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Alexander Gorkow: Die Kinder hören Pink Floyd – Man kann einem Monster nicht kündigen

Alexander Gorkow: Die Kinder hören Pink Floyd

Eine Kindheit in den 1970ern, eine Hommage an Pink Floyd, eine Abrechnung mit Roger Waters. Mit »Die Kinder hören Pink Floyd« hat Alexander Gorkow einen Roman mit Ausläufern in die musikalische Wirklichkeit geschrieben. Trotz anfänglicher Schwäche ein bewegendes Buch mit einer starken Schwester.

An die echte oder vermeintlich echte Biografie angelehnte Romane sind im Trend, man denke an Helga Schubert: »Vom Aufstehen« oder Kristian Kracht: »Eurotrash«. Fernsehshows feiern vergangene Jahrzehnte, indem an die größten Hits und Stars jener Dekaden erinnert wird. Weißt du noch? Ach, ja!

In seinem Roman »Die Kinder hören Pink Floyd« hat Alexander Gorkow, Jahrgang 1966, beides vereint. Es geht um die Kindheit des Zehnjährigen in den 70ern in der niederrheinischen Provinz und um Pink Floyd. Die Musik der britischen Band durchzieht die Kindheit des Erzählers und Autors und wird ihn auch später begleiten. Die ältere, 16-jährige Schwester erläutert dem Bruder, dass diese Band für die Auflehnung gegen »das Establishment« und »das System« stehe: »Pink Floyd sind Sozialisten.«

Wer selbst in den 1970ern und 80ern groß geworden ist, erinnert sich beim Lesen an die eigenen Pink-Floyd-Momente. Den nahezu ewig stehenden g-Moll-Akkord von »Shine On You Crazy Diamond« habe ich das erste Mal im Musikunterricht bei Frau Bracht gehört – im Vergleich mit Wagners Rheingold-Vorspiel. Die handschriftlichen Song-Texte der »The Wall«-Doppel-LP habe ich mit der mechanischen Schreibmaschine meiner Tante abgetippt. Auch die LP hatte ich in ihrer Plattensammlung gefunden. In jenem Sommer habe ich mit dem Langenscheidt-Wörterbuch in der Hand wahrscheinlich mehr fürs Erlernen der englischen Sprache getan als in einem halben Jahr Englischunterricht.

Alexander Gorkow: Die Kinder hören Pink Floyd

Auch die beiden Kinder der Familie Gorkow lernen Englisch mit Pink Floyd. Als 1975 »Wish You Were Here« von Herrn Brockkötter aus dem Funkhaus Everts in einer dunkelgrünen Plastiktüte nach Hause gebracht wird, hören sie die Langspielplatte das erste Mal auf dem Thorens-Plattenspieler im Wohnzimmer gemeinsam mit dem Vater, »bevor sie auf dem Teller des Duals im Zimmer der Schwester den Linienbetrieb aufnimmt.« Gorkow verknüpft die Musik, die man beim Lesen unweigerlich selbst in einer stillen Wohnung hört, mit den Dialogen und Reaktionen der Familie und dem Entsetzen des Vaters, als die Musik am Ende von »Have A Cigar« abreißt und qualitativ ins Bodenlose fällt: »Wieso können die das mit den Effekten nicht lassen!«

Gorkow verbindet Musikwissen um die Band virtuos mit der Familiengeschichte und nie gleitet er dabei in den onkelhaften Ton eines Musikredakteurs ab. The Sweet und T. Rex bevölkern imaginär das Haus, und Heino lebt als Monster im Keller. Die Dialoge erinnern an Loriot, Kerkeling und an Sketche von Peter Frankenfeld. Einer der besten Passagen des Buches handelt vom Giftsprühen im Rosengarten. Das alles ist leicht überzeichnet, doch wenn der Vater das Buch »Gesichtspunkte eines Deutschen« von Rainer Barzel liest (»Was für ein Titel! Dieser Idiot!«), wenn der Vater zusammen mit Gerhard Klarner die Nachrichten durchlebt und wenn es zu einer gewaltigen häuslichen Katastrophe kommt, dann spielt das Buch sein Humorpotenzial voll aus, um dann wieder zu ruhigen und bewegenden aber nie rührseligen Szenen zu wechseln. Dass die große Schwester ständig in Kliniken ist, weil sie ein contergan-geschädigtes Herz hat, dass sie nach Meinung der Ärzte schon längst tot sein müsste, wird nicht zum Drama, sondern zur Selbstverständlichkeit in der Geschichte.

Doch man muss durch die ersten gut 30 Seiten durch. Da scheint das Buch die mäßig komische Jugenderinnerung zu werden mit einem stellenweise schwer erträglichen Erzähler, der als naives Kind angelegt ist. Das produziert bisweilen einen flachen Kindermund-Humor, besonders wenn es ums »Bumsen« und »Schmusen« geht. Da fragt man sich am Beginn, wozu man dieses Buch braucht und in welche langweilige Kindererlebniswelt man da geraten sei, bevor dann Pink Floyd übernimmt. Man hätte diesem Buch am Beginn mehr Schwung gewünscht.

Bemerkenswert ist, wie Alexander Gorkow das Buch im Epilog in die Wirklichkeit führt und davon berichtet, dass er später unzählige Pink-Floyd-Konzerte in der ganzen Welt besucht habe. Er berichtet vom Besuch des Dortmunder »The Wall«-Spektakels. Das Buch »Die Kinder hören Pink Floyd« ist dem Konzertveranstalter Marek Lieberberg gewidmet. Während im Romanteil die Schwester vergeblich Briefe mit Fragen an die Band nach London schickt, kam Gorkow selbst den Band-Mitgliedern später sehr nahe. Für die Süddeutsche Zeitung bzw. das Süddeutsche Magazin führt er »normale Gespräche mit freundlichen, sarkastischen, gebildeten Milliardären aus Cambridge«. 2018 erhält Alexander Gorkow den Deutschen Reporterpreis für ein Interview mit Roger Waters. Ein Gespräch, in dem es auch mal laut wurde, ging es doch um die immer wieder antisemitischen Ausfälle des Pink-Floyd-Bassisten. Aus der Kindertraum?

»Es gibt Gute, Unverdächtige und Monster«, schreibt Alexander Gorkow im Roman und über die Zeit, in der Pink Floyd zu den Guten gehörte.

Im Epilog dann über Roger Waters: »Man kann einem Monster nicht kündigen. Es entscheidet immer das Monster, wie es weitergeht.«

Wolfgang Tischer

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