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Corona, Freiheit, Angst und zwei Bücher

Heribert Prantl: »Not und Gebot« und Christoph Lütge, Michael Esfeld: »Und die Freiheit?«

»Den einen gehen die Maßnahmen nicht weit genug, für die anderen wird zu stark in die Grundrechte eingegriffen«, sagt Schriftsteller Daniel Kehlmann in der ZEIT. Die Spaltung der Gesellschaft scheint noch weitaus extremer zu sein. Doch Kritik an den Corona-Maßnahmen muss es geben, sie ist Ausdruck unserer Demokratie. Blicken wir daher auf zwei kritische Bücher von drei renommierten Autoren.

Zwei Bücher, eine Richtung?

Beide Bücher sind nicht in dubiosen Nischen-Verlagen erschienen. Das eine wurde von C. H. Beck verlegt, das andere vom Riva Verlag. Zweifelsohne hat Beck den besseren Ruf, Riva kennt man auch als Verlag von Influencer-Büchern, von Fitness- und Grill-Ratgebern und Büchern wie »Du kannst nicht alle töten – Überleben unter Idioten«. Riva gehört zur Münchner Verlagsgruppe, die wiederum seit einiger Zeit zum Verlagskonzern Bonnier gehört (Piper, Ullstein, Carlsen, …).

Dennoch scheinen die beiden Bücher, die sich kritisch mit den Corona-Maßnahmen auseinandersetzen, auf den ersten Blick in die gleich Richtung zu gehen.

Da ist das Buch aus dem C. H. Beck Verlag: »Not und Gebot – Grundrechte in Quarantäne«. Dessen Autor ist Heribert Prantl, viele Jahre war er Journalist bei der Süddeutschen Zeitung, auch heute noch schreibt er dort wöchentlich den Newsletter »Prantls Blick«. Prantl hat zunächst Jura studiert und war vor seiner Journalistenkarriere als Staatsanwalt und Richter tätig gewesen.

Und da ist der Riva-Titel »Und die Freiheit? – Wie die Corona-Politik und der Missbrauch der Wissenschaft unsere offene Gesellschaft bedrohen«. Das dünne Buch mit 128 Seiten hat gleich zwei Autoren: Prof. Dr. Christoph Lütge, Wirtschaftsethiker an der Technischen Universität München, und Prof. Dr. Michael Esfeld, Wissenschaftsphilosoph an der Universität Lausanne. Lütge war Mitglied im Bayerischen Ethikrat, wurde jedoch Anfang Februar 2021 durch einen einstimmigen Kabinettsbeschluss aus diesem Gremium abberufen. Wurde hier ein unliebsamer Kritiker entfernt, der andere Meinungen vertritt, als sie die bayerische Regierung hören möchte?

Heribert Prantl: Not und Gebot

Doch zunächst zu »Not und Gebot« und zu Heribert Prantl. Das Buch sei »eine Streitschrift für die Grundrechte«, ist auf der Rückseite zu lesen. »Wir müssen uns vor dem Virus schützten, zugleich aber auch vor Schäden am Betriebssystem Demokratie.« Der Titel leitet sich ab aus der Passage »Not kennt kein Gebot? Falsch! Not braucht das Gebot des Grundgesetzes.«

Heribert Prantl: »Not und Gebot« und Christoph Lütge, Michael Esfeld: »Und die Freiheit?«

Überwiegend handelt es sich bei diesem Buch um Texte des wöchentlichen Newsletters »Prantls Blick« und um Beiträge, die in der Süddeutschen Zeitung 2020 erschienen sind. Ergänzt werden diese um Passagen, die für das Buch verfasst wurden. Das Buch ist daher ein Kommentar der Corona- und Lockdown-Zeit, der Details nochmals ins Gedächtnis ruft. Wer erinnert sich noch daran, dass es im August 2020 die Studie zweier Medienforscher gab, in der festgestellt wurde, dass die vielen »Extra«- und »Sondersendungen« ein permanentes Krisen- und Bedrohungszenario vermitteln? »Wie der Journalismus den Lockdown kommunikativ vorbereitet, aber zur Folgenabwägung nicht viel beigetragen hat«, lautet bei Prantl die Unterüberschrift eines Kapitels. So plakativ dies klingen mag, so differenziert geht der Journalist Prantl dieses Themenfeld an. Es geht um das Hohe gut der Pressefreiheit, um die Aufgaben des Journalismus. Es geht um die Qualität der Beiträge. Und um die Frage, was denn »die Wahrheit« sei, von der jeder für sich in Anspruch nehme, sie zu sagen und auf seiner Seite zu haben. Prantl, selbst viele Jahre für das Meinungsressort der Süddeutschen Zeitung zuständig und somit auch für die legendäre Meinungskolumne »Streiflicht«, belässt hinter einigen Sätzen Fragezeichen und stellt der »Endlich sagt es mal einer«-Mentalität kluge Aussagen gegenüber wie: »Ein Leitartikel oder ein Kommentar ist nicht dann demokratisch, wenn er danach trachtet, die Mehrheitsmeinung abzubilden«.

Heribert Prantl ist 1953 in der Oberpfalz geboren, katholisch erzogen, doch von höchst liberalem Geist geprägt, was in »Not und Gebot« deutlich wird. Er steht zu unserem Rechtssystem und tritt vehement für die Grundrechte ein. Sätze wie »Wer aber bei Corona absoluten Lebensschutz zur Maxime erhebt, der macht Politik unmöglich« könnte man als Relativierung der Opfer sehen, doch wird dies sogleich ergänzt um: »Ziel in der Corona-Pandemie ist ja nicht, alle Ansteckungen zu verhindern. Ziel ist, die Bevölkerung so vor dem Virus zu schützen, dass auch andere lebenswichtige Bedürfnisse zum Zuge kommen können. Ziel ist es, das Gesundheitssystem aufrechtzuerhalten, sodass die Covid-Kranken, die Krebskranken und die Herzkranken weiter Hilfe zur Heilung finden, ohne Triage.« Und auch diese Aussage wird später im Buch ergänzt um den Hinweis, dass dieses Gesundheitssystem sich leider schon vor der Pandemie durch Privatisierung und Kommerzialisierung in die falsche Richtung entwickelt habe.

Bei Prantl bekommt man keine einfachen Lösungen präsentiert, wie sie derzeit oft gut ankommen, egal in welchem Lager. Prantl kritisiert nie, ohne zu relativieren, ohne abzuwägen. Und oftmals bleiben am Ende seiner Sätze Fragezeichen stehen.

Doch wenn es um die Grundrechte und deren Einschränkungen geht – und sei es nur vorübergehend – ist Prantl kompromisslos. Auch in der Frage der aktuell diskutierten Privilegien für Geimpfte: »Grundrechte sind keine Privilegien, die man sich erst durch ein bestimmtes Handeln verdienen kann oder verdienen muss. Grundrechte sind keine Belohnung, keine Gratifikation, kein Bonus, kein dreizehntes Monatsgehalt. Sie sind einfach da, jeder hat sie, jeder darf sie in Anspruch nehmen. Grundrechte heißen Grundrechte, weil sie dem Mensch als Mensch und/oder als Staatsbürger zustehen. (…) Die Grundrechte sind auch nicht irgendwo gelagert, sie müssen nicht in einem Grundrechtslager abgeholt werden gegen Vorlage bestimmte Bescheinigungen, so wie ein Paket bei der Post. (…) Gewiss: Grundrechte sind einschränkbar. Aber ihr Wesenskern darf nicht angetastet werden.«

Prantl schaut genau hin, bringt viele Themen in Zusammenhang mit dem Virus. So fragt er in der Rassismusdebatte, was es bedeutet, wenn Virus-Mutanten immer nach ihren scheinbaren Herkunftsländern benannt werden. Und auch den Kirchen wirft er Versagen vor, weil sie nicht wie Jesus handelten, sondern weil sie gerade im ersten Lockdown die Menschen in den Pflegeheimen alleingelassen hätten – allein sogar beim Sterben.

Und noch zwei andere Sätze Prantls seien zitiert, die seine Position klarmachen: »Man darf die Verfassung, man darf die Versammlungs- und Meinungsfreiheit nicht mit Radikalen und Extremisten allein lassen.« Das erfordere Mut. Aber: »Ein seriöser Corona-Kritiker darf die Präsenz von Neonazis bei seinen Protesten nicht gleichgültig oder gar billigend in Kauf nehmen.«

Es ist leider die Schwach- oder Fehlstelle des Buches, dass Prantl die Antwort schuldig bleibt, wie seriöse Kritiker gehört werden können. Denn die Medien berichten, so scheint es, lieber von den Demos mit Ausschreitungen als von Demos, bei denen Masken getragen und Abstandsregeln eingehalten werden.

Christoph Lütge, Michael Esfeld: Und die Freiheit?

Allein vom Titel scheint das Buch »Und die Freiheit?« von Christoph Lütge und Michael Esfeld in die gleiche Richtung zu gehen. Als Journalist und Jurist bleibt Heribert Prantl weitgehend auf seinen Fachgebieten. Lütge und Esfeld sind Wirtschaftsethiker und -philosophen. Von ihnen erwartet man ebenfalls eine differenzierte und kritische Sicht auf die Corona-Maßnahmen. Es könnte um die Frage der Freiheit des Berufs gehen, die im kulturellen und gastronomischen Bereich seit Monaten eingeschränkt ist. Es könnte um die Frage gehen, ob es gut ist und welche Auswirkungen es auf die Wirtschaft und Gesellschaft hat, wenn ein Staat, der stets als verschuldet galt, plötzlich Geldmassen auf den Markt wirft, um Wirtschaftszweige ganz oder in Teilen zu finanzieren. Kann das gut gehen? Welche Gefahren bringt das für die Zukunft unserer Gesellschaft?

Christoph Lütge, Michael Esfeld: Und die Freiheit?

Doch davon ist leider so gut wie nichts im Buch des Autorenduos zu lesen. Hier werden meist Behauptungen aufgestellt, und bei der Lektüre geht man davon aus, dass das ohnehin schmale Bändchen zur Hälfte aus Quellenangaben bestehen müsse, die diese Behauptungen belegen. Doch es gibt diese Quellenangaben nicht. Corona sei nur für alte Menschen gefährlich, sie gelte es zu schützen. Für den Rest der Menschen sei alles nicht schlimmer als eine Grippe. Es ist pauschal von »Staatsversagen« die Rede, vom »Missbrauch der Wissenschaft«. Man findet die üblichen einfachen Argumente und Ländervergleiche. Der oft gehörte Kalifornien- und Florida-Vergleich wird gebracht, Staaten die ein »ähnlich warmes Klima« besäßen. In Kalifornien setzte man auf Einschränkungen und Masken, in Florida stellte man nahezu alle Maßnahmen wieder ein. Doch die Zahl der Toten stieg in Florida nicht an.

Sucht man im Netz in seriösen (US-)Medien nach diesem Thema, so muss man feststellen, dass diese Aussage stimmt. Doch man muss auch schnell feststellen, dass dies im Umkehrschluss nicht belegt, dass die Maßnahmen nichts bringen, wie es Lütge und Esfeld suggerieren. Das Corona-Weltbild der beiden erscheint erstaunlich simpel, und man kann gar nicht glauben, dass man hier das Buch zweier Universitätsprofessoren in den Händen hält. Stark tritt aus ihren Zeilen ein Lagerdenken heraus, das sich in die üblichen Streek-versus-Drosten-Parteien unterteilt. Die beiden Philosophen argumentieren und beurteilen zu oft fachfremdes Gebiet, was populistisch wirkt. Es mag durchaus stimmen, dass Hendrik Streeck bisweilen diffamiert wurde. Aber man sollte im Sinne der Ausgewogenheit doch nicht gänzlich unerwähnt lassen, dass Streeck in seinen Aussagen oft daneben lag und keine allzu ruhmreiche Rolle bei der Heinsberg-Studie spielte. Man sollte als seriöser Autor nicht das problematische Wort der »Mainstreammedien« verwenden. Medien, in denen auch Streeck Sondersendungen und Aufmerksamkeit bekommt.

Wenn Lütge »in eigener Sache« von seinem Rausschmiss aus dem Bayerischen Ethikrat berichtet und wie selbstverständlich schreibt, dass er unter anderem die Bild-Zeitung als Kommunikationskanal benutzt habe, bekommt man bei der Lektüre des Buches immer mehr den Eindruck, dass diese Abberufung aus gutem Grund erfolgt sein könnte. Laut Website der Bayerischen Staatskanzlei hat der Rat bis heute (April 2021) ohnehin noch nie inhaltliche Themen besprochen. Aufgeführt ist nur eine erste konstituierende Sitzung im Oktober 2020.

Von »Und die Freiheit?« fühlt man sich nicht gut beraten. Hier fehlt Differenzierung und Relativierung. Das Buch wirkt streckenweise wie gekränkte akademische Eitelkeit, die an einem Nachmittag in Textform gegossen wurde. Von Expertise ist nicht viel geblieben, da das eigentliche Fachgebiet kaum behandelt wird. Das ist bedauerlich, da Christoph Lütge selbst im oft genannten Interview mit dem BR keinesfalls dogmatisch oder verbissen wirkte.

Und es ist die bitterböse Ironie des Lebens, wenn man im April 2021 im Buch vom März 2021 den Satz liest: »In (…) Indien (…) läuft das Leben bereits wieder weitestgehend normal, ohne dass darüber in den deutschen Meiden viel berichtet wird.«

Fazit: Und die Bücher?

Anders als bei Heribert Prantl spürt man bei Christoph Lütge und Michael Esfeld, dass dieses Autorenduo niemanden überzeugen oder gar zum eigenen differenzierten Denken anregen will. Es ist für die geschrieben, die die simplen Argumente schon an anderen Stellen gelesen haben und die sich mit diesem Buch erneut bestätigt fühlen können.

Wer einen kritischen und differenzierten Blick auf die Corona-Maßnahmen werfen oder gewinnen will, wer einen Eindruck davon gewinnen will, was wir vielleicht zerstören oder zerstört haben und wer weiß, dass die Welt komplexer ist, der sollte unbedingt »Not und Gebot« von Heribert Prantl lesen.

Wolfgang Tischer

Heribert Prantl: Not und Gebot: Grundrechte in Quarantäne (Beck Paperback). Taschenbuch. 2021. C.H.Beck. ISBN/EAN: 9783406768958. 18,00 €  » Bestellen bei amazon.de Anzeige oder im Buchhandel
Heribert Prantl: Not und Gebot: Grundrechte in Quarantäne (Beck Paperback 6442). Kindle Ausgabe. 2021. C.H.Beck. 12,99 €  » Herunterladen bei amazon.de Anzeige

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