein inniges Verständnis füreinander und die bitter-süße Erinnerung an die Zeit in Kenia getragen wird. In Suaheli-Liedern und Mythen vom großen Gott Mungo findet Regina Schutz vor der Angst, bis sie für sich selber einzustehen lernt. Irgendwo in Deutschland ist nicht nur ein bewegender Bericht, sondern auch ein fesselnder Roman. Man fühlt mit den Personen mit und darf sich getrost dem Sog der Erzählung überlassen. Die erneute Lektüre von Nirgendwo in Afrika steigert das Lesevergnügen.

Stefanie Zweig, Nirgendwo in Afrika und Irgendwo in Deutschland. München: Langen-Müller 1995 & 1996, 383 Seiten & 384 Seiten, gebunden, ISBN 3-7844-2560-7/3-7844-2578-X,  je 39,90 DM.
Auch im Heyne-Verlag als Taschenbuch erhältlich ISBN 3-453-12429-4/3-453-13656-X, je 14,90 DM


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